Nachdem die AfD 2021 mit 8% ein enttäuschendes Ergebnis bei der Abgeordnetenhauswahl einfuhr, hoffte man bei der gestrigen Wiederholungswahl, mindestens im zweistelligen Bereich wieder zu den 14% aus dem Jahr 2016 aufzuschließen.
Größere Überraschungen wurden nicht erwartet. Zu speziell, zu mannigfaltig und unkalkulierbar sind die Wahlen in einer Hauptstadt, in der die politischen und kulturellen Lebenswelten zwischen Zentrum- und Stadtperipherie in den Außenbezirken bereits stark auseinandergehen.
Somit sind am Ende 9,1% gewiss nicht das Ergebnis womit die AfD zufrieden sein konnte und welches sie sich selbst auch nicht als Zielmarke gesetzt hatte. Bezogen auf die letzte Wahl ist das zwar eine Ergebnissteigerung von 1,1%. Doch die Partei hatte nicht nur andere Ziele (Zweistelligkeit), sondern stand unter dem Erwartungsdruck , die 6% Verluste von 2021 wenigstens ansatzweise zu neutralisieren und mit einem deutlichen Plus auszugleichen.
Das Hoch im Bundestrend der Partei (17%) einschließlich einer für die AfD günstigen Themenlage in Berlin (Sicherheit, Kriminalität, Einwanderung) nach der Neuköllner Silvesternacht, hätten zumindest die 10%+X vermuten lassen. Selbst der leichte prozentuale Stimmenzuwachs wird durch eine um 10% gesunkene Wahlbeteiligung am Ende sogar zu einem Verlust an absoluten Stimmen.
Die AfD verlor bei den absoluten Stimmen (außer im nordöstlichen Pankow) in allen Wahlbezirken jeweils 100 bis 1.200 Wähler. Insgesamt holte die AfD 2021 noch knapp 145.000 absolute Stimmen. Jetzt sind es nur noch 137.000.
Wenn die AfD-Spitzenkandidatin Dr. Kirstin Brinker also am Wahlabend und in der Pressekonferenz von einer „Stabilisierung des Wählerpotentials“ spricht, dann verkürzt sie dies natürlich auf einen Betrachtungszeitraum der letzten zwei Jahre. Das Wählerpotential sollte sich bei einer recht jungen Partei wie der AfD immer noch anhand ihrer früheren Wahlerfolge messen lassen. In diesem Falle von 2016.
Immerhin konnten zumindest die zwei Direktmandate in den beiden Marzahner Bezirken durch Jeanette Auricht und Gunnar Lindemann gehalten werden, wobei es auch dort sowohl bei den Erst- und Zweitstimmen zu leichten absoluten Verlusten kam.
Aber kommen wir zum großen Bild des Wahlabends: Berlin ist schwarz geworden. Das dynamische Momentum für die CDU, welches sich schon in den vorherigen Umfragen abzeichnete, bestätigte sich auch am Wahlabend. Mit 28,5% und einem deutlichen Plus von über 10% war die CDU ohne Frage der große Wahlgewinner des Abends. Bemerkenswert ist dabei, dass die CDU dabei offensichtlich von vielen Wählern als Protestwahlalternative und Unzufriedenheitsvehikel gegenüber dem Rot-Rot-Grünen (RRG) Senat gesehen wurde.
Die FDP musste mit 4,6% die fünfte Wahlniederlage in Folge hinnehmen und scheiterte damit auch zum dritten Mal an einem Landtagseinzug innerhalb von zwei Jahren. Der FDP fehlt inzwischen jegliche politische Nischenstruktur. Das linksliberale Lager wird von SPD und Grünen kannibalisiert, in der Mitte geht man lieber zur CDU, und Libertäre zeigen sich inzwischen auch gegenüber der AfD offen. Der größte Wahlverlierer bleibt jedoch die SPD, die in den Außenbezirken vollständig von der CDU geschluckt wurde und im Zentrum mit einem ideologisch gefestigten linksgrünen Milieu kaum mehr konkurrenzfähig ist.
Der Leidensdruck der Berliner war groß, abzulesen an historisch schlechten Zufriedenheitswerte wie seit 2001 nicht mehr für die Regierung und auch die Bürgermeisterin. Ab der Neuköllner Silvesternacht konnte die CDU den Umfrageturbo starten. Ab dem neuen Jahr ging es steil bergauf, während die beiden Platzhirsche SPD und Grüne des regierenden Senats unter 20% fielen.
Die Wechselstimmung kündigte sich an. Die AfD konnte jedoch nur marginal und sehr kurzfristig profitieren von den Neuköllner Ereignissen profitieren. Die Christdemokraten dominierten das zentrale Heimspiel-Thema der AfD (Migration) vom Jahreswechsel bis zum Wahltermin mit parlamentarischen Anfragen zu den Vornamen der Tatverdächtigen über die „Pascha“- Debatte bis hin zur klassischen Law-and-Order Inszenierung.
Damit zündete die CDU erstmals den oppositionellen Testballon, vor dem sich die AfD seit dem Antritt von Merz als CDU-Parteivorsitzender fürchtete: eine Union, die zwar ihr linksliberales Merkel-Erbe objektiv nicht abstreift, aber die sich zumindest als konservative Scheinkraft zu inszenieren weiß und damit innerhalb der gleichen Potentialräume wie die der AfD operiert.
Auch wenn die AfD zwar keine signifikanten Wählermassen an die CDU abtreten mußte (mit 5.000 Stimmen holte die CDU noch den geringsten zuwachsenden Block aus dem AfD-Lager), zeigen doch die Zufriedenheitswerte, Kompetenzprofile und Themenlage, dass CDU und AfD durchaus um die Wählermassen der Berliner Außenbezirke konkurrierten, denen die Lebenskultur des Stadtzentrums zunehmend fremd geworden ist.
Für beide Anhängerschaften spielten Sicherheit und Ordnung eine wahlentscheidende Rolle und beide Wählerschaften zeigten sich in einer entschiedenen Ablehnung gegenüber dem Rot-Rot-Grünen Senat. Die CDU legte ihre Wahlkampagne in einer klaren Abgrenzung zum Senat an und setzte durchaus auch auf vereinzelte ideologische Konfrontationsinszenierungen, sowohl in der Migrationspolitik als aber auch städtischen Alltagsfragen, wie der Verkehrspolitik.
Das traf die AfD empfindlich und offenbart eine strukturelle Schwäche der Partei. Dort wo eine Partei mit realistischer Machtperspektive auf das inhaltliche Zentrum der AfD – nämlich die Migrationskritik – zugreift, gelingt es der AfD nur schwerlich ein klares Kontrastbild nachzuzeichnen und Exklusivität auszustrahlen. Frühere Zahlen und Studien zeigen, daß die Protestwählermobilisierung der AfD primär entlang der Migrationsfragen verlief.
Das Momentum der AfD lebte von der inhaltlich deutlichen Abgrenzung in der Migrationspolitik zu den anderen Parteien. Nun mag man einwenden, dass die Union natürlich keine 180 Grad Wende in ihrer Migrationspolitik vorgenommen hat. Es geht aber um die Wahrnehmung des Durchschnittswählers und dessen Wahlentscheidung ist von mannigfaltigen Faktoren wie weltanschaulichen Überzeugungen, Milieuzugehörigkeiten und eben auch taktischen Erwägungen geleitet.
Und vor allem das taktische Kalkül war auf das Zielsystem „Rot-Rot-Grün“ abzuwählen ausgerichtet. Somit dürfte ein ideologisch eher ungefestigtes Protestwählermilieu, die CDU-Wahl als einfachstes Mittel zur Zielerreichung betrachtet haben.
Wie aber kann nun die AfD in einer urbanen Metropole wie Berlin protestorientierte Wählerblöcke gegen linke Milieus mobilisieren, ohne dabei von einer spontanen rhetorischen Aufrüstung und Zuspitzung aus dem Unionslager ausgestochen zu werden?
In der AfD gibt es bereits Diskussionen darüber, ob die AfD im Wahlkampf nicht zu handzahm und passiv aufgetreten ist und sich somit die Deutungshoheit über die eigenen Schwerpunktthemen hat nehmen lassen. Zwar ist die Partei mit Slogans wie „Hart aber gerecht“ auf den Plakaten aufgetreten, aber konnte dies mit einer eher politisch-inhaltlich zurückhaltenden Spitzenkandidaten Dr. Kirstin Brinker kaum in ein konsistentes Gesamtbild überführen.
Brinker scheint sich in der Rolle als sachorientierte Fachpolitikerin wohler zu fühlen und ist vom Gemüt auch weniger die geborene Wahlkämpferin, die weiß welche Talking-Points sie setzen muss, um Nachrichtenwerte und Schlagzeilen zu produzieren. Das ist die notwendige Performance-Kritik, die sich der Berliner Landesverband wird stellen müssen.
Dennoch halte ich die These für gewagt, dass die AfD so schwach abschnitt, weil ihr Auftreten im Wahlkampf – innerhalb ihrer Kernthemen – zu defensiv und mutlos gewesen wäre. Die CDU wird in ihrer Positionierung kaum als die migrationskritischere Partei gegenüber der AfD wahrgenommen werden. Sehr wohl hatte sie für dieses Thema aber das bessere Aufmerksamkeitsmanagement betrieben.
Die Schwäche lag also offensichtlich in einer ausbleibenden Remobilisierung des 2016er Potentials, einschließlich der ausgelassenen Chance, die für sie eigentlich günstige Stimmungslage wahlkampftaktisch richtig auszunutzen.
Die AfD verlor im Vergleich zu 2021 26.000 Leute an das Nichtwählerlager. Nichtwählerverluste deuten auf eine mangelnde Mobilisierungskraft hin. Allerdings ist bei der Abgeordnetenhauswahl zu bedenken, dass bei einer um 10% gesunkenen Wahlbeteiligung alle Parteien – einschließlich der CDU – an die Nichtwähler verlieren. Somit fällt es umso schwerer, besonders spezifische Ursachen für die AfD-Verluste ans Nichtwählerlager allein zu identifizieren. Dennoch wird bereits heiß spekuliert und natürlich die These des zu defensiven Wahlkampfes bemüht.
Für die Wahlforschung sind Nichtwähler ein Mysterium. Es fehlt häufig an größeren empirischen Datengrundlagen und Langzeittrends. Einige Grundregeln lassen sich dennoch aufstellen.
- Nichtwähler sind das ganz allgemeine Ergebnis von flexibel und dynamisch gewordener Parteisysteme, die nicht mehr entlang robuster und festgebundener ideologischer Koordinaten verlaufen.Nur ca. 14% der Nichtwähler werden laut Forsa Institut auch als „dauerhafte Nichtwähler“ angesehen. Das heißt jene, die sich aus allen demokratischen Abstimmungsprozessen rausgenommen haben. Fast die Hälfte werden als „sporadische Nichtwähler“ eingestuft, die also bei vorhergehenden Wahlen durchaus wählen waren und sich unter bestimmten Bedingungen auch vorstellen können bei einer kommenden Wahl abzustimmen.
- Nichtwähler sind durchaus politisch unzufriedener, jünger und befinden sich in tendenziell niedrigeren sozioökonomischen Statuslagen.
- Eine Mehrheit der Nichtwähler von 63% verortet sich in der politischen Mitte. Damit sehen sich Nichtwähler sogar häufiger in der politischen Mitte als die Gruppe der „Wähler“ (54%). Sie sind dabei zu deutlich geringeren Anteilen links der Mitte und zu ähnlichen Anteilen wie die Wähler rechts der Mitte positioniert. Bei der Abfrage zu potentiellen Parteineigungen unterscheiden sich Nichtwähler nur unwesentlich von den elektoralen Verteilungen gegenüber der Gruppe der Wähler.
Was die Debatte um die Nichtwähler prägt, ist die Ungewißheit und ihr spekulativer Charakter. Will die AfD ernsthaft die Gründe für ihre eigenen Nichtwählerabwanderungen oder mangelnden Mobilisierungen verstehen, muß sie zwangsläufig in die empirisch gestützte Individualdatenanalyse gehen und daraus Muster und Strukturen modellieren. Dies kann erleuchtende, aber auch banale Erkenntnisse hervorbringen.
Bei den sozioökonomischen Daten zeigen sich für die AfD bei der Berlin-Wahl keine größeren neuen Besonderheiten. Die AfD baut weiterhin auf ihrer Kernstruktur der Männer, Arbeiter, mittel- bis niedrig Gebildeten und jenen im mittleren Alter. Bei der Altersstruktur konnte die AfD etwas stärker mit +3% bei den Ü60 Jährigen zulegen. Jene Gruppe die auch maßgeblich der CDU den Wahlsieg besorgten. Die ideologische Polarisierung in Berlin wird durchaus über Bande einer Generationenfrage gespielt.
In den hippen und jungen Lifestyle Vierteln von Berlin-Mitte konnten die Grünen nach 2021 ihren Vorsprung nochmals ausbauen, während sie in den Außenbezirken teilweise deutlich verloren. Währenddessen zeigte sich in den Außenbezirken die Revanche der im Schnitt älteren Ur-Berliner gegen die linke Transformationspolitik in ihrer Stadt.
„Dit is halt Berlin wa?!“ mögen einige Einheimische meist in verklärender Absicht zu den Dysfunktionalitäten dieser Stadt sagen. Und ja, Berlin ist auch politisch eine besondere Stadt.
Wenige Tage vor der Wahl wurde die AfD im Bundestrend bei 17% gemessen. Die Migration ist zum wichtigsten sozialen und politischen Problem geworden und hat laut YouGov Umfrage sogar Klima und Ukraine verdrängt. Die Berliner Wähler wollten einem linken Senat eine Quittung verpassen. Rechtskonservative Kernthemen wie Innere Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung und Migration waren die wichtigsten Themen, in denen die AfD zugleich die stärksten Kompetenzwerte hat.
Interne Konfliktlinien innerhalb der AfD können derzeit aus der Öffentlichkeit weitgehend herausgehalten werden und haben kaum mehr ein so großes Eskalationspotential wie früher. Eine Woche vor der Wahl stieg aufgrund des 10-jährigen Jubiläums nochmals die mediale Resonanz der Partei.
Trotz dieser Ausgangsbedingungen schaffte die AfD keine signifikante Ergebnissteigerung. Wenigstens konnte man drei neue Mandate hinzugewinnen. Langfristig wird sich die AfD-Berlin aber Gedanken machen müssen, wie man als rechtskonservative Großstadtpartei grundsätzlich und mit welchem Identitätsprofil auftreten möchte.
Laurenz
Es macht halt keinen Sinn, Kandidaten nach Proporz zu suchen. Da jetzt Sicherheit im Wahlkampf angesagt war, hatte die CDU das beste Händchen, einen Mann auszuwählen, der auch als Landser oder us amerikanischer Kuhtreiber durchgehen würde. Da könnte nur eine echte Sirene, wie Meloni, dagegen halten.
Berlin war in seiner Geschichte als elende Hauptstadt schon immer ein Schmarotzer, der seine Lebenskraft aus den Adern des Reichs oder den Deutschen Republiken saugte. Da sind Bonnie&Clyde-Gaunerpärchen, wie die Giffeys, normalerweise vorne, da man denen am ehesten zutraut, der Berliner Wähler-Saubande weiter das Schmarotzerleben zu Lasten aller Flächenländer zu garantieren. Eine Frau mit echtem Dr.-Titel ist da keine Identifikationsfigur. Die AfD wollte eben mit weiblicher Kompetenz (als ob es sowas geben würde) gegen Rot-Rot-Grün antreten, falsch kalkuliert. Man hätte bei dieser Wahl einen Ex-Polizisten, wie Tim Kellner oder ehemaligen Berufssoldaten gebraucht, der als Feldwebel Steiner alle im Grabenkampf stellt. Aber nachher sind wir alle schlauer.