Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg

Gabriele Riedle (*1958 in Stuttgart, Wahlberlinerin) füllte lange Jahre mit ihren feuilletonistischen Texten die Seiten der Hauptstromblätter (u. a. der taz).

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ab 2001 bis zu ihrer Kün­di­gung (die 2016 zu einem Medi­en­the­ma wur­de, da Ried­le sich mit­tels eines offe­nen Brie­fes empör­te) ver­faß­te sie unge­zähl­te – oft preis­ge­krön­te – Repor­ta­gen aus Kri­sen­ge­bie­ten: etwa aus dem Sudan, Libe­ria, Tsche­tsche­ni­en, Afgha­ni­stan und Libyen.

Die­se »Art Aben­teu­er­ro­man« ist ein künst­le­ri­sches (streng könn­te man sagen: ver­küns­tel­tes) Resü­mee ihres Unter­wegs­seins in Zel­ten, abge­wrack­ten Hotels, nur soge­nann­ten Autos, unter Pro­mi­grö­ßen der Aus­lands­re­por­ta­ge und – doch, so sim­pel ist es halt – unter Aus­län­dern, die so völ­lig anders ticken als die deut­sche Seele.

Ried­le hat ihrem Buch das berühm­te Nova­lis-Zitat aus Hein­rich von Ofter­din­gen vor­an­ge­stellt: »Wohin gehen wir denn? Immer nach Hau­se.« Ried­le ist eine groß­ar­ti­ge Beob­ach­te­rin. Wie so vie­le ande­re Leu­te, die lan­ge und oft in der Frem­de unter­wegs waren, hat sie ihre Mäd­chen­blü­ten­träu­me von der Gleich­heit aller Men­schen längst abge­streift. Ob man heu­te noch sagen darf (man darf es zwei­fel­los – aber: ohne abge­watscht zu wer­den), daß man befrem­det ist?

Ried­le hat häu­fig die­ses Befrem­dungs­ge­fühl. Am deut­lichs­ten wohl in Libe­ria, auch wenn kaum zu sagen ist, wel­che ihrer Schil­de­run­gen am nach­drück­lichs­ten sind. In Libe­ria jeden­falls trifft sie auf fromm-cha­ris­ma­ti­sche Pas­to­ren, die in ihrem vori­gen, noch nicht bekehr­ten Leben eis­kal­te Kin­der­sol­da­ten und, ja, Men­schen­fres­ser gewe­sen sind. Sie wun­dert sich über die Schil­der, die das Defä­kie­ren am Strand ver­bie­ten. Erfolg­los, zumal es in den Slums von Mon­ro­via kei­ne Toi­let­ten gibt.

Nach Libe­ria beglei­te­te sie der Kriegs­fo­to­graf Tim, dem die­ses Buch unaus­ge­spro­chen gewid­met ist und von des­sen Per­son es als rotem Faden durch­zo­gen wird. Es han­delt sich um den eigent­li­chen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Tim ­Hethe­ring­ton, einen offen­bar äußerst beein­druckenden Mann, der 2011 im Kugel­ha­gel in Mis­ra­ta, Liby­en, fiel. Tim, mit sei­nem Oxford­englisch und der Ana­log­ka­me­ra, woll­te eigent­lich längst seß­haft wer­den, näm­lich in Lagos, seit eini­ger Zeit bekannt­lich »the place to be«.

Lagos ist die ange­sag­tes­te Stadt Afri­kas. Aus­ge­wan­der­te Nige­ria­ner haben dort min­des­tens eine Zweit­woh­nung, »wobei die schicks­ten und gebil­dets­ten unter ihnen sich jetzt Afro­po­li­ta­ins nann­ten und Roma­ne und Essays dar­über schrie­ben, daß nie­mand noch ernst­haft an die wei­ße Welt in ihrer uner­träg­li­chen Ödnis glau­be, auch wenn sie sich selbst ohne hünen­haf­te Beglei­tung nachts nicht aus dem Haus trau­ten, egal.« Über­haupt: Lagos sei ja jetzt »mehr oder weni­ger über­all«, nur stin­ke Lagos eben nur in Lagos wie Lagos.

Ried­les Buch zu lesen gleicht dem belieb­ten Kin­der­gar­ten­spiel: Hier ist der Sand­kas­ten – fin­de die Schät­ze! Die Mühe ist beträcht­lich, die Schät­ze sind zahl­reich. Wie sie in der Wüs­te Gobi auf die­se über­bor­den­de Zahl an Dschin­gis-Khan-Por­träts trifft, gepin­selt auf Leder­häu­te; Dschin­gis Khan als Rocker, als Quack­sal­ber, als Nach­wuch­s­is­la­mist, und wie sie über­legt, war­um man einen Impe­ria­lis­ten, Völ­ker­mör­der, Ver­ge­wal­ti­ger wohl so ver­ehrt, und ihr der Beglei­ter Temudschin blank ant­wor­tet: »Was hät­test du getan, wenn du Dschin­gis Khan gewe­sen wärst?«

Von Ama­null­ah erfährt sie, daß er den stol­zen Namen eines Königs tra­ge. Ried­le: »Wäh­rend die Söh­ne in Ber­lin mas­sen­haft Finn hie­ßen, als wären sie skan­di­na­vi­sches Knä­cke­brot, beka­men afgha­ni­sche Söh­ne vor­zugs­wei­se Namen von Herr­schern, Hei­li­gen oder Hel­den.« Ein halb­le­ga­ler Porträtfoto­graf (für Aus­wei­se braucht man Fotos, aber ­Moham­med hat nun mal bild­li­che Dar­stel­lun­gen ver­bo­ten) berich­tet, wie die Tali­ban ihn hin und wie­der mit ihren berüch­tig­ten Elek­tro­ka­beln ver­prü­geln, aber sich doch gern in Hel­den­po­se und grell nach­ko­lo­riert ablich­ten lassen.

Neben sol­che Schil­de­run­gen stellt Ried­le die Anwei­sun­gen vom Chef­re­dak­teur am Schreib­tisch: Der spricht von Eth­ni­en statt von Völ­kern, da Volk zu völ­kisch klin­ge. Der will »unser Bewußt­sein deko­lo­ni­sie­ren«. Der möch­te, daß sie mehr über und für Frau­en schrei­be. Der for­dert, sie sol­le auf­hö­ren, »den glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus als Ursa­che allen Übels« zu begrei­fen. Der war mal Lenin-Fan und sam­melt nun Desi­gner­mö­bel. Es fragt sich, war­um Ried­le eine bis­wei­len anstren­gen­de lite­ra­ri­sche Form gewählt hat. Sie schreibt in para­tak­ti­schen Lang­sät­zen, die oft über eine hal­be Sei­te gehen, sie ist absichts­voll red­un­dant. Das hat etwas Hand­ke­sches und etwas von gro­ßem Thea­ter und Blä­hung. Es ist scha­de, denn als rei­ne Repor­ta­gen­samm­lung wäre die­ses – übri­gens biblio­phil gestal­te­te – Werk per­fekt gewesen.

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Gabrie­le Ried­le: In Dschun­geln. In Wüs­ten. Im Krieg. Eine Art Aben­teu­er­ro­man, Ber­lin: Eich­born 2022. 258 S., 44 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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