Evola wurde am 19. Mai 1898 in Rom geboren und starb in seiner Heimatstadt am 11. Juni 1974. Er stammte aus dem sizilischen Adel und geriet früh unter den Einfluß von Nietzsches und Weiningers Denken. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Artillerieoffizier teil. In dieser Zeit trat er in Kontakt zu so unterschiedlichen Denkern wie dem Futuristen Marinetti oder dem „Erfinder“ des Dadaismus T. Tzara. Ein nach dem Kriegsende aufgenommenes technisches Studium brach er ab. Seit 1922 lebte er als Maler und Dichter und begann eine Untersuchung der idealistischen Philosophie. Zwei Jahre später nahm er die Beschäftigung mit esoterischen Lehren östlicher wie westlicher Provenienz auf, die er bis zu seinem Lebensende fortsetzte.
Politisch sympathisierte Evola mit dem Faschismus, der in seiner Heimat an die Macht gekommen war, kritisierte allerdings dessen „demokratischen“ Charakter und den Mangel an „traditionaler“ Orientierung. Seiner Vorstellung von einem „magischen Idealismus“, der dazu dienen würde, das „absolute Ich“ von allen Beschränkungen zu befreien, korrespondierte die politische Stellungnahme zugunsten von Sakralität und Heidentum gegen die Vergötzung des Sozialen und den Ausgleich mit der katholischen Kirche, für ein an der Überlieferung orientiertes Königtum gegen eine charismatische Herrschaft über die Massen.
Die relative Distanz Evolas zum Faschismus führte ihn Ende der zwanziger Jahre dazu, Kontakte zu verschiedenen Gruppen der Konservativen Revolution in Deutschland aufzunehmen. Besonders unter den Jungkonservativen war man früh auf ihn aufmerksam geworden; Edgar Julius Jung und Leopold Ziegler äußerten sich sehr anerkennend, beide wurden in ihrem Denken von bestimmten Überlegungen Evolas beeinflußt. Auch Evolas Hauptwerk Rivolta contra il mondo moderno (Revolte gegen die moderne Welt), das 1934 erschien und bereits ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde, fand in diesen Kreisen Anklang; bekannt geworden ist vor allem eine hymnische Rezension Gottfried Benns.
Mitte der dreißiger Jahre hatte Evola allerdings schon den Nationalsozialismus als einen denkbaren Verbündeten entdeckt, von dem man vielleicht eher als vom italienischen Faschismus eine prinzipielle Wendung gegen die „moderne Welt“ erwarten durfte. Seine Schriften aus dieser Zeit – vor allem die journalistischen – enthalten zum Teil schwer begreifbare Annäherungen an die Parteilinie und Mißdeutungen der Absichten der NS-Führung. Evola hat sich auch während des Krieges mehrfach in Deutschland aufgehalten, 1945 war er in Wien und erlitt schwerste Rückgratverletzungen bei einem russischen Bombenangriff. Es folgte ein langer Krankenhausaufenthalt, danach blieb Evola an den Rollstuhl gefesselt.
1950 kehrte er nach Rom zurück und nahm seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf. Ein Jahr später sah er sich festgenommen und wegen „Verherrlichung des Faschismus“ angeklagt, wurde aber freigesprochen. Auch nach dem Krieg hat Evola auf verschiedene Weise politisch Stellung genommen, allerdings zunehmend resigniert ob der Möglichkeiten praktischen Handelns. Zum Schluß lehrte er eine „apolitische“ Haltung im Bewußtsein des unabwendbaren Niedergangs und wandte sich vor allem kritisch gegen alle „rechten“ Positionen, die nicht konsequent genug einen traditionalen Standpunkt bezogen, sondern Kompromisse mit der Moderne machten.
Evola hat in der Nachkriegszeit nicht nur als Schriftsteller gearbeitet, sondern auch als Übersetzer und neben den Arbeiten einiger anderer konservativer deutscher Autoren (Hans-Joachim Schoeps, Erik von Kuehnelt-Leddihn) auch den Untergang des Abendlandes von Oswald Spengler ins Italienische übersetzt. Das war allerdings nur ein Teil seiner Auseinandersetzung mit Spenglers Werk. Es gibt eine ganze Reihe von Stellungnahmen nicht nur zu einzelnen Büchern Spenglers – wie etwa den Jahren der Entscheidung –, sondern auch eine Beschäftigung mit Einzelfragen. Dabei ist seine Haltung eine prinzipiell anerkennende und positive, die aber nicht verschweigt, daß Evola den „Pessimismus“ Spenglers nicht teilt und diesem vorwirft, die Dignität der „integralen Tradition“ zu verkennen. Nach seiner Geschichtsphilosophie verläuft die große Entwicklung zyklisch und muß dem gegenwärtigen Abstieg ein Neubeginn folgen, an dessen Anfang wieder ein „Goldenes Zeitalter“ steht. Zum besseren Verständnis des folgenden sei noch gesagt, daß Evola einen geistigen Rassenbegriff vertrat, der nicht mit einem biologischen beziehungsweise biologistischen verwechselt werden darf.
Diese Frontstellung ist auch dem nachfolgend abgedruckten Aufsatz zu entnehmen, der 1953 in der kleinen monarchistischen Zeitschrift Meridiano d’ Italia (Ausgabe vom 12. Oktober 1953) erschien, und in dem Evola seine Auffassung von der Bedeutung eines traditionalen Königtums der Idee einer modernen „cäsaristischen“ Massenherrschaft entgegenstellte, wie sie Spengler erwartet hatte.
Nach Spengler gehört zur End‑, zur Dämmerungsphase einer jeden Kultur das Phänomen des „Cäsarismus“. Das sei auch für unsere Zeiten ein unabwendbares Schicksal, insofern als laut Spengler die westliche Kultur seit Napoleon gerade in ihre letzte Phase eingetreten ist, für die er den Begriff der „Zivilisation“ verwendet.
Wir wollen uns nicht damit aufhalten, aufzuzeigen, daß Cäsar ein recht unglücklich gewähltes Beispiel für das Phänomen ist, um das es Spengler geht: ein Zeichen der Einseitigkeit, der dieser Autor in seiner Besessenheit, überall parallele Erscheinungen zu finden, häufig verfällt. Offenbar hat er an Cäsar bloß dessen fragwürdigere und profanere Züge zur Kenntnis genommen, nicht jene, dank derer der historische Cäsar schon als Jugendlicher seine Zugehörigkeit zu einem Geschlecht der Herrscher, der Könige, behaupten konnte, das zugleich ein sakrales, „göttliches“ war.
Fragen wir also nach der historischen Einordnung des Spenglerschen Cäsarismus. Er tritt in Perioden auf, in denen bereits ein Prozeß der Zersetzung und Zerstörung aller überkommenen Werte stattgefunden hat, aller wahrhaft traditionalen Institutionen, aller an Rasse und Blut gebundenen Gewißheiten, die nunmehr von der rationalistischen und materialistischen städtischen, kosmopolitischen Mentalität erstickt werden. Spengler glaubt derartige Verfallserscheinungen gleichermaßen in allen Kulturen zu erkennen. Jedoch ist eindeutig, daß er seine wichtigsten Bezugspunkte aus der Beobachtung der westlichen Kultur jüngerer Zeit gewonnen hat: dessen, was man als „moderne Welt“ bezeichnen kann. Die Entwicklung verläuft ungefähr folgendermaßen.
Nachdem die traditionale Welt überwunden ist, bricht jene der städtischen Masse an, der Bourgeoisie oder des Dritten Standes im Zeichen der Industrialisierung und der Demokratie. Vor allem ist es die Kultur der Maschine, die über alles andere triumphiert hat. Hier scheinen der Ingenieur, der Techniker, der Unternehmer im Mittelpunkt zu stehen. Doch ist dies ein kurzlebiges Trugbild. Hingegen sind es das „Denken im Dienste des Geldes“ und das Finanzwesen, die bald die Oberhand bekommen und zugleich das politische Leben der Demokratie zu beherrschen beginnen. Die Herren des Geldes sind die wahren Herrscher über diese Phase und zwingen der Masse ihr Gesetz auf, Parteien und Regierungen, direkt oder auf Umwegen wie zum Beispiel durch die Kontrolle über die Presse und die heimliche Bildung der „öffentlichen Meinung“ und des „Volkswillens“. Ohne es zu wollen, bringen sie aber einen neuen Typ hervor, das „cäsarische Individuum“, Vertreter eines neuen Prinzips, des Prinzips der absoluten Politik, und zwischen Wirtschaft und Politik entzündet sich ein Kampf um die Vorherrschaft. Am Ende werden die cäsarischen Individuen die Tyrannei des Geldes durchbrechen, alle Macht in ihren Händen konzentrieren und alleine das Gesetz vorschreiben; und in den Vereinigten Staaten, deren Herrscher sie sein werden, werden sie die Wirtschaft dem reinen politischen Prinzip gefügig machen. Schließlich werden zwischen den verschiedenen neuen Cäsaren Kriege um die Weltherrschaft ausbrechen.
All dies ginge auf Vorstellungen zurück, bis hin zur unverhohlenen Begeisterung für den puren Machiavellismus, wie sie [James] Burnham genauer in seinem berühmten Buch Die Revolution der Manager darlegt, käme bei Spengler nicht eine seltsame und widersprüchliche Interferenz der Motive dazwischen. Tatsächlich sollen im Cäsarismus die Werte der Rasse, der Aristokratie, wenn nicht gar der Tradition wiederaufblühen. Wie aber sollten solche Werte die Zerstörungen überlebt haben, die den Prämissen zufolge dieser letzten Phase als Wegbereiter vorausgingen? Wie in diesen neuen „großen Individuen“, die ganz Willen sind, ein Bewußtsein für Ehre, für Verantwortung, für die uneigennützige Sorge um alles, was sie mit ihrer absoluten Macht der Tyrannei des Geldes entzogen haben, hervorbrechen soll, bleibt unbegreiflich. Der richtige Begriff für den Spenglerschen Cäsarismus ist Totalitarismus im schlechten Sinne: und der Primat der kruden Wirklichkeit über die Prinzipien, der Macht über die Ideen, des „Lebens“ über jede Form von höherer Existenz, wie ihn die Spenglersche Philosophie behauptet, kann das nur bestätigen. Der Versuch, ihr aristokratische und traditionale Werte überzustülpen, ist kurz gesagt Unsinn. Entsprechend handelte es sich nicht mehr um ein cäsarisches Individuum (um den Mißbrauch des Begriffs „cäsarisch“ beizubehalten), sondern um den Typ des legitimen Führers, der dies dank eines Charismas ist, das über seinen Symbolwert hinausgeht. Der „historische Ort“, dem ein solcher wahrer Führer angehört, wie auch der Typ eines nicht totalitären, sondern organischen Staates, ist aber ein ganz anderer als der, dem Spengler das Phänomen des neuen Cäsarismus zuordnet: eine im Inneren aufgelöste Welt, für die schon Vico als einzigen, äußersten Notbehelf die „Monarchie“ nicht im antiken Sinne, sondern eben im Sinne der formlosen, rein politischen Macht eines einzigen Individuums ohne Wurzeln und Traditionen vorgesehen hatte.
Es ist möglich, daß Spenglers Prognosen trotzdem zutreffen, daß der Westen also in seinem Untergang erneut das Erscheinen falscher Cäsaren erleben wird und den Kampf der von ihnen aufgestellten Kräfte um die Weltherrschaft. Man darf jedoch nicht vergessen, was Spengler selbst mitunter aus den Augen verloren zu haben scheint; daß dies nämlich Erscheinungen einer Kultur in Agonie sind, sozusagen die letzten Zuckungen, auf die ein endgültiger Zusammenbruch folgen wird – und daß man an ganz anderen Horizonten von neuem anfangen muß, um eine echte Rekonstruktion, eine Rückkehr zu hierarchischen, ja aristokratischen Formen anzustreben, nachdem ein Zyklus sich erschöpft hat.