Region und Reich

PDF der Druckfassung aus Sezession 107/ April 2022

Mein Auf­satz »Ener­gie und Moder­ne – vor­letz­tes Kapi­tel« für die ­Sezes­si­on in der Aus­ga­be 89 schloß mit den Wor­ten: »Wenn die kom­men­de Epo­che eine Epo­che der Rech­ten wer­den soll, dann brau­chen wir Ant­wor­ten auf die sys­tem­im­ma­nen­te Insta­bi­li­tät des Libe­ra­lis­mus, die über den Themen­komplex Nati­on und Migra­ti­on hinausgehen.«

Eine der Ant­wor­ten auf eben­je­ne sys­tem­im­ma­nen­te Insta­bi­li­tät des Libe­ra­lis­mus, die über tages­po­li­ti­sche Gra­ben­kämp­fe hin­aus­geht, liegt in einer kon­ser­va­ti­ven Öko­lo­gie. Ihre Grund­sät­ze sind »die Mar­kie­rung der Gren­ze, die Ein­he­gung des ›Män­gel­we­sens Mensch‹ in sei­ne Schran­ken und damit ein Ende des zügel­lo­sen Wachs­tums«. (1) Außer­dem ist eine Ver­or­tung des Men­schen für sie wesent­lich: »Die Ver­wur­ze­lung an einem bestimm­ten Ort legt das Fun­da­ment einer ›nach­hal­ti­gen‹ Lebens­art.« (2)

Mit einer auf die Ener­gie­nut­zung fokus­sier­ten Per­spek­ti­ve, die die Bezie­hung zwi­schen Öko­lo­gie und Gesell­schafts­ord­nung ver­deut­licht, läßt sich auf­zei­gen, daß wir ohne eine kon­ser­va­ti­ve Öko­lo­gie kei­nen Aus­weg aus der Ver­nut­zung aller Bestän­de fin­den wer­den. Wir spre­chen also wie­der, wie so oft, vom Boh­ren har­ter Bret­ter, denn: »Die poli­ti­sche Pro­gram­ma­tik ist auf die Zukunft aus­zu­rich­ten, in der eine gesell­schaft­li­che Ord­nung zu errich­ten ist, die die ›gro­ße Trans­for­ma­ti­on‹ unter­bricht und es ver­mag, erneut fes­te Nor­men­struk­tu­ren und sta­bi­le kul­tu­rel­le Bezugs­sys­te­me zu schaf­fen, deren Bewah­rung lohnt.« (3)

Wie könn­te eine sol­che Ord­nung, die die »gro­ße Trans­for­ma­ti­on« unter­bricht sowie fes­te Nor­men­struk­tu­ren eta­bliert und den Men­schen an einem Ort ver­wur­zelt, aus­se­hen? Eine Ant­wort bie­tet das Kon­zept des Bio­re­gio­na­lis­mus: Es ist das Pro­gramm zur Errich­tung von jenen »auto­no­men Mikro­ge­sell­schaf­ten«, die der Grand­sei­gneur der Nou­vel­le Droi­te, Alain de Benoist, als not­wen­dig erach­tet, um das Gemein­we­sen zu bele­ben und die Natur zu schüt­zen – ein Gesun­dungs­pro­zeß sowohl für den Men­schen als auch sei­ne Umwelt. »Jedes (klei­ne) Kol­lek­tiv, das sich nach den Prin­zi­pi­en des Bio­re­gio­na­lis­mus orga­ni­siert, bedeu­tet einen Akt der Sta­bi­li­sie­rung, der inmit­ten der ›flüch­ti­gen‹ Moder­ne und ihrer voll­stän­di­gen Ort­lo­sig­keit sowie tota­len Mobi­li­sa­ti­on aller Bestän­de einen gewich­ti­gen Kon­tra­punkt setzt«. (4)

Ob man das Kon­zept nun Bio­re­gio­na­lis­mus, reduk­ti­ven Wan­del, öko­lo­gi­schen Kom­mu­ni­ta­ris­mus, Eth­no-Regio­na­lis­mus oder kon­ser­va­tiv-öko­lo­gi­sche Revo­lu­ti­on nennt, ist uner­heb­lich; wich­tig ist nur, zu erken­nen, daß die Bewah­rung des orga­nisch Gewach­se­nen, die Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on gegen den Fort­schritt ohne die radi­ka­le Ver­än­de­rung unse­rer Lebens­wei­se – die für die­ses Regio­na­li­sie­rungs­pro­gramm kon­sti­tu­ie­rend ist – erfolg­los blei­ben wird. Kapi­ta­lis­mus, Indus­tria­li­sie­rung und Kon­sum als Drei­schritt der Moder­ne trei­ben die Ato­mi­sie­rung des Indi­vi­du­ums auf einer viel tie­fe­ren sozia­len Ebe­ne vor­an, als daß eine Poli­tik, die nicht die Ver­än­de­rung der grund­le­gen­den sozio­öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen anstrebt, dem etwas ent­ge­gen­zu­set­zen hätte.

Eben­je­nen fun­da­men­ta­len Ant­ago­nis­mus zum Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zip der moder­nen Nicht­fest­ge­legt­heit ver­kör­pert die »Bio­re­gi­on« als Mikro­or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit eines kon­ser­va­tiv-öko­lo­gi­schen Ord­nungs­prin­zips. Ver­gli­chen mit der heu­ti­gen Lebens­rea­li­tät, erscheint die Bin­dung des ein­zel­nen an einen bestimm­ten Ort, das Iden­ti­fi­zie­ren mit einem spe­zi­el­len Stück Boden, die fes­te Ein­bet­tung in einen über­schau­ba­ren Sozi­al­ver­band sowie die Wie­der­her­stel­lung von Hei­mat – und zwar sub­stan­ti­el­ler Hei­mat, nicht »Hei­mat« als Ver­mark­tungs­stra­te­gie – als maxi­ma­ler Bruch: Es bedeu­te­te, die Ver­hält­nis­se auf den Kopf zu stellen.

Doch was im ers­ten Moment wie eine Über­for­de­rung des Men­schen anmu­tet, ent­puppt sich, sobald man es tie­fer durch­dringt, als das genaue Gegen­teil. Viel­mehr wür­de die Durch­set­zung bio­re­gio­na­lis­ti­scher Prin­zi­pi­en die aktu­el­le Über­for­de­rung des Men­schen in den Indus­trie- und Kon­sum­ge­sell­schaf­ten west­li­cher Pro­ve­ni­enz ver­rin­gern. Es geht bei die­ser Form der »Öko­no­mie der Nähe« nicht dar­um, den Men­schen in Rich­tung neu­er Fort­schritts­durch­brü­che zu het­zen, son­dern Ursprüng­li­ches wie­der­zu­ent­de­cken und zurückzugewinnen.

Das Stre­ben liegt nicht im Auf­bau eines gigan­ti­schen Ener­gie­sys­tems erneu­er­ba­rer Ener­gien mit Hil­fe eines KI-gesteu­er­ten Smart grid oder einer Kern­fu­si­ons­wirt­schaft. Der Bio­re­gio­na­lis­mus »geht nicht von einer neu­en Art Über­mensch aus«, for­mu­lier­te es der Neo-Lud­dit Kirk­pa­trick Sale, »der frei von all den klei­nen Feh­lern und Irr­tü­mern ist, von denen wir wis­sen, daß sie die Men­schen in der Ver­gan­gen­heit cha­rak­te­ri­siert haben. Eine bio­re­gio­na­le Welt ver­langt […] nichts in der Grö­ßen­ord­nung jener Ideo­lo­gien, die sich einen neu­en ›sozia­lis­ti­schen Men­schen‹ vor­stel­len und ver­spre­chen, jeman­den, der nicht mehr an mate­ri­el­len Gütern, Pro­fi­ten oder Anrei­zen inter­es­siert ist, der sich nicht mehr dem Eigen­nutz hin­gibt.« (5)

Die Eta­blie­rung der »Bio­re­gi­on« als kleins­ter wirk­mäch­ti­ger, poli­ti­scher Ein­heit hie­ße, unse­re Lebens­zu­sam­men­hän­ge auf ein mensch­li­ches Maß zu brin­gen, wodurch unse­re sozia­len und poli­ti­schen Pro­ble­me sowie unse­re Ver­ant­wor­tung dafür wie­der direkt erfahr­bar wür­den, indem sie von der Fer­ne zurück in die Nähe rück­ten. Poli­tik wäre damit nicht mehr das Ergeb­nis einer Super­struk­tur, die sich ihrem Wesen nach abkop­pelt, unnah­bar wird und in der Repro­duk­ti­on welt­ent­rück­ter Rea­li­tä­ten ermat­tet: »Gesell­schaft« wür­de durch »Gemein­schaft« ersetzt, die kom­ple­men­tär zur »Öko­no­mie der Nähe« ist.

Eine Umset­zung die­ses Pro­gramms resul­tier­te frei­lich in einer umfas­sen­den Dezen­tra­li­sie­rung aller Lebens­be­rei­che. Die poli­ti­schen Ein­hei­ten wür­den anhand der natür­li­chen Gege­ben­hei­ten (Land­for­men, Böden, Flo­ra, Fau­na etc.) und der dar­an orga­nisch ent­stan­de­nen Lokal­kul­tu­ren gebil­det wer­den. In Deutsch­land brauch­te es dafür kei­ner län­ge­ren Gene­se; unse­re an den natür­li­chen Gege­ben­hei­ten orga­nisch ent­stan­de­nen »Bio­regionen« exis­tie­ren bereits, auch wenn sie ihre ursprüng­li­che Funk­ti­on ver­lo­ren haben. Sie sind unser jahr­hun­der­te­al­tes Erbe, unse­re spe­zi­fi­schen Regio­nal­kul­tu­ren mit all ihren Aus­for­mun­gen als Aus­druck deut­scher Diver­si­tät und Geschichte.

In die­sen unter­schied­li­chen Regio­nal­kul­tu­ren kom­men eine Eigen­art und eine his­to­ri­sche Ein­zig­ar­tig­keit zum Aus­druck, die für Mit­tel­eu­ro­pa respek­ti­ve Deutsch­land von sub­stan­ti­el­ler Bedeu­tung sind: »Im Gegen­satz zu allen ande­ren Hoch­kul­tu­ren der Erde, die durch ein ein­zi­ges Macht­zen­trum domi­niert wer­den, gelingt es in Euro­pa kei­ner Macht, die Herr­schaft über ganz Euro­pa zu errin­gen. In Euro­pa [exis­tie­ren] stets eini­ge gro­ße, eine Rei­he von mitt­le­ren und zahl­rei­che klei­ne Ter­ri­to­ri­en neben­ein­an­der.« (6)

Wesent­lich ist in die­sem Zusam­men­hang fer­ner die Durch­läs­sig­keit die­ser Ter­ri­to­ri­en durch die gemein­sa­me christ­li­che Tra­di­ti­on und die geis­tes­ge­schicht­li­chen Wur­zeln, die bis in die Anti­ke rei­chen, so daß kei­ne har­ten kul­tu­rel­len Gren­zen ent­stan­den. Für die Deut­schen mani­fes­tier­te sich die­se Ord­nung, und im beson­de­ren deren Durch­läs­sig­keit, in der impe­ria­len Nach­fol­ge, die man antrat. Indem die Deut­schen mit der Krö­nung Kai­ser Ottos I. im Febru­ar 962 in Rom den Aqui­la, den römi­schen Legi­ons­ad­ler, auf­nah­men, schu­fen sie eine Herr­schafts­ord­nung, die wie kei­ne Ord­nung nach ihr den euro­päi­schen Geist zu bün­deln ver­moch­te: Sacrum Impe­ri­um Roma­n­um, Honor impe­rii, das Reich. Zum einen gab das Reich der euro­päi­schen Eigen­art von mitt­le­ren und klei­nen Ter­ri­to­ri­en sei­ne über­ge­ord­ne­te Struk­tur und bewahr­te sie so vor Zugrif­fen von außen, zum ande­ren beför­der­te es durch sei­ne »reprä­sen­ta­ti­ve Füh­rung« die regio­na­len Besonderheiten.

Aus der Per­spek­ti­ve der Reichs­idee betrach­tet, kon­sti­tu­ier­te die »Bio­re­gi­on« dem­zu­fol­ge den kleins­ten Bau­stein einer Reichs­ord­nung. Das Reich wird im kon­ser­va­tiv-öko­lo­gi­schen Zusam­men­hang zur ent­schei­den­den Ord­nungs­struk­tur, als es eine wich­ti­ge Funk­ti­on erfüllt, die ein­zel­nen »Bio­re­gio­nen« zu einem grö­ße­ren Gan­zen zusam­men­zu­fü­gen. Für sich allein genom­men ist eine »Bio­re­gi­on« nicht über­le­bens­fä­hig: Das gilt sowohl in mili­tä­ri­scher Hin­sicht als auch öko­no­misch. »Iso­la­tio­nis­mus und Aut­ar­kie auf loka­ler Ebe­ne sind ein­fach unmög­lich«, resü­mier­te Sale, »so wie Fin­ger ver­su­chen, unab­hän­gig von Hand und Kör­per zu sein. Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­net­ze aller Art müß­ten zwi­schen den Gemein­schaf­ten der Bio­re­gi­on auf­recht­erhal­ten wer­den, und mög­li­cher­wei­se wäre auch eine Art poli­ti­sches Bera­tungs- und Ent­schei­dungs­gre­mi­um erfor­der­lich.« (7)

Zieht man außer­dem in Betracht, daß die ein­zel­nen Bio­re­gio­nen sich in ihrer poli­ti­schen Ver­faßt­heit mit hoher Wahr­schein­lich­keit gra­du­ell unter­schei­den wer­den, kris­tal­li­siert sich end­gül­tig her­aus, daß das Reich als »Zumes­ser des jeweils Ihri­gen« die natür­li­che Ord­nung für ein Geflecht aus Bio­re­gio­nen dar­stellt: »›Reich‹ meint […] eine inne­re und äuße­re Seins­mäch­tig­keit, im Unter­schied zum ›Impe­ri­um‹«, hielt die Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­le­rin Sig­rid Hun­ke in die­sem Zusam­men­hang fest, »das ursprüng­lich ›Vor­schrift, Befehl, Gewalt‹ bedeu­tet und mehr auf äuße­re Herrschafts­gewalt, auf Macht­ha­ben zielt als das bedeu­tungs­ge­la­de­ne ›Reich‹, das eher einem Macht­sein, einer Mäch­tig­keit, ent­spricht.«  (8)

Die kon­ser­va­tiv-öko­lo­gi­sche Ord­nung garan­tier­te auf die­se Wei­se auf der einen Sei­te die ­Dezen­tra­li­sie­rung Deutsch­lands und auf der ande­ren Sei­te den Fort­be­stand der deut­schen Nati­on. Mehr noch, sie setz­te wie­der das instand, was den Wesens­kern Euro­pas aus­macht, und kon­sti­tu­ier­te sich daher nicht im lee­ren Raum, son­dern aus den his­to­ri­schen Tra­di­ti­ons­li­ni­en: dem tiefs­ten deut­schen Mythos, der euro­päi­schen Seele.

Der Publi­zist und letz­te Ghi­bel­li­ne Hans-Diet­rich San­der merk­te rich­tig an: »Die Auf­ga­be der Reichs­idee ist ein natio­na­les Grund­übel nach 1945 gewe­sen, und vie­le ande­re wuch­sen aus ihr auf.«  (9)

Aber trotz aller Seins­ver­ges­sen­heit hat das Reich viel­leicht doch noch eine Zukunft, wenn das deut­sche Volk zu sei­nem Boden zurück­kehrt und auf die­se Wei­se noch ein­mal »seins­mäch­tig« wird: »Das End­reich ist immer ver­hei­ßen. Und es wird nie­mals erfüllt. Es ist das Voll­kom­me­ne, das nur im Unvoll­kom­me­nen erreicht wird. Und es ist die beson­de­re Ver­hei­ßung des deut­schen Vol­kes.« (10)

– – –

(1) – Jonas Schick: »Das öko­lo­gi­sche Mini­mum«, in: Sezes­si­on 92 (Okto­ber 2019), S. 47 – 50, hier: S. 48.

(2) – Ebd., S. 50.

(3) – Jonas Schick: »Das Den­ken in lan­gen Zyklen«, in: Sezes­si­on 96 (Juni 2020), S. 40 – 43, hier: S. 43.

(4) – Jonas Schick: »Öko­lo­gi­sche Betrach­tun­gen (7) – Bio­re­gio­na­lis­mus«, in: Sezes­si­on 99 (Dezem­ber 2020), S. 56 – 57.

(5) – Kirk­pa­trick Sale: Dwel­lers in the Land. The Bio­re­gio­nal Visi­on, Athens 1991, S. 178, eige­ne Übersetzung.

(6) – Wer­ner Bät­zing: Das Land­le­ben. Geschich­te und Zukunft einer gefähr­de­ten Lebens­form, Mün­chen 2020, S. 70.

(7) – Kirk­pa­trick Sale: ­Dwel­lers in the Land, S. 96.

(8) – Sig­rid Hun­ke: Das Reich und das wer­den­de Euro­pa. Eine euro­päi­sche Ethik, Kreuzau-Stock­heim 1973, S. 118.

(9) – Hans-Diet­rich San­der: Der ghi­bel­li­ni­sche Kuß, Neu­stadt an der Orla 2016 (= Werk­aus­ga­be), S. 34.

(10) – Arthur Moel­ler van den Bruck: Das drit­te Reich, Ber­lin 1923, S. 260.

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