Unsere Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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Seymour Hershs Belege, die auf die Urheberschaft der USA bezüglich der Sprengung der Nordstream-Pipelines hindeuten, sind überwältigend.
In einer normalen Welt würde derartiges erstens eine Regierungskrise auslösen, zweitens eine Verurteilung des Terroranschlags durch den US-amerikanischen Kongreß, drittens die Forderung einer internen Untersuchung illegaler Aktivitäten des CIA und des Pentagons, viertens eine internationale Untersuchung unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, fünftens eine umsichtige Stellungnahme des UN-Generalsekretärs, sechstens einen Einspruch der Umweltversammlung der Vereinten Nationen, siebtens einen medialen Aufschrei.
Letztlich wäre angesichts des Ausmaßes der groben Verletzung der UN-Charta und internationaler Verträge sogar ein Rücktritt des Biden-Regierung angebracht.
Es ist irre: Der Staat, der von sich behauptet, das Völkerrecht zu wahren, läßt sich auf eine unverschämte Terroroperation ein, ausgeführt im Namen des amerikanischen Volkes, das die Beteiligung der US-Regierung an Operationen unter falscher Flagge samt offensichtlichen Staatsterrorismus gewiß ablehnen würde.
Selbstverständlich wiesen das Weiße Haus und das Pentagon sofort jede Verantwortung von sich und versuchten Seymour Hersh zu verleumden. Nichts Neues unter der Sonne: Wie sagten die alten Römer? „Hast Du’s getan, so leugne es! – Si fecisti, nega!“
Hersh, ehemaliger Reporter von Associated Press und New York Times sowie langjähriger Mitarbeiter des New Yorker, zitierte Aussagen, wonach sein Bericht „falsch und frei erfunden“ (laut Adrienne Watson, Sprecherin des Weißen Hauses) oder seine „Behauptungen vollkommen und absolut falsch“ (CIA-Sprecherin Tammy Thorp) seien.
Das erinnert mich an meine Kindheit. Meine Lehrer brachten uns bei, daß ein Verhalten nach dem Motto “Wirf den Stein und verstecke die Hand!” unrecht sei.
Schon lange vor den Enthüllungen durch Hersh deuteten alle Indizien auf die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten hin. Schließlich hatten die USA alles getan, um die Fertigstellung der Nordstream-Pipeline zu verhindern, sie haben widerrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die am Bau der Pipeline beteiligt und Bedrohungen, Erpressungsversuchen und Schikanen der USA ausgesetzt waren.
Ohnehin war der Angriff angekündigt worden. Am 7. Februar 2022, vor dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine, hatte Biden erklärt: „Falls Rußland einmarschiert … wird es keine Nord Stream 2 mehr geben … Wir werden ihr ein Ende setzen.“ All dies hätte sich bestätigen lassen, wenn die schwedische Untersuchung transparent verlaufen wäre und die deutschen und russischen Eigentümer von Nordstream die Hinweise hätten einsehen dürfen. Aber auch Schweden blockte.
Edward Snowden, der CIA-Berater und Whistleblower, der das amerikanische Volk und die Welt auf die verfassungswidrigen Praktiken des Nationalen Sicherheitsamts (NSA) hingewiesen hatte, zerriß die US-Dementis in der Luft. Am 8. Februar twitterte er:
Können Sie sich irgendwelche Beispiele aus der Geschichte für eine geheime Operation vorstellen, für die das Weiße Haus verantwortlich war, dies aber vehement bestritt? Außerdem: dieses unmaßgebliche Gedöns um die „Massenüberwachung…
Er teilte auch einen Zeitungsartikel vom April des Jahres 1961, in dem US-Außenminister Dean Rusk die Rolle der USA bei der Invasion in der Schweinebucht leugnete und den Amerikanern versicherte, daß die Invasion nicht „von amerikanischem Boden aus inszeniert“ worden sei. Rusk behauptete, daß „kubanische Angelegenheiten von den Kubanern selbst geregelt“ würden, und beharrte darauf, daß die Invasion von Kubanern ohne jegliche US-Unterstützung abgelaufen sei.
Es ist surreal, daß der Westen behauptet, er wolle eine „auf Regeln basierte internationale Ordnung“ und daß es im Krieg in der Ukraine darum ginge, eine solche Ordnung wiederherzustellen. Die USA und die NATO geben sich den Anschein, Rußland aus der Warte moralischer Überlegenheit bekämpften. Die Mainstream-Medien tendieren dazu, solch unhaltbare Narrative nur weiter zu stützen.
Objektiv betrachtet nimmt der Westen gegenüber Russland keine moralisch überlegenere Position ein: Die Bilanz des westlichen Imperialismus und Kolonialismus im 19. und 20. Jahrhundert sowie jüngere Aggressionen des Westens gegen die Völker Indochinas, Jugoslawiens, Afghanistans und des Irak waren tiefergreifend und mörderischer als die russische Invasion der Ukraine.
Die Aktionen des Westens hatten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Folge, die komplett ungestraft blieben, wodurch Präzedenzfälle geschaffen wurden, auf die Rußland und andere sich nun berufen können.
Das Problem ist, daß die meisten von uns US-Amerikanern wie auch die Briten im Vereinigten Königreich oder die Deutschen in Deutschland tatsächlich der eigenen Propaganda aufsitzen. Das hat nichts mit Heuchelei zu tun, sondern mit Naivität.
Von der Grundschule an werden wir in dem Glauben indoktriniert, daß wir per Definition die Guten seien und die Aufgabe hätten, dem Rest der Welt Demokratie und Menschenrechte beizubringen. Für einen Chinesen, Inder oder Afrikaner mag dies fantastisch klingen, doch die Gehirnwäsche an den amerikanischen und europäischen Bevölkerungen ist phänomenal erfolgreich verlaufen.
Aus diesem Grund werden die Enthüllungen von Seymour Hersh in der amerikanischen Öffentlichkeit voraussichtlich keine große Wirkung zeigen. Sie verpuffen schlicht. Die Menschen glauben, was sie glauben wollen, wie Julius Caesar in De bello civili einst schrieb: “quae volumus, ea credimus libenter – Was wir wollen, glauben wir gerne”. Oder noch schlimmer, wie der heilige Augustinus sprach: “Mundus vult decipi.- Die Welt will getäuscht werden”.
So werden Amerikaner weiterhin an ihrem Einzigartigkeitsanspruch festhalten und mit religiösem Eifer daran glauben, daß sie im Recht sind und alle anderen im Unrecht. Ich selbst habe das geglaubt und Jahrzehnte gebraucht, um mich von diesem Bann zu lösen.
Manche hoffen, daß der Bericht von Seymour Hersh die Leute zu einer Neubewertung des Ukraine-Krieg führen und einige seiner Teilnehmer aus der westlichen Allianz dazu bewegen könnte, eine andere Position einzunehmen und zu erkennen, daß der Krieg militärisch nicht zu gewinnen sei. Außer, wir wollten den Konflikt immer weiter eskalieren und auf eine nukleare Konfrontation zusteuern.
Leider Gottes sind wir in unserem eigenen Netz politisch opportuner Lügen und kognitiver Dissonanz gefangen. Selbstverständlich gibt es Politiker und Akademiker, die erkennen, wie inkohärent das System und wie dysfunktional EU und NATO sich präsentieren.
Aber die Mainstream-Medien haben uns erfolgreich eingetrichtert, daß „Konsens“ unter den westlichen Staaten notwendig sei. Aus diesem Grund wird ein Abweichler wie der ungarische Präsident Victor Orban von NATO-Regierungen und Mainstream-Medien so massiv attackiert.
Inzwischen hat auch der kroatische Präsident Zoran Milanovic seine Ablehnung gegenüber der EU- und US-Führung zum Ausdruck gebracht und Friedensgespräche zum Ukrainekonflikt angemahnt. Milanovic bezweifelt, daß die Krim jemals an die Ukraine zurückkehren werde, da sie von vornherein nicht zur Ukraine hätte gehören dürfen, weil die große Mehrheit der Krimbewohner keine Ukrainer werden wollen.
In Deutschland sind es Sahra Wagenknecht von der Linkspartei und Oskar Lafontaine, die sich gegen den Krieg in der Ukraine stellen. In den Vereinigten Staaten ist es der republikanische Kongreßabgeordnete Matt Gaetz aus Pensacola, Florida, der keine weitere Militärhilfen an die Ukraine zulassen möchte.
Die Professoren John Mearsheimer, Richard Falk, Jeffrey Sachs und andere sind sich einig, daß der Krieg in der Ukraine nicht zu gewinnen sei und ein tragfähiger Kompromiß, ein quid pro quo, gefunden werden müßte, um die Kämpfe zu beenden, bevor sie zu einer atomaren Konfrontation eskalierten. Und doch scheinen wir schlafwandelnd auf eine Apokalypse zuzutaumeln.
Es ist skurill, daß die US-Regierung einen solchen Krieg ohne Kriegserklärung führen und hundert Milliarden Dollar verschleudern darf, ohne das amerikanische Volk demokratisch befragt zu haben, ob es das wirklich will.
Ungeachtet der Bedeutung der Enthüllungen von Seymour Hersh und ihrer Auswirkungen auf Institutionen der Regierung wird sich wahrscheinlich wenig ändern: Der Würgegriff der Mainstream-Medien ist derart gewaltig, daß die Erkenntnisse eines seriösen Enthüllungsjournalisten einfach beiseitegeschoben werden können, falls sie dem politisch erwünschten Narrativ entgegenstehen. In unserer dysfunktionalen Demokratie bleiben viele Fakten, viele Berichte, viele Bücher ohne Konsequenzen: Der Zug fährt zu schnell und die Dynamik des Geschehens verhindert, ihn noch stoppen zu können.
Der 2014 begonnene Ukraine-Konflikt hat sich zu einem Krieg ausgeweitet, der nun schon ein Jahr dauert, an die 200.000 Soldaten und Zivilisten getötet und Milliarden Dollar und Euro verschlungen hat. Wird es auf unbegrenzte Zeit so weitergehen?
Ich vermag nicht in eine Kristallkugel zu blicken. Es gab mehrere ernstzunehmende Vermittlungsversuche des türkischen Präsidenten Erdogan und des israelischen Premierministers Bennett – beide wurden von Washington torpediert. Es gab Vermittlungsaufrufe von Papst Franziskus, vom mexikanischen Präsidenten Lopez Obrador und vom brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula. Die Fakten deuten darauf hin, daß Washington den Krieg verlängern und noch den letzten Ukrainer gegen Rußland verheizen möchte.
Solange sich am Stellvertreterkrieg Geld verdienen läßt, wird er weitergehen: Der militärisch-industrielle Komplex hat bereits Milliarden verdient. Auch die Gewinne der Ölindustrie erreichten 2022 astronomisch Höhen.
Selbst wenn Putin in der Ukraine bedeutende militärische Erfolge erreichen sollte, wird der Krieg nicht enden, weil die USA es nie zuließen, dass Selenski einer Friedenslösung nachginge. Der Krieg wird weiter eskalieren, bis alle erschöpft sind oder eine menschliche Fehlkalkulation oder Computerpanne zum Atomkrieg führen.
Ich würde mir eine Koalition der Präsidenten für den Frieden wünschen, die im UN-Sicherheitsrat und in der Generalversammlung darauf bestünden, daß der Krieg sofort beendet werden muß, weil die Gefahr der nuklearen Vernichtung zu groß ist. Für den Rest der Welt ist es irrelevant, ob die Krim zur Ukraine oder zu Rußland gehörte. Die meisten Lateinamerikaner, Afrikaner und Asiaten wissen gar nicht, wo die Krim liegt. Wir im Westen haben kein Recht, den Planeten wegen unserer rein amerikanischen/europäischen/russischen Querelen in den Abgrund zu stürzen.
Welches Land hat genug Einfluß, um sich einzuschalten und zu versuchen, tragfähige Friedensvorschläge auszuarbeiten? Vielleicht sollten China und Indien eine internationale Friedenskonferenz einberufen, die alle Parteien auffordert, die Kämpfe einzustellen und das Überleben des ganzen Planeten nicht länger aufs Spiel zu setzen.
Diese Konferenz sollte nicht nur die russische Invasion in der Ukraine verurteilen, sondern auch die Provokationen der Vereinigten Staaten und der NATO, die als legitimes Verteidigungsbündnis begann, doch sich über die letzten 30 Jahren zu einer kriminellen Organisation im Sinne der Artikel 9 und 10 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg aus dem Jahr 1945 entwickelte.
t.gygax
Einer der besten Artikel in sezession.Jedes Wort ist wahr.Aber leider wird die Wahrheit nicht gehört,man glaubt auch dieser Lüge.