Darin werden Kriegserlebnisse, Einsatztaktiken und Technik der geflogenen Flugzeugmuster behandelt. Wieso dieser langen Reihe ein weiteres Werk hinzugefügt werden muß, begründet der Autor wie folgt: Über militärischen Einsatz der Jagdflieger oder ihre Technik gebe es gar keine dezidierte Forschung.
Ebenso fehle eine Untersuchung darüber, welche Taktiken zur Anwendung kamen und welche Wirkung sie erzielten. Jens Wehners Ziel ist, eine Militärgeschichte der deutschen Jagdflieger und ihrer Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg vorzulegen. In bezug auf die amtliche Militärgeschichtsschreibung in Deutschland ist Wehner zuzustimmen. Sie hat es jahrzehntelang praktisch nicht gegeben. Kriegsgeschichte galt als unwissenschaftliches Schmuddelkind.
Doch auch die heutige universitäre Forschung genüge nicht, widme sie sich doch eher zeitgeistabhängigen Moden wie der Geschlechtergeschichte, der Rolle der Soldaten im NS-Vernichtungskrieg und deren Bild in der NS-Propaganda. Wo es darin ums Militärische gehe, um Einsatz, Technik und Taktik, wiesen diese Arbeiten Schwächen und Widersprüchlichkeiten auf. Vielstimmigkeit präge den Diskurs. Immer neue Forschungsansätze, etwa Militärgeschichte multiperspektivisch als »Kulturgeschichte der Gewalt« zu betrachten, förderten nur die Theorielastigkeit der Historiographie und könnten das Grundproblem des Faches nicht lösen: zu beschreiben, wie es gewesen ist.
Ausgehend von den Waffensystemen, hier die Jagdmaschinen Messerschmitt Bf 109 sowie Focke-Wulf Fw 190, will Wehner zeigen, inwieweit die vorhandene Militärtechnik die Einsatztaktik bestimmte, getreu dem Ausspruch des für die Rüstung zuständigen Generalluftzeugmeisters Erhard Milch aus dem Jahre 1942: »Die Technik können Sie von der Taktik nicht trennen. Es gibt bei der Luftwaffe keine Taktik, sondern nur Technik. Wie man die Technik anwendet, das ist die Taktik.« Das heißt: Die Taktik, mit der Flugzeuge eingesetzt werden, ist – neben der Pilotenfertigkeit – abhängig von den Flugeigenschaften der Maschine, von der Leistungsfähigkeit des Motors und von der Art der Bewaffnung.
Zunächst geht Wehner auf die Theorie von Luftkrieg und ‑kampf in Deutschland und im Ausland sowie ihre Umsetzung in die Praxis ein. Wichtigste Aufgabe der deutschen Jagdflieger war die Beherrschung des Luftraumes, damit die eigenen Kampfflugzeuge ungefährdet den Bodenkampf des Heeres unterstützen konnten. Garant der deutschen Luftüberlegenheit war im Zeitraum vom Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 bis zum Westfeldzug 1940 die Bf 109, die erst in der britischen »Spitfire« einen ebenbürtigen Gegner fand. Weil die Westalliierten mit technisch immer besseren Modellen aufwarteten – genannt wird u. a. der US-Jäger P‑51 »Mustang« –, zog die deutsche Rüstungsindustrie nach. Ergebnis war die Fw 190. Obwohl ständig weiterentwickelt – stärkerer Motor, bessere Panzerung, modernere Bewaffnung –, konnte die Maschine gegen die Massen von gegnerischen Flugzeugen wenig ausrichten.
In einem Kapitel geht Wehner auf die im Vergleich mit den Kriegsgegnern außerordentlich hohe Kampfeffizienz der deutschen Jagdflieger ein. Die Spitze der deutschen »Asse« erzielte dreistellige Abschußerfolge, wobei die meisten Luftsiege an der Ostfront gegen die technisch und taktisch weniger versierten Sowjetpiloten errungen wurden. Im Zeitraum von Juni 1941 bis Anfang 1943 schossen deutsche Jagdflieger über Rußland 19 970 Feindmaschinen, über Westeuropa und über dem Mittelmeer / Afrika 1693 bzw. 1865 Gegner ab. Eine Ursache der hohen deutschen Kampfeffizienz sei das »individualisierte Kämpfen« der Jagdflieger gewesen. Der Erfolg zeige sich auch an den sehr hohen Gesamtabschußzahlen, über die nur Schätzungen vorliegen.
Bekannt sind allerdings die Erfolgszahlen einzelner herausragender Piloten. Allein 300 deutsche Jagdflieger haben an der Ostfront rund 24 000 sowjetische Flugzeuge abgeschossen. Hans-Joachim Marseille errang in Nordafrika 151 Luftsiege. Das sind acht Prozent aller deutschen Abschüsse in dem Raum. Von Forschern oft geäußerte Zweifel an der Zählung kann Wehner entkräften: Für jeden Abschuß mußten Zeugen beigebracht werden. Entsprechend ihrer Leistungen wurden Jagdflieger rasch befördert und hoch dekoriert: Hermann Graf – erster Pilot mit 200 Abschüssen – avancierte in vier Jahren vom Leutnant zum Oberstleutnant.
Von den nur 27mal verliehenen Brillanten zum Ritterkreuz gingen sieben an Tagjäger und zwei an Nachtjäger. Angesichts des 0,2‑Prozent-Anteils der Jagdflieger am Gesamtpersonal der Wehrmacht war die Verleihungszahl hoch. Grund für die hohen Erfolgszahlen war, daß deutsche Jagdflieger mehr Einsätze flogen und dadurch auf mehr Gegner trafen. Erich Hartmann schoß in rund 1400 Kampfeinsätzen 352 Feindmaschinen ab. Das sind 4,05 Einsätze pro Abschuß. Großes Verdienst dieser Arbeit sind die sachliche Behandlung des Themas ohne die oft übliche Verächtlichmachung aller militärischen Leistungen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die Dokumentation von statistischem Material und der Vergleich mit Jagdfliegern der Alliierten. Zu bemängeln sind die schlechte Qualität der viel zu wenigen Fotos und das Fehlen von Abbildungen zu technischen Details der untersuchten Jagdflugzeuge.
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Jens Wehner: »Technik können Sie von der Taktik nicht trennen!« Die Jagdflieger der Wehrmacht, Frankfurt a. M.: Campus 2022. 572 S., 49 €
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