E. T. A. Hoffmann – Porträt zum 200. Todestag

von Till Kinzel -- PDF der Druckfassung aus Sezession 108/ Juni 2022

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Ernst Theo­dor Wil­helm Hoff­mann wur­de am 24. Janu­ar 1776 im ost­preu­ßi­schen Königs­berg gebo­ren, wo die Auf­klä­rung Imma­nu­el Kants prä­gend war, aber auch gegen­läu­fi­ge Ten­den­zen exis­tier­ten. Johann Georg Hamann, der Hoff­mann »ein lie­ber herr­li­cher Lands­mann« war (30. Janu­ar 1822 an Jean Paul), sag­te: Sin­ne und Lei­den­schaf­ten ver­stün­den und rede­ten nichts als Bil­der, und der gan­ze Schatz mensch­li­cher Erkennt­nis und Glück­se­lig­keit lie­ge darin.

Kaum ein lite­ra­ri­sches Werk ent­hält nun eine sol­che Fül­le von Bil­dern und Sym­bo­len wie das E. T. A. Hoff­manns. Hier wer­den die Schwel­len zwi­schen Rea­li­tät und Über­na­tür­li­chem immer wie­der über­schrit­ten, die Rea­li­tät des Wun­der­ba­ren dringt hier unmerk­lich in die bestimm­ba­re Wirk­lich­keit ein wie in den meis­ter­haf­ten Schil­de­run­gen des »Mär­chens aus neu­er Zeit«, Der gold­ne Topf, das in einem exakt ver­mes­se­nen Dres­den spielt.

Die ande­re Kunst, die der Jurist Hoff­mann neben der Schrift­stel­le­rei mit wah­rer Lei­den­schaft betrieb, war die Musik – und weil die­se tief in die Sphä­ren des Lei­den­schaft­li­chen, ja der Beses­sen­heit reicht, gelang es Hoff­mann auch, ihre Dämo­nie in der Figur sei­nes Kapell­meis­ters Kreis­ler in den Kreis­le­ria­na und den Lebens­an­sich­ten des Katers Murr zu zeich­nen. Die­se Figur ste­he, so Oswald Speng­ler im Unter­gang des Abend­lan­des, auf­grund ihres sym­bo­li­schen Ran­ges und ihrer inne­ren Not­wen­dig­keit »eben­bür­tig neben dem Faust, Wert­her und Don Juan«.

Wie auch immer – es gehört zu den grund­le­gen­den anthro­po­lo­gi­schen Ein­sich­ten Hoff­manns, die Musik als das »Reich des Unge­heu­ern und Uner­meß­li­chen« zu bestim­men, wie es etwa durch Beet­ho­ven zugäng­lich wer­de: »Glü­hen­de Strah­len schie­ßen durch die­ses Rei­ches tie­fe Nacht und wir wer­den Rie­sen­schat­ten gewahr, die auf- und abwo­gen, enger und enger uns ein­schlie­ßen und uns ver­nich­ten, aber nicht den Schmerz der unend­li­chen Sehn­sucht, in wel­cher jede Lust, die schnell in jauch­zen­den Tönen empor­ge­stie­gen, hin­sinkt und unter­geht, und nur in die­sem Schmerz, der Lie­be, Hoff­nung, Freu­de, in sich ver­zeh­rend aber nicht zer­stö­rend unse­re Brust mit einem voll­stim­mi­gen Zusam­men­klan­ge aller Lei­den­schaf­ten zer­spren­gen will, leben wir fort und sind ent­zück­te Geisterseher!«

Hoff­manns Erzäh­lun­gen ver­an­schau­li­chen wie weni­ge Wer­ke der Welt­li­te­ra­tur die dämo­ni­sche Ver­füh­rungs­kraft des Bösen, die den Men­schen heim­sucht, weil er aus Schwä­che und Gut­mü­tig­keit sich ihr hin- oder ihr nach­gibt, oft genug aus ver­ständ­li­chen, ja nach­ge­ra­de not­wen­di­gen Moti­ven. Doch heben die­se nicht die fata­len Ver­stri­ckun­gen auf, denen die­je­ni­gen anheim­fal­len, wel­che sich dem Bösen öffnen.

Die zahl­rei­chen Iden­ti­täts­spal­tun­gen, die Fäl­le von Ich-Ver­lust und das Dop­pel­gän­ger­mo­tiv in vie­len Erzäh­lun­gen Hoff­manns wie Die Eli­xie­re des Teu­fels, Der Sand­mann oder Der Dop­pelt­gän­ger sind alle­samt Anzei­chen für das Pre­kä­re und das Labi­le der mensch­li­chen Exis­tenz, der es nicht gelingt, einen fes­ten Grund oder ein Kor­sett zu fin­den, mit dem der Mensch sich ein für alle­mal gegen das Dämo­ni­sche sichern kann.

Dies gilt zumal in Kri­sen­zei­ten. Fried­rich Seng­le kon­sta­tier­te schon 1942 in sei­nem Habi­li­ta­ti­ons­vor­trag lako­nisch, »daß der Krieg uns E. T. A. Hoff­mann wie­der näher brin­gen wird.« (1) Ihm stand dabei die Abgrün­dig­keit des Krie­ges vor Augen, die jeden Schlei­er illu­sio­nä­rer Men­schen­bil­der zer­reißt. Hoff­mann selbst hat­te den Krieg gegen Napo­le­on in Dres­den erlebt und nach der Völ­ker­schlacht im August 1813 das mit gefal­le­nen Rus­sen bedeck­te Schlacht­feld besucht, »die zum Teil auf die schreck­lichs­te Wei­se ver­stüm­melt und zer­ris­sen« waren, und auf »man­chem unver­stüm­mel­ten Gesicht sah man noch die Wut, – den Grimm des Kampfes«.

Auch ange­sichts die­ses Grau­ens ist Iden­ti­tät für Hoff­mann nichts ein für alle­mal Sta­bi­les, son­dern etwas Gefähr­de­tes, weil das Dämo­ni­sche – auch das über die Men­schen her­ein­bre­chen­de Dämo­ni­sche von Krieg und Poli­tik – sich die Iden­ti­täts­un­si­cher­heit der Men­schen zunut­ze macht, um Zwei­fel zu säen an dem, was man hat. Denn »hat« man sich? Oder ist die Furcht vor der Per­sön­lich­keits­spal­tung, sym­bo­li­siert im lite­ra­ri­schen Motiv des Dop­pel­gän­gers, nicht durch­aus real? Sind die Sta­bi­li­tät und die Kon­ti­nui­tät des Ichs eine Illu­si­on, die auf­recht­zu­er­hal­ten zwar not­wen­dig, aber nicht immer erfolg­reich ist?

Die Zer­ris­sen­heit des Men­schen Hoff­mann zwi­schen Künst­ler­tum und bür­ger­li­chem Brot­be­ruf wird in sei­ner Kunst reflek­tiert: Aus sei­nen »Hof­räthen und Spieß­bür­gern gleißt unver­mit­telt das Gespens­ti­sche auf« (Ernst Jün­ger). So sind Hoff­manns Erzäh­lun­gen immer auch poe­ti­scher Wider­stand gegen die ent­zau­ber­te Welt und den Vor­marsch von Regle­men­tie­rung und bür­ger­li­cher Routine.

Hoff­mann lag schon zu sei­ner Zeit quer zu den ästhe­ti­schen Erwar­tun­gen auf dem Höhen­kamm der Lite­ra­tur, die von Dich­ter­fürs­ten wie Goe­the aus­gin­gen und die Kanon­bil­dung nach­hal­tig präg­ten. Es reicht eine Ket­te der Gering­schät­zung Hoff­manns von sei­nen Zeit­ge­nos­sen wie Hegel, Scott und Goe­the bis zu Peter Hacks. Schon Hegel woll­te in sei­nen Vor­le­sun­gen über die Ästhe­tik die Kunst nur als das ver­ste­hen, wo »alles klar und durch­sich­tig« sei, wäh­rend die dunk­len Mäch­te in ihr nichts zu suchen hät­ten. Mit den wun­der­li­chen Din­gen des Dun­kels sei »nichts als der Krank­heit des Geis­tes das Wort gere­det und die Poe­sie in das Nebu­lo­se, Eit­le und Lee­re hin­über­ge­spielt«, wofür Hegel aus­drück­lich Hoff­mann und Kleist als Bei­spie­le anführt.

Und noch um 1900 hat­te Ricar­da Huch in ihrem Pio­nier­werk über die Roman­tik die rhe­to­ri­sche Fra­ge gestellt: »Wer möch­te ihn einen gro­ßen Dich­ter nen­nen?«; und zudem behaup­tet, Hoff­manns »schar­fer, königs­ber­gi­scher Ver­stand« habe wohl ein­ge­se­hen, daß »er ein gro­ßer Künst­ler nicht war und Meis­ter­wer­ke nicht schaf­fen konn­te«. Erst mit Autoren wie Her­mann Hes­se wuchs das Ver­ständ­nis für Hoff­manns Poe­to­lo­gie mit ihrer nicht zu unter­schät­zen­den zeit­kri­ti­schen Dimen­si­on. Aber sei­ne Zeit­kri­tik beruh­te nicht, wie bei poli­ti­schen Ideo­lo­gen, auf einem »aus­ge­dach­ten Gesell­schafts­ide­al« (Ernst von Schenck).

Das von Hoff­mann for­mu­lier­te sera­pion­ti­sche Prin­zip – die struk­tu­rie­ren­de Denk­form nicht nur sei­nes Haupt­wer­kes Die Sera­pi­ons-Brü­der (1819) – lau­tet so: »Es gibt eine inne­re Welt, und die geis­ti­ge Kraft, sie in vol­ler Klar­heit, in dem voll­endets­ten Glan­ze des reges­ten Lebens zu schau­en, aber es ist unser irdi­sches Erb­teil, daß eben die Außen­welt in der wir ein­ge­schach­tet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewe­gung setzt.« Aus dem Inne­ren ins Äuße­re – so muß auch das Erzäh­len gehen, weil nur das anschau­lich wer­den kann, was in inten­sivs­ter Inner­lich­keit geschaut wur­de. Hier setzt auch das Inter­es­se Ernst Jün­gers für Hoff­mann an, den er ohne wei­te­res neben sei­nen drei Augen­öff­nern Hamann, Scho­pen­hau­er und Rim­baud hät­te nen­nen können.

Rüdi­ger Safran­ski hat früh scharf­sich­tig erkannt, wor­in der Kern der poli­ti­schen Anthro­po­lo­gie Hoff­manns liegt, näm­lich im letz­ten in einer Ver­mitt­lung von Inne­rem und Äuße­rem in der Gestalt von psy­chi­schem Innen­raum einer­seits und Poli­tik ande­rer­seits. (2) Poli­tik als »Macht des Äuße­ren« sei not­wen­dig, müs­se aber in Gren­zen gehal­ten wer­den, wes­halb das Inne­re vor der Poli­tik geschützt wer­den müs­se. Aber das genügt nicht: »Ein poli­ti­sier­ter Sera­pi­on ist Robes­pierre, ist zer­stö­re­ri­scher Wahn des extre­men Sub­jek­ti­vis­mus. Des­halb muß auch die Poli­tik bewahrt wer­den vor dem unge­hemm­ten Durch­bruch des Inne­ren; es muß also das Inne­re vor der Poli­tik und die Poli­tik vor dem Inne­ren geschützt werden.«

Die­se poli­ti­sche Anthro­po­lo­gie Hoff­manns zeigt sich exem­pla­risch in Klein Zaches, genannt Zin­no­ber, eine schein­bar ver­spiel­te, gleich­wohl erns­te Sati­re auf die zur Macht gelang­te Auf­klä­rung. Das Mär­chen läßt sich als gegen die Auf­klä­rung gerich­te­te Sati­re inter­pre­tie­ren, doch nimmt sie auch die Roman­tik selbst auf die Schip­pe, wenn sie den Stu­dio­sus Bal­tha­sar kari­kiert, der aber dann doch wie­der den ent­schei­den­den Ansatz­punkt für die Ent­lar­vung des Zin­no­ber lie­fert: Der näm­lich wird durch einen Zau­ber – ver­gleich­bar einem media­len Framing – allen Men­schen als posi­tiv vor­ge­stellt, weil ihm mit­tels eines undurch­schau­ba­ren Zusam­men­hangs die Ver­diens­te ande­rer zuge­schrie­ben wer­den. Erst wenn durch einen Gegen­zau­ber die­ser Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hang durch­bro­chen wird, kann auch im König­reich wie­der poli­ti­sche Ruhe einkehren.

Zuvor aber ist in eben­die­sem Reich die Auf­klä­rung ein­ge­führt wor­den, jedoch mit einer ent­schei­den­den Maß­re­gel ver­bun­den: Bevor die eigent­li­che Auf­klä­rung umge­setzt wer­de, so der Bera­ter des Königs, sei es nötig, »alle Leu­te von gefähr­li­chen Gesin­nun­gen, die kei­ner Ver­nunft Gehör geben und das Volk durch lau­ter Albern­hei­ten ver­füh­ren, aus dem Staa­te zu ver­ban­nen.« Es müs­se mit Klug­heit gegen die »Fein­de der Auf­klä­rung« zu Fel­de gezo­gen wer­den, denn die­se Fein­de sei­en schuld dar­an, daß »der lie­be Staat noch in gänz­li­cher Fins­ter­nis dar­nie­der« lie­ge: »Sie trei­ben ein gefähr­li­ches Gewer­be mit dem Wun­der­ba­ren und scheu­en sich nicht, unter dem Namen Poe­sie, ein heim­li­ches Gift zu ver­brei­ten, das die Leu­te ganz unfä­hig macht zum Diens­te in der Auf­klä­rung.« Die Poe­sie füh­re gera­de­zu zu poli­zei­wid­ri­gen Gewohnheiten.

Schon 1824 – zwei Jah­re nach Hoff­manns Tod – brach­te Adel­bert von Cha­mis­so aus der Per­spek­ti­ve eines Rück­blicks sei­ne epo­cha­le Bedeu­tung auf den Punkt: »Die­ser Hoff­mann beherrsch­te mit Wal­ter Scott unse­re Lese­welt.« Noch in den letz­ten Jah­ren sei­nes Lebens blieb Hoff­mann nicht nur – wie noch für lan­ge Zeit – ästhe­tisch höchst umstrit­ten, son­dern galt auch als poli­tisch unsi­che­rer Kan­to­nist. Denn obwohl Hoff­mann als Kam­mer­ge­richts­rat in die Unter­su­chung soge­nann­ter dem­ago­gi­scher Umtrie­be ein­ge­bun­den war, fie­len sei­ne Gut­ach­ten nicht so aus, wie es man­che Behör­den­ver­tre­ter gern gese­hen hät­ten. Das gilt etwa für sei­ne aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me im Ver­fah­ren gegen Fried­rich Lud­wig Jahn, dem er zwar wenig Sym­pa­thien ent­ge­gen­brach­te, vom strikt recht­li­chen Stand­punkt aus aber in Schutz zu neh­men sich ver­pflich­tet fühlte.

Auch wenn Hoff­mann nie ein homo poli­ti­cus oder ein enga­gier­ter ­Intel­lek­tu­el­ler im eigent­li­chen Sin­ne war, wuß­te er sehr genau, mit wel­chem Ver­hal­ten von sei­ten der Obrig­keit in einem Poli­zei­staat zu rech­nen war, der wie Preu­ßen erst Schritt für Schritt zu einem genui­nen Rechts­staat ent­wi­ckelt wer­den muß­te. Hoff­mann bestand auf der schar­fen Tren­nung von ech­tem Tat­vor­wurf und »blo­ßer Gesin­nung«, und er lehn­te die Ver­wen­dung von Begrif­fen wie »dem­ago­gi­sche Umtrie­be« ab, weil die­ser schwan­kend sei und kein bestimm­tes Ver­bre­chen bezeichne.

Auch könn­ten Äuße­run­gen der »Unzu­frie­den­heit mit der bestehen­den Ver­fas­sung« eben­so­we­nig straf­bar sein wie phi­lo­so­phi­sche Dis­kus­sio­nen. Das Prin­zip der Kon­takt­schuld lehnt Hoff­mann eben­falls ent­schie­den ab: »A. ist ver­däch­tig, B. ist eben­falls ver­däch­tig, B. ist schon des­halb ver­däch­tig, weil er mit A. genau­en Umgang pflegt und so umgekehrt.«

Hoff­mann muß­te in die­ser Atmo­sphä­re von Gesin­nungs­prü­fern und eif­ri­gen Ver­fol­gern kon­sta­tie­ren, wie sich vor sei­nen Augen »ein gan­zes Gewe­be heil­lo­ser Will­kühr, fre­cher Nicht­ach­tung aller Geset­ze, per­sön­li­cher Ani­mo­si­tät, ent­wi­ckel­te«, wie er in einem Brief vom 24. Juni 1820 an sei­nen alten Stu­di­en­freund Hip­pel schrieb. Auch das gehört zu den Ein­sich­ten einer Anthro­po­lo­gie der Macht: die Ten­denz, sich über den ihr zuste­hen­den Bereich aus­zu­deh­nen und vor­beu­gend dem Oppo­si­ti­ons­geist nach­zu­spü­ren. Hoff­mann bejah­te es, »dem hirn­ge­spens­ti­schen Trei­ben eini­ger jun­ger Stru­del­köp­fe Schran­ken« zu set­zen, han­del­te es sich doch bei die­sen »soge­nann­ten Unbe­ding­ten« um Fana­ti­ker, für die der Zweck die Mit­tel hei­lig­te. Aber wenn dage­gen auch vor­ge­gan­gen wer­den muß­te, so waren doch alle Maß­nah­men zu ver­ur­tei­len, »die nicht nur gegen die That, son­dern gegen Gesin­nun­gen gerich­tet waren.«

Davon zeugt vor allem auch die poli­ti­sche Hin­ter­sin­nig­keit eines Tex­tes wie Meis­ter Floh, sei­ne letz­te voll­ende­te Erzäh­lung. Hoff­mann per­si­flier­te hier, wie der Dem­ago­gen­ver­fol­ger und Poli­zei­di­rek­tor Karl ­Chris­toph Albert Hein­rich Kamptz monier­te, »auch die hie­si­ge Unter­su­chung der dem­ago­gi­schen Umtrie­be«. Hoff­mann stritt zwar aus Selbst­schutz ange­sichts lau­fen­der Ermitt­lun­gen gegen ihn ab, er habe eine Kri­tik an staat­li­cher Ver­fol­gungs­sucht und Kri­mi­na­li­sie­rung von Oppo­si­ti­on geübt.

Doch prä­sen­tier­te er mit der Figur des Knarr­pan­ti einen staat­li­chen Straf­ver­fol­ger, der Kamptz nach­emp­fun­den war und sich durch die Ver­si­che­rung, es habe sich kein Ver­bre­chen fest­stel­len las­sen, nicht irri­tie­ren läßt. Denn es fin­de, »sei erst der Ver­bre­cher aus­ge­mit­telt, sich das began­ge­ne Ver­bre­chen von selbst«. Kamptz’ Kri­tik an Hoff­mann ist die all der­je­ni­gen, die jede öffent­li­che Kri­tik an der Obrig­keit und ihren aus­füh­ren­den Orga­nen unter­bin­den wollen.

Wie bei sei­nem Zeit­ge­nos­sen Hein­rich von Kleist, den er auf­merk­sam las, erzeu­gen die Tex­te Hoff­manns einen außer­ge­wöhn­li­chen Sog, der sei­ne Leser in eine phan­tas­ti­sche oder phan­tas­tisch anmu­ten­de Welt hin­ein­zieht, aus der sie sich, eine leb­haf­te Phan­ta­sie vor­aus­ge­setzt, nie wie­der befrei­en kön­nen. Ernst von Schenck hat in sei­ner gro­ßen Hoff­mann-Mono­gra­phie von 1939 die Stel­lung des Autors zum Mythos in den Blick genom­men und in Hoff­mann einen »der weni­gen wirk­li­chen Mytho­gra­phen des moder­nen Men­schen« erkannt. Er den­ke näm­lich sowohl mythisch als auch psy­cho­lo­gisch. Die­se Ein­sicht erhellt die andau­ern­de Fas­zi­na­ti­ons­kraft von Hoff­manns Wer­ken, die dem Mythos, der von der Auf­klä­rung nicht ein für alle­mal ver­ab­schie­det wer­den kann, wie­der Raum geben. Daher auch Erzäh­lun­gen wie Die Berg­wer­ke zu ­Falun, die in abgrün­di­gen Bild­wel­ten die Abgrün­de der See­le spie­geln und nichts Gerin­ge­res als das Ver­hält­nis des Men­schen zur Natur und damit letzt­lich zu Gott ins Spiel bringen.

Der Schrift­stel­ler Franz Füh­mann – wie weni­ge mit dem mythi­schen Ele­ment der Lite­ra­tur ver­traut – frag­te sich einst, war­um er zum sechs­ten oder sieb­ten Male den Kater Murr, die Nacht­stü­cke oder die Prin­zes­sin Brambil­la lese. (3) Er fand dort »Model­le der Mensch­heits- und Men­schen­er­fah­rung«, die ihn in den Bann schlu­gen und die ihm in einem Staat geis­tig zu über­le­ben erlaub­ten, in dem die ›Auf­klä­rung‹, »wie immer von oben«, ein­ge­führt wor­den war. Und so schlug Füh­mann denn selbst mit sub­ver­si­ver Inten­ti­on eine Bre­sche für Hoff­mann, die für sei­nen Kol­le­gen Hacks nichts Gerin­ge­res war als der Beginn der Kon­ter­re­vo­lu­ti­on: »Füh­manns Absicht war nicht, der Roman­tik zu ihrem Recht zu ver­hel­fen. Er woll­te die Roman­tik an der Macht.« Eine auf­klä­re­ri­sche Dik­ta­tur jed­we­der Art, wel­che die Poe­sie aus dem Leben ver­treibt und den Mythos ban­nen will, war und ist mit E. T. A. Hoff­mann nicht zu machen. (4)

– – –

(1) – Fried­rich Seng­le: »E. T. A. Hoff­mann-Pro­ble­me«, in: E. T. A. Hoff­mann-Jahr­buch 16 (2008), S. 40 – 52.

(2) – Vgl. Rüdi­ger Safran­ski: E. T. A. Hoff­mann. Eine Bio­gra­phie, Rein­bek bei Ham­burg 1992.

(3) – Vgl. Franz Füh­mann: Fräu­lein Vero­ni­ka Paul­mann aus der Pir­naer Vor­stadt oder Etwas über das Schau­er­li­che bei E. T. A. Hoff­mann, Mün­chen 1984.

(4) – Vgl. Misia Sophia Doms, Peter Klin­gel: »Was ist der Mensch und was kann aus ihm wer­den?« Zur Kri­tik an ratio­na­lis­ti­schen Uto­pien und Erzie­hungs­kon­zep­ten in E.T.A. Hoff­manns »Nuß­kna­cker und Mau­se­kö­nig«, Würz­burg 2019.

 

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)