Greg Woolf: Metropolis

Metropolis. Aufstieg und Niedergang antiker Städte lautet der Titel der deutschen Übersetzung des 2020 erschienenen The Life and Death of Ancient Cities:

A Natu­ral Histo­ry aus der Feder des bri­ti­schen Alt­his­to­ri­kers Greg Woolf, aktu­ell Pro­fes­sor für Alte Geschich­te an der Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia. Woolf, der sich vor allem durch sei­ne Arbei­ten zum Römi­schen Reich einen Namen gemacht hat, nähert sich dem anti­ken Urba­nis­mus dabei über zwei für sei­nen aka­de­mi­schen Fach­be­reich eher unkon­ven­tio­nel­le Zugän­ge: einen evo­lu­ti­ons­theo­re­ti­schen und einen ökologischen.

Doch wäh­rend der öko­lo­gi­sche Zugang, der im eng­li­schen Ori­gi­nal­ti­tel durch A Natu­ral Histo­ry reprä­sen­tiert wird, im Buch erhel­len­de Per­spek­ti­ven eröff­net, hat sich Woolf mit dem evo­lu­ti­ons­theo­re­ti­schen Strang teil­wei­se selbst ein Bein gestellt. Nicht, weil er für die Ana­ly­se untaug­lich wäre, ganz im Gegen­teil, denn Woolf ver­mag auf­zu­zei­gen, wie die Aus­brei­tung der Städ­te von der Levan­te bis in den wei­te­ren Mit­tel­meer­raum einem lang­sa­men Durch­si­ckern aus Wei­ter­ent­wick­lung und Nach­ah­mung glich, die nicht ziel­ge­rich­tet auf einen fest­ge­leg­ten und beab­sich­tig­ten End­zu­stand städ­ti­scher Hoch­kul­tu­ren zusteu­er­te, son­dern eine Abfol­ge aus Erfol­gen und Mißer­fol­gen, von Auf­stieg und Fall dar­stell­te. Son­dern, weil die­ser Strang ihn dazu ver­lei­tet, mit dem ers­ten Teil, »Ein urba­nes Lebe­we­sen«, einen lang­at­mi­gen Anlauf in das eigent­li­che The­ma zu nehmen.

Inwie­fern der Mensch durch die Evo­lu­ti­on alle bio­lo­gi­schen Vor­aus­set­zun­gen zum urba­nen Leben mit­be­kom­men hat, ist ohne Fra­ge ein inter­es­san­ter Zusam­men­hang, aller­dings hät­ten die­se Vor­aus­set­zun­gen auch auf weni­ger Sei­ten ela­bo­riert wer­den kön­nen, so daß der Leser nicht erst nach rund einem Vier­tel des Buches in die Ent­ste­hung der anti­ken Metro­po­len einsteigt.

Gleich­wohl lohnt es sich, den lan­gen Anlauf zu neh­men, denn auf ihn folgt eine strin­gen­te, wenn auch nur exkur­so­ri­sche Dar­le­gung anti­ker Stadt­ge­schich­te: wie aus unschein­ba­ren Dör­fern und ver­gleichs­wei­se unspek­ta­ku­lä­ren ers­ten städ­ti­schen Sied­lun­gen schlu­ßend­lich Metro­po­len mit opu­len­ten Tem­pel­bau­ten und Ein­woh­ner­zah­len von rund 35 000 wur­den. Städ­te mit nur 35 000 Einwohnern?

Den Mythos aus­zu­räu­men, daß anti­ke Metro­po­len ver­gleich­bar mit den uns­ri­gen Bal­lungs­zen­tren gewe­sen wären, gehört zu den wesent­li­chen Anlie­gen Woolfs. Rom auf sei­nem Bevöl­ke­rungs­ze­nit von rund einer Mil­li­on Ein­woh­ner in der Spät­an­ti­ke gehört zu den abso­lu­ten Aus­nah­men und war kei­nes­falls die Regel.

Viel­mehr fie­len sowohl die Han­dels­be­zie­hun­gen und Migra­ti­ons­be­we­gun­gen als auch die Sied­lungs­an­zahl und ‑dich­te im Ver­gleich zu den Waren- und Men­schen­strö­men sowie zur Zer­sie­de­lung des 21. Jahr­hun­derts mick­rig aus: »Eine aktu­el­le, auf einem moder­nen Ver­ständ­nis von Demo­gra­phie beru­hen­de Schät­zung«, hält Woolf fest, »kommt zu dem Schluß, daß die Anzahl an Grie­chen, die zwi­schen 750 und 600 v. Chr. (also in jener Peri­ode, in der die meis­ten neu­en Sied­lun­gen ent­stan­den) die ägäi­sche Welt ver­lie­ßen, um anders­wo am Mit­tel­meer oder am Schwar­zen Meer eine neue Hei­mat zu fin­den, sich zwi­schen 500 und 1000 Per­so­nen pro Jahr bewegte.«

Und ergänzt hin­sicht­lich der Stadt­grö­ße: »Die meis­ten Städ­te blie­ben sehr klein, mit Bevöl­ke­rungs­zah­len im unte­ren Tau­sen­der­be­reich.« Dabei hängt das urba­ne Poten­ti­al der Sied­lun­gen bzw. die maxi­ma­le Bevöl­ke­rungs­zahl, die eine Sied­lung zu tra­gen ver­mag, von ihrer geo­gra­phi­schen Posi­ti­on ab. Hier führt Woolf Fak­to­ren wie die Boden­frucht­bar­keit, die Lage an einem Fluß oder an einem mari­ti­men Kno­ten­punkt an.

Obgleich gera­de anhand die­ser öko­lo­gi­schen Aspek­te die Regel­haf­tig­kei­ten im sozia­len Pro­zeß der Stadt­bil­dung über sei­ne Erläu­te­run­gen immer wie­der augen­fäl­lig wer­den, bleibt Woolf ganz der klas­si­sche His­to­ri­ker: Er ver­steht den Auf­stieg und den Nie­der­gang anti­ker Städ­te zuvor­derst als eine Ket­te von Ein­zel­fäl­len, die durch ihre Sin­gu­la­ri­tät und nicht durch ihre Gemein­sam­kei­ten defi­niert werden.

Greift man unge­ach­tet des­sen Woolfs Ana­ly­sen auf und nimmt eine strin­gent umwelt­his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve ein, wird die Grund­vor­aus­set­zung, die alle Urba­ni­sie­rungs­pro­zes­se ver­bin­det, deut­lich: der Ener­gie­fluß. »Im 6. Jahr­hun­dert schäl­te sich eine klei­ne Zahl von Städ­ten aus der gro­ßen Mas­se her­aus. Eini­ge waren zen­tra­le Kno­ten­punk­te, die auf­grund geo­gra­phi­scher Ver­hält­nis­se oder mensch­li­cher Anstren­gung bes­ser ange­bun­den waren als ande­re. Eini­ge der neu­en füh­ren­den Städ­te ver­füg­ten über kost­ba­re Res­sour­cen an Land, Feld­früch­ten, Metal­len oder Gestein.«

Abge­se­hen von eini­gen natür­lich gege­be­nen Grund­vor­aus­set­zun­gen – Land, Feld­früch­te usw. –, pro­fi­tier­ten die grie­chi­schen Städ­te von ihrer mari­ti­men Lage. Der See­han­del ließ einen Res­sour­cen­trans­port respek­ti­ve Ener­gie­fluß zu, den eine Sied­lung im Hin­ter­land fern­ab jed­we­der Was­ser­stra­ße nie zu bün­deln ver­moch­te. Dar­aus ergab sich wie­der­um ein Bevöl­ke­rungs­wachs­tum, das den vom Ener­gie­fluß beding­ten zwei­ten Antrei­ber der anti­ken Metro­po­len­bil­dung dar­stell­te: »Demo­gra­phie trieb alles an, denn die Volks­kraft war von fun­da­men­ta­ler Bedeu­tung. […] Mehr Men­schen bedeu­te­te mehr Ener­gie für den Acker­bau, den Berg­bau, den Bau von Gebäu­den und den Kampf.«

Zum Ein­stieg in die anti­ke Städ­te­welt mit umwelt­his­to­ri­schen Anklän­gen liegt mit Woolfs Metro­po­lis ein lesens­wer­tes Buch vor, indes der bereits bewan­der­te Leser auf der Suche nach Details zur Geschich­te ein­zel­ner anti­ker Zen­tren und zu ihrem Sozi­al­ge­fü­ge sich ander­wei­tig umschau­en sollte.

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Greg Woolf: Metro­po­lis. Auf­stieg und Nie­der­gang anti­ker Städ­te, Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2022. 608 S., 35 €

 

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