Inflationäres

von Bernard Udau -- PDF der Druckfassung aus Sezession 109/ August 2022

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Wenn stei­gen­de Prei­se die Erspar­nis­se der Bür­ger auf­fres­sen, läßt ein bestimm­ter Vor­wurf nicht lan­ge auf sich war­ten: Es sei die Gier nach Gewin­nen, wel­che die Unter­neh­men die Prei­se anhe­ben las­se. Am 10. Juni die­ses Jah­res deu­te­te sogar US-Prä­si­dent Joe Biden an, daß es die Gier der Kon­zer­ne sei, wel­che die aktu­ell stei­gen­den Ener­gie­prei­se erkläre.

Nun ist das mit der Gier so eine Sache. Sie ist inner­halb der Markt­wirt­schaft eigent­lich sys­tem­im­ma­nent. Adam Smith wies schon 1776 dar­auf hin, daß es nicht die Wohl­tä­tig­keit des Metz­gers oder des Bäckers sei, die für unser Abend­essen sorgt, son­dern die Tat­sa­che, daß sie Gewin­ne machen wol­len. Es ist ver­ständ­lich, daß ein Wirt­schafts­sys­tem, das auf der Gier der Men­schen auf­baut, die Fra­ge auf­wirft, ob es lang­fris­tig gut für die mensch­li­che See­le und das Gemein­schafts­le­ben sein kann.

Etwas eigen­ar­tig mutet es jedoch an, wenn die Gier für stei­gen­de Prei­se ver­ant­wort­lich gemacht wird. Sind die Unter­neh­mer im Jah­re 2022 gie­ri­ger als im Jah­re 2020? Waren sie 1923 so gie­rig wie nie­mals zuvor und nie­mals danach in der deut­schen Geschich­te? Eine sol­che Behaup­tung wür­de uns dann doch ziem­lich eigen­ar­tig vorkommen.

Was steckt also hin­ter den stei­gen­den Prei­sen? Hier gibt zunächst ein­mal das Wort »Infla­ti­on« Aus­kunft. Das latei­ni­sche Verb »infla­re« bedeu­tet auf­blä­hen oder auf­bla­sen. Wenn man einen Blick in die Geschich­te wirft, dann stellt man fest, daß Zei­ten star­ker Teue­rung regel­mä­ßig beglei­tet waren von einem Auf­blä­hen der Geld­men­ge. Es dürf­te bekannt sein, daß die gro­ße deut­sche Teue­rung des Jah­res 1923, als Brot und Eier zuletzt Mil­li­ar­den­be­trä­ge kos­te­ten, mit einer mas­si­ven Aus­deh­nung der Geld­men­ge ein­her­ging. Wer kennt nicht die Bil­der von Kin­dern, die mit rum­flie­gen­den Geld­schei­nen spie­len? Zwi­schen August 1922 und Novem­ber 1923 stieg die Geld­men­ge von 190 Mil­li­ar­den auf 400 Tril­lio­nen Mark! (1)

War­um führt eine Infla­ti­on der Geld­men­ge eigent­lich zu Preis­stei­ge­run­gen? Dies läßt sich recht schnell beant­wor­ten. Wenn ein­zel­ne oder vie­le Men­schen mehr Geld in der Tasche haben, wer­den sie sich davon auch etwas kau­fen wol­len. Die Nach­fra­ge wächst also durch eine Geldmengen­erhöhung, das Ange­bot an Waren bleibt jedoch gleich. Auf eine sol­che über­schüs­si­ge Nach­fra­ge reagiert der Markt unter nor­ma­len Umstän­den mit stei­gen­den Prei­sen. Je mehr die Geld­men­ge wächst, des­to höher wird die Nach­fra­ge und des­to stär­ker und schnel­ler wird die Teuerung.

Inter­es­sant ist nun zunächst die Fra­ge, was denn über­haupt so pro­ble­ma­tisch dar­an ist, wenn die Geld­men­ge wächst und die Prei­se stei­gen. An die­ser Stel­le lohnt es sich, einen Blick in die Schrif­ten der intel­lek­tu­el­len Grün­dungs­vä­ter der deut­schen Wirt­schafts­ord­nung zu wer­fen. Die Ordo­liberalen um den Frei­bur­ger Öko­no­men Wal­ter Eucken kämpf­ten nach dem Krieg für die Ein­rich­tung der Sozia­len Markt­wirt­schaft. Sie plä­dier­ten für Markt und Wett­be­werb als Ord­nungs­prin­zi­pi­en der Wirtschaft.

Aller­dings mein­ten die Ordo­li­be­ra­len, der Markt kön­ne und sol­le sich nicht selbst über­las­sen wer­den. Damit sich die Markt­wirt­schaft nicht sel­ber zer­stö­re, müs­se der Staat dafür sor­gen, daß Wett­be­werb zwi­schen den Unter­neh­men her­ge­stellt und auf­recht­erhal­ten wer­de. (2) Das Grund­prin­zip der Wirt­schafts­po­li­tik müs­se es sein, »die Her­stel­lung eines funk­ti­ons­fä­hi­gen Preis­sys­tems voll­stän­di­ger Kon­kur­renz zum wesent­li­chen Kri­te­ri­um jeder wirt­schafts­po­li­ti­schen Maß­nah­me« zu machen. (3)

Die wich­ti­ge gesell­schaft­li­che Auf­ga­be der Prei­se sei es, die Knapp­heit der Res­sour­cen wider­zu­spie­geln und den Wirt­schafts­pro­zeß dem­entspre­chend so zu len­ken, daß die vor­han­de­nen Res­sour­cen aus Sicht der Ver­brau­cher mög­lichst den wich­tigs­ten Ver­wen­dun­gen zuge­führt wer­den. Wenn das Preis­sys­tem funk­tio­niert, dann ist nach die­ser Auf­fas­sung das Auf­tre­ten von Gewin­nen gleich­be­deu­tend mit einer Ver­bes­se­rung der Res­sour­cen­ver­tei­lung. Die Gier wird sozu­sa­gen ein­ge­hegt – je mehr Gewin­ne ein Unter­neh­men macht, des­to bes­ser für die Gesellschaft.

Inter­es­sant für unser The­ma ist nun, auf wel­che Wei­se sich die­ses funk­ti­ons­fä­hi­ge Preis­sys­tem her­stel­len läßt. Eucken nennt an ers­ter Stel­le einen sta­bi­len Geld­wert. Er spricht vom »Pri­mat der Währungspolitik«(4): »Alle Bemü­hun­gen, eine Wett­be­werbs­ord­nung zu ver­wirk­li­chen, sind umsonst, solan­ge eine gewis­se Sta­bi­li­tät des Geld­wer­tes nicht gesi­chert ist«. (5)

Die­se Bemer­kung Euckens ver­deut­licht die zen­tra­le Rol­le einer sta­bi­len Wäh­rung für die Markt­wirt­schaft. Eine Ver­än­de­rung des Geld­wer­tes durch Infla­ti­on zer­stö­re den Zusam­men­hang zwi­schen den Prei­sen einer­seits und der Knapp­heit der Res­sour­cen ande­rer­seits und berau­be das Preis­sys­tem damit der Fähig­keit, den Wirt­schafts­pro­zeß zurei­chend zu len­ken. Durch Geld­wert­än­de­run­gen wer­de die Wirt­schafts­rech­nung der Unter­neh­men ver­fälscht. In Euckens Wor­ten »ent­ste­hen Gewin­ne, die sich nicht aus der zutref­fen­den Len­kung des Wirt­schafts­pro­zes­ses, son­dern aus der Infla­ti­on erge­ben«. (6) Unter­neh­men, die unter die­sen Umstän­den ihren Gewinn maxi­mie­ren, tra­gen zu einer mas­sen­haf­ten Ver­schwen­dung der Res­sour­cen bei.

Nun stellt sich natür­lich die Fra­ge: Wenn Geld­ver­meh­rung so schäd­lich ist, war­um ist sie in der Geschich­te immer wie­der auf­ge­tre­ten? Wie so oft, hilft auch hier die Suche nach dem »Cui bono?« wei­ter. In der vor­mo­der­nen Zeit, ehe wir ein auf Kre­dit basie­ren­des Geld­sys­tem hat­ten, trat Geld­in­fla­ti­on zumeist als Münz­ver­schlech­te­rung auf. Wenn Herr­scher, Städ­te oder Staa­ten mehr Geld brauch­ten, aber kei­nes über Besteue­rung oder Lei­he erwer­ben konn­ten, lie­ßen sie min­der­wer­ti­ge Mün­zen aus­prä­gen. Meis­tens ging es dar­um, Krie­ge zu finan­zie­ren. Eine Sil­ber­mün­ze, die offi­zi­ell zehn Gramm Sil­ber ent­hielt, wur­de dann schritt­wei­se aus nur noch sie­ben, fünf, drei oder 0,5 Gramm Sil­ber her­ge­stellt und mit einem min­der­wer­ti­gen Metall wie Kup­fer aufgefüllt.

Auf die­se Wei­se konn­ten aus der glei­chen Men­ge Sil­ber mehr Mün­zen her­ge­stellt wer­den und die ver­ant­wort­li­chen Herr­scher sich dem­entspre­chend mehr leis­ten. Sie konn­ten mit dem zusätz­lich geschaf­fe­nen Geld auf die Res­sour­cen ihrer Bür­ger zurück­grei­fen, ohne sie ihnen auf offi­zi­el­lem Weg weg­neh­men zu müs­sen. Die Infla­ti­on der Geld­men­ge ist also schlicht und ergrei­fend ein Instru­ment der Umverteilung.

Aus der deut­schen Geschich­te sind in die­sem Zusam­men­hang die »Zeit der Schin­der­lin­ge« (um 1460) und die »Kip­per- und Wip­per­zeit« (um 1620) zu nen­nen. (7) Wer das Pri­vi­leg oder (wie Fäl­scher) ein­fach nur die Fähig­keit hat, bil­lig Geld her­zu­stel­len, kann in die Tasche sei­ner Mit­bür­ger grei­fen, ohne daß die­se es mer­ken. Sie bekom­men es erst über die stei­gen­den Prei­se der Güter zu spü­ren, d. h. über die Tat­sa­che, daß sie sich von ihrem Ein­kom­men und ihrem Erspar­ten immer weni­ger leis­ten können.

Die Zeit der Metall­wäh­run­gen und Münz­ver­schlech­te­run­gen liegt mitt­ler­wei­le lan­ge zurück. Geld besteht heu­te nicht mehr aus wert­vol­lem Mate­ri­al, son­dern es wird auf Papier gedruckt oder per Knopf­druck aus dem Nichts auf ein Kon­to gezau­bert. Man bezeich­net es daher auch als Fiat­geld, abge­lei­tet von dem latei­ni­schen Wort »fiat« für »Es wer­de!« oder »Es geschehe!«.

Im Regel­fall ent­steht Geld dabei nicht völ­lig will­kür­lich. Es ist nicht so, daß sich die Bun­des­re­gie­rung ein­fach sel­ber Mil­li­ar­den­be­trä­ge aus dem Nichts aufs Kon­to über­wei­sen könn­te. Statt des­sen haben sich Insti­tu­tio­nen her­aus­ge­bil­det, die offi­zi­ell die Auf­ga­be haben, einer­seits die Wirt­schaft mit die­sem kos­ten­los her­stell­ba­ren Geld zu ver­sor­gen, ande­rer­seits aber sicher­zu­stel­len, daß es dabei nicht zu einer Teue­rung kommt. Man nennt die­se Insti­tu­tio­nen Zentralbanken.

Zen­tral­ban­ken ver­schen­ken das von ihnen aus dem Nichts geschaf­fe­ne Geld nicht ein­fach. Sie ver­lei­hen es. Sie lei­hen es an Geschäfts­ban­ken, die es ihrer­seits als Grund­la­ge für Kre­di­te an Unter­neh­men und Bür­ger ver­wen­den. Manch­mal ver­lei­hen Zen­tral­ban­ken das Geld auch direkt an Staa­ten oder Unter­neh­men, indem sie Anlei­hen oder ähn­li­che Wert­pa­pie­re kau­fen. Ins­be­son­de­re der Kauf von Staats­an­lei­hen wird jedoch häu­fig kri­ti­siert, da Zen­tral­ban­ken nach weit­ver­brei­te­ter Mei­nung unab­hän­gig von der Poli­tik sein müs­sen, wenn sie für Geld­wert­sta­bi­li­tät sor­gen sol­len. Laut Arti­kel 123 des Ver­tra­ges über die Arbeits­wei­se der Euro­päi­schen Uni­on ist es weder der Euro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB) noch der Bun­des­bank erlaubt, Staats­an­lei­hen zu kaufen.

Zu einer Aus­deh­nung der Geld­men­ge und mas­si­ven Teue­run­gen kommt es auch in moder­nen Geld­sys­te­men zumeist dann, wenn Staa­ten in Not gera­ten und sie die Zen­tral­ban­ken direkt oder indi­rekt für ihre Zwe­cke ein­span­nen. Ein Bei­spiel ist die gro­ße deut­sche Infla­ti­on des Jah­res 1923. Tat­säch­lich war die deut­sche Reichs­bank im Mai 1922 nach dem Vor­bild der Bank von Eng­land ein offi­zi­ell von der Reichs­re­gie­rung unab­hän­gi­ges Insti­tut gewor­den. Trotz­dem blieb ihr nichts ande­res übrig, als die Reichs­re­gie­rung mehr oder weni­ger direkt zu finanzieren.

Die Ver­pflich­tun­gen, die der Ver­trag von Ver­sailles Deutsch­land auf­bür­de­te, wären ohne Unter­stüt­zung der Reichs­bank schon viel frü­her nicht mehr zu leis­ten gewe­sen. Eine Ein­stel­lung der Repa­ra­ti­ons­zah­lun­gen muß­te aber um jeden Preis ver­hin­dert wer­den, denn wie die Ruhr­be­set­zung zeig­te, war Frank­reich bereit, sei­ne For­de­run­gen auch mit Gewalt durch­zu­set­zen. Die Reichs­bank lieh der Regie­rung also fort­wäh­rend Geld, indem sie ihr Staats­an­lei­hen im gro­ßen Stil abkaufte.

Am 15. Novem­ber 1923 befan­den sich von der Gesamt­men­ge an dis­kon­tier­ten Schatz­an­wei­sun­gen in Höhe von 191,5 Tril­lio­nen Mark gan­ze 189,8 Tril­lio­nen in der Hand der Reichs­bank. Kurz, die Reichs­bank druck­te Geld, um damit das in Geld­not gera­te­ne Reich zu stüt­zen. (8) Die Ver­pflich­tun­gen aus dem Ver­sailler Ver­trag konn­ten auf die­se Wei­se übri­gens nicht dau­er­haft erfüllt wer­den. Der »Erfolg« bestand viel­mehr in einer furcht­ba­ren Zer­rüt­tung der Wäh­rung und der deut­schen Wirt­schaft sowie in der Ver­nich­tung der Erspar­nis­se und des Mittelstands.

Ähn­li­che Zusam­men­hän­ge las­sen sich in der Gegen­wart beob­ach­ten. Auch die EZB wird seit über zehn Jah­ren dazu benutzt, in Not gera­te­ne Staa­ten dadurch zu unter­stüt­zen, daß sie ihnen stän­dig neu­ge­schaf­fe­nes Geld leiht. Es han­delt sich dabei vor allem um die Län­der Ita­li­en, Spa­ni­en, Por­tu­gal und Grie­chen­land. Ohne die Inter­ven­tio­nen der EZB, ohne die Ret­tungs­schir­me und die Anlei­hen­auf­kauf­pro­gram­me hät­ten die­se Län­der ihre Schul­den nicht mehr bedie­nen kön­nen und wären plei­te gegan­gen. Der ehe­ma­li­ge grie­chi­sche Finanz­mi­nis­ter Yanis Varou­fa­kis weist aller­dings nicht zu Unrecht dar­auf hin, daß es bei die­sen Ret­tungs­ak­tio­nen nicht nur um die genann­ten Staa­ten geht, son­dern auch um die Ban­ken und ande­re Finanz­markt­ak­teu­re, die deren Staats­an­lei­hen hal­ten und vor einem mas­si­ven Wert­ver­lust bewahrt wer­den sol­len. (9)

Daß sich die Teue­rung im Euro­raum bis vor kur­zem trotz­dem eini­ger­ma­ßen in Gren­zen hielt, hat meh­re­re Grün­de. Zunächst ein­mal muß man sagen, daß die EZB nicht ein­fach nur platt mehr Geld geschaf­fen hat. Vor allem hat sie die Aus­ga­be von Geld ver­la­gert. Seit der Euro­kri­se wur­de Geld vor­nehm­lich in den süd­eu­ro­päi­schen Län­dern in Umlauf gebracht, indem dort Geld zu laxen Kon­di­tio­nen an die Geschäfts­ban­ken oder direkt an die Unter­neh­men und die Staa­ten ver­lie­hen wur­de. In sta­bi­len Län­dern wie Deutsch­land wur­de im Gegen­zug deut­lich weni­ger Geld aus­ge­ge­ben. (10)

Man könn­te sagen, daß die EZB in Süd­eu­ro­pa die Geld­men­ge rela­tiv aus­ge­dehnt, in Nord­eu­ro­pa dage­gen rela­tiv ver­rin­gert hat. Dadurch wur­de zwar das Preis­sys­tem gestört, wie von Eucken betont, ins­be­son­de­re die Zin­sen wur­den völ­lig ver­fälscht, aber zu all­zu gro­ßen Preis­stei­ge­run­gen kam es nicht. Statt des­sen fand und fin­det eine Umver­tei­lung der Res­sour­cen vom Nor­den, ins­be­son­de­re Deutsch­land, in den Süden Euro­pas statt, deren Aus­maß sich an den soge­nann­ten Tar­get-2-Sal­den able­sen läßt. Inzwi­schen (Stand Mai 2022) hat Deutsch­land aus die­sen Sal­den For­de­run­gen in Höhe von 1,16 Bil­lio­nen Euro an das Euro­sys­tem aufgebaut.

Ein wei­te­rer Grund für die gerin­ge Teue­rung der letz­ten Jah­re ist, daß viel Geld gehor­tet wur­de. Die EZB hat den von ihr direkt kon­trol­lier­ten Teil der Geld­men­ge zwi­schen Mit­te 2008 und Sep­tem­ber 2021 fast ver­sie­ben­facht. Die Geschäfts­ban­ken haben die­ses Geld aber wegen des feh­len­den Ver­trau­ens in die Sta­bi­li­tät der Wirt­schaft größ­ten­teils nicht an ihre Kun­den wei­ter­ge­ge­ben, son­dern gehor­tet, so daß die tat­säch­lich umlau­fen­de Geld­men­ge nur mode­rat ange­stie­gen ist. Der soge­nann­te Geld­über­hang betrug daher im Sep­tem­ber 2021 ca. fünf Bil­lio­nen Euro. (11)

Hin­zu kommt, daß die Teue­rung wohl unter­schätzt wird, da sie offi­zi­ell mit dem Har­mo­ni­sier­ten Ver­brau­cher­preis­in­dex gemes­sen wird, der vie­le Güter nicht ent­hält, deren Prei­se über­durch­schnitt­lich ange­stie­gen sind (Immo­bi­li­en und Akti­en). (12) Kom­men wir nun zum schwie­rigs­ten Teil der Unter­su­chung: Was ist eigent­lich der Grund für den der­zei­ti­gen Preis­an­stieg? Im Mai 2022 waren die Prei­se 7,9 Pro­zent höher als im Vor­jah­res­mo­nat. Vor allem die Prei­se für Nah­rungs­mit­tel (+ 11,1 Pro­zent) und Ener­gie (+ 38,3 Pro­zent) sind stark angestiegen.

In die­sem Arti­kel habe ich bis­her streng zwi­schen den bei­den Begrif­fen der (Geld-)Inflation und der Teue­rung unter­schie­den. Der Grund dafür ist, daß es auch ande­re Ursa­chen für Teue­rung geben kann als eine Erhö­hung der Geldmenge.

Wenn Res­sour­cen all­ge­mein knap­per wer­den, zumeist wegen Natur­ka­ta­stro­phen oder Krie­gen, dann zeigt ein funk­tio­nie­ren­des Preis­sys­tem durch stei­gen­de Prei­se an, daß sich die Men­schen von ihrem Ein­kom­men weni­ger leis­ten kön­nen. Die Teue­rung ist dann ein wich­ti­ges und gesun­des Signal an die Markt­teil­neh­mer: Über­legt euch gut, wofür ihr euer Geld aus­ge­ben wollt, und strengt euch an, damit die Zei­ten wie­der bes­ser werden.

Zumin­dest der Aus­lö­ser der aktu­el­len Preis­stei­ge­run­gen läßt sich sicher­lich auf der­ar­ti­ge Ent­wick­lun­gen zurück­füh­ren. Die Ener­gie­wen­de, der Kon­flikt in der Ukrai­ne, vor allem aber die welt­wei­ten Coro­na-Maß­nah­men tra­gen dazu bei, daß vie­le Waren knap­per und damit teu­rer wer­den. Wenn Deutsch­land gleich­zei­tig aus der Atom- und der Koh­le­en­er­gie aus­steigt und oben­drein die Gas­lie­fe­run­gen aus Ruß­land dros­selt, dann ist der Anstieg der Prei­se für Ener­gie sowie der damit zusam­men­hän­gen­den Waren (und das sind eigent­lich alle) kei­ne Infla­ti­on, son­dern die gesun­de Reak­ti­on des Preis­sys­tems auf die Tat­sa­che, daß wir spar­sam mit Ener­gie umge­hen soll­ten. Ähn­li­ches gilt für die Preis­stei­ge­run­gen, die durch die Hafen­sper­run­gen in Chi­na und die dar­aus fol­gen­den Lie­fer­eng­päs­se ver­ur­sacht wurden.

Jedoch leis­tet auch die immer stär­ker anzie­hen­de Geld­ver­meh­rung ihren Bei­trag zum aktu­el­len Preis­an­stieg. Vor allem aber für die nächs­ten Mona­te und Jah­re ist zu erwar­ten, daß sich die­ser Effekt noch deut­lich ver­stär­ken wird. Ins­be­son­de­re ist damit zu rech­nen, daß sich die Geld­hor­te auf­lö­sen wer­den. Wenn die Prei­se wei­ter anstei­gen wer­den, ergibt es weder für Ban­ken noch für Pri­vat­per­so­nen Sinn, wei­ter­hin Geld zu hor­ten, da es ja fort­wäh­rend an Wert ver­liert. Der Geld­über­hang von fünf Bil­lio­nen Euro wird in Form von Kre­di­ten in die Wirt­schaft flie­ßen und dort die Nach­fra­ge mas­siv ankur­beln. Die Geld­in­fla­ti­on durch die EZB wird nun also mit einer Ver­zö­ge­rung ihre Wir­kung ent­fal­ten, und die bis­her weit­ge­hend aus­ge­blie­be­ne Teue­rung wird nach­ge­holt werden.

Unter die­sen Umstän­den wird es nicht nur zu noch stär­ke­rer Umver­tei­lung kom­men – ver­mut­lich wie­der von Deutsch­land in ande­re Län­der –, son­dern es wird auch der Len­kungs­me­cha­nis­mus des Preis­sys­tems immer stär­ker beein­träch­tigt wer­den. Mit fata­len Fol­gen für die Wirt­schaft. Das Gebot der Stun­de wären eine Anhe­bung der Zin­sen und eine Ver­knap­pung der Geld­men­ge. Es wäre aller­dings über­ra­schend, wenn das in aus­rei­chen­dem Maße gesche­hen würde.

– – –

(1) – Vgl. Con­stan­ti­no ­Bre­scia­ni-Tur­ro­ni: The Eco­no­mics of Infla­ti­on, Aub­urn (AL) 2007, S. 440.

(2) – Wal­ter Eucken: Grund­sät­ze der Wirt­schafts­po­li­tik, Tübin­gen 72004.

(3) – Ebd., S. 254.

(4) – Ebd., S. 255.

(5) – Ebd., S. 256.

(6) – Ebd.

(7) – Vgl. Richard Gaet­tens: Infla­tio­nen, Mün­chen 1955, ­Kapi­tel 2 und 4.

(8) – Vgl. Gaet­tens: Infla­tio­nen, Kapi­tel 11.

(9) – Vgl. Yanis Varou­fa­kis: Beschei­de­ner Vor­schlag zur Lösung der Euro­kri­se, Mün­chen 2015, S. 6 f.

(10) – Vgl.Hans-Werner Sinn: »Fast 1000 Mil­li­ar­den Tar­get-For­de­run­gen der Bun­des­bank: Was steckt dahin­ter?«, in: ifo Schnell­dienst 14 / 2018, S. 28 f.

(11) – Vgl. Hans-Wer­ner Sinn: Die wun­der­sa­me Geld­ver­meh­rung, Frei­burg i. Br. et al. 2021, S. 109 und 218.

(12) – Vgl. Karl-Fried­rich ­Isra­el, Gun­ther Schnabl: Alter­na­ti­ve Mea­su­res of Pri­ce Infla­ti­on and the Per­cep­ti­on of Real Inco­me in Ger­ma­ny – CESi­fo Working Paper No. 8583 (2020).

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