Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann wurde am 24. Januar 1776 im ostpreußischen Königsberg geboren, wo die Aufklärung Immanuel Kants prägend war, aber auch gegenläufige Tendenzen existierten. Johann Georg Hamann, der Hoffmann »ein lieber herrlicher Landsmann« war (30. Januar 1822 an Jean Paul), sagte: Sinne und Leidenschaften verstünden und redeten nichts als Bilder, und der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit liege darin.
Kaum ein literarisches Werk enthält nun eine solche Fülle von Bildern und Symbolen wie das E. T. A. Hoffmanns. Hier werden die Schwellen zwischen Realität und Übernatürlichem immer wieder überschritten, die Realität des Wunderbaren dringt hier unmerklich in die bestimmbare Wirklichkeit ein wie in den meisterhaften Schilderungen des »Märchens aus neuer Zeit«, Der goldne Topf, das in einem exakt vermessenen Dresden spielt.
Die andere Kunst, die der Jurist Hoffmann neben der Schriftstellerei mit wahrer Leidenschaft betrieb, war die Musik – und weil diese tief in die Sphären des Leidenschaftlichen, ja der Besessenheit reicht, gelang es Hoffmann auch, ihre Dämonie in der Figur seines Kapellmeisters Kreisler in den Kreisleriana und den Lebensansichten des Katers Murr zu zeichnen. Diese Figur stehe, so Oswald Spengler im Untergang des Abendlandes, aufgrund ihres symbolischen Ranges und ihrer inneren Notwendigkeit »ebenbürtig neben dem Faust, Werther und Don Juan«.
Wie auch immer – es gehört zu den grundlegenden anthropologischen Einsichten Hoffmanns, die Musik als das »Reich des Ungeheuern und Unermeßlichen« zu bestimmen, wie es etwa durch Beethoven zugänglich werde: »Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen und uns vernichten, aber nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in welcher jede Lust, die schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht, und nur in diesem Schmerz, der Liebe, Hoffnung, Freude, in sich verzehrend aber nicht zerstörend unsere Brust mit einem vollstimmigen Zusammenklange aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher!«
Hoffmanns Erzählungen veranschaulichen wie wenige Werke der Weltliteratur die dämonische Verführungskraft des Bösen, die den Menschen heimsucht, weil er aus Schwäche und Gutmütigkeit sich ihr hin- oder ihr nachgibt, oft genug aus verständlichen, ja nachgerade notwendigen Motiven. Doch heben diese nicht die fatalen Verstrickungen auf, denen diejenigen anheimfallen, welche sich dem Bösen öffnen.
Die zahlreichen Identitätsspaltungen, die Fälle von Ich-Verlust und das Doppelgängermotiv in vielen Erzählungen Hoffmanns wie Die Elixiere des Teufels, Der Sandmann oder Der Doppeltgänger sind allesamt Anzeichen für das Prekäre und das Labile der menschlichen Existenz, der es nicht gelingt, einen festen Grund oder ein Korsett zu finden, mit dem der Mensch sich ein für allemal gegen das Dämonische sichern kann.
Dies gilt zumal in Krisenzeiten. Friedrich Sengle konstatierte schon 1942 in seinem Habilitationsvortrag lakonisch, »daß der Krieg uns E. T. A. Hoffmann wieder näher bringen wird.« (1) Ihm stand dabei die Abgründigkeit des Krieges vor Augen, die jeden Schleier illusionärer Menschenbilder zerreißt. Hoffmann selbst hatte den Krieg gegen Napoleon in Dresden erlebt und nach der Völkerschlacht im August 1813 das mit gefallenen Russen bedeckte Schlachtfeld besucht, »die zum Teil auf die schrecklichste Weise verstümmelt und zerrissen« waren, und auf »manchem unverstümmelten Gesicht sah man noch die Wut, – den Grimm des Kampfes«.
Auch angesichts dieses Grauens ist Identität für Hoffmann nichts ein für allemal Stabiles, sondern etwas Gefährdetes, weil das Dämonische – auch das über die Menschen hereinbrechende Dämonische von Krieg und Politik – sich die Identitätsunsicherheit der Menschen zunutze macht, um Zweifel zu säen an dem, was man hat. Denn »hat« man sich? Oder ist die Furcht vor der Persönlichkeitsspaltung, symbolisiert im literarischen Motiv des Doppelgängers, nicht durchaus real? Sind die Stabilität und die Kontinuität des Ichs eine Illusion, die aufrechtzuerhalten zwar notwendig, aber nicht immer erfolgreich ist?
Die Zerrissenheit des Menschen Hoffmann zwischen Künstlertum und bürgerlichem Brotberuf wird in seiner Kunst reflektiert: Aus seinen »Hofräthen und Spießbürgern gleißt unvermittelt das Gespenstische auf« (Ernst Jünger). So sind Hoffmanns Erzählungen immer auch poetischer Widerstand gegen die entzauberte Welt und den Vormarsch von Reglementierung und bürgerlicher Routine.
Hoffmann lag schon zu seiner Zeit quer zu den ästhetischen Erwartungen auf dem Höhenkamm der Literatur, die von Dichterfürsten wie Goethe ausgingen und die Kanonbildung nachhaltig prägten. Es reicht eine Kette der Geringschätzung Hoffmanns von seinen Zeitgenossen wie Hegel, Scott und Goethe bis zu Peter Hacks. Schon Hegel wollte in seinen Vorlesungen über die Ästhetik die Kunst nur als das verstehen, wo »alles klar und durchsichtig« sei, während die dunklen Mächte in ihr nichts zu suchen hätten. Mit den wunderlichen Dingen des Dunkels sei »nichts als der Krankheit des Geistes das Wort geredet und die Poesie in das Nebulose, Eitle und Leere hinübergespielt«, wofür Hegel ausdrücklich Hoffmann und Kleist als Beispiele anführt.
Und noch um 1900 hatte Ricarda Huch in ihrem Pionierwerk über die Romantik die rhetorische Frage gestellt: »Wer möchte ihn einen großen Dichter nennen?«; und zudem behauptet, Hoffmanns »scharfer, königsbergischer Verstand« habe wohl eingesehen, daß »er ein großer Künstler nicht war und Meisterwerke nicht schaffen konnte«. Erst mit Autoren wie Hermann Hesse wuchs das Verständnis für Hoffmanns Poetologie mit ihrer nicht zu unterschätzenden zeitkritischen Dimension. Aber seine Zeitkritik beruhte nicht, wie bei politischen Ideologen, auf einem »ausgedachten Gesellschaftsideal« (Ernst von Schenck).
Das von Hoffmann formulierte serapiontische Prinzip – die strukturierende Denkform nicht nur seines Hauptwerkes Die Serapions-Brüder (1819) – lautet so: »Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen, aber es ist unser irdisches Erbteil, daß eben die Außenwelt in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewegung setzt.« Aus dem Inneren ins Äußere – so muß auch das Erzählen gehen, weil nur das anschaulich werden kann, was in intensivster Innerlichkeit geschaut wurde. Hier setzt auch das Interesse Ernst Jüngers für Hoffmann an, den er ohne weiteres neben seinen drei Augenöffnern Hamann, Schopenhauer und Rimbaud hätte nennen können.
Rüdiger Safranski hat früh scharfsichtig erkannt, worin der Kern der politischen Anthropologie Hoffmanns liegt, nämlich im letzten in einer Vermittlung von Innerem und Äußerem in der Gestalt von psychischem Innenraum einerseits und Politik andererseits. (2) Politik als »Macht des Äußeren« sei notwendig, müsse aber in Grenzen gehalten werden, weshalb das Innere vor der Politik geschützt werden müsse. Aber das genügt nicht: »Ein politisierter Serapion ist Robespierre, ist zerstörerischer Wahn des extremen Subjektivismus. Deshalb muß auch die Politik bewahrt werden vor dem ungehemmten Durchbruch des Inneren; es muß also das Innere vor der Politik und die Politik vor dem Inneren geschützt werden.«
Diese politische Anthropologie Hoffmanns zeigt sich exemplarisch in Klein Zaches, genannt Zinnober, eine scheinbar verspielte, gleichwohl ernste Satire auf die zur Macht gelangte Aufklärung. Das Märchen läßt sich als gegen die Aufklärung gerichtete Satire interpretieren, doch nimmt sie auch die Romantik selbst auf die Schippe, wenn sie den Studiosus Balthasar karikiert, der aber dann doch wieder den entscheidenden Ansatzpunkt für die Entlarvung des Zinnober liefert: Der nämlich wird durch einen Zauber – vergleichbar einem medialen Framing – allen Menschen als positiv vorgestellt, weil ihm mittels eines undurchschaubaren Zusammenhangs die Verdienste anderer zugeschrieben werden. Erst wenn durch einen Gegenzauber dieser Verblendungszusammenhang durchbrochen wird, kann auch im Königreich wieder politische Ruhe einkehren.
Zuvor aber ist in ebendiesem Reich die Aufklärung eingeführt worden, jedoch mit einer entscheidenden Maßregel verbunden: Bevor die eigentliche Aufklärung umgesetzt werde, so der Berater des Königs, sei es nötig, »alle Leute von gefährlichen Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen, aus dem Staate zu verbannen.« Es müsse mit Klugheit gegen die »Feinde der Aufklärung« zu Felde gezogen werden, denn diese Feinde seien schuld daran, daß »der liebe Staat noch in gänzlicher Finsternis darnieder« liege: »Sie treiben ein gefährliches Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich nicht, unter dem Namen Poesie, ein heimliches Gift zu verbreiten, das die Leute ganz unfähig macht zum Dienste in der Aufklärung.« Die Poesie führe geradezu zu polizeiwidrigen Gewohnheiten.
Schon 1824 – zwei Jahre nach Hoffmanns Tod – brachte Adelbert von Chamisso aus der Perspektive eines Rückblicks seine epochale Bedeutung auf den Punkt: »Dieser Hoffmann beherrschte mit Walter Scott unsere Lesewelt.« Noch in den letzten Jahren seines Lebens blieb Hoffmann nicht nur – wie noch für lange Zeit – ästhetisch höchst umstritten, sondern galt auch als politisch unsicherer Kantonist. Denn obwohl Hoffmann als Kammergerichtsrat in die Untersuchung sogenannter demagogischer Umtriebe eingebunden war, fielen seine Gutachten nicht so aus, wie es manche Behördenvertreter gern gesehen hätten. Das gilt etwa für seine ausführliche Stellungnahme im Verfahren gegen Friedrich Ludwig Jahn, dem er zwar wenig Sympathien entgegenbrachte, vom strikt rechtlichen Standpunkt aus aber in Schutz zu nehmen sich verpflichtet fühlte.
Auch wenn Hoffmann nie ein homo politicus oder ein engagierter Intellektueller im eigentlichen Sinne war, wußte er sehr genau, mit welchem Verhalten von seiten der Obrigkeit in einem Polizeistaat zu rechnen war, der wie Preußen erst Schritt für Schritt zu einem genuinen Rechtsstaat entwickelt werden mußte. Hoffmann bestand auf der scharfen Trennung von echtem Tatvorwurf und »bloßer Gesinnung«, und er lehnte die Verwendung von Begriffen wie »demagogische Umtriebe« ab, weil dieser schwankend sei und kein bestimmtes Verbrechen bezeichne.
Auch könnten Äußerungen der »Unzufriedenheit mit der bestehenden Verfassung« ebensowenig strafbar sein wie philosophische Diskussionen. Das Prinzip der Kontaktschuld lehnt Hoffmann ebenfalls entschieden ab: »A. ist verdächtig, B. ist ebenfalls verdächtig, B. ist schon deshalb verdächtig, weil er mit A. genauen Umgang pflegt und so umgekehrt.«
Hoffmann mußte in dieser Atmosphäre von Gesinnungsprüfern und eifrigen Verfolgern konstatieren, wie sich vor seinen Augen »ein ganzes Gewebe heilloser Willkühr, frecher Nichtachtung aller Gesetze, persönlicher Animosität, entwickelte«, wie er in einem Brief vom 24. Juni 1820 an seinen alten Studienfreund Hippel schrieb. Auch das gehört zu den Einsichten einer Anthropologie der Macht: die Tendenz, sich über den ihr zustehenden Bereich auszudehnen und vorbeugend dem Oppositionsgeist nachzuspüren. Hoffmann bejahte es, »dem hirngespenstischen Treiben einiger junger Strudelköpfe Schranken« zu setzen, handelte es sich doch bei diesen »sogenannten Unbedingten« um Fanatiker, für die der Zweck die Mittel heiligte. Aber wenn dagegen auch vorgegangen werden mußte, so waren doch alle Maßnahmen zu verurteilen, »die nicht nur gegen die That, sondern gegen Gesinnungen gerichtet waren.«
Davon zeugt vor allem auch die politische Hintersinnigkeit eines Textes wie Meister Floh, seine letzte vollendete Erzählung. Hoffmann persiflierte hier, wie der Demagogenverfolger und Polizeidirektor Karl Christoph Albert Heinrich Kamptz monierte, »auch die hiesige Untersuchung der demagogischen Umtriebe«. Hoffmann stritt zwar aus Selbstschutz angesichts laufender Ermittlungen gegen ihn ab, er habe eine Kritik an staatlicher Verfolgungssucht und Kriminalisierung von Opposition geübt.
Doch präsentierte er mit der Figur des Knarrpanti einen staatlichen Strafverfolger, der Kamptz nachempfunden war und sich durch die Versicherung, es habe sich kein Verbrechen feststellen lassen, nicht irritieren läßt. Denn es finde, »sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst«. Kamptz’ Kritik an Hoffmann ist die all derjenigen, die jede öffentliche Kritik an der Obrigkeit und ihren ausführenden Organen unterbinden wollen.
Wie bei seinem Zeitgenossen Heinrich von Kleist, den er aufmerksam las, erzeugen die Texte Hoffmanns einen außergewöhnlichen Sog, der seine Leser in eine phantastische oder phantastisch anmutende Welt hineinzieht, aus der sie sich, eine lebhafte Phantasie vorausgesetzt, nie wieder befreien können. Ernst von Schenck hat in seiner großen Hoffmann-Monographie von 1939 die Stellung des Autors zum Mythos in den Blick genommen und in Hoffmann einen »der wenigen wirklichen Mythographen des modernen Menschen« erkannt. Er denke nämlich sowohl mythisch als auch psychologisch. Diese Einsicht erhellt die andauernde Faszinationskraft von Hoffmanns Werken, die dem Mythos, der von der Aufklärung nicht ein für allemal verabschiedet werden kann, wieder Raum geben. Daher auch Erzählungen wie Die Bergwerke zu Falun, die in abgründigen Bildwelten die Abgründe der Seele spiegeln und nichts Geringeres als das Verhältnis des Menschen zur Natur und damit letztlich zu Gott ins Spiel bringen.
Der Schriftsteller Franz Fühmann – wie wenige mit dem mythischen Element der Literatur vertraut – fragte sich einst, warum er zum sechsten oder siebten Male den Kater Murr, die Nachtstücke oder die Prinzessin Brambilla lese. (3) Er fand dort »Modelle der Menschheits- und Menschenerfahrung«, die ihn in den Bann schlugen und die ihm in einem Staat geistig zu überleben erlaubten, in dem die ›Aufklärung‹, »wie immer von oben«, eingeführt worden war. Und so schlug Fühmann denn selbst mit subversiver Intention eine Bresche für Hoffmann, die für seinen Kollegen Hacks nichts Geringeres war als der Beginn der Konterrevolution: »Fühmanns Absicht war nicht, der Romantik zu ihrem Recht zu verhelfen. Er wollte die Romantik an der Macht.« Eine aufklärerische Diktatur jedweder Art, welche die Poesie aus dem Leben vertreibt und den Mythos bannen will, war und ist mit E. T. A. Hoffmann nicht zu machen. (4)
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(1) – Friedrich Sengle: »E. T. A. Hoffmann-Probleme«, in: E. T. A. Hoffmann-Jahrbuch 16 (2008), S. 40 – 52.
(2) – Vgl. Rüdiger Safranski: E. T. A. Hoffmann. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg 1992.
(3) – Vgl. Franz Fühmann: Fräulein Veronika Paulmann aus der Pirnaer Vorstadt oder Etwas über das Schauerliche bei E. T. A. Hoffmann, München 1984.
(4) – Vgl. Misia Sophia Doms, Peter Klingel: »Was ist der Mensch und was kann aus ihm werden?« Zur Kritik an rationalistischen Utopien und Erziehungskonzepten in E.T.A. Hoffmanns »Nußknacker und Mausekönig«, Würzburg 2019.