Der Ablauf der Geschichte selbst war es, der alle geschichtsphilosophischen Ansätze in nichts zusammenfallen ließ, die – wie die Aufklärungsphilosophie, der Positivismus oder der Marxismus – von dem unaufhaltsamen Weg des „guten“ Menschen in eine immer schönere Zukunft ausgingen. Alle diese Deutungsmodelle sind vom Sturm der Ereignisse, die sie zu interpretieren wähnten, hinweggefegt worden. Wie hohl klingen heute die menschheitsbeglückenden Verheißungen etwa des französischen Aufklärungsphilosophen Condorcet: „Es kommt der Tag, da die Sonne nur noch auf eine Welt freier Menschen herabscheint, die keinen Herrn anerkennen als die eigene Vernunft. Dann werden Tyrannen und Sklaven, Priester und ihre verdummten Werkzeuge nur noch in der Geschichte und auf der Bühne vorkommen.“
Weitaus besser stehen nach Ablauf dieses katastrophalen Jahrhunderts jene Geschichtsdenker da, die – von Tacitus über Machiavelli bis Gehlen – die Natur des Menschen pessimistischer und damit offenbar realistischer eingeschätzt haben und nicht der Versuchung erlegen sind, Richtung und Ziel des historischen Geschehens präzisieren zu wollen. Wie wohltuend wirkt vor dem Hintergrund zahlloser ideologisch bestimmter Geschichtsdeutungen etwa die Lektüre eines Jacob Burckhardt – nicht obwohl, sondern weil er keine Axiome gelten ließ außer dem historischen Kontinuum selbst.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang aber auch solche geschichtsphilosophischen Systeme, die erst während des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Als die mit Abstand wichtigsten Entwürfe sind hier Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes und Arnold J. Toynbees A Study of History zu nennen, beide aus der besonders turbulenten Zeit der Weltkriege stammend. Spenglers Werk liegt zwar im wesentlichen bereits 1912 vor, erscheint aber erst nach dem Ersten Weltkrieg, während Toynbee vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt.
Die epochale Bedeutung beider Werke liegt nicht in der großen Wirkung, die sie ausgeübt haben, nicht einmal vorrangig in ihrer inhaltlichen Aussage, sondern vor allem in dem methodischen Zugriff. Erstmals wird hier nicht nur das progressive Erklärungsmodell, seit der Aufklärung praktisch ein geschichtsphilosophisches Dogma, prinzipiell in Frage gestellt, es wird darüber hinaus die Möglichkeit, die Menschheitsentwicklung im linearen Sinne zu beschreiben, grundsätzlich ausgeschlossen. An die Stelle der linearen tritt bei beiden Autoren die zyklische Geschichtsdeutung, die – im Altertum weit verbreitet – seit der Spätantike keine Rolle mehr gespielt hat, wenn man davon absieht, daß sie außerhalb des engeren Bereichs der Geschichte in der deutschen Klassik, besonders von Hölderlin, und dann vor allem von Nietzsche („Ewige Wiederkehr“) neu belebt worden war.
Das lineare Geschichtsmodell geht darauf zurück, daß nach christlicher Auffassung alles menschliche Geschehen in den göttlichen Heilsplan eingebettet ist; es setzt sich daher mit dem Sieg des Christentums im weströmischen Reich während des 4. Jahrhunderts allmählich durch und gewinnt während des Mittelalters kanonische Bedeutung. Danach hat alle Menschengeschichte einen Anfang: den Schöpfungsakt Gottes, und ein Ziel: das Jüngste Gericht und das ewige Leben der als gerecht Befundenen im Paradies. Nicht nur die wesentlichen heilsgeschichtlichen Vorgänge, der Sündenfall, die Menschwerdung Gottes und der Erlösungstod und die erwartete Wiederkehr Christi, sonders alles Geschehen überhaupt läßt sich damit im linearen Sinne interpretieren: Richtung und Ziel der Weltgeschichte sind eindeutig definiert.
Es ist das Verdienst von Karl Löwith, deutlich gemacht zu haben, daß nicht nur die mittelalterliche Geschichtsphilosophie, sondern auch die der Neuzeit auf diesem christlichen Heilsdogma beruht. In seinem bald nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Buch Weltgeschichte und Heilsgeschehen weist er nach, daß sich alle bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten geschichtsphilosophischen Systeme von dem heilsgeschichtlichen Grundmuster herleiten, auch wenn sie, wie seit dem 18. Jahrhundert zunehmend der Fall, eine ausgesprochen antichristliche Tendenz aufweisen. Besonders deutlich wird dies beim Marxismus, der genau wie das Christentum ein ursprüngliches Paradies, einen Sündenfall – den Übergang zum Privateigentum –, eine Menschheitserlösung – die Weltrevolution der Arbeiterklasse – und ein freilich irdisches Paradies kennt, von den vergleichbaren äußeren Formen, in denen sich dieser Glaube darstellt, ganz abgesehen (Helden- und Märtyrerverehrung, Exkommunikation“ von Abweichlern, „heilige Texte“, Prozessionen in Form von Massenaufmärschen).
Die Geschichtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts, wie sich im einzelnen besonders bei Voltaire, Rousseau, Condorcet, Herder oder Hegel zeigen ließe, stellt folglich in ihrem Kern die säkularisierte Variante des christlichen Heilsmodells dar – freilich mit einem bezeichnenden Unterschied. Hatte das Christentum eine durchaus realistische Vorstellung von der naturgegebenen Schwäche des Menschen, seiner „Sündhaftigkeit“, so geht man seit der Aufklärung immer mehr zu der Vorstellung über, daß der Mensch von Natur gut ist und daß, schaltet man die traditionellen Autoritäten aus, seiner permanenten Aufwärtsentwicklung im äußerlich-materiellen, aber auch im geistig-moralischen Sinne nichts entgegensteht. Die logische Folge ist eine entschieden progressive Wendung des weiterhin linear verstandenen Geschichtsablaufs – der „Fortschritt“ in allen Lebensbereichen wird zum Credo nicht nur von Literaten und Politikern, sondern von breiten Bevölkerungsschichten. Dabei erliegt das aufstrebende Bürgertum der Faszination des tatsächlichen Fortschritts, der ja etwa in Wissenschaft und Technik, Medizin und Kommunikation nicht zu leugnen ist, und überträgt die Fortschrittsidee auch auf den geistig-moralischen und den politischen Bereich. Das Ziel der säkularen Heilserwartung steht außer Frage: die Menschheit wird sich zu immerlichteren Höhen hinaufentwickeln.
Wie eine Bombe mußte hier Spenglers These einschlagen, daß es eine Menschheit in diesem Sinne gar nicht gebe („Kenntnis auch nur der allgemeinsten Geschichte dieser Welt ist für alle Zeiten unmöglich“), daß sich vielmehr jeweils untereinander nicht verbundene Kulturkreise entwickelten, und zwar nach der Art organischer Wesen, daß jeder dieser Kulturkreise eine Frühzeit, eine Zeit höchster Blüte und eine Spätzeit habe, nach etwa eintausendjähriger Dauer aber unwiderruflich zugrunde gehe. Die abendländische Kultur, so schließt Spengler aus der vergleichenden Betrachtung „gleichzeitiger“ Phasen anderer Kulturen, wird dieses Schicksal ab Beginn des dritten Jahrtausends erleiden, um dann wie alle anderen in die Phase der „Zivilisation“ überzugehen. In dieser Zeit zählen nur noch funktionale Intelligenz, Technik und Geld, während alle produktiven Kräfte des Lebens – Kunst, Kultur im engeren Sinne und jede eigenständige schöpferische Leistung – erloschen sind.
Alle Kulturen durchlaufen nach Spengler einen Frühling (in der antiken Kultur die Zeit zwischen Homer und Hesiod, in der abendländischen die germanische Frühzeit und das Hochmittelalter), einen Sommer (Vorsokratiker, Pythagoräer – Reformation, cartesianisches Zeitalter), einen Herbst (Sophisten, Plato, Aristoteles – Aufklärung, Goethe, Hegel) und einen Winter (Hellenismus, Stoizismus – Darwin, Marx, Nietzsche). Dabei bilden sie während der jeweils parallelen Epochen in Kunst, Wissenschaft und Politik verwandte, gleichwohl kulturspezifische Formen, Inhalte und Abläufe aus (zum Beispiel Dorik „gleichzeitig“ mit Gotik, griechische Geometrie mit moderner Infinitesimalmathematik, Stoizismus mit Sozialismus). Nach dem „Klimakterium“ der jeweiligen Kultur folgt jedoch unvermeidbar das Zeitalter des kulturlosen Fellachentums, der „Plebejermoral“ und des Nihilismus: „Sie predigen das Evangelium der Menschlichkeit, aber es ist die Menschlichkeit des intelligenten Stadtmenschen … der die Kultur satt hat, dessen reine, nämlich seelenlose Vernunft nach einer Erlösung von ihr und ihrer gebietenden Form sucht … Die Heraufkunft des Nihilismus … ist keiner der großen Kulturen fremd. Sie gehört mit innerster Notwendigkeit zum Ausgang dieser unzähligen Organismen.“
Auch bei Toynbee tritt an die Stelle der linearen Geschichtsbetrachtung die zyklische. A Study of History stellt den Werdegang von 21 Kulturen dar, die alle ihre Geburt, ihr Wachstum, ihren Niedergang und ihren Zerfall erleben. Die Entstehung einer Kultur vollzieht sich dabei stets nach dem Prinzip von challenge and response: Für eine größere Menschengruppe ergibt sich eine besondere Herausforderung äußerer Natur, der man in schöpferischer Weise begegnet, wodurch die Kräfte geweckt werden, die dann in der Folgezeit den Gang der betreffenden Kultur bestimmen. So besteht die Herausforderung, die zur Entstehung der ägyptischen Kultur führt, in der jährlichen Nilschwemme, die nicht nur eine leistungsfähige Landwirtschaft und einen entsprechenden Handel hervorbringt, sondern im Zusammenhang mit der Bewältigung der sich alljährlich stellenden Aufgaben auch die Entwicklung der Schrift, der Wissenschaft (Geometrie, Astronomie), der Administration und der Staatsorganisation anstößt. In gleicher Weise bildet nach Toynbee die Weite des Meeres um die Insel Kreta die Herausforderung für die Entwicklung der minoischen Kultur (als Folge Entstehung von Flotte, Handel und Kulturaustausch), während die Geburt der griechischen Kultur mit den außerordentlich unfruchtbaren Böden Attikas zusammenhängt, auf denen nur die Olive gedeiht; wegen der einseitigen landwirtschaftlichen Produktion werden Handwerker, in erster Linie Töpfer, und Händler für den Vertrieb des Olivenöls benötigt, so daß sich schließlich eine Siedlung mit Fernhandel und Flotte, die Polis Athen, bildet.
Die einzelnen Kulturen entwickeln sich bei Toynbee nicht so isoliert voneinander wie bei Spengler, vielmehr gibt es mannigfache Beziehungen zwischen ihnen, auch Mutter- und Tochterkulturen. Wie Spengler geht jedoch auch Toynbee von der Parallelität bestimmter innerlich verwandter Entwicklungsphasen aus. So fällt jeweils in die Epoche des Niedergangs eine „Zeit der Wirren“, in die des Zerfalls das „Zeitalter der Großstaaten“. Auch Toynbees Kulturen, die er „Gesellschaftskörper“ nennt, enden in Sterilität, wenngleich diese sich nicht so extrem darstellt wie bei Spengler: „Ein Versagen der schöpferischen Kraft in der Minderheit, als Antwort darauf ein Rückgang der Nachahmung auf seiten der Mehrheit und ein sich daraus ergebender Verlust der sozialen Einheit im Gesellschaftskörper als ganzem.“ Schließlich wird das Proletariat tonangebend – auch das „innere Proletariat“, das sich durchaus mit dem Besitz materieller Güter verträgt: „Der wahre Stempel des Proletariertums ist weder Armut noch niedrige Geburt, sondern das Bewußtsein … seines Platzes in der Gesellschaft beraubt … zu sein sowie das Ressentiment, das dieses Bewußtsein einflößt.“
Betrachtet man aus dem kritischen Abstand, den die seither vergangenen Jahrzehnte gestatten, die beiden geschichtsphilosophischen Werke unter formalen, inhaltlichen und methodologischen Gesichtspunkten, so wird zunächst, wie nicht anders zu erwarten, eine gewisse Zeitgebundenheit der Autoren deutlich Toynbee polemisiert wiederholt gegen „Militarismus“ und „Rassismus“ und verweist damit auf die Entstehungszeit seines Buches, übrigens auch dadurch, daß er dem British Commonwealth noch einen hohen Stellenwert beimißt. Spengler verwendet unbefangen und mit auffallender Häufigkeit Begriffe wie „Rasse“ oder „Blut“ und gibt sich damit ebenso als Kind seiner Zeit zu erkennen wie durch die apodiktisch-undifferenzierte Art der Darstellung und den unbekümmerten Anspruch auf Allgemeingültigkeit, der möglichen Widerspruch gar nicht in Erwägung zieht. Mit großem Gestus wendet er sich gegen manche geistig- politischen Vorstellungen seiner Epoche, aber er tut es – wie Nietzsche – im Stil der Epoche. Seinen Kritikern begegnet er mit blanker Verachtung, während Toynbee bereits im Vorfeld seiner Veröffentlichung mit Spezialisten und Fachhistorikern über bestimmte Passagen seines Werks korrespondiert hat und sich damit besser absicherte.
Beide Werke sind ungeachtet ihrer großen Verkaufserfolge auch auf inhaltlichen Widerspruch gestoßen, nicht nur von seiten der Fachwelt. Bei der grundlegenden Konzeption, dem Umfang und der Vielfalt der behandelten Gegenstände und dem jeweils erhobenen Anspruch erscheint das nicht eben verwunderlich. Auf Widerspruch stieß vor allem der tiefe Pessimismus, mit dem beide Autoren die Kulturentwicklung betrachten. Zu Beginn des dritten Jahrtausends läßt sich nun allerdings kaum mehr übersehen, daß sich die abendländische Kultur derzeit nicht eben beeindruckend darstellt. Qualität und Dichte der künstlerisch-literarischen Leistungen in Europa sind seit der Zeit Spenglers, die ja noch den Symbolismus und den Expressionismus hervorgebracht hat, erheblich zurückgegangen, von den vorangehenden kunstgeschichtlichen Epochen ganz zu schweigen. Was Toynbee über die gesellschaftliche Spaltung, das innere Proletariertum und dessen Ressentiment gegenüber besser ausgestatteten Mitbürgern sagt, über die Bedeutung des Neides in der Gesellschaft also, erscheint bei kritischer Betrachtung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse ebenfalls wohlbegründet. Schließlich kommt man nach der Entwicklung der letzten Jahrzehnte gar nicht umhin, der Vorstellung Spenglers vom „Klimakterium“, das er ausdrücklich auch im demographischen Sinn versteht, zumindest in diesem Punkt voll zuzustimmen.
Begründeter scheint die Kritik, die sich gegen die postulierte Allgemeingültigkeit, die Quasi-Naturgesetzmäßigkeit richtet, die beide Autoren für ihre Theorien in Anspruch nehmen. Es fällt tatsächlich schwer zu glauben und ist nach allen Erfahrungen in anderen Lebensbereichen unwahrscheinlich, daß sich zeitlich und räumlich sehr weit voneinander entfernte Kulturen in allen ihren Phasen so frappierend ähnlich, wie behauptet, entwickelt haben sollen. Wenn, um je ein Beispiel anzuführen, Toynbee auf der Allgemeingültigkeit des Prinzips von challenge and response beharrt, Spengler die absolute Isolation der jeweiligen Einzelkulturen als unantastbaren Grundsatz seines Systems ansieht, so widerspricht solcher Rigorismus nicht nur aller Lebenserfahrung, sondern läßt sich auch mit dem Stand der heutigen Forschung nicht in Einklang bringen.
Damit erhebt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen inhaltlicher Aussage und methodischem Ansatz. Könnte es sein, daß der epochale, aber schlagartig-unvermittelte Übergang von der linearen zur zyklischen Geschichtsbetrachtung von gewissen Irritationen und Trübungen begleitet gewesen ist, die sich erst im weiteren Verlauf der geschichtsphilosophischen Entwicklung wieder verloren haben oder verlieren werden. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein einschneidender Paradigmenwechsel nicht sofort, sondern erst im Laufe der Zeit zu überzeugenden Resultaten geführt hat. So hat es nach der „kopernikanischen Wende“ noch lange gedauert, bis sich die Astronomie und die Physik zu Wissenschaften im heutigen Sinne entwickelten. Auch die Geographie, die Chemie und die Medizin standen während der Renaissance und auch noch danach vielfach im Banne von Vorstellungen, die mit sachlicher Forschung wenig zu tun hatten, wohl aber geeignet waren, den jeweiligen Gegenstand zu verzeichnen. Es erscheint durchaus denkbar, daß auch die ersten Vertreter einer zyklischen Geschichtsphilosophie in ihrem verständlichen Bemühen, das absolut unhaltbar gewordene progressiv-lineare Modell durch ein tragfähigeres zu ersetzen, in einen zu angestrengten Gestus verfielen und – möglicherweise noch unter dem Eindruck der gerade damals große Triumphe feiernden Naturwissenschaften – die einzelnen Kulturen als allzu geschlossene Regelsysteme interpretiert haben.
Gerade das 20. Jahrhundert, das Spengler nur zu einem Drittel, Toynbee zu drei Vierteln erlebt hat, bietet reichlich Anschauungsmaterial dafür, daß Geschichte bloß teilweise als sinnvolles System von Kausalketten und logisch begründeten Abläufen interpretiert werden kann, daß es daneben auch viel anscheinend Sinnloses, Ordnungs- und Strukturloses gibt, das sich dem rationalen Zugriff entzieht. Trotz aller technisch-gesellschaftlichen Zwänge des Massenzeitalters behauptet sich nach wie vor die menschliche Freiheit als geschichtswirksames Phänomen: Nicht nur überindividuelle Zwangsläufigkeiten, sondern auch die bewußte Einzelentscheidung und der persönliche Gestaltungswille beeinflussen den Gang der Ereignisse. Eine sehr wichtige, häufig unterschätzte Rolle spielt ferner, etwa bei militärischen Entscheidungen oder in der Biographie handelnder Personen, der schlichte Zufall, ferner kollektive Psychosen, Seuchen wie Pest oder Aids, Naturkatastrophen, Epidemien, Klima- und Umweltveränderungen. Dies alles, wiewohl von erheblicher Bedeutung für historische Abläufe, läßt sich entweder gar nicht oder nur teilweise in ein geschlossenes System integrieren; manche dieser Erscheinungen entziehen sich einer befriedigenden logischen Durchdringung überhaupt.
Der Untergang des Abendlandes und A Study of History haben das unbestrittene Verdienst, die Geschichtsphilosophie aus der Sackgasse geführt zu haben, in die sie sich durch die bewußte oder unbewußte Bindung an die christliche Heilsgeschichte und vor allem durch die weitgehende, im Nachhinein geradezu peinlich oder jedenfalls unverständlich wirkende Unterwerfung unter das Fortschrittsdogma manövriert hatte. Hinsichtlich Form, Inhalt und Methodik beider Neuansätze sind jedoch aus heutiger Sicht Abstriche zu machen. Die Autoren neigen in wesentlichen Punkten zu einem von der Sache nicht zwingend gebotenen Rigorismus, der zwar die jeweiligen geschichtsphilosophischen Systeme als in sich geschlossen erscheinen läßt, aber vielfach über das Ziel hinausschießt. Die polternddröhnende Sprache, die selbstgefällige, arrogant wirkende Attitüde, mit der Spengler sein Ideengut vorträgt, sind heute nur schwer zu verdauen.
Beide Geschichtsdenker, Spengler in radikaler, Toynbee in moderaterer Weise, neigen dazu, nach Form und Inhalt zu überziehen und dadurch ihre fruchtbaren, gut begründeten und vor allem dringend erforderlichen Neuansätze unnötig zu belasten. Strenggenommen haben sie lediglich eine simple geometrische Figur – die aufsteigende Gerade – durch eine andere, ebenso simple – den Kreis – ersetzt. Geschichte ist komplizierter.