Das politische Böse und der Krieg

PDF der Druckfassung aus Sezession 109/ August 2022

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Im März 2022 bezeich­ne­te US-Prä­si­dent Joe Biden den rus­si­schen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin als Mör­der. Schon 1983 hat­te sein Amts­vor­gän­ger Ronald Rea­gan die Sowjet­union – damals noch zum Ent­set­zen auch vie­ler US-ame­ri­ka­ni­scher Poli­ti­ker – kur­zer­hand zum »Reich des Bösen« erklärt. Die gegen­wär­tig amtie­ren­de Finanz­mi­nis­te­rin der USA, Janet ­Yel­len, äußer­te jüngst vor lau­fen­der Kame­ra, sie sei »zutiefst beun­ru­higt über den dro­hen­den Hun­ger auf der Welt, doch um Ruß­land zu ver­nich­ten, müs­sen wir das ertragen«.

Am 26. Febru­ar fand in Ber­lin eine Demons­tra­ti­on mit mehr als 100 000 Teil­neh­mern statt, auf Schil­dern stand »Stand for Ukrai­ne«, aber auch »Stop Putin!« und »Mör­der Putin«. In einem Online-Arti­kel ver­stieg sich Jost Schie­ren, Pro­fes­sor für Päd­ago­gik an der anthro­po­so­phi­schen Ala­nus-Hoch­schu­le, unter der Über­schrift »Kill Putin!« dazu, im Namen der Mensch­lich­keit und Bezug neh­mend auf Augus­ti­nus und Bon­hoef­fer zum Tyran­nen­mord auf­zu­ru­fen. Der Arti­kel wur­de kurz dar­auf aus dem Netz genom­men, der Ein­druck blieb.

In einem aktu­el­len Inter­view auf der Netz­prä­senz der links­extre­men »Bell­tower News« erfährt man vom Jour­na­lis­ten und »Ukrai­ne-Exper­ten« Micha­el Col­bor­ne: »Die trau­ri­ge Rea­li­tät ist, daß auf dem Mai­dan die Mehr­heits­ge­sell­schaft und die Rechts­extre­men ein­an­der brauch­ten. Die Rechts­extre­men waren zwar eine Min­der­heit, aber sie waren not­wen­dig, um zu ver­hin­dern, daß die Poli­zei die Pro­tes­te nie­der­schlägt. Und ohne den Rück­halt der Mehr­heits­ge­sell­schaft wären die Rechts­extre­men sicher­lich nie­der­ge­schla­gen oder gar getö­tet wor­den.« Im sel­ben Arti­kel nimmt Col­bor­ne die Asow-Leu­te auf inter­es­san­te Wei­se in Schutz: »Die Art und Wei­se, wie der Atten­tä­ter von Christ­church mit ›Asow‹ in Ver­bin­dung gebracht wur­de, ent­sprach nicht ganz der Wahr­heit, auch wenn sein Mani­fest eine ähn­li­che Spra­che und ähn­li­che Sym­bo­le ver­wen­de­te und Mit­glie­der von ›Asow‹ sich posi­tiv über ihn äußerten«.

Die ortho­do­xen Mön­che vom hei­li­gen Berg Athos wer­den in der Neu­en Zür­cher Zei­tung als Putins »Hard­li­ner« bezeich­net, die hart­nä­ckig ein klei­nes Klos­ter »besetzt« hiel­ten. Das ÖVP-nahe öster­rei­chi­sche Maga­zin Exx­press ver­öf­fent­licht in einer Tour Bei­trä­ge über den tsche­tsche­ni­schen Prä­si­den­ten Ramsan Kady­row, nie feh­len die Attri­bu­te »Putins Blut­hund« und »Tsche­tsche­nen-Bes­tie«.

Genug. Nicht nur die enor­me Wucht der Zuschrei­bung des »Bösen« im Fel­de der Poli­tik läßt den auf­merk­sa­men Beob­ach­ter auf­hor­chen, son­dern auch die offen­kun­di­ge Ver­keh­rung, wem die­ses Attri­but zukommt: Wer den Welt­hun­ger in Kauf nimmt, ist »gut«, wenn dies die »Bösen« zu ver­nich­ten hilft. Ob ihrer Fried­fer­tig­keit oft ver­spot­te­te Chris­ten rufen zum Mord am »Bösen« auf. Ukrai­ni­sche Rechts­extre­mis­ten sind die »guten Nazis«, wenn es gilt, den »bösen Faschis­ten« Putin zu bekämp­fen. Mön­che sind »böse«, weil sie rus­sisch-ortho­dox sind, und tsche­tsche­ni­sche Mos­lems, von den »Guten« vor gar nicht lan­ger Zeit will­kom­men gehei­ßen, ver­kör­pern heu­te gera­de­zu das Böse schlechthin.

Mit Max Weber, Eric Voe­gel­in, Arnold Geh­len oder Niklas Luh­mann lie­ße sich leicht fest­klop­fen, daß die Kate­go­rie des »Bösen« in der Poli­tik nichts zu suchen hat. Und doch haben wir es vor allem auf sei­ten des »Werte­westens« mit einer Gut-Böse-Rhe­to­rik zu tun, die ein neu­es Aus­maß ange­nom­men hat. Auf der ande­ren Sei­te rekur­riert die rus­si­sche Paro­le von der »Ent­na­zi­fi­zie­rung der Ukrai­ne« auf die ein­ge­fleisch­te Asso­zia­ti­on der »guten« Roten Armee gegen die »Nazis«.

Es nützt nun nichts, auf dem Kate­go­rien­feh­ler (Gut / Böse gehö­ren in die Moral oder in die Theo­lo­gie) her­um­zu­rei­ten, viel­mehr ist es not­wen­dig, genau­er hin­zu­schau­en, war­um das Böse sich nicht von der Poli­tik tren­nen läßt. Im Ukrai­ne-Krieg kam es vom ers­ten Tag an zu Pro­pa­gan­da­schlach­ten um die mobi­li­sie­ren­de Auf­la­dung der eige­nen Trup­pen gegen das Böse aus dem Osten. Der Ver­dacht liegt nahe: Die­se Ver­klam­me­rung scheint unaus­weich­lich zu sein, die mora­li­sche Dis­kri­mi­nie­rung des Fein­des ist zu verlockend.

Drei Ver­dachts­mo­men­te: 1. Das anthro­po­lo­gi­sche Moment: Könn­te es sein, daß es in der Natur der Poli­tik liegt, das Böse im Men­schen her­vor­zu­lo­cken? 2. Das »Sprachregime«-Moment: Könn­te es sein, daß die Voka­bel »Faschis­mus«, mit Brecht gespro­chen, »in die Funk­tio­na­le gerutscht« ist und so zur Steue­rung gan­zer Gesell­schaf­ten dient? Und schließ­lich: 3. Das escha­to­lo­gi­sche Moment: Könn­te die­se Kul­mi­na­ti­on des Bösen in der Spra­che und durch die Spra­che den höhe­ren Sinn haben, uns den »Riß« (durch Gesell­schaf­ten, durch unse­re See­len und durch die geis­ti­gen Rei­che) vor­zu­füh­ren, des­sen wir west­li­chen Men­schen jetzt bedürfen?

 

1. Begin­nen wir holz­schnitt­ar­tig scharf: Poli­tik ist bekannt­lich, mit Carl Schmitt gedacht, die Sphä­re der Macht, in der Freund von Feind geschie­den wird. Macht zu haben bedeu­tet, die eige­nen Inter­es­sen gegen die Inter­es­sen des Fein­des not­falls mit Gewalt durch­set­zen zu kön­nen. In der Sphä­re der Poli­tik ist struk­tu­rell jedes Mit­tel recht, der Zweck hei­ligt es. Jeder moder­ne Staat, so Schmitt, ist folg­lich auf »poli­ti­sche Theo­lo­gie« ange­wie­sen, näm­lich die Mar­kie­rung des Fein­des als »böse« – hier­durch wird der Staat nach innen geord­net, nach außen mobilisiert.

Anders als rohe Gewalt ist Poli­tik durch einen hohen Grad an Ver­nunft gekenn­zeich­net, das Böse bedarf der List, nicht der Keu­le. Selbst die schein­bar weit vom »bösen Feind« ent­fern­te Kon­kur­renz zwei­er lokal­po­li­ti­scher Kan­di­da­ten folgt die­ser Logik. Wer sich in das Feld der Poli­tik begibt, beginnt von der Macht zu naschen. Chris­ti drit­te Ver­su­chung in der Wüs­te gilt »allen Rei­chen der Welt mit ihrer Pracht«, die er gewän­ne, wenn er sich dem Teu­fel unter­wür­fe. Daß sie sprich­wört­lich »den Cha­rak­ter ver­dirbt« oder Psy­cho­pa­then anzieht, zeigt nichts weni­ger, als daß das Wirk­prin­zip der Poli­tik das Böse ist. Die Exis­tenz guter Herr­scher, die es zwei­fels­oh­ne gibt, erklärt sich daher, daß die­se den Ver­lo­ckun­gen der durch den Zweck gehei­lig­ten Macht­mit­tel so sel­ten wie mög­lich nachgeben.

 

2. Tota­li­tä­re Sys­te­me sind unter ande­rem dadurch gekenn­zeich­net, daß in ihnen die Poli­tik den gesam­ten All­tag und jeden Lebens­be­reich durch­drin­gen will. Es darf kei­nen macht­frei­en Bereich geben – wenn mei­ne unter 1. getrof­fe­nen Vor­an­nah­men stim­men, befin­det sich in einem tota­li­tä­ren Staat jeder Mensch ten­den­zi­ell in den Fän­gen der Ver­su­chung der Macht und nicht nur die­je­ni­gen, die Poli­tik betrei­ben. Denun­zia­ti­ons­be­reit­schaft, Mani­pu­la­ti­on und Gefü­gig­keit (neu­deutsch: »com­pli­ance«), Block­wart­ver­hal­ten und stra­te­gi­sche Nut­zen­ma­xi­mie­rung deu­ten dar­auf hin.

Es betrifft also nicht nur »unse­re Poli­ti­ker«, son­dern jeden Men­schen qua Mensch­sein – jeder ist kor­rum­pier­bar, ver­führ­bar, mani­pu­lier­bar. Wenn ein poli­ti­sches Sys­tem in alle Rit­zen dringt, steigt die Gefahr die­ser Ver­füh­rung. Inso­fern der Mensch Trieb­we­sen ist, kann er ihr allein nicht wider­ste­hen und kippt bald in die­se, bald in jene vor­ge­fer­tig­te Kampfpose.

Die inner­halb weni­ger Mona­te statt­ge­fun­de­ne Re-Natio­na­li­sie­rung, Mili­ta­ri­sie­rung, Kol­lek­ti­vie­rung und Feind­schafts-Rhe­to­rik der west­li­chen Natio­nen (gehe ich fehl, wenn ich den Ein­druck habe: beson­ders der deut­schen?) sind Aus­druck einer Ver­füh­rung zum Bösen, zum spe­zi­fisch poli­ti­schen Bösen. Wäh­rend der »Corona«-Abrichtung der Völ­ker konn­te man dies bereits schau­er­lich-schön beob­ach­ten, im Zei­chen des »Stand for Ukraine«-Ersatznationalismus setzt es sich naht­los fort. Der poli­ti­sche Haß ließ sich hier­zu­lan­de erst auf »die Unge­impf­ten«, jetzt auf die »Putin-Ver­ste­her« und »die Rus­sen« kana­li­sie­ren. Von eigen­stän­di­gem, indi­vi­du­el­lem Gewis­sen fehlt weit­räu­mig bei­na­he jede Spur.

 

3. Der Begriff »Faschis­mus« ist zu einem Len­kungs­in­stru­ment gewor­den. Die­ser Trick der »Sprach­re­gime« (Micha­el Esders) in Ost und West glei­cher­ma­ßen ist über­aus banal und unter­kom­plex in sei­ner Struk­tur – doch gera­de des­halb ist er so wirk­sam, weil die »Gesell­schaf­ten« auf die­se Bana­li­sie­rung, die­sen Sche­ma­tis­mus jahr­zehn­te­lang vor­be­rei­tet wor­den sind.

Hans-Hel­muth Knüt­ter hat das Schlag­wort »Faschis­mus­keu­le« 1993 geprägt, pri­mär bezo­gen auf die bun­des­deut­sche Lin­ke. Die­ser Rah­men wird mitt­ler­wei­le gesprengt. Im Zusam­men­hang mit den Mai­dan-Ereig­nis­sen von 2014 und der Zuge­hö­rig­keit der Krim ging es im Wes­ten los, Putin als »auto­ri­tä­ren Faschis­ten« zu titu­lie­ren, der mit »rus­si­schen Bots«, Pro­pa­gan­da und Rubeln die euro­päi­sche Rech­te und sogar die ame­ri­ka­ni­schen Wah­len steue­re. Die gegen­wär­ti­ge rus­si­sche, euphe­mis­tisch so genann­te mili­tä­ri­sche Spe­zi­al­ope­ra­ti­on in der Ukrai­ne defi­niert als Kriegs­ziel die »Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung und Ent­na­zi­fi­zie­rung« des Landes.

Vor­der­grün­dig geht es um die von der NATO seit Jah­ren unter­stütz­ten natio­na­lis­ti­schen Mili­zen des soge­nann­ten Asow-Batail­lons, des Rech­ten Sek­tors – jene Ein­hei­ten brüs­ten sich in den Sozia­len Medi­en mit gro­tes­ker Nazi-Sym­bo­lik, bevor­zugt als Ganz­kör­per­tä­to­wie­rung. Gemäß der in Ruß­land nie auf­ge­ge­be­nen Dimi­t­row-Dok­trin, die besagt, Faschis­mus sei die am wei­tes­ten ent­wi­ckel­te Form des Kapi­ta­lis­mus, rich­tet sich die »Ent­na­zi­fi­zie­rung« a for­tio­ri gegen den »kol­lek­ti­ven Wes­ten« ins­ge­samt und sei­ne zur Hoch­blü­te gelang­te Ideo­lo­gie des woke capi­ta­lism, die alle gesell­schaft­li­chen Berei­che der west­li­chen Natio­nen (und zuneh­mend auch der ost­eu­ro­päi­schen bis hin nach Ruß­land selbst) durch­setzt hat. Die Ukrai­ne ist so gese­hen nur der Schau­platz eines geo­po­li­ti­schen Ideo­lo­gie-Krie­ges – eines Krie­ges der Phrasen.

Wenn ich nun die Gut-Böse-Ver­satz­stü­cke, die ich ein­gangs aus den ver­schie­de­nen Ecken die­ses Ideo­lo­gie-Krie­ges zusam­men­ge­sam­melt habe, näher betrach­te, ent­steht vor mei­nem geis­ti­gen Auge ein Bild: Je grö­ßer die Lüge anschwillt, des­to grö­ßer wird die Ver­su­chung des Poli­ti­schen. Der Mensch ist selbst als ein Hei­li­ger noch der Ver­su­chung unter­wor­fen. Über­hebt er sich über den gerings­ten sei­ner Brü­der und hält sich für den drü­ber­ste­hen­den Durch­bli­cker und bloß immer die ande­ren für vom Bösen Ver­führ­te, so erliegt er ihr.

Wenn ich mich daher vom Poli­ti­schen ver­ab­schie­de, wenn ich im Kampf um die Macht nicht gewin­nen will, wenn ich mich viel­mehr vor der Ver­su­chung der Macht hüten will, schaf­fe ich dadurch das poli­ti­sche Böse nicht aus der Welt. Ich kann nicht mehr tun, als in den poli­ti­schen Struk­tu­ren (des Staa­tes, der Par­tei, der Bewe­gung, der Medi­en), auf deren Sieg ich gehofft habe, allent­hal­ben die­sel­ben Köder zu ent­de­cken und zu ver­su­chen, ande­re davon abzu­hal­ten, sie gie­rig zu ver­schlin­gen. Und sel­ber in mich gehen und erken­nen, daß auch ich immer wie­der ver­sucht bin, mich der Hoff­nung auf poli­ti­sche Sie­ge hin­zu­ge­ben, und dadurch leicht steu­er­bar bin. Daß »auf­ge­wach­te« deut­sche Sys­tem­kri­ti­ker und Rech­te die kom­men­de Erlö­sung von der »Neu­en Welt­ord­nung« durch den Sieg Ruß­lands über die Deka­denz (und die BRD) erseh­nen, basiert genau­so auf poli­ti­scher Machtbesessenheit.

In mei­nem kapla­ken-Bänd­chen Ver­such über den Riß habe ich beschrie­ben, daß der poli­ti­sche Riß kom­men muß. Die Völ­ker, die Fami­li­en, die Ein­zel­see­len müs­sen mit­ten hin­durch­ge­ris­sen wer­den. »Gut« und »Böse« müs­sen rhe­to­risch der­ma­ßen ver­kehrt und ent­stellt wer­den, daß kaum jemand mehr ihre wah­re Unter­schei­dung kennt. Die Phra­se vom »Faschis­mus« hat Ost und West fest im Griff. Aber auch ins Klei­ne, in die schein­bar bloß pri­va­ten Bezie­hun­gen, sickern tren­nen­de Gut-Böse-Zuschrei­bun­gen ein und ver­rich­ten ihr Zer­stö­rungs­werk. Es ist unmög­lich, sich dar­über zu erhe­ben und eine »ver­nünf­ti­ge« und end­lich wie­der »den deut­schen Inter­es­sen die­nen­de« Poli­tik zu for­dern, zu eng ist der Wür­ge­griff der Phrase.

Wir west­li­chen Men­schen (für die öst­li­chen Men­schen lie­gen die Din­ge anders, dies zu erör­tern, obliegt mir aus der exis­ten­ti­el­len Teil­neh­mer­per­spek­ti­ve nicht) müs­sen, so scheint es mir, in die­ser Zeit durch die Gefahr der Begriffs­ver­wir­rung und der Total­po­li­ti­sie­rung hin­durch­ge­hen. ­Höl­der­lin hin­ter­ließ die berühm­ten, rät­sel­haf­ten Zei­len »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Ret­ten­de auch«. Ganz ähn­li­ches habe ich bei Ril­ke ent­deckt – viel­leicht hilft sein Gedicht uns Phra­sen­kran­ken dabei, zu ver­ste­hen, daß »gut« und »böse« voll­kom­men ent­stellt sein kön­nen und doch in Wirk­lich­keit bei­de in Gott auf­ge­ho­ben sind. Um das aller­dings wirk­lich begrei­fen zu kön­nen, muß der Krieg in und außer­halb von uns wohl noch anwachsen:

 

 

Herr, sei nicht gut: sei herr­lich; widerleg

das Hören­sa­gen, das sie an dir rühmen:

zer­brich das Haus, zer­stör den Steg

und wälz ein Nest von Ungetümen

dem Flücht­ling in den Nebenweg.

 

 

Denn so sind wir ver­kauft an klei­ne Nöte,

daß alle mei­nen Jahr um Jahr

wenn einer ihnen bei­de Hän­de böte

so wär ein Gott. Du Not­nacht vol­ler Röte,

du Feu­er­schein, du Krieg, du Hun­ger: töte: 

denn du bist unse­re Gefahr.

 

 

Erst wenn wir wie­der unsern Untergang

in dich ver­le­gen, nicht nur die Bewahrung,

wird alles dein sein: Ein­sam­keit und Paarung,

die Nie­der­la­ge und der Überschwang.

Damit ent­ste­he, was du end­lich stillst,

mußt du uns über­fal­len und zerfetzen;

denn nichts ver­mag so völ­lig zu verletzen

wie du uns brauchst, wenn du uns ret­ten willst.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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