Dies konstatiert der 1974 geborene René Pfister, USA-Korrespondent des Spiegels seit 2019, in seinem Buch Ein falsches Wort.
Als er seinen neuen Job in Washington D. C. antrat, registrierte er noch mit Befriedigung, wie sich der liberale Stadtteil Chevy Chase, in dem er wohnte (Anteil der weißen Bevölkerung 81 Prozent), mit Regenbogenfahnen beflaggte, »als Zeichen des stummen Protests gegen den neuen Nachbarn«, den republikanischen Vizepräsidenten Mike Pence. Dies gab ihm »das Gefühl, nicht vollends in einer Spießerhölle gelandet zu sein«.
Es dauerte nur ein Jahr, bis ihm unbehaglich zumute wurde. In der vermeintlich »ordentlichen Schule« seines Sohnes wurde nun diskutiert, ob sich »Weiße Dreadlocks wachsen lassen sollen«. Der »Columbus Day« wurde einseitig genutzt, um koloniale Greuel anzuprangern, was Pfister erheblich irritierte. Ein Schulkamerad riet seinem Sohn, lieber die Klappe zu halten: »It will bring you into trouble.«
So kam der Autor auf die Spur jenes Phänomens, das mit Schlagworten wie »Identitätspolitik«, »Wokeness« oder »Cancel Culture« umschrieben wird. Er wandte sich einem Geschäftsmodell zu, das auch in Deutschland immer mehr Verbreitung findet, und wurde zum »liberalen« Zentristen, der die Exzesse der Linken zwar kritisiert, ihre Prämissen jedoch im Grunde weitgehend teilt und vor allem Angst vor einem Kippen nach rechts hat.
Deshalb haben seine Ausführungen für unsereinen mitunter eine gewisse Komik. Wir haben es hier mit jemandem zu tun, der zum Beispiel ernsthaft glaubt, daß am 6. Januar 2021 »das Kapitol gestürmt« und die »amerikanische Demokratie« in Gefahr gebracht wurde, der es für einen epochalen Fortschritt hält, daß der Anteil von Frauen in der Spiegel-Redaktion im Laufe der letzten zwanzig Jahre angestiegen ist, der denkt, daß es »richtig« sei, »den neuen Namen und das neue Geschlecht« von Transmenschen zu »respektieren«, oder daß AfD-Wähler antidemokratisch seien und Rechte die Meinungsfreiheit bedrohen würden.
»Die Demokratie« ist für Pfister jene vernünftig-aufklärerische Mitte, in der sich gewisse urbane Journalisten wähnen, die nun beteuern, »wir« würden den »produktiven Streit« und den »offenen Diskurs« brauchen, den die bösen, totalitären »Wokies« im Keim ersticken wollen. In Wahrheit wird hier eine ältere linke Intelligenzija von einer neueren linken Welle überrollt, überholt und abgelöst. Pfister zweifelt die (scheinbar) egalitären Ziele der »Woken«, denen er »Ungeduld« attestiert, nicht an, er möchte nur, daß der Weg dorthin »langsam« und »schrittweise« erfolgt, was er ironischerweise mit einem Großteil der Mainstream-Republikaner gemeinsam hat.
Daß die Träume von Martin Luther King gescheitert sind und statt dessen Figuren wie Ibram X. Kendi den »antirassistischen« Diskurs anführen, hat indessen schlicht und ergreifend damit zu tun, daß Rassenunterschiede real sind.
Die Konsequenz, die die »kritische Rassentheorie« daraus zieht, ist eine neue Art der rassischen Hierarchisierung, in der sich Weiße moralisch, politisch und kulturell den »People of Color« unterzuordnen haben. Hinzu kommen die Tücken der »Intersektionalität«, die innerhalb des linken Spektrums zu wüsten Machtkämpfen führen.
Pfister registriert das mit ehrlichem Grausen, und seine haarsträubenden Beispiele für »Cancel Culture« beschreiben überwiegend Opfer aus dem linken und liberalen Spektrum. Der woke Furor berge die Gefahr, die Mühlen der Rechten zu wässern, wie es in den USA geschehen ist. Die Linke würde sich mit der »Identitätspolitik« ihr »Grab selbst schaufeln«. Schön wär’s. Aber die Wahrheit ist, daß sich ihre Ideologeme und Sprachregelungen praktisch überall durchsetzen und nirgendwo auf nennenswerten Widerstand stoßen.
Frei nach Niemöller (»Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist«) ignoriert Pfister die Tatsache, daß Rechte und Konservative schon seit Jahrzehnten »gecancelt« werden, lange bevor sich das Messer seinem Teil der Salami näherte. »Wokeness« ist keine »neue« Ideologie, sondern nur die aktuellste Zündstufe dessen, was man seit den neunziger Jahren »politische Korrektheit« nannte.
Auf einem wackeligen Zaun zwischen links und rechts hin- und herbalancierend, findet Pfister keinen festen Standpunkt, von dem aus man sich dieser Ideologie ernsthaft widersetzen könnte. Sie mag zwar übel sein, aber noch größere Bauchschmerzen bereitet ihm effektive Gegenwehr von rechts, wie sie etwa der Filmemacher Chris Rufo geleistet hat.
Das Problem ist, daß sich die »Liberalen« vom Schlage Pfisters nicht nur nicht wehren können, sondern dieser ganzen Entwicklung auch Vorschub geleistet haben. Er selbst arbeitet seit 2004 für den Todesstern namens Spiegel, der der von ihm kritisierten Ideologie eine breite Plattform bietet.
Aus seiner Perspektive gesehen, mag dieses Buch ein mutiger Akt sein. Es kann aber auch als Feigenblatt à la Fleischhauer betrachtet werden, und am Ende bleibt nicht viel mehr übrig als Gewinsel Richtung links, es doch bitte nicht mehr so bunt zu treiben. Wenn Pfister schließlich schreibt, man solle nicht die Nase rümpfen über die Wähler Trumps und Höckes, »sondern mit ihnen reden«, da »eine Toleranz, die nur das eigene politische Gesichtsfeld respektiert«, »wertlos und öde« sei, dann möchte man das Büchlein, das ansonsten einige brauchbare Informationen und Überlegungen enthält, nur noch an die Wand knallen.
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René Pfister: Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht, 2022. 256 S., 22 €.
Ein gebuertiger Hesse
Zum Einrahmen der letzte Satz dieses Artikels. Von wie vielen halbgaren Konservativen hat man die dort zitierte Forderung zum "zumindest Anhören" der diffamierten Rechten schon gehört? Und was hat sie je gebracht? Einen Scheißdreck (so daß Dieter Stein, wie der Typ vor der Tür bei Kafka, noch und noch, und immer noch auf seine Einladung in den ARD-Presseclub wartet).