Ab 2001 bis zu ihrer Kündigung (die 2016 zu einem Medienthema wurde, da Riedle sich mittels eines offenen Briefes empörte) verfaßte sie ungezählte – oft preisgekrönte – Reportagen aus Krisengebieten: etwa aus dem Sudan, Liberia, Tschetschenien, Afghanistan und Libyen.
Diese »Art Abenteuerroman« ist ein künstlerisches (streng könnte man sagen: verkünsteltes) Resümee ihres Unterwegsseins in Zelten, abgewrackten Hotels, nur sogenannten Autos, unter Promigrößen der Auslandsreportage und – doch, so simpel ist es halt – unter Ausländern, die so völlig anders ticken als die deutsche Seele.
Riedle hat ihrem Buch das berühmte Novalis-Zitat aus Heinrich von Ofterdingen vorangestellt: »Wohin gehen wir denn? Immer nach Hause.« Riedle ist eine großartige Beobachterin. Wie so viele andere Leute, die lange und oft in der Fremde unterwegs waren, hat sie ihre Mädchenblütenträume von der Gleichheit aller Menschen längst abgestreift. Ob man heute noch sagen darf (man darf es zweifellos – aber: ohne abgewatscht zu werden), daß man befremdet ist?
Riedle hat häufig dieses Befremdungsgefühl. Am deutlichsten wohl in Liberia, auch wenn kaum zu sagen ist, welche ihrer Schilderungen am nachdrücklichsten sind. In Liberia jedenfalls trifft sie auf fromm-charismatische Pastoren, die in ihrem vorigen, noch nicht bekehrten Leben eiskalte Kindersoldaten und, ja, Menschenfresser gewesen sind. Sie wundert sich über die Schilder, die das Defäkieren am Strand verbieten. Erfolglos, zumal es in den Slums von Monrovia keine Toiletten gibt.
Nach Liberia begleitete sie der Kriegsfotograf Tim, dem dieses Buch unausgesprochen gewidmet ist und von dessen Person es als rotem Faden durchzogen wird. Es handelt sich um den eigentlichen Literaturwissenschaftler Tim Hetherington, einen offenbar äußerst beeindruckenden Mann, der 2011 im Kugelhagel in Misrata, Libyen, fiel. Tim, mit seinem Oxfordenglisch und der Analogkamera, wollte eigentlich längst seßhaft werden, nämlich in Lagos, seit einiger Zeit bekanntlich »the place to be«.
Lagos ist die angesagteste Stadt Afrikas. Ausgewanderte Nigerianer haben dort mindestens eine Zweitwohnung, »wobei die schicksten und gebildetsten unter ihnen sich jetzt Afropolitains nannten und Romane und Essays darüber schrieben, daß niemand noch ernsthaft an die weiße Welt in ihrer unerträglichen Ödnis glaube, auch wenn sie sich selbst ohne hünenhafte Begleitung nachts nicht aus dem Haus trauten, egal.« Überhaupt: Lagos sei ja jetzt »mehr oder weniger überall«, nur stinke Lagos eben nur in Lagos wie Lagos.
Riedles Buch zu lesen gleicht dem beliebten Kindergartenspiel: Hier ist der Sandkasten – finde die Schätze! Die Mühe ist beträchtlich, die Schätze sind zahlreich. Wie sie in der Wüste Gobi auf diese überbordende Zahl an Dschingis-Khan-Porträts trifft, gepinselt auf Lederhäute; Dschingis Khan als Rocker, als Quacksalber, als Nachwuchsislamist, und wie sie überlegt, warum man einen Imperialisten, Völkermörder, Vergewaltiger wohl so verehrt, und ihr der Begleiter Temudschin blank antwortet: »Was hättest du getan, wenn du Dschingis Khan gewesen wärst?«
Von Amanullah erfährt sie, daß er den stolzen Namen eines Königs trage. Riedle: »Während die Söhne in Berlin massenhaft Finn hießen, als wären sie skandinavisches Knäckebrot, bekamen afghanische Söhne vorzugsweise Namen von Herrschern, Heiligen oder Helden.« Ein halblegaler Porträtfotograf (für Ausweise braucht man Fotos, aber Mohammed hat nun mal bildliche Darstellungen verboten) berichtet, wie die Taliban ihn hin und wieder mit ihren berüchtigten Elektrokabeln verprügeln, aber sich doch gern in Heldenpose und grell nachkoloriert ablichten lassen.
Neben solche Schilderungen stellt Riedle die Anweisungen vom Chefredakteur am Schreibtisch: Der spricht von Ethnien statt von Völkern, da Volk zu völkisch klinge. Der will »unser Bewußtsein dekolonisieren«. Der möchte, daß sie mehr über und für Frauen schreibe. Der fordert, sie solle aufhören, »den globalen Kapitalismus als Ursache allen Übels« zu begreifen. Der war mal Lenin-Fan und sammelt nun Designermöbel. Es fragt sich, warum Riedle eine bisweilen anstrengende literarische Form gewählt hat. Sie schreibt in parataktischen Langsätzen, die oft über eine halbe Seite gehen, sie ist absichtsvoll redundant. Das hat etwas Handkesches und etwas von großem Theater und Blähung. Es ist schade, denn als reine Reportagensammlung wäre dieses – übrigens bibliophil gestaltete – Werk perfekt gewesen.
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Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman, Berlin: Eichborn 2022. 258 S., 44 €
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