Daniel-Pascal Zorn: Die Krise des Absoluten

von Felix Dirsch --

Die Epochendiagnose »Postmoderne« kommt auf einigen Feldern wie der (lateinamerikanischen) Literatur und der Architektur früher, auf anderen wie der Philosophie später zum Ausdruck.

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Ein sol­cher Befund indi­ziert ein Unbe­ha­gen am Selbst­ver­ständ­nis der ame­ri­ka­nisch-euro­päi­schen Moder­ne, wie sie sich im 18. Jahr­hun­dert her­aus­kris­tal­li­siert hat. Deren zen­tra­le Stoß­rich­tung (Indi­vi­dua­lis­mus, Recht der Kri­tik, Auto­no­mie des Han­dels und so fort), aber auch Ambi­va­len­zen und Tota­lis­men ver­schie­de­ner Art sind bis in die Gegen­wart einflußreich.

Die viel­fäl­ti­ge Ver­schlun­gen­heit von Hyper- und Gegen­mo­der­ne, Auf­klä­rung und Mythos, His­to­rie und Post­his­to­rie ist von Nietz­sche, der »Dreh­schei­be der Post­mo­der­ne« (Haber­mas), bis Haber­mas pro­mi­nent dar­ge­stellt wor­den. Letz­te­rer ist vor rund vier Jahr­zehn­ten mit einer beson­ders ein­sei­ti­gen Inter­pre­ta­ti­on her­vor­ge­tre­ten. In sei­nen Vor­le­sun­gen zum phi­lo­so­phi­schen »Dis­kurs der Moder­ne« iden­ti­fi­ziert er Post­mo­der­ne zuvör­derst mit neo­struk­tu­ra­lis­ti­scher Ver­nunft­kri­tik und neo­kon­ser­va­ti­ver Fortschrittsopposition.

Der­art unter­kom­plex kommt der Phi­lo­soph und Publi­zist Dani­el-Pas­cal Zorn nicht daher. Sei­ne umfang­rei­che Schrift ist eine aus­gie­bi­ge Wan­de­rung über Gip­fel und Täler der Gegen­warts­phi­lo­so­phie und deren Vor­läu­fer bis in die Frü­he Neu­zeit hin­ein. Dem Leser wird eini­ges abver­langt. Er erhält aber auch gewinn­brin­gen­de Aussichten.

Der Autor fin­det sei­nen roten Faden durch die Stoff­mas­sen vor allem in der Ana­ly­se des Abso­lu­ten, das zu allen Zei­ten eine zen­tra­le Rol­le in phi­lo­so­phi­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen spielt. Seit dem 17. Jahr­hun­dert kommt die Begrün­dung der Tran­szen­denz und der abso­lu­ten Herr­schaft ver­mehrt in die Kri­se. Schnell sind aber Sur­ro­ga­te auf ver­schie­de­nen Ebe­nen (Glau­be, Gesell­schaft etc.) gefun­den: der Mensch (in diver­sen Renais­sance-Phi­lo­so­phien), Den­ken (Des­car­tes), Natur (Spi­no­za), Ver­nunft (Hegel), Pro­le­ta­ri­at (Marx) und Ras­se (Natio­nal­so­zia­lis­mus), die für ihre Ver­tre­ter alle­samt Medi­en zur inner­welt­li­chen Sinn­erfül­lung darstellen.

Prot­ago­nist einer sol­chen Über­set­zungs­leis­tung des Abso­lu­ten ist der Phi­lo­soph Hegel, der wie kaum ein ande­rer Den­ker den Riß zwi­schen Her­kunft und Zukunft expo­niert. Er ver­sucht, die für die Moder­ne cha­rak­te­ris­ti­sche Gemenge­la­ge von Fort­schritt und Ent­frem­dung auf den Begriff zu bringen.

Jedoch kennt die Geis­tes­ge­schich­te neben ganz­heit­li­chen Sys­te­ma­ti­kern auch deren rela­ti­vis­ti­sche Anti­po­den, etwa den Phi­lo­so­phen David Hume. Er kann als wich­ti­ger Vor­läu­fer der Kri­tik abso­lu­ter (Erkenntnis-)Fundamente gel­ten. Zorn erör­tert dar­über hin­aus aus­führ­lich die (weit­hin gegen­sätz­lich gesinn­ten) Pro­fes­so­ren Theo­dor W. Ador­no und Joa­chim Rit­ter im Umkreis des post­mo­der­nen Umbruchs. Sie rech­net man gemein­hin nicht zu den Kri­ti­kern der gro­ßen sinn­stif­ten­den Erzäh­lun­gen (wie der Ideo­lo­gien), deren Ver­ab­schie­dung ein wich­ti­ges Motiv von Post­mo­der­ne-Ver­tre­tern ist.

Zorn arbei­tet gründ­lich exzel­len­te Ver­tre­ter, die die Kri­se des Abso­lu­ten the­ma­ti­sie­ren, her­aus: Fou­cault, Der­ri­da, Deleu­ze, Lyo­tard, Ror­ty, Witt­gen­stein und ande­re. Wäh­rend der gleich­falls erwähn­te Carl Schmitt (und ein­zel­ne sei­ner Anhän­ger wie Koselleck) nur am Ran­de sol­cher Ansät­ze wirk­te, wird ein zen­tra­ler Gelehr­ter wie Paul Feyer­abend igno­riert. Des­sen berühm­te Devi­se »Any­thing goes« und sei­ne Befür­wor­tung des Metho­den-Plu­ra­lis­mus dür­fen als wesent­li­ches Motiv post­mo­der­ner Kri­tik an der angeb­lich zu mono­lo­gisch-ein­di­men­sio­na­len Moder­ne gel­ten. Zu den fol­gen­reichs­ten Trans­for­ma­tio­nen, die Zorn nicht ent­ge­hen, zählt die Daseins­re­la­ti­vie­rung des Men­schen durch intel­li­gen­te Appa­ra­te – Kon­tro­ver­sen, die seit den 1940er Jah­ren die »Abschaf­fung des Men­schen« (C. S. ­Lewis) am Hori­zont auf­leuch­ten lassen.

Wenn­gleich sich Zorn an eini­gen Stel­len zu sehr vom Fabu­lie­ren mit­rei­ßen läßt, setzt sei­ne Schrift Maß­stä­be. Ein Per­so­nen- und ein Sach­re­gis­ter wären für den Rezi­pi­en­ten hilf­reich gewesen.

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Dani­el-Pas­cal Zorn: Die Kri­se des Abso­lu­ten. Was die Post­mo­der­ne hät­te sein können,
Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2022. 648 S., 38 €

 

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