Darin liegt zum einen der Ursprung der Kultur, zum anderen aber auch die Hybris, die eigenen Grenzen überschreiten zu können. Nicht umsonst findet sich am Anfang des Alten Testaments der wiederholte Hinweis darauf, daß diese Grenzüberschreitung etwas ist, das Gott nicht gefällt und von ihm entsprechend bestraft wird.
In einer Gegenwart, die ständig daran arbeitet, den Menschen zu perfektionieren, klingt das wenig überzeugend. Und tatsächlich fällt es den säkularen Zeitgenossen schwer, plausible Argumente gegen das zu finden, was man Transhumanismus nennt, da dieser lediglich den verbreiteten Machbarkeitsglauben auf den Menschen anwendet.
In dieser argumentativen Falle befindet sich derjenige nicht, der an Gott glaubt und in dessen Schöpfung das rechte Maß vorzufinden meint. Die christlichen Kirchen Deutschlands erfüllen diese Voraussetzung nicht, sondern lavieren in der Regel mit den Resten eines Traditionalismus herum, der zeitgeistmäßig zurechtgemacht ist. In der russisch-orthodoxen Kirche ist das anders, dort werden in dieser Hinsicht kaum Zugeständnisse an den Zeitgeist gemacht.
In Deutschland taucht das hin und wieder in der Presseberichterstattung auf, wenn es beispielsweise um die Verdammung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch die russisch-orthodoxe Kirche geht. Die grundsätzliche Haltung, die hinter diesem Schlagwort steckt, wird jedoch kaum thematisiert. Der Blick auf die orthodoxe Position zum Transhumanismus macht deutlich, wie fundamental die Ablehnung der Moderne begründet wird. Da dort auch der Humanismus als Verfehlung gilt, weil darin der Mensch zum Maß aller Dinge gemacht worden sei, ist die Ablehnung des Transhumanismus logisch einfach zu begründen.
Der vorliegende Band bringt – neben drei kürzeren Aufsätzen – vor allem eine ausführliche Erörterung der Ideologie des Transhumanismus und seiner Konsequenzen von Wassilij Schipkow, der am Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen in Moskau lehrt. Seine Ablehnung des Transhumanismus ist umfassend. Alle Übel der gegenwärtigen Welt, wie Materialismus, Machbarkeitswahn, Genderwahn und Globalismus, sammeln sich in dieser Ideologie wie in einem Brennglas. Soweit diese Verdammung erwartbar ist, überrascht doch das Problembewußtsein, mit dem die Möglichkeiten des Widerstands erörtert werden. Schipkow skizziert zwei mögliche Wege: ihn öffentlich bekämpfen oder sich in die Katakomben begeben, um seinen Glauben zu bewahren. Letzteres lehnt er ab, weil es das Eingeständnis der eigenen Niederlage wäre.
Ebenso warnt er allerdings davor, die Thesen des Transhumanismus in der Kirche zu debattieren. Dabei ist ihm die Lobbyarbeit der Genderideologen sicherlich ein warnendes Beispiel, hat ihre Wühlarbeit doch dazu geführt, den Glauben zu schwächen, die Kirchen zu spalten und sie als Gegner dieser Ideologie zu neutralisieren. Alexander Dugin bezeichnet in seinem Beitrag die Gegenposition zum Transhumanismus als Traditionalismus, der nicht nur das letzte Stadium des Humanismus, den Transhumanismus, ablehne, »sondern die gesamte Moderne – die Idee des Fortschritts, der Entwicklung, des wissenschaftlichen Weltbildes, der Demokratie und des Liberalismus«.
Ob dieser Fundamentalismus eine Position ist, die von den einfachen Russen geteilt wird, darf bezweifelt werden. Es ist aber bezeichnend, daß diese Position in Rußland nicht von der öffentlichen Debatte ausgeschlossen wird und offenbar in der Elite über Anhänger verfügt.
– – –
Wassilij A. Schipkow: Nach dem Menschen. Ideologie und Propaganda des Transhumanismus in der Moderne, Wachtendonk: Edition Hagia Sophia 2021 (= Philosophia Eurasia 7). 146 S., 15,90 Euro
Dieses Buch können Sie auf antaios.de bestellen.