Mein Aufsatz »Energie und Moderne – vorletztes Kapitel« für die Sezession in der Ausgabe 89 schloß mit den Worten: »Wenn die kommende Epoche eine Epoche der Rechten werden soll, dann brauchen wir Antworten auf die systemimmanente Instabilität des Liberalismus, die über den Themenkomplex Nation und Migration hinausgehen.«
Eine der Antworten auf ebenjene systemimmanente Instabilität des Liberalismus, die über tagespolitische Grabenkämpfe hinausgeht, liegt in einer konservativen Ökologie. Ihre Grundsätze sind »die Markierung der Grenze, die Einhegung des ›Mängelwesens Mensch‹ in seine Schranken und damit ein Ende des zügellosen Wachstums«. (1) Außerdem ist eine Verortung des Menschen für sie wesentlich: »Die Verwurzelung an einem bestimmten Ort legt das Fundament einer ›nachhaltigen‹ Lebensart.« (2)
Mit einer auf die Energienutzung fokussierten Perspektive, die die Beziehung zwischen Ökologie und Gesellschaftsordnung verdeutlicht, läßt sich aufzeigen, daß wir ohne eine konservative Ökologie keinen Ausweg aus der Vernutzung aller Bestände finden werden. Wir sprechen also wieder, wie so oft, vom Bohren harter Bretter, denn: »Die politische Programmatik ist auf die Zukunft auszurichten, in der eine gesellschaftliche Ordnung zu errichten ist, die die ›große Transformation‹ unterbricht und es vermag, erneut feste Normenstrukturen und stabile kulturelle Bezugssysteme zu schaffen, deren Bewahrung lohnt.« (3)
Wie könnte eine solche Ordnung, die die »große Transformation« unterbricht sowie feste Normenstrukturen etabliert und den Menschen an einem Ort verwurzelt, aussehen? Eine Antwort bietet das Konzept des Bioregionalismus: Es ist das Programm zur Errichtung von jenen »autonomen Mikrogesellschaften«, die der Grandseigneur der Nouvelle Droite, Alain de Benoist, als notwendig erachtet, um das Gemeinwesen zu beleben und die Natur zu schützen – ein Gesundungsprozeß sowohl für den Menschen als auch seine Umwelt. »Jedes (kleine) Kollektiv, das sich nach den Prinzipien des Bioregionalismus organisiert, bedeutet einen Akt der Stabilisierung, der inmitten der ›flüchtigen‹ Moderne und ihrer vollständigen Ortlosigkeit sowie totalen Mobilisation aller Bestände einen gewichtigen Kontrapunkt setzt«. (4)
Ob man das Konzept nun Bioregionalismus, reduktiven Wandel, ökologischen Kommunitarismus, Ethno-Regionalismus oder konservativ-ökologische Revolution nennt, ist unerheblich; wichtig ist nur, zu erkennen, daß die Bewahrung des organisch Gewachsenen, die Verteidigung der Tradition gegen den Fortschritt ohne die radikale Veränderung unserer Lebensweise – die für dieses Regionalisierungsprogramm konstituierend ist – erfolglos bleiben wird. Kapitalismus, Industrialisierung und Konsum als Dreischritt der Moderne treiben die Atomisierung des Individuums auf einer viel tieferen sozialen Ebene voran, als daß eine Politik, die nicht die Veränderung der grundlegenden sozioökonomischen Rahmenbedingungen anstrebt, dem etwas entgegenzusetzen hätte.
Ebenjenen fundamentalen Antagonismus zum Organisationsprinzip der modernen Nichtfestgelegtheit verkörpert die »Bioregion« als Mikroorganisationseinheit eines konservativ-ökologischen Ordnungsprinzips. Verglichen mit der heutigen Lebensrealität, erscheint die Bindung des einzelnen an einen bestimmten Ort, das Identifizieren mit einem speziellen Stück Boden, die feste Einbettung in einen überschaubaren Sozialverband sowie die Wiederherstellung von Heimat – und zwar substantieller Heimat, nicht »Heimat« als Vermarktungsstrategie – als maximaler Bruch: Es bedeutete, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.
Doch was im ersten Moment wie eine Überforderung des Menschen anmutet, entpuppt sich, sobald man es tiefer durchdringt, als das genaue Gegenteil. Vielmehr würde die Durchsetzung bioregionalistischer Prinzipien die aktuelle Überforderung des Menschen in den Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz verringern. Es geht bei dieser Form der »Ökonomie der Nähe« nicht darum, den Menschen in Richtung neuer Fortschrittsdurchbrüche zu hetzen, sondern Ursprüngliches wiederzuentdecken und zurückzugewinnen.
Das Streben liegt nicht im Aufbau eines gigantischen Energiesystems erneuerbarer Energien mit Hilfe eines KI-gesteuerten Smart grid oder einer Kernfusionswirtschaft. Der Bioregionalismus »geht nicht von einer neuen Art Übermensch aus«, formulierte es der Neo-Luddit Kirkpatrick Sale, »der frei von all den kleinen Fehlern und Irrtümern ist, von denen wir wissen, daß sie die Menschen in der Vergangenheit charakterisiert haben. Eine bioregionale Welt verlangt […] nichts in der Größenordnung jener Ideologien, die sich einen neuen ›sozialistischen Menschen‹ vorstellen und versprechen, jemanden, der nicht mehr an materiellen Gütern, Profiten oder Anreizen interessiert ist, der sich nicht mehr dem Eigennutz hingibt.« (5)
Die Etablierung der »Bioregion« als kleinster wirkmächtiger, politischer Einheit hieße, unsere Lebenszusammenhänge auf ein menschliches Maß zu bringen, wodurch unsere sozialen und politischen Probleme sowie unsere Verantwortung dafür wieder direkt erfahrbar würden, indem sie von der Ferne zurück in die Nähe rückten. Politik wäre damit nicht mehr das Ergebnis einer Superstruktur, die sich ihrem Wesen nach abkoppelt, unnahbar wird und in der Reproduktion weltentrückter Realitäten ermattet: »Gesellschaft« würde durch »Gemeinschaft« ersetzt, die komplementär zur »Ökonomie der Nähe« ist.
Eine Umsetzung dieses Programms resultierte freilich in einer umfassenden Dezentralisierung aller Lebensbereiche. Die politischen Einheiten würden anhand der natürlichen Gegebenheiten (Landformen, Böden, Flora, Fauna etc.) und der daran organisch entstandenen Lokalkulturen gebildet werden. In Deutschland brauchte es dafür keiner längeren Genese; unsere an den natürlichen Gegebenheiten organisch entstandenen »Bioregionen« existieren bereits, auch wenn sie ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Sie sind unser jahrhundertealtes Erbe, unsere spezifischen Regionalkulturen mit all ihren Ausformungen als Ausdruck deutscher Diversität und Geschichte.
In diesen unterschiedlichen Regionalkulturen kommen eine Eigenart und eine historische Einzigartigkeit zum Ausdruck, die für Mitteleuropa respektive Deutschland von substantieller Bedeutung sind: »Im Gegensatz zu allen anderen Hochkulturen der Erde, die durch ein einziges Machtzentrum dominiert werden, gelingt es in Europa keiner Macht, die Herrschaft über ganz Europa zu erringen. In Europa [existieren] stets einige große, eine Reihe von mittleren und zahlreiche kleine Territorien nebeneinander.« (6)
Wesentlich ist in diesem Zusammenhang ferner die Durchlässigkeit dieser Territorien durch die gemeinsame christliche Tradition und die geistesgeschichtlichen Wurzeln, die bis in die Antike reichen, so daß keine harten kulturellen Grenzen entstanden. Für die Deutschen manifestierte sich diese Ordnung, und im besonderen deren Durchlässigkeit, in der imperialen Nachfolge, die man antrat. Indem die Deutschen mit der Krönung Kaiser Ottos I. im Februar 962 in Rom den Aquila, den römischen Legionsadler, aufnahmen, schufen sie eine Herrschaftsordnung, die wie keine Ordnung nach ihr den europäischen Geist zu bündeln vermochte: Sacrum Imperium Romanum, Honor imperii, das Reich. Zum einen gab das Reich der europäischen Eigenart von mittleren und kleinen Territorien seine übergeordnete Struktur und bewahrte sie so vor Zugriffen von außen, zum anderen beförderte es durch seine »repräsentative Führung« die regionalen Besonderheiten.
Aus der Perspektive der Reichsidee betrachtet, konstituierte die »Bioregion« demzufolge den kleinsten Baustein einer Reichsordnung. Das Reich wird im konservativ-ökologischen Zusammenhang zur entscheidenden Ordnungsstruktur, als es eine wichtige Funktion erfüllt, die einzelnen »Bioregionen« zu einem größeren Ganzen zusammenzufügen. Für sich allein genommen ist eine »Bioregion« nicht überlebensfähig: Das gilt sowohl in militärischer Hinsicht als auch ökonomisch. »Isolationismus und Autarkie auf lokaler Ebene sind einfach unmöglich«, resümierte Sale, »so wie Finger versuchen, unabhängig von Hand und Körper zu sein. Kommunikations- und Informationsnetze aller Art müßten zwischen den Gemeinschaften der Bioregion aufrechterhalten werden, und möglicherweise wäre auch eine Art politisches Beratungs- und Entscheidungsgremium erforderlich.« (7)
Zieht man außerdem in Betracht, daß die einzelnen Bioregionen sich in ihrer politischen Verfaßtheit mit hoher Wahrscheinlichkeit graduell unterscheiden werden, kristallisiert sich endgültig heraus, daß das Reich als »Zumesser des jeweils Ihrigen« die natürliche Ordnung für ein Geflecht aus Bioregionen darstellt: »›Reich‹ meint […] eine innere und äußere Seinsmächtigkeit, im Unterschied zum ›Imperium‹«, hielt die Religionswissenschaftlerin Sigrid Hunke in diesem Zusammenhang fest, »das ursprünglich ›Vorschrift, Befehl, Gewalt‹ bedeutet und mehr auf äußere Herrschaftsgewalt, auf Machthaben zielt als das bedeutungsgeladene ›Reich‹, das eher einem Machtsein, einer Mächtigkeit, entspricht.« (8)
Die konservativ-ökologische Ordnung garantierte auf diese Weise auf der einen Seite die Dezentralisierung Deutschlands und auf der anderen Seite den Fortbestand der deutschen Nation. Mehr noch, sie setzte wieder das instand, was den Wesenskern Europas ausmacht, und konstituierte sich daher nicht im leeren Raum, sondern aus den historischen Traditionslinien: dem tiefsten deutschen Mythos, der europäischen Seele.
Der Publizist und letzte Ghibelline Hans-Dietrich Sander merkte richtig an: »Die Aufgabe der Reichsidee ist ein nationales Grundübel nach 1945 gewesen, und viele andere wuchsen aus ihr auf.« (9)
Aber trotz aller Seinsvergessenheit hat das Reich vielleicht doch noch eine Zukunft, wenn das deutsche Volk zu seinem Boden zurückkehrt und auf diese Weise noch einmal »seinsmächtig« wird: »Das Endreich ist immer verheißen. Und es wird niemals erfüllt. Es ist das Vollkommene, das nur im Unvollkommenen erreicht wird. Und es ist die besondere Verheißung des deutschen Volkes.« (10)
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(1) – Jonas Schick: »Das ökologische Minimum«, in: Sezession 92 (Oktober 2019), S. 47 – 50, hier: S. 48.
(2) – Ebd., S. 50.
(3) – Jonas Schick: »Das Denken in langen Zyklen«, in: Sezession 96 (Juni 2020), S. 40 – 43, hier: S. 43.
(4) – Jonas Schick: »Ökologische Betrachtungen (7) – Bioregionalismus«, in: Sezession 99 (Dezember 2020), S. 56 – 57.
(5) – Kirkpatrick Sale: Dwellers in the Land. The Bioregional Vision, Athens 1991, S. 178, eigene Übersetzung.
(6) – Werner Bätzing: Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform, München 2020, S. 70.
(7) – Kirkpatrick Sale: Dwellers in the Land, S. 96.
(8) – Sigrid Hunke: Das Reich und das werdende Europa. Eine europäische Ethik, Kreuzau-Stockheim 1973, S. 118.
(9) – Hans-Dietrich Sander: Der ghibellinische Kuß, Neustadt an der Orla 2016 (= Werkausgabe), S. 34.
(10) – Arthur Moeller van den Bruck: Das dritte Reich, Berlin 1923, S. 260.