Angesichts der drohenden oder erhofften Gründung einer neuen Partei durch Sahra Wagenknecht könnte es auch für Deutschland relevant sein.
Die „Nye Borgerlige“ – bislang eine nationalkonservative Partei – hatte nach der sensationellen und sehr atypischen Folketings-Wahl im November 2022 ihren Stimmenanteil deutlich erhöhen können, wenn auch auf niedrigem Niveau: statt der vier sollten nun sechs Abgeordnete (von 179) im Parlament sitzen. Das Projekt, das ganz entscheidend vom Charisma seiner Gründerin – Pernille Vermund – abhing, hatte sich endgültig zu einer konstanten Größe im sehr volatilen dänischen Parteienleben etabliert. So zumindest schien es.
Doch schon am Wahlabend gab es Mißtöne. Der Lebenspartner einer der neu gewählten Abgeordneten vergriff sich auf der Wahlparty im Suff im Ton, die Dame verließ daraufhin die Fraktion – da waren es nur noch fünf.
Auch die Koalitionsverhandlungen zwischen „Sozialdemokraten“, „Moderaten“ und der „Venstre“ gerieten zur Enttäuschung, die schwer zu verstehende Regierungsrochade, die höchst divergierende Parteien aus Opportunismus und Machtkalkül zu Partnern machte und wohl den endgültigen Niedergang der moderat konservativen Volkspartei „Venstre“ besiegeln dürfte – ihr Vorsitzender Ellemann-Jensen, ein Paradebeispiel politischer Wendehalsigkeit hat sich mittlerweile mit Burnout aus der Verantwortung gezogen –, hatte alle anderen Parteien überraschend aufs Abstellgleis gestellt und zur politischen Wirkungslosigkeit verurteilt. Der Partei Vermunds tat das besonders weh.
Schließlich verabschiedete sich im Januar Mikkel Bjørn Sørensen aus Partei und Fraktion und wechselte zur „Dansk Folkeparti“. Die Hintergründe sind dubios, es gab wahrscheinlich Gespräche mit Morten Messerschmidt, dem Vorsitzenden der DF … man hat sich wohl um die „besten“ Leute gestritten: Bjørn Sørensen war so etwas wie der Kronprinz der „Neuen Bürgerlichen“, der junge aufstrebende Stern, der nun ins gemachte Bett des politischen und aufstrebenden Nachbarn fiel. Da waren es nur noch vier.
In dieser Situation ließ Pernille Vermund eine Bombe platzen. Sie vollzog einen Schritt, den sie bereits jahrelang angekündigt hatte, sie zog sich aus der Politik in der ersten Reihe zurück, gab ihren Vorsitz ab. Es ist wahr: diesen Schritt hatte sie lange zuvor angekündigt, immer wieder hatte sie betont, daß sie keine lebenslange Politkarriere verfolge, daß sie Familie und Unternehmen habe, daß sie der Gefahr der politischen Versteinerung entgehen wolle …, alles sehr ehrenwerte Gründe, die in jeder normalen Situation ihre Integrität, ihr hohes sittliches Ethos unter Beweis gestellt hätten.
Aber das Schiff „Nye Borgerlige“ war aufgrund charakterlicher Schwächen zweier führender Repräsentanten in schwieriges Fahrwasser geraten, es brauchte einen starken Kapitän. Ihre Demission in dieser Lage war ein kapitaler politischer Fehler! Die Nachricht war ein Schock innerhalb der Partei. Pernille Vermund hatte das Dilemma zwischen Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit – zu ihrem Wort zu stehen – und der aktuellen Notlage aus Prinzipiengründen zugunsten der Prinzipien gelöst. Das ist in den meisten Fällen ehrenwert, hier aber war es die Ankündigung des Chaos.
Nun wurde ein neuer Vorsitzender gewählt, die Wahl fiel auf Lars Boje Mathiesen, der Mann mit den hochgekrempelten Ärmeln. Vermund akzeptierte die Wahl und versprach volle Unterstützung, obwohl der bullige Boje Mathiesen eher dem liberalen Flügel der Partei angehört. Damit wurde erstmals der innere Riß deutlich, den alle wahrhaft konservativen Parteien zu bewältigen haben, der zwischen den liberalen und den nationalen Kräften. Bislang hatte die überragende Präsenz der starken Frau diesen Spalt unsichtbar gemacht.
Vielleicht wäre auch das nicht das größte Problem gewesen, wenn es nun nicht zum Eklat gekommen wäre. Über Nacht wurde Boje Mathiesen – der amtierende Parteivorsitzende – aus der Partei geworfen! Es ging um Geldforderungen, wir ersparen uns die Details. Der Mann ist offenbar ein lebendendes Beispiel der bekannten Tatsache, daß Macht korrumpiert. Da waren es nur noch drei, weniger als vor den Wahlen.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Pernille Vermund galt als unkorrumpierbar. Der Aufstieg ihres persönlichen Projektes hing stark von ihrer Präsenz und ihrer Offenherzigkeit ab, so wie auch die „Dänische Volkspartei“ unter Pia Kjærsgaard rasante Erfolge feiern konnte und unter ihren männlichen Nachfolgern schnell wieder in die Bedeutungslosigkeit geführt wurde. Manche Politiker sind schlichtweg nicht entbehrlich, solange zumindest nicht, bis ein vertrauenswürdiger politischer Unterbau erschaffen wurde.
Das sind Vermunds zwei politische Fehler, die nun die Arbeit der letzten Jahre in Nullkommanichts zerstört haben dürften: Strategisch ist es ihr nicht gelungen, Nachfolger von Format aufzubauen. Das ist prinzipiell auch schwierig, denn politische Nachfolge enthält immer schon selbst ein schwer zu lösendes Dilemma: sie muß die Kontinuität mit der individuellen Profilierung in Übereinstimmung bringen. Der Nachfolger soll einerseits den hohen Standards des politischen Urtiers entsprechen, kann dies aber nur, wenn er selbst eigenständig und originell ist, denn das war ja – neben der Integrität – das herausragende Kennzeichen der Gründerin. Er muß sich also absetzen, Akzente setzen und damit verändert er zwangsläufig das innere Gefüge der Partei. Im vorliegenden Falle kommt neben diesem unlösbaren Konflikt noch eine schwerwiegende Charakterschwäche hinzu.
Taktisch hatte Vermund den Zeitpunkt ihres politischen Rückzugs vollkommen verfehlt. Gut möglich, daß ihr die Stimmenzuwächse ein falsches Bild vorgegaukelt haben, aber sie hätte sehen müssen, daß nach den Verlusten von zwei Mandaten eine schwere Krisenlage vorlag und gerade jetzt eine straffe Hand notwendig war. Just in diesem Moment die Kommandobrücke zu verlassen, ist politisch hochgradig leichtsinnig. Statt Rückzug wäre Mehreinsatz notwendig gewesen.
Nun, am 10. März, hat sich Vermund zurückgemeldet, jetzt hat sie den Ernst der Lage endlich verstanden, ab jetzt will sie wieder das Steuer übernehmen, schreibt sie in einer internen Mail den Parteimitgliedern. Doch dürfte der Schaden immens sein, ein riesiges Leck wurde geschlagen, es ist äußerst fraglich, ob sie die Partei noch retten kann, zumal die zuletzt arg gebeutelte „Dänische Volkspartei“ unter ihrem jetzigen Vorsitzenden wieder Fahrt aufnimmt und viele Wähler abziehen könnte.
Wir sehen hier in nuce das Problem von Ein-Mann oder Ein-Frau-Parteien. Sie hängen am Tropf ihrer Lichtgestalt. Fällt diese weg – aus welchen Gründen auch immer – und ist nicht für adäquaten Ersatz gesorgt, der zudem das oben beschriebene Dilemma zu lösen vermag, der also möglichst aus mehreren Persönlichkeiten besteht, dann drohen solchen Parteien schnelle Kollapse.
Auch für eine Wagenknecht-Partei – sollte sie denn zustande kommen – sind diese Einsichten relevant. Wagenknecht litt schon einmal unter Burnout. Sich auf ein derartiges Projekt einzulassen, bedeutet, einen langen Atem haben zu müssen – man muß hier in Jahrzehnten rechnen.
Es ist auch eine Lotterie, denn das Leben kann seltsame Volten schlagen, Menschen sterben, werden krank, erleiden Schicksalsschläge … Was dann? Gibt es einen brauchbaren personalen Unterbau? Gibt es ein institutionalisiertes Ethos? Gibt es eine festverankerte und dennoch situativ flexible Strategie? …
Le Chasseur
In den Niederlanden gab es bei den Regionalwahlen ein politisches Erdbeben. Die Agrarinteressenpartei BoerBurgerBeweging (BBB), gegründet 2019, erzielte einen Erdrutschsieg: https://www.sueddeutsche.de/politik/wahlen-niederlande-wut-der-waehler-beschert-koalition-verluste-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230316-99-971939