Am 31. Januar wird Friedrich Merz ein Jahr Parteivorsitzender der CDU sein. In der Union verbanden viele mit ihm die Hoffnung einer konservativen Profilschärfung. In der AfD blickte man mit etwas Sorge auf eine CDU, die sich in der Oppositionsrolle ein neues rechtes Markenprofil schafft und damit wesentliche Mobilisierungsdynamiken – die über Jahre der AfD zum Erfolg verhalfen – neutralisiert werden könnten.
Strukturelle, inhaltliche und programmatische Veränderungen in der CDU blieben jedoch aus. Merz scheint sich zwar im öffentlichen Diskurs stärker als seine Vorgängerin Merkel auch auf gewisse Polarisierungen und Zuspitzungen einzulassen („Pascha“ Debatte) aber hat zugleich auch schnell verstanden, wie die mediale Macht innerhalb einer linksliberalen Hegemonie verteilt ist. Von der CDU-Basis wird er geliebt, vom Parteiestablishment jedoch gehasst.
Sein erklärtes Ziel, die AfD in der Wählergunst zu halbieren ist weder in den Umfragen noch aus den letzten Landtagswahlen erkennbar gelungen. Die konservativen Täuschungsoperationen der CDU scheinen die AfD-Anhänger nicht zu beeindrucken, was angesichts der inzwischen stark gefestigten und loyalen Stammwählerbasis der AfD auch nicht überrascht.
Die AfD-Anhängerschaft zeigt die geringste Wechselwahlbereitschaft im Verhältnis zu allen anderen Parteien. 42% der AfD-Anhänger – und damit der höchste Wert gegenüber allen anderen Wählerschaften – geben als alternative Wahlpräferenz „Keine Partei“ an. Andere Parteien haben also kaum noch Zugriff auf die gefestigten Wählerstrukturen der AfD.
Nach der Silvesternacht und den politischen Signalen aus der Union ist das linksliberale Establishment in helle Aufregung geraten. Die Berliner CDU-Fraktion brachte im Abgeordnetenhaus eine Anfrage zu den Vornamen der Tatverdächtigen ein, da in den offiziellen Kriminalstatistiken seit Jahren die ethnische Herkunft nicht mehr genannt wird. Zahlreiche Funktionäre und Mandatsträger versuchten die CDU als Avantgarde einer neuen migrationspolitischen Debatte zu positionieren.
Im Kreistag von Bautzen stimmten CDU-Kreisräte gemeinsam mit der AfD für einen Antrag, der ausländische Staatsangehörige von Integrationsleistungen ausschließen soll, sofern diese in der Bundesrepublik kein gültiges Aufenthaltsrecht haben. Linke Beobachter fürchten nun einmal mehr, dass die Brandmauer der Union gegenüber der AfD bröckeln könnte und wir schon bald die ersten Schwarz-Blauen Koalitionen erleben werden.
Manch einer in der AfD mag nun auf im Osten beginnende Entwicklungen hoffen, wo aus zunächst pragmatischen und kommunal begrenzten Bündnissen möglicherweise auch Mehrheits- und Gestaltungsoptionen für die AfD mit der CDU auf Landesebene entstehen könnten.
Benedikt Kaiser hat an anderer Stelle schon ausgeführt, dass sich die AfD derartigen Machtfragen nur mit gesunder Skepsis und Illusionslosigkeit nähren sollte. Ich will nachfolgend skizzieren, warum die konservativen Leerstellen der Unionsparteien nicht einfach nur die falsche Abbiegung unter Merkel waren, sondern die Union nie eine strukturell konservative Partei gewesen ist und die Prioritäten und Schwerpunkte in der Zielgruppenadressierung der Union immer schon auf eine größtmögliche Machtakkumulation innerhalb der flexiblen Bewegungsräume der politischen Mitte ausgerichtet waren.
Die Debatten um das konservative Profil sind in der Union nicht neu. Allein die vielfältigen Positionspapiere von Funktionsträgern in den letzten Jahrzehnten dürften in den Archivbeständen des Konrad-Adenauer-Hauses bereits ganze Regalreihen füllen. Immer wieder startete der vermeintlich konservative Flügel der Union neue Anläufe zur programmatischen Identitätsdebatte der Partei. Immer wieder haben sie verloren.
Dabei ging es jedoch nur selten um einen echten substanziellen Konservatismus, der auch intellektuell und kulturell aufgerüstet werden konnte, sondern vor allem ab der Jahrtausendwende nur noch um vereinzelte wirtschaftspolitische Akzentuierungen und ein wenig mehr Law and Order in der innenpolitischen Sicherheitspolitik. Alexander Grau schrieb 2020 im Cicero zurecht:
Im Grund beschränkte sich der Konservativismus der Union auf ein kleinbürgerlich-biederes Lebensgefühl zwischen Reihenhaus, Mittelklassewagen und Wohnzimmerschrankwand. Jeden intellektuellen Aufwand scheute man aus gutem Grund. Er hätte unter Umständen zu bösen Ergebnissen geführt. Etwa zu der Einsicht, dass konservativ sein und eine kritiklose Affirmation wohlstandsschaffenden Fortschritts auf Dauer nicht zusammenpassen.
Die Gleichgültigkeit gegenüber dem konservativen Profil verlief für die Union in der alten Bundesrepublik immer recht risikoarm. Neben ihr gab es kaum parteipolitische Projekte, die ihr langfristig Konkurrenz hätten machen können. Die Vertriebenenverbände begnügten sich mit reiner passiver Erinnerungspolitik und katholische Kirchenmilieus hatten den Niedergang der alten Zentrumspartei vor Augen, um zu solchen politischen Feldversuchen auf Abstand zu gehen.
Der Großteil des rechten Wählerpotentials sammelte sich stets unter der Fahne der Unionsparteien und nicht wie man annehmen könnte in einigen rechten Kleinstparteien.
Selbst die Republikaner waren zwar unter ihren Funktionsträger überwiegend ehemalige Unions-Mitglieder. Die Wählerschaft war jedoch eher das Produkt der ersten Zerfallsprozesse beider großen Volksparteien CDU und SPD, was sich allein schon in der soziostrukturellen Zusammensetzung ab dem Ende der 80er Jahre zeigte.
Für die Unionswählerschaft reichte es immer die Partei des Wohlstands, der Marktwirtschaft und der sicheren Mitte zu sein. Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sprach schon in den 80er Jahren davon, dass die Union mit jedem gewonnenen Wähler am rechten Rand im Gegenzug drei Wähler in der politischen Mitte verlieren würde.
Auch die von Kohl gepriesene „geistig-moralische Wende“ ist bekanntermaßen ein reines Feigenblatt gewesen und konnte nie eine ernsthafte und mehrheitsfähige Gegenvision zum linksliberalen Progressivismus aufbauen.
Angela Merkels Öffnung der Union für die neue linke Mitte war weniger von einer ideologischen Überzeugung dieser Frau als vielmehr einem pragmatisch-strategischen Kalkül geprägt. Die Partei war hoffnungslos überaltert. Schon ab dem Jahr 2000 war klar, dass mit jeder Legislatur mehr CDU-Wähler versterben als an potentiellen Neu- und Erstwählern nachwachsen würden.
Inzwischen ist die Altersstruktur angesichts der demographischen Entwicklung jedoch die Trumpfkarte der Union, die ihr zumindest die strukturellen Mehrheiten über 20% sichert. Merkel schaffte es zugleich die CDU auch für weibliche Wählerschaften attraktiver zu machen. Insbesondere die Frauen Ü65 gewannen starke Sympathien für Merkel. Diese Gruppe allein ist als Wählerschaft schon größer als die komplette Alterskohorte zwischen 18–25 Jahren.
tearjerker
Merz ist einfach eine schwache Führungsfigur, die sich vor fast einem Vierteljahrhundert von einer blassen, unauffälligen Konkurrentin abservieren liess, und der keine Gelegenheit mehr bekommen wird diese Scharte auszuwetzen. Seine Partei findet nur noch Wähler, die sich mit Konservatismus-Parolen von gestern zufrieden geben und deren Keks schon gekrümelt ist, während die Sozis weiter mit dem Ziel ‚Mehr Umverteilung‘ werben und die Grünen den Typ des karriere-orientierten zukünftigen Funktionärs ansprechen, dem sie ein Betätigungsfeld zur Verfügung stellen wollen. Die Alternative wirbt um diesselbe Klientel wie Union und Sozis und wird damit zweifellos mit ihren Kunden unterzugehen.