Herbert Kremp: Morgen Grauen

von Olaf Haselhorst --

Der Journalist Herbert Kremp (1928 – 2020) gehörte zu den Größen der bundesdeutschen Medien­welt.

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Als Chef­re­dak­teur und Her­aus­ge­ber des Sprin­ger-Flagg­schiffs Die Welt präg­te er die öffent­li­che Mei­nung über Jahr­zehn­te. Sein Kol­le­ge und Freund Tho­mas Kiel­in­ger, der lan­ge Jah­re Kor­re­spon­dent der Welt in Lon­don war, hat die­ses hin­ter­las­se­ne Opus magnum nun veröffentlicht.

Neben­bei erfährt der Leser im Vor­wort, daß Kremp – ähn­lich wie Gün­ter Grass – im Krieg zunächst als Flak­hel­fer gedient hat­te und Anfang 1945 zur Waf­fen-SS ein­ge­zo­gen wor­den war, an der Front aller­dings von einer Trup­pe der Fall­schirm­jä­ger über­nom­men wur­de. Über die­ses bio­gra­phi­sche Detail hat Kremp selbst geschwie­gen. Die »Ver­schwö­rung der Flak­hel­fer« (Gün­ter Maschke) – vom Krieg gezeich­net, von den Sie­gern ver­schont und von ihnen auf Macht- und Sou­ve­rä­ni­täts­ver­zicht für Deutsch­land getrimmt – präg­te alle Berei­che der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Gesellschaft.

In die­sem detail­rei­chen Buch beschreibt Kremp in 14 Kapi­teln Vor­ge­schich­te und Anfangs­jah­re des Zwei­ten Welt­krie­ges. Dabei ist er bestrebt, Ver­hal­ten und Vor­ha­ben der han­deln­den Poli­ti­ker aus ihrer Zeit her­aus zu schil­dern und nicht wie üblich aus der Per­spek­ti­ve des Jah­res 1945. Was trieb Hit­ler an, als er in der Fra­ge der Rück­kehr der Frei­en Stadt Dan­zig zu Deutsch­land die Eska­la­ti­ons­spi­ra­le befeuerte?

Kremp meint, Hit­ler habe va ban­que gespielt und gedacht, Polen – mit Groß­bri­tan­ni­en im Rücken – wür­de im Ner­ven­krieg schließ­lich klein bei­geben, und er könn­te einen wei­te­ren gewalt­lo­sen Erfolg ein­fah­ren. Auf den Krieg, der aus­brach, sei kei­ne Sei­te vor­be­rei­tet gewe­sen. Der Ver­fas­ser stellt fest, Hit­lers Vor­stel­lung von der poli­ti­schen Rol­le Deutsch­lands in Euro­pa und der Welt unter­schei­de sich kaum von den Zie­len ande­rer Poli­ti­ker wie Chur­chill, Roo­se­velt oder Sta­lin. Hit­ler habe über kein »fest­lie­gen­des Pro­gramm«, über kei­nen »Stu­fen­plan zur Welt­herr­schaft« ver­fügt, son­dern faß­te sei­ne Ent­schei­dun­gen situa­ti­ons­be­dingt – er unter­lag der Logik der Zwänge.

Nach der Kriegs­er­klä­rung der West­mäch­te Frank­reich und Eng­land an Deutsch­land befand sich Hit­ler in einem Krieg, den er eigent­lich hat­te ver­mei­den wol­len. Die West­al­li­ier­ten hat­ten kei­ne effi­zi­en­te Stra­te­gie, dem ver­bün­de­ten Polen zu hel­fen. Sie ver­folg­ten eine Eska­la­ti­ons­stra­te­gie, woll­ten dabei aber Deutsch­land nicht direkt angrei­fen, son­dern sei­ne kriegs­wirt­schaft­lich wich­ti­gen Res­sour­cen – das über Nor­we­gen ver­schiff­te schwe­di­sche Eisen­erz und das in Rumä­ni­en geför­der­te Erdöl.

Kremp unter­sucht das Ver­hal­ten der Sowjet­union. Von den West­mäch­ten umwor­ben, wand­te Sta­lin sich Hit­ler zu, der ihm mehr zu bie­ten hat­te. Motiv des Kreml­herr­schers sei es gewe­sen, vor der unaus­weich­li­chen Auseinander­setzung mit Deutsch­land Zeit zu gewin­nen. Kremp räumt ein, daß sich die Sowjet­uni­on mit­tel­fris­tig auf einen Angriffs­krieg vorbereitete.

Der sieg­rei­che »West­feld­zug« der ­Wehr­macht – den Kremp span­nend schil­dert – ende­te mit einem »Stra­te­gie-Infarkt« bei Dün­kir­chen. Das Ent­kom­men­las­sen der rund 300 000 Mann star­ken bri­ti­schen Fest­lands­trup­pen mach­te Groß­bri­tan­ni­en unan­greif­bar. Die »Luft­schlacht um Eng­land« ende­te mit einer deut­schen Nie­der­la­ge, die deut­sche Flot­te war zu schwach, um ein Lan­dungs­un­ter­neh­men auf der Insel zum Erfolg zu füh­ren. Der Angriff unter­blieb daher.

Da Eng­land – mit den USA im Rücken – wei­ter­kämp­fen woll­te, muß­te Hit­ler sich mit sei­nem Bünd­nis­part­ner Sta­lin aus­ein­an­der­set­zen. Frank­reich war als »Eng­lands Fest­lands­de­gen« besiegt, die Sowjet­uni­on zeig­te sich – wäh­rend die Wehr­macht im Wes­ten kämpf­te – äußerst aktiv und besetz­te alle Gebie­te (und ein wenig mehr), die ihr im »Gehei­men Zusatz­pro­to­koll« des deutsch-sowje­ti­schen Nicht­an­griffs­ver­trags vom 23. August 1939 als »Inter­es­sensphä­re« ein­ge­räumt wor­den waren.

Sta­lin schuf sich ein Gla­cis – ent­we­der als Puf­fer oder als Auf­marsch­ge­biet. Die Ver­hand­lun­gen mit Sowjet­au­ßen­mi­nis­ter Molo­tow in Ber­lin im Novem­ber 1940 um einen Bei­tritt zum Drei­mäch­te­pakt schei­ter­ten. Kremp schreibt, mit Molo­tows For­de­run­gen nach neu­en Ein­fluß­zo­nen auf dem Bal­kan, in Nord- und Süd­eu­ro­pa habe die­ser den Kern des Nicht­an­griffs­pak­tes von 1939 poli­tisch gekündigt.

Hit­ler zog dar­aus den Schluß, daß nun die Sowjet­uni­on als »Eng­lands Fest­lands­de­gen« fun­gier­te und gab die Aus­ar­bei­tung einer Angriffs­ope­ra­ti­on (»Fall Bar­ba­ros­sa«) in Auf­trag. Er habe die UdSSR als Macht aus­schal­ten wol­len, um Eng­land zum Auf­ge­ben zu zwin­gen und die im Hin­ter­grund agie­ren­den USA früh­zei­tig von einem mili­tä­ri­schen Ein­grei­fen in Euro­pa abzu­hal­ten. Hit­lers Stra­te­gie schlug fehl.

Zu bemän­geln sind häu­fi­ge Wie­der­ho­lun­gen von in frü­he­ren Kapi­teln abge­han­del­ten The­men und Begrif­fen sowie ein zuwei­len manie­rier­ter Stil mit Schach­tel­sät­zen von bis zu 26 Zei­len Län­ge, die ein gründ­li­ches Lek­to­rat hät­te besei­ti­gen müs­sen. Dies ist wohl dem Umstand geschul­det, daß der Her­aus­ge­ber sich offen­bar scheu­te, in dem aus dem Nach­laß ver­öf­fent­lich­ten Manu­skript not­wen­di­ge Strei­chun­gen vorzunehmen.

Im gro­ßen und gan­zen han­delt es sich um ein Werk, das sich wohl­tu­end abhebt von dem »wis­sen­schaft­li­chen Stan­dard«, mit dem die­se The­ma­tik sonst von der uni­ver­si­tä­ren For­schung abge­han­delt wird.

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Her­bert Kremp: Mor­gen Grau­en. Von den Anfän­gen des Zwei­ten Welt­kriegs, Rein­bek: Lau Ver­lag 2022. 712 S., 38 €

 

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