Bisher unbekannt waren Darstellungen von seiten der Täter. Das anzuzeigende Werk beleuchtet nun anhand von tschechischen Quellen ein besonders schreckliches Vertreibungsverbrechen, das sich nach Kriegsende im 1938 ans Deutsche Reich abgetretenen Sudetenland ereignete. Der tschechoslowakische Nachkriegspräsident Edvard Beneš hatte bereits im Oktober 1943 aus seinem Londoner Exil gedroht: »Den Deutschen wird mitleidlos und vervielfacht all das heimgezahlt werden, was sie in unseren Ländern seit 1938 begangen haben.« Und Militärbefehlshaber Sergej Ingr hetzte die Tschechen im November 1944 im britischen Rundfunk gegen die Deutschen auf: »Schlagt sie, tötet sie, laßt niemanden am Leben.« Diese öffentlichen Aufrufe tschechischer Regierungsstellen fielen auf fruchtbaren Boden. Kurz vor und nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 kam es im ganzen Land zu Exzessen und Massakern an der deutschen Zivilbevölkerung. Am 3. Juni 1945 befahl das tschechische Militär in Saaz rund 5000 männlichen Deutschen, sich auf dem Marktplatz zu versammeln, und dann ging der Marsch unter Drohungen, Schlägen und Schüssen ins 15 Kilometer entfernte Postelberg. Zwei Tage später wurde die erste Kolonne der gefangenen Deutschen zum Erschießen geführt. Tagelang hörte man immer wieder Gewehrsalven. Eine unbekannte Zahl von Männern wurde planmäßig und zielstrebig erschossen. Das größte Massengrab mit knapp 500 Leichen fand sich später in dem abseits der Stadt gelegenen Fasanengarten, einer früheren Fasanerie. Skrupel überfiel die Täter nicht. Die Morde waren von hoher militärischer Stelle angeordnet worden: Der Kommandeur der tschechoslowakischen 1. Division, General Spaniel, hatte befohlen, die Region von Deutschen zu »säubern«, erklärte der Leiter des Abwehr-Nachrichtendienstes Jan Cupka. Der General habe gesagt: »Je weniger von ihnen übrigbleiben, um so weniger Feinde werden wir haben.« Nach Deutschland vertriebene Überlebende berichteten davon, und auch in Postelberg und Saaz selbst wollten Erzählungen und Gerüchte über das grausame Geschehen nicht verstummen. Im Juli 1947 sah sich das Parlament in Prag veranlaßt, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Die damals entstandenen Akten werden in diesem Werk in deutscher und tschechischer Sprache präsentiert. Etliche Soldaten und Anwohner wurden vernommen. Die Zeugenaussagen sind ebenso dokumentiert wie die Erkenntnisse eines Vorauskommandos des Innenministeriums, das festgestellt hatte, daß für diese Bestialitäten vor allem die Angehörigen der Armee und des Armeenachrichtendienstes verantwortlich zu machen sind. Das Vorgehen der Soldaten sei bei der tschechischen Bevölkerung allerdings auf große Zustimmung gestoßen, sei es doch als »verdiente Vergeltung für die Rohheiten der Deutschen« verstanden worden.
757 Opfer wurden exhumiert und forensisch untersucht. Die Geschehnisse sind exakt aufgezeichnet worden. Täter wurden ermittelt, sie aber vor Gericht zu stellen war nie vorgesehen, denn die Morde von Saaz und Postelberg galten als »Vollzug der gerechten Rache an den Deutschen«. Mit Machtübernahme der Kommunisten 1948 wurde der Untersuchungsbericht zur Geheimsache. Hier liegt er nun endlich der Öffentlichkeit vor.
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Andreas Kalckoff (Hrsg.): Was geschah in Saaz und Postelberg im Juni 1945? Geheime Dokumente und Zeitzeugenberichte enthüllen das Unfaßbare, Leipzig: Tschirner & Kosova 2022. 530 S., 49,80 €
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