In Rom war man zufrieden und griff zu einem plastischen Bild. Damit die Öffentlichkeit den gewünschten Eindruck vom bedeutungsvollen Geschehen des Jahres 1122 bekäme, gab der Vatikan ein Mosaik in Auftrag. Es wurde im Lateranpalast ausgeführt und zeigte Kaiser Heinrich V., wie er Papst Calixt II. die Urkunde über seinen Verzicht auf das weitere Recht zur Investitur von Bischöfen als Reichsfürsten übergab.
Man begnügte sich im Mosaik nicht mit dem symbolischen Bild einer Urkunde. Sie wurde als lesbarer Text gestaltet. Auf diese Art würdigte der Papst das, was heutzutage als Ende des Investiturstreits durch das »Wormser Konkordat« bekannt ist: einen Urkundenaustausch zwischen weltlicher und geistlicher Macht auf einer nicht genau lokalisierbaren Wiese vor den Toren der Stadt.
Von der kaiserlichen Gegenpartei sind vergleichbar anschauliche Darstellungen nicht erhalten – jedenfalls keine positiv besetzten. Mit dem Investiturstreit verbindet sich im populären Gedächtnis deshalb hauptsächlich der »Gang nach Canossa« durch Heinrich IV., 45 Jahre vorher, als der im selben Streit vom Papst gebannte Kaiser gezwungen war, sich im Büßergewand unterwürfig nach Italien zu begeben. Das hatte Wirkung hinterlassen.
»Nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig!« rief Deutschlands neuer Kanzler Otto von Bismarck seinen katholischen Widersachern noch während des Kulturkampfs im neuproklamierten deutschen Kaiserreich entgegen. Er rief es vor dem Reichstag im Frühjahr 1872, recht genau 750 Jahre nach dem Wormser Konkordat. Der Investiturstreit und sein Ende standen zu dieser Zeit symbolisch für den Verfall der königlich-kaiserlichen Zentralmacht in Deutschland. Der politische Katholizismus galt unverändert als Gefahr für die Einheit und die Souveränität des Landes.
Damit gehört das »Konkordat« allerdings in die Reihe geschichtlicher Vorgänge, denen erst zähe Öffentlichkeitsarbeit und der spätere Gang der Dinge ihren Platz zugewiesen haben. Von einem Konkordat war zum Zeitpunkt der Ausstellung ohnehin nicht die Rede, erst der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz wies der Urkunde mehrere hundert Jahre später diese inzwischen für wichtige Abmachungen aufgekommene Bezeichnung zu.
Es mangelte der zwischenzeitlich lange verschollenen Originalurkunde des Konkordats auch an den ansonsten üblichen Formalien von Datierung und Bekräftigung. Mehr noch: »Als rechtsetzende Urkunde war der Vertrag bereits in der Zeit Friedrich Barbarossas nicht mehr bekannt«, stellte der Althistoriker Peter Classen lapidar fest (»Das Wormser Konkordat in der Verfassungsgeschichte«, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, Sigmaringen 1973). Die Abmachung erlebte also Wellen der Aufmerksamkeit und war nur wenige Jahrzehnte nach ihrem Abschluß erst einmal vergessen.
So etwas ist Stoff für zahlreiche Forschungskontroversen um das Konkordat. Entsprechend detailreich ist seine Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte. Formal gesehen hatte der Kaiser auf das Recht der Investitur von Bischöfen »mit Ring und Stab« verzichtet und deren freie Wahl und Weihe gestattet. Das Königtum hatte aber das Recht, weiter bei der Wahl präsent zu sein, strittige Fälle mitzuentscheiden und dem Gewählten das zu verleihen, das damals unter anderem »Regalien« genannt wurde, also die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Eigentum und die materiellen Rechte, die mit seiner Bischofsstellung verbunden waren.
Da die Bischöfe als Reichsfürsten diese Regalien vielfach an Lehnsnehmer weitergaben, blieben sie als Gebende und Nehmende in einer Zwischenstellung. Auch gab es weiterhin durchaus die Möglichkeit für die weltliche Macht, bei Nichterfüllung der Lehnspflichten seitens des Bistums diese Regalien wieder einzuziehen, was in der Folgezeit immer wieder mal geschah. Das ließ die Bischofswürde dann de facto wertlos werden.
Ob so etwas geschah und durchgesetzt werden konnte, hing von der persönlichen Stellung des Königs und Kaisers ab. Der eben erwähnte Friedrich Barbarossa verfügte über die Macht, sich auf diese Weise durchzusetzen, und tat das auch wiederholt. Auch deshalb geriet das Konkordat zu seiner Zeit in Vergessenheit. Auf dem Reichstag in Besançon im Oktober 1157 ereignete sich also, »was seit Menschengedenken nicht mehr geschehen war«, wie die Chronisten schrieben. Es kamen die Erzbischöfe von Vienne und Lyon, von Valence und Avignon, um Barbarossa den Treueid zu leisten und ihre Lehen zu empfangen. Für den Moment gab es das Wormser Konkordat nicht mehr, ganz im Gegenteil schien der amtierende Kaiser den Investiturstreit gewonnen zu haben.
Über die ganzen Windungen und Wendungen in dieser Geschichte sind ungezählte Bände publiziert worden. Hatten die Autoren bestimmte politische Anliegen, mußten sie die historischen Fakten stets deutlich zurechtschneiden, um hier die geraden Linien einer Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Macht zu ziehen, bei der die eine oder die andere Seite eindeutig gewonnen habe. Der Konflikt zwischen Königtum und Papst blieb ein typisch deutscher, europäischer und als solcher nicht pauschal zu lösender Streit. Die unterschiedliche Art und Weise, wie er in den einzelnen Ländern behandelt wurde, gehört dann zur jeweiligen Nationalgeschichte.
Aus heutiger Sicht tut man wohl gut daran, die Sache auch aus europäischer Perspektive zu betrachten. Der Investiturstreit war keine rein deutsche Angelegenheit. Er fand in ganz ähnlicher Weise und ähnlichem Verlauf ebenso in Frankreich und in England statt. Letztlich dürfte er ein Ausdruck des Bemühens der Kirche gewesen sein, sich selbst als geistliche Institution ernster zu nehmen, als dies im frühen Mittelalter der Fall gewesen war.
Bischofsstellen wurden zunächst häufig mit Laien aus dem Hochadel besetzt, jedenfalls sehr oft aus praktischen politischen und dynastischen Erwägungen heraus. Das galt als normale feudale Herrschaftspraxis und wurde in Deutschland von Otto I. um 962 herum zu einer Art System erhoben, als sich das ostfränkische Reich zu einem deutschen Reich mit der spezifischen Eigenschaft einer Wahlmonarchie von Stammesherzogtümern ausbildete. Als »Praeceptor Germaniae«, informell oberster Geistlicher im Reich, galt seit dieser Zeit der Mainzer Bischof und erinnerte damit an den aus römischer Zeit stammenden Germanenbegriff.
Die Konkordatsurkunde wählte einen etwas anderen Begriff für ihren Geltungsbereich: »Episcoporum et abbatum Teutonici regni, qui ad regnum pertinent«. Es sind die Äbte und die Bischöfe des Regnum Teutonicum, deren Wahl hier geregelt wird. Es geht also ausdrücklich um die inneren Verhältnisse des Deutschen Reichs. Das mag manchen erstaunen, da man angesichts einer Lawine heutiger Behauptungen glauben könnte, eine explizit und bewußt deutsche Staatlichkeit habe es vor 1871 nicht gegeben.
Diese Wortwahl taucht im Konkordat auch nicht einmalig auf, sondern ist die Konsequenz eines vorausgegangenen jahrzehntelangen Streits zwischen Kaiser und Papst, in dem gerade letzterer seine Schriften immer wieder an die Fürsten und die Geistlichen »im Deutschen Reich« richtete. In der Folgezeit wird dieser Begriff in Urkunden zwischen König und Papst immer wieder und immer öfter verwendet. Auch hier haben der Investiturstreit und sein Abschluß langfristige Wirkungen hinterlassen, wenn auch keine abschließenden.
Der Streit zwischen deutscher Zentralgewalt, den weltlichen wie geistlichen Reichsfürsten und dem »ultramontanen« päpstlichen Katholizismus ist ein Dauerthema der deutschen Geschichte geblieben. Seine Spuren lassen sich über ein weiteres »Wormser« Ereignis, den dortigen Reichstag mit seinen Verhandlungen zu Martin Luthers Reformationsbemühungen, bis zu Bismarcks Reichstagsrede von 1872 verfolgen. Manches spricht dafür, diese Auseinandersetzung für eine Art nationales Trauma zu halten, das dazu beigetragen hat, daß die Deutschen oft wenig versöhnt mit ihrem Staat gewesen sind und das Land kein politisches Zentrum ausbilden konnte. Die ikonischen Mosaike dieser Geschichte kamen eben oft von anderer Seite.