Das betrifft zuletzt immer mehr Akteure nonkonformer Art, existiert aber als mediales Problemphänomen seit fünf Jahrhunderten. Dies darf als Ausgangsthese Hannes Hofbauers (Jg. 1955) gelten. Der Wiener Verleger, Sezession-Lesern u. a. bekannt durch seine formidable Kritik der Migration (Wien 2018), spricht von einer »Wiederkehr der Zensur«, die in der wirtschaftlichen Krisenhaftigkeit des Westens begründet liege: »Im Niedergang kämpft das Establishment um seine Daseinsberechtigung. Je erfolgreicher Gegenöffentlichkeit hergestellt wird, desto aggressiver wird ihr von Brüssel oder Berlin begegnet.« Gut, aggressiver werden die Maßnahmen, aber befindet sich das Establishment bereits im Niedergang? Daran darf gezweifelt werden.
Hofbauers etwa einhundert Seiten starker historischer Aufschlag führt den Leser zu den Ursprüngen von Zensur. Zunächst als Domäne der Kirche, dann »verstaatlicht« als Instrument realer Politik, zieht sich ein roter Faden von Zensurmaßnahmen durch die europäische Geschichte (was Hofbauers Buch naturgemäß »eurozentristisch« macht). »Das Mittelalter«, so zitiert Hofbauer den deutschen Verfassungsdenker Carl Theodor Welcker (1790 – 1869), »hatte seine Hexenprozesse und Ketzergerichte, wir haben unsere politischen Preß- und Hochverratsprozesse.« Von diesen Erscheinungen des 18. und 19. Jahrhunderts gelangt Hofbauer zur »Re-Education« (Umerziehung) in Deutschland nach 1945.
Daß Hofbauer aus der »alten Linken« kommt, merkt man daran, daß er nicht Caspar von Schrenck-Notzings grundlegende Studien zitiert, sondern mit Theo Pirker auf einen linken Soziologen rekurriert, der das Umerziehungsprogramm der Westmächte als kolonialistische Politik geißelte. Man spürt Hofbauers Sozialisation aber auch daran, daß er die Zensurpolitik der frühen BRD einseitig mit ihrem »Kampf gegen links« und dem KPD-Verbot verbindet, ohne die Zensurmaßnahmen und das Parteiverbot der SRP im »Kampf gegen rechts« zu erwähnen.
Auch hernach ist Hofbauers Parforceritt durch die Historie der BRD-Zensur stark durch den »Radikalenerlaß« (1972 ff.) und eine gewisse Gesinnungszensur gegen die radikale Linke der 1970er und 1980er Jahre geprägt. Historisch ist das aufschlußreich, nice to know gewissermaßen – aber wäre es nicht just dort interessant gewesen, nachzuweisen, wie sich diese Maßnahmen heutzutage ausnahmslos im »Kampf gegen rechts« wiederaufgelegt sehen? Hofbauer sitzt das bedauerlicherweise aus.
Seine Schau der Zensur im digitalen Zeitalter der Gegenwart beschäftigt sich intensiv mit Zensurmaßnahmen außenpolitischer Natur, etwa dem Verbot von Russia Today und vergleichbaren ausländischen »Feindsendern« in der BRD. So aber fehlt einfach etwas in Hofbauers berechtigter Annahme, daß der westlerische Wirtschaftsliberalismus Zensurpolitik privatisiert hat.
Zwar hat man selbstverständlich nichtstaatlichen Akteuren »eine Machtfülle in die Hand gegeben«, »wie sie zuvor nicht denkbar war«. Aber das ist doch nicht nur im geopolitischen, transatlantisch festgezurrten Rahmen so. Vielmehr hätte ein Kapitel über die Macht der Amadeu-Antonio-Stiftung und vergleichbarer Player im innen- wie gesellschaftspolitischen »Kampf gegen rechts« folgen müssen.
Hofbauer zugute zu halten ist freilich, daß er etwa Antifa-Gewalt (wie im »Fall Ziegler«, vgl. Die Partei und ihr Vorfeld, Schnellroda 2022) nicht verschweigt und auch die Zensur gegen Corona- und Regierungskritiker der letzten beiden Krisenjahre beleuchtet. Schade wiederum, daß sich bei Hofbauer hier nicht der Komplex der »Cancel Culture« anschließt; dieser wird sogar bewußt ausgeblendet. Der Autor schreibt, daß diese »Form des Ausmerzens« schließlich »nicht direkt mit Publikationsverboten« gleichgesetzt werden könne.
Nun, das mag stimmen. Aber effektiver und verbreiteter als offene Verbote sind speziell in liberalen Gesellschaften des Westens andere Maßnahmen der »Informationskontrolle« (d. i. Zensur!) wie eben die linksaktionistische, woke Abrechnungsideologie der »Cancel Culture«.
Hofbauers Buch bleibt damit ein – lesenswertes – Fragment.
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Hannes Hofbauer: Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte: Vom kirchlichen Index bis zur YouTube-Löschung, Wien: Promedia Verlag 2022. 247 S., 19,90 €
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