Wen repräsentiert … Steinmeier?

PDF der Druckfassung aus Sezession 107/ April 2022

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Frank-Wal­ter Stein­mei­er ist »bewegt«, daß ihm die Bun­des­ver­samm­lung das Amt des Bun­des­prä­si­den­ten für wei­te­re fünf Jah­re »anver­traut« hat.

So jeden­falls äußer­te er sich unmit­tel­bar nach sei­ner Bestä­ti­gung im Amt und unter­nahm gleich den Ver­such, sich als Prä­si­dent aller Deut­schen zu prä­sen­tie­ren: »Ich dan­ke für das Ver­trau­en derer, die mich gewählt haben. Und ich bit­te um das Ver­trau­en der­je­ni­gen, die es nicht getan haben.«

Unter den­je­ni­gen, die es nicht getan haben, waren sicher auch eini­ge, die Stein­mei­er gleich noch als sei­ne Fein­de mar­kier­te. Er sei über­par­tei­lich, aber »nicht neu­tral, wenn es um die Sache der Demo­kra­tie geht. Wer für die Demo­kra­tie strei­tet, hat mich an sei­ner Sei­te. Wer sie angreift, wird mich als Geg­ner haben!«

Was in nor­ma­len Zei­ten als ein Fin­ger­zeig Rich­tung anti­de­mo­kra­ti­scher Dun­kel­män­ner ver­stan­den wor­den wäre, ist heu­te auf die­je­ni­gen gemünzt, die sich brav an Wah­len betei­li­gen, weil sie der Mei­nung sind, daß es um die Demo­kra­tie in Deutsch­land nicht gut bestellt ist und man den Alt­par­tei­en wenigs­tens auf die Fin­ger schau­en soll­te (wenn man sie schon nicht ablö­sen kann). Die­se Moti­va­ti­on steht heu­te im Ruf, extre­mis­tisch zu sein, weil sie an der bes­ten aller denk­ba­ren Wel­ten, die nun wei­te­re fünf Jah­re von Stein­mei­er reprä­sen­tiert wird, etwas zu kri­ti­sie­ren hat.

Auch an der Wahl des Bun­des­prä­si­den­ten gab es im Sin­ne einer ech­ten Oppo­si­ti­on etwas zu kri­ti­sie­ren. Denn die­se Wahl fand unter merk­wür­di­gen Vor­zei­chen statt. Daß die SPD ihren eige­nen Par­tei­ge­nos­sen zur Wie­der­wahl vor­schlug, war kei­ne Über­ra­schung. Gera­de weil die SPD jetzt das Land regiert, wird ihr jemand, von dem noch nie ein kri­ti­sches Wort über die poli­ti­sche Klas­se die­ses Lan­des zu ver­neh­men war, gut in den Kram passen.

Daß sich Grü­ne und FDP dem Vor­schlag anschlos­sen, lag nahe, immer­hin hat man bereits jetzt so vie­le Pro­ble­me in der Ampel­koalition, daß man auf das sym­bol­po­li­ti­sche Spiel eines eige­nen Vor­schlags lie­ber ver­zich­te­te. Was aber eini­ges über den Zustand der Demo­kra­tie in unse­rem Land aus­sagt, ist die Tat­sa­che, daß die größ­te Oppo­si­ti­ons­frak­ti­on, die CDU / CSU, es nicht übers Herz brach­te, einen eige­nen Kan­di­da­ten ins Ren­nen zu ­schi­cken, son­dern mit war­men Wor­ten für Stein­mei­er warb. Das als latent extre­mis­tisch mar­kier­te Argu­ment von der Unun­ter­scheid­bar­keit der Alt­par­tei­en hat dadurch an Stich­hal­tig­keit gewonnen.

Die­ser Gleich­klang führ­te dazu, daß in der Bun­des­ver­samm­lung, in der die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten gemein­sam mit einer glei­chen Anzahl von Ver­tre­tern aus den Län­der­par­la­men­ten den Bun­des­prä­si­den­ten wäh­len, der Par­tei­en­staat erneut und wie so oft schon über die Demo­kra­tie tri­um­phier­te. Die alte For­de­rung, den Bun­des­prä­si­den­ten vom Volk direkt wäh­len zu las­sen, bekommt nun sicher neue Unter­stüt­zer, wenn auch der Par­tei­en­staat dadurch nicht umgan­gen wer­den kann. Aber es ist deut­lich schwie­ri­ger, 60 Mil­lio­nen Wahl­be­rech­tig­te davon zu über­zeu­gen, einen Kan­di­da­ten zu wäh­len, der in den Kun­gel­run­den der Par­tei­en bestimmt wur­de, als die 1472 Wahl­leu­te der dies­jäh­ri­gen Bundesversammlung.

Stein­mei­er wur­de mit 71 Pro­zent der Stim­men gewählt, was ange­sichts der sonst so knap­pen bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Wahl­er­geb­nis­se der letz­ten Zeit chi­ne­sisch anmu­ten mag. Aller­dings hät­te Stein­mei­er theo­re­tisch 1223 Stim­men bekom­men kön­nen, was 83 Pro­zent ent­spricht. Auf die­se Zahl kam man, wenn man die Wahl­leu­te der Par­tei­en zusam­men­zähl­te, die Stein­mei­ers Kan­di­da­tur unter­stütz­ten. Er bekam aber »nur« 1045 Stimmen.

Ist das ein auf­müp­fi­ges Zucken oder nur Unzu­ver­läs­sig­keit? Vor allem ist es egal: Mit 71 Pro­zent im Rücken wird sich Stein­mei­er nicht ganz zu Unrecht als Ver­tre­ter der Mehr­heit der Wohl­mei­nen­den vor­kom­men und um so unge­hemm­ter die Rän­der bekämp­fen, die ihn nicht gewählt haben und die er nicht braucht. Daß die Links­par­tei, die wie die AfD einen eige­nen Kan­di­da­ten auf­ge­stellt hat­te, sich des­halb kei­ne Sor­gen zu machen braucht, zeigt nicht nur sein dies­be­züg­li­ches Ange­bot der Zusam­men­ar­beit, son­dern vor allem sei­ne unver­hoh­le­ne Dro­hung in Rich­tung der­je­ni­gen, »die Wun­den auf­rei­ßen, die in der Not der Pan­de­mie Haß und Lügen ver­brei­ten […] – denen sage ich: Ich bin hier und ich blei­be!« Unbe­grenz­te Amts­zei­ten sind zwar bis­lang nicht vor­ge­se­hen, aber die Mehr­heit lie­ße sich sicher organisieren.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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