René Guénon: Tradition, Metaphysik, Initiation

von Jekaterina Iwanowa --

Daß René Guénon im deutschsprachigen Raum praktisch keine Rolle spielt, ist mehr als verwunderlich.

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Fast ist man geneigt, dahin­ter eine Ver­schwö­rung böser Geis­ter zu sehen, die ent­schie­den haben, die­sem Teil der Welt den Weg zum »Rein­geis­ti­gen« zu ver­schlie­ßen! Denn genau hier, im »Rein­geis­ti­gen«, liegt Gué­nons urei­gens­te Sphä­re. In Frank­reich erscheint er bei Gal­li­mard, in Ruß­land sind über zwan­zig sei­ner Bücher erhält­lich. In Deutsch­land dage­gen gab es neben dem wich­ti­gen Werk Die Kri­sis der Neu­zeit (1950) im Heg­ner Ver­lag lan­ge Zeit nur drei in den acht­zi­ger Jah­ren publi­zier­te klei­ne­re Schrif­ten, Der König der Welt, Die Sym­bo­lik des Kreu­zes und Stu­fen des Seins in der Edi­ti­on Ambra.

All die­se Bücher waren jahr­zehn­te­lang biblio­phi­le Rari­tä­ten und erziel­ten im Anti­qua­ri­at teil­wei­se hor­ren­de Prei­se. Erst 2020 läu­te­te Matthes & Seitz eine Wen­de ein und brach­te Die Kri­se der moder­nen Welt als Neu­über­set­zung her­aus. Und es bleibt zu hof­fen, daß die­se längst über­fäl­li­ge Ent­de­cker­ar­beit fort­ge­setzt wird und uns wei­te­re Mei­len­stei­ne des Den­kers zugäng­lich macht.

Nun aber bie­tet uns ein ande­rer Ver­lag – Königs­hau­sen & Neu­mann – eine Auf­satz­samm­lung mit dem Titel Tra­di­ti­on, Meta­phy­sik, Initia­ti­on an, wofür dem Über­set­zer und Autor des infor­ma­ti­ven Vor­worts, Felix Her­kert, gedankt sei.

In den hier ver­sam­mel­ten Essays umreißt Gué­non Begrif­fe und Berei­che, die dem Eso­te­ri­schen ange­hö­ren und auf dem Wege der »Ver­wirk­li­chung« tran­szen­den­ter Zustän­de von ent­schei­den­der Bedeu­tung sind. Unter ande­rem die Über­lie­fe­rung, die Ein­wei­hung und die Sym­bo­lik in Ost und West. Dabei sind sei­ne Defi­ni­tio­nen nicht nur Ein‑, son­dern vor allem auch Abgren­zun­gen von der her­kömm­li­chen Ver­wen­dung der behan­del­ten Termini.

Mit uner­müd­li­chem Elan und bei­na­he haar­spal­te­ri­scher Pedan­te­rie wehrt er sich bei sei­nen Betrach­tun­gen gegen auch wirk­lich jede Mög­lich­keit des moder­nen Miß­ver­ste­hens. Selbst die lei­ses­te Hoff­nung, daß ein zeit­ge­nös­si­scher Abend­län­der über­haupt in der Lage sei, den wah­ren Geist des Gesag­ten zu erfas­sen, ist aus sei­ner Sicht ein ganz und gar ille­gi­ti­mes Zuge­ständ­nis an die feind­li­che Sei­te und eigent­lich Ver­rat an der Sache. (Wobei er sich selbst immer still­schwei­gend ausnimmt.)

Daß die­se stren­ge Tren­nung not­wen­dig ist, dar­an besteht kein Zwei­fel. Zu groß ist das Ver­wa­sche­ne der tra­di­tio­na­len Kon­zep­te im Lager der posi­ti­vis­ti­schen Aka­de­mi­ker. Und doch schießt Gué­non oft genug über das Ziel hin­aus: Natür­lich ist der heu­ti­ge Gebrauch des Wor­tes »Phi­lo­so­phie« nicht mit dem ursprüng­li­chen pytha­go­rei­schen und sokra­ti­schen ver­ein­bar, doch ver­dient er es, eben weil er pytha­go­reisch und sokra­tisch ist, kaum, über Bord gewor­fen zu wer­den. Denn Phi­lo­so­phie ist eben nicht bloß Sopho­phi­lie, die Weis­heits­lie­be, viel­mehr Lie­bes­weis­heit und damit ein Mys­te­ri­um und in ihrem eins­ti­gen Sin­ne dem Rein­geis­ti­gen sehr viel näher als der spä­te­re aris­to­te­li­sche Begriff »Meta­phy­sik«.

Doch Gué­non ist in sei­ner Art weit mehr ein Aris­to­te­li­ker und Scho­las­ti­ker als ein Pla­to­ni­ker – ganz im Gegen­teil zu sei­nen Mit­strei­tern wie Juli­us Evo­la, Titus Bur­ck­hardt oder ­Fri­th­jof Schuon. Er zitiert viel öfter den ­Stage­ri­ten und den Aqui­nat als bei­spiels­wei­se ­Plo­tin, ­Jamblichos oder Dio­ny­si­us ­Areo­pa­gi­ta. Er miß­traut zutiefst allem Mensch­li­chen, das er stets als pro­fan inter­pre­tiert. Daher auch sei­ne Rela­ti­vie­rung der hel­le­ni­schen Geis­tig­keit – wegen ihrer anthro­po­mor­phen Impul­se, so als hät­te es die Vor­so­kra­ti­ker nicht gege­ben mit ihrer rau­hen, nega­ti­ven Theo­lo­gie, oder die Neu­pla­to­ni­ker, wie Plo­tin, mit ihrem schwin­del­erre­gen­den Höhenflug.

Daher auch sei­ne Kri­tik der Renais­sance – deren Väter den Men­schen frei­lich nie­mals in die­sem Sin­ne ver­stan­den haben. Ein Blick in ­Miran­do­las Schrift Über die Wür­de des Men­schen genügt, um sich vom Gegen­teil zu über­zeu­gen: »[…] bei der Pfle­ge der intel­lek­tua­len Kei­me wird er ein Engel und Got­tes Sohn sein. Und wenn er mit dem Lose kei­nes Geschöpfs zufrie­den, sich in den Mit­tel­punkt sei­ner Ganz­heit zurück­zie­hen wird, dann wird er zu einem Geist mit Gott gebil­det wer­den, in der ein­sa­men Dun­kel­heit des Vaters, der über alles erha­ben ist […].« Oder in die Brie­fe des Mar­si­lio Fici­no: »Erken­ne dich selbst, du gött­li­ches Geschlecht im sterb­li­chen Gewan­de […]. Bli­cket zum Him­mel auf als gött­li­che Bür­ger des himm­li­schen Vater­lan­des, ihr Bewoh­ner der Erde […]. Suche dich außer­halb der Welt«.

Als rei­ner »Pneu­ma­ti­ker«, wie Schuon ihn bezeich­ne­te, als jemand der die Kon­tem­pla­ti­on über die Tat stellt, ver­ach­tet Gué­non auch alle Anwen­dung des Höhe­ren. Nicht nur die Magie, son­dern auch die an sich durch und durch tra­di­tio­na­le Insti­tu­ti­on des Ora­kels ist für ihn ein Aus­druck der aller­nied­rigs­ten Ebe­ne. Und so über­läßt er die Tri­gram­me des chi­ne­si­schen I Ging, denen er einen »genu­in meta­phy­si­schen Sinn« zuspricht, in ihrer divin­a­to­ri­schen Appli­ka­ti­on »her­um­zie­hen­den Gauklern«.

Um so befremd­li­cher erscheint es da, wenn er pro­blem­los akzep­tiert, daß »gewis­se Rosen­kreu­zer« ein­zel­ne Buch­ex­em­pla­re mit »geis­ti­gen Ein­flüs­sen auf­la­den«. Oder wenn er im Neben­satz ganz lapi­dar behaup­tet, die Pries­ter­wei­he ver­lei­he jenen, die sie emp­fan­gen haben, »gewis­se Fähig­kei­ten«, die sie »zuvor nicht besaßen«.

Doch wie dem auch sei: Gué­non ist und bleibt eine durch nichts zu erset­zen­de intel­lek­tu­el­le (oder sol­len wir sagen: intel­lek­tua­le) Her­aus­for­de­rung für jeden, der die Moder­ne ablehnt.

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René Gué­non: Tra­di­ti­on, Meta­phy­sik, Initia­ti­on. Aus­ge­wähl­te Tex­te, über­setzt und ein­ge­lei­tet von Felix Her­kert, Würz­burg: Königs­hausen & Neu­mann 2022. 184 S., 20 €

 

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