Mircea Eliade und C.G. Jung

pdf der Druckfassung aus Sezession 11 / Oktober 2005

sez_nr_11von Florin Turcanu

Unmittelbar vor seiner Teilnahme am Amsterdamer Kongreß hatte Eliade Einlaß in einen sehr anderen Ort der Begegnungen und des Austauschs von Ideen gefunden, der eine andere Art von Legitimität erforderte und an dem das in der akademischen Welt so wichtige Spiel Anwesenheit / Abwesenheit andere Bedeutungen hatte. Sein Besuch dort sollte sich im übrigen sehr schnell als folgenschwer für seinen weiteren Lebensweg erweisen. Am 5. Oktober 1949, als sich die Rezensionen von Kosmos und Geschichte zu häufen begannen, hatte er eine Einladung zur Teilnahme am nächsten Eranos-Treffen in der kleinen Schweizer Stadt Ascona am Ufer des Lago Maggiore im August 1950 erhalten. „Diese Einladung erfreute mich und schmeichelte mir. Ich hatte einst in Rumänien die ersten Eranos-Jahrbücher gelesen, die mich mit der Idee dieser pluridisziplinären Symposien vertraut gemacht hatten.“

Elia­de erhielt sei­ne Ein­la­dung zu den Eranos-Tref­fen von der Frau, die sie acht­zehn Jah­re zuvor ins Leben geru­fen hat­te. Olga Froe­be-Kap­teyn war eine damals neun­und­sech­zig­jäh­ri­ge Hol­län­de­rin, die seit drei­ßig Jah­ren in Asco­na leb­te. Inspi­riert von Her­mann Key­ser­lings „Schu­le der Weis­heit“ in Darm­stadt, hat­te sie dort 1930 die Grund­stei­ne für eine „Schu­le der spi­ri­tu­el­len For­schung“ gelegt. Die Ein­rich­tung, in die sie von nun an ihre gan­ze Ener­gie und ihr gesam­tes Ver­mö­gen inves­tiert, ent­fal­tet ab 1932 ihre Akti­vi­tä­ten. Mit Rudolf Ottos Segen ruft Olga Froe­be in der Schwei­zer Klein­stadt eine Vor­trags­rei­he zu Fra­gen der Spi­ri­tua­li­tät ins Leben. Otto fin­det auch einen Namen für die­ses Pro­jekt, das er mit ange­regt hat, an dem er sich aber nicht betei­ligt: „Eranos“, ein alt­grie­chi­sches Wort für ein Mahl, zu dem jeder Gast ein Gericht mitbringt.
Von Anfang an steht das Unter­fan­gen im Zei­chen des dop­pel­ten Inter­es­ses an ori­en­ta­li­scher Spi­ri­tua­li­tät und Psy­cho­lo­gie. Carl Gus­tav Jung, den die Orga­ni­sa­to­rin von Eranos 1930 in Darm­stadt ken­nen­ge­lernt hat­te, eröff­ne­te 1933 die ers­te jähr­li­che Vor­trags­rei­he unter dem Titel „Yoga und Medi­ta­ti­on in Osten und Wes­ten“. Der Gedan­ke der Annä­he­rung zwi­schen Ost und West, wie sie Key­ser­ling und Otto ersehn­ten, beherrsch­te meh­re­re Tref­fen, die sich in den drei­ßi­ger Jah­ren mit Sym­bo­lis­mus, geis­ti­ger Herr­schaft und dem Erlö­sungs­ge­dan­ken in Ori­ent und Okzi­dent befaßten.
In den drei­ßi­ger Jah­ren wur­den Ernes­to Buo­nai­uti, die Indo­lo­gen Hein­rich Zim­mer, Masson-Our­sel und Jean Przylu­ski, aber auch Mar­tin Buber, Lou­is Mas­si­gnon und Hen­ri-Charles Puech nach Asco­na ein­ge­la­den. Eranos unter­brach sei­ne Tätig­keit auch wäh­rend des Krie­ges nicht und erlang­te schnell eine inter­na­tio­na­le Dimen­si­on. „Olga Froe­be sag­te ger­ne, daß die Kon­fe­ren­zen, die im sel­ben Jahr der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­er­grei­fung began­nen, zuneh­mend zu einer Kraft gegen die Nazis wur­den“, so der ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Wil­liam McGui­re. Hein­rich Zim­mer, der unter dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regime sei­ne Stel­le an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg ver­lor und ins Exil gezwun­gen wur­de, nahm bis zum Kriegs­aus­bruch an den Eranos-Tref­fen teil.

Die ers­te Begeg­nung mit die­sem Umfeld schmei­chelt zwar Elia­des Selbst­be­wußt­sein, ruft ihm aber den­noch sei­ne unge­wis­se per­sön­li­che und beruf­li­che Situa­ti­on ins Gedächt­nis und weckt wie­der ein­mal das schmerz­li­che Gefühl sei­ner Ein­zig­ar­tig­keit: „Um mich her­um sind nur Men­schen, die sich ver­wirk­licht haben, die Lehr­stüh­le an Uni­ver­si­tä­ten inne­ha­ben, die Ver­ant­wor­tung und Stu­di­en­sti­pen­di­en haben, in Sicher­heit vor Sor­gen und Ter­ror. Ich weiß, daß ich all mei­nen Kol­le­gen, die sich mit Reli­gi­ons­ge­schich­te, reli­giö­ser Psy­cho­lo­gie und Eth­no­lo­gie beschäf­ti­gen, um eine Gene­ra­ti­on vor­aus bin. Wie könn­te ich mir eben­falls eine Stel­lung ver­schaf­fen? Wer könn­te mich beru­fen? Wenn all die­se Din­ge eines Tages kom­men, wird es zu spät sein, dann wer­de ich sie nicht mehr brauchen.“
Trotz der vie­len For­scher und Hoch­schul­leh­rer, die es anlockt, ist Eranos kein Umfeld, das man als aka­de­misch bezeich­nen könn­te. Elia­de sel­ber wird dies sehr schnell bewußt. Bei sei­nem ers­ten Eranos-Auf­ent­halt spricht er viel­sa­gend von einer „halb welt­li­chen, halb theo­so­phi­schen Atmo­sphä­re“. Die Kon­fe­ren­zen dau­ern ein bis zwei Wochen, jeder Vor­tra­gen­de hat zwei Stun­den für sein Refe­rat, und die Bega­bung, per­sön­li­che Erfah­run­gen, Intui­tio­nen und Hypo­the­sen mit ande­ren zu tei­len, wird lie­ber gese­hen als der unper­sön­li­che Gebrauch einer spe­zia­li­sier­ten Spra­che. Gers­hom Scholem bezeich­net die Fähig­keit, aus der aka­de­mi­schen Zurück­hal­tung aus­zu­bre­chen, als Bedin­gung, zu einer Eranos-Tagung ein­ge­la­den zu wer­den. „Für Olga war es gera­de­zu ent­schei­dend, daß der Red­ner, den sie such­te, sich mit dem Objekt sei­nes Vor­trags iden­ti­fi­zie­ren konn­te. In ihrer Spra­che nann­te sie dies ‚Ergrif­fen­heit‘. Sie brauch­te Ergrif­fe­ne und kei­ne Pro­fes­so­ren, auch wenn sich alle Pro­fes­so­ren nen­nen moch­ten.“ Hen­ry Cor­bin ver­leiht Eranos die idea­li­sier­ten Züge einer qua­si-gnos­ti­schen Gemein­schaft, „ein Mikro­kos­mos, von dem man nicht erwar­tet, daß die Welt ihm ähnelt, des­sen Vor­bild aber, so darf man hof­fen, sich über­all in der Welt ver­brei­ten wird“.
Alles in allem unter­schei­den die Eranos-Tref­fen, an denen Elia­de bis 1961 teil­neh­men soll­te, sich stark von dem Milieu, in das er sich in Paris zu inte­grie­ren ver­such­te. Hier trifft er zum ers­ten Mal Jung und Scholem und sieht Karl Keré­nyi wie­der, den er bereits in Rom ken­nen­ge­lernt hat­te. Mit letz­te­rem ver­stand er sich zunächst gut und brach­te bei Pay­ot die Grie­chi­sche Mytho­lo­gie unter, die der unga­ri­sche Gelehr­te kurz zuvor auf deutsch ver­öf­fent­licht hat­te. Ihre Bezie­hung soll­te sich jedoch bald ver­schlech­tern. Schuld dar­an waren laut Elia­de Keré­ny­is Emp­find­lich­keit und „Stim­mungs­um­schwün­ge“ ihm gegenüber.
Die her­aus­ra­gen­de Figur war unum­strit­ten Jung, der Eranos von Anfang an domi­nier­te und dort bis 1952 Vor­trä­ge hielt und an den Tref­fen teil­nahm. Wahr­schein­lich beti­tel­te Elia­de sei­net­we­gen sei­nen ers­ten Vor­trag bei Eranos mit „Psy­cho­lo­gie und Reli­gi­ons­ge­schich­te: Die Sym­bo­lik des ‚Zen­trums‘“. Er hat­te Jungs Werk Anfang der vier­zi­ger Jah­re ent­deckt, aber erst seit sei­nem Umzug nach Frank­reich ein ech­tes Inter­es­se an der Erkun­dung der psy­cho­lo­gi­schen Grund­la­gen des sym­bo­li­schen und mythi­schen Den­kens gezeigt. Zwar ver­wen­det er in Kos­mos und Geschich­te groß­zü­gig den Begriff des „Arche­typs“, jedoch nicht in der Jung­schen Bedeu­tung und nicht in Anleh­nung an des­sen Ter­mi­no­lo­gie. Elia­de fin­det ihn genau­so bei Euge­nio d’Ors und dann gegen Ende der drei­ßi­ger Jah­re bei Coo­ma­ras­wa­my in der neo­pla­to­ni­schen Bedeu­tung des „exem­pla­ri­schen Modells“, die auf in mythi­schen Erzäh­lun­gen beschrie­be­ne Ges­ten und Ur-Schöp­fun­gen ange­wandt wird. „Für Jung waren die Arche­ty­pen ‚Struk­tu­ren des kol­lek­ti­ven Unbe­wuß­ten‘. Ich hat­te den Feh­ler gemacht, einen Begriff – wenn auch in einer ganz ande­ren Bedeu­tung – zu ver­wen­den, der dank Jung und in der Bedeu­tung, die er ihm gege­ben hat­te, bekannt und sogar popu­lär gewor­den war“, gibt Elia­de in sei­nen Memoi­ren zu.

Was Elia­de zu der Psy­cho­ana­ly­se Jung­scher Pro­ve­ni­enz hin­zieht, ist vor allem die Art und Wei­se, in der die­se sich auf ein gan­zes kul­tu­rel­les Uni­ver­sum stützt, inner­halb des­sen die reli­giö­sen Tra­di­tio­nen im all­ge­mei­nen und das ori­en­ta­li­sche Den­ken im beson­de­ren einen Ehren­platz ein­neh­men. Die­se intel­lek­tu­el­le Öff­nung hat­te Jung bereits zur Erfor­schung der alchi­mis­ti­schen Sym­bo­lik in Euro­pa und Chi­na, zu Gno­sis und Yoga geführt und der „kul­tu­rel­len Frucht­bar­ma­chung der Psy­cho­ana­ly­se“, wie Elia­de es nann­te, den Weg geeb­net. Ein Aspekt die­ser „Frucht­bar­ma­chung“ ist gera­de die Abkehr von der posi­ti­vis­ti­schen Kom­po­nen­te in Freuds Den­ken, die Elia­de stets zuwi­der war, um ein Ter­ri­to­ri­um zu erschlie­ßen, auf dem Reli­gi­ons­ge­schich­te und Psy­cho­lo­gie auf­ein­an­der­tref­fen konn­ten. „Man könn­te die Ent­de­ckung des Unbe­wuß­ten mit den mari­ti­men Ent­de­ckun­gen der Renais­sance und den astro­no­mi­schen Ent­dek­kun­gen gleich­set­zen, die auf die Erfin­dung des Tele­skops folg­ten“, schrieb Elia­de 1960. Bevor er mit Jungs Den­ken ver­traut war, wäre die­ser Satz aus sei­ner Feder undenk­bar gewesen.
An Jungs Theo­rie des kol­lek­ti­ven Unbe­wuß­ten reizt ihn vor allem die Bedeu­tung, die sie dem reli­giö­sen Kom­pa­ra­tis­mus, der Erfor­schung von Mythen und der „pri­mi­ti­ven Men­ta­li­tät“ zumißt. Genau­so wie das Hei­li­ge – das „ganz Ande­ren“, wie Rudolf Otto es nennt – ist auch das Unbe­wuß­te eine Rea­li­tät, die sich durch ihre radi­ka­le Anders­heit defi­niert. Ob man sich des­sen bewußt sei oder nicht, schreibt Elia­de, löst nun die Begeg­nung mit dem „ganz Ande­ren“ eine Erfah­rung reli­giö­ser Struk­tur aus. Genau wie das Hei­li­ge kön­ne das Unbe­wuß­te nur sym­bo­lisch in Erschei­nung tre­ten, indem es mytho­lo­gi­sche und noch all­ge­mei­ner reli­giö­se Bil­der und The­men repro­du­ziert, die laut Jung der gan­zen Mensch­heit gemein­sam sind. Trotz­dem hütet sich Elia­de, das Hei­li­ge mit dem Unbe­wuß­ten zu ver­wech­seln. Zum einen ver­an­schau­licht er mit Vor­lie­be die Aus­wir­kun­gen der „Erfah­rung des Hei­li­gen“ auf das Unbe­wuß­te seit der Geburt des homo reli­gio­sus. Wie er auch auf den letz­ten Sei­ten sei­nes Buches Das Hei­li­ge und das Pro­fa­ne dar­legt, rei­chen die­se Aus­wir­kun­gen bis ins Unbe­wuß­te des moder­nen Men­schen, das in einem unre­li­giö­sen geis­ti­gen Uni­ver­sum allei­ne „noch reli­gi­ös geblie­ben ist“. Zum ande­ren ver­tei­digt Elia­de stets, etwa in einem sei­ner Brie­fe an Jung, die „Unab­hän­gig­keit“ der Reli­gi­ons­ge­schich­te von der Psy­cho­lo­gie. Zugleich ver­wan­delt sich sei­ner Ansicht nach der Bereich der „reli­giö­sen Erschei­nun­gen“ in ein Ter­rain, auf dem Psy­cho­lo­gie und Reli­gi­ons­ge­schich­te zusam­men­kom­men. Die­se Begeg­nung der bei­den Dis­zi­pli­nen erläu­tert er in einer Pas­sa­ge, die sei­nen eige­nen intel­lek­tu­el­len Wer­de­gang spie­gelt: „Schafft die Tie­fen­psy­cho­lo­gie Raum für die Wahr­neh­mung, daß mythi­sche Sym­bo­le und The­men in der See­le des moder­nen Men­schen fort­le­ben, weist sie nach, daß die spon­ta­ne Ent­de­ckung der Arche­ty­pen urzeit­li­cher Sym­bo­lik allen Men­schen gemein­sam ist, ohne Unter­schied der Ras­se oder der his­to­ri­schen Milieus, so befreit sie den Reli­gi­ons­his­to­ri­ker von sei­nen letz­ten Skru­peln.“ Aller­dings bleibt letz­te­rer in Elia­des Augen am bes­ten qua­li­fi­ziert, die Bot­schaft der Sym­bo­le und Mythen zu ent­schlüs­seln. Dem­nach muß die Reli­gi­ons­ge­schich­te die Ergeb­nis­se der Jung­schen Psy­cho­ana­ly­se genau­so inte­grie­ren wie die der Eth­no­lo­gie, um sich in eine „Meta­psy­cho­ana­ly­se“ zu ver­wan­deln. Die­sen Begriff schuf Elia­de 1952 in Ewi­ge Bil­der und Sinn­bil­der, um die Visi­on zu unter­füt­tern, daß der Reli­gi­ons­ge­schich­te eine „Mis­si­on“ zukom­me. Sie ver­wand­le sich also in eine „geis­ti­ge­re Tech­nik“, die füh­re zu „einem neu­en Erwa­chen, zu einem Wie­der­errin­gen der archai­schen Sym­bo­le und Arche­ty­pen, die, leben­dig oder ver­stei­nert, in der reli­giö­sen Über­lie­fe­rung der gesam­ten Mensch­heit vor­han­den sind“.

Auf ande­rer Ebe­ne ist die Begeg­nung mit dem Unbe­wuß­ten zugleich eine Begeg­nung des moder­nen Men­schen mit „den ande­ren“, den Ver­tre­tern tra­di­tio­nel­ler und „pri­mi­ti­ver“ Kul­tu­ren. Laut Elia­de konn­te die Reli­gi­ons­ge­schich­te dank der Unter­stüt­zung der Jung­schen Psy­cho­ana­ly­se bei der kul­tu­rel­len Begeg­nung zwi­schen Euro­pa und der außer­eu­ro­päi­schen Welt die Haupt­rol­le bean­spru­chen, denn „man darf nicht ver­ges­sen, daß alle … Kul­tu­ren eine reli­giö­se Struk­tur auf­wei­sen, daß sie als reli­giö­se Auf­wer­tun­gen der Welt und des mensch­li­chen Daseins begrün­det wur­den“. Die­sen Gedan­ken soll­te Elia­de Anfang der sech­zi­ger Jah­re in einem ganz ande­ren Kon­text als dem sei­ner Ent­de­ckung von Jungs Den­ken voll aus­rei­fen lassen.
In einem Brief von Janu­ar 1955, einem heik­len Moment in ihrer per­sön­li­chen Bezie­hung, nann­te Elia­de das Werk des Meis­ters von Küß­nacht „die größ­te Ent­de­ckung [mei­ner] geis­ti­gen Rei­fe“. Obwohl er die Bezeich­nung „Jun­gia­ner“ zurück­wies, war dies kei­ne Über­trei­bung, denn nach dem Krieg hat­te kein zeit­ge­nös­si­scher Den­ker eine so sti­mu­lie­ren­de Wir­kung auf sein Schaf­fen wie Jung. Des­sen Werk, aber auch die Begeg­nun­gen mit ihm bewir­ken bei Elia­de kei­ne Kon­ver­si­on, son­dern eine Bestä­ti­gung und Erwei­te­rung sei­nes eige­nen Ver­ständ­nis­ses des reli­giö­sen Phä­no­mens. Folg­lich ver­än­dert sich durch den psy­cho­ana­ly­ti­schen Fil­ter selbst Elia­des Ver­hält­nis zur Moder­ne. Er ver­läßt das Ghet­to des „Tra­di­tio­na­lis­mus“, wie ihn Gué­non oder Evo­la ver­tre­ten, in dem er sowie­so nie mit bei­den Füßen gestan­den hat­te. An Jung schei­den sich zwi­schen Elia­de und Evo­la die Geis­ter, denn laut letz­te­rem betreibt der Schwei­zer nur die „Aus­ar­bei­tung und Ver­brei­tung einer ‚spi­ri­tua­li­sier­ten‘ Psy­cho­ana­ly­se für emp­find­li­che Gau­men“, einer „noch gefähr­li­che­ren, weil sub­ti­le­ren“ Vari­an­te des Freu­dis­mus, „die sich noch ent­schlos­se­ner in die Domä­ne der Spi­ri­tua­li­tät vor­wagt“. Evo­la zögert weder, sich über Elia­des Eranos-Teil­nah­me lus­tig zu machen, noch gegen­über sei­nem rumä­ni­schen Brief­part­ner „das wir­re Gere­de des Herrn Jung“ zu erwäh­nen, „mit dem – ich erlau­be mir, es zu sagen – Sie, wie ich fin­de, zu nach­sich­tig umgehen“.
Von 1950 bis 1955 führ­ten Elia­de und Jung eine Kor­re­spon­denz, die zwar nicht umfang­reich ist, aber auf der Ebe­ne der Ideen und der Beschrei­bung unter­schied­li­cher intel­lek­tu­el­ler Krei­se eini­ges her­gibt. Es ist behaup­tet wor­den, die Bewun­de­rung, die Elia­de in sei­nen Tex­ten über Jung zum Aus­druck bringt, kom­me einer Ver­göt­te­rung gleich – jedoch wird die­ses Gefühl auch in der Inti­mi­tät des Tage­buchs deut­lich. Aus den Brie­fen jeden­falls, die er ihm schreibt, ist eine ech­te Ehr­erbie­tung her­aus­zu­le­sen: „Ich wer­de nie­mals all das ver­ges­sen, was Sie in mei­ner Gegen­wart gesagt haben“, schreibt er im Herbst 1952, weni­ge Wochen nach einem Eranos-Tref­fen. Elia­de bie­tet Jung sogar an, den Ver­mitt­ler zwi­schen ihm und dem Ver­lag Pay­ot zu spie­len, und betei­ligt sich an einer dem Schwei­zer Psy­cho­ana­ly­ti­ker gewid­me­ten Son­der­num­mer der Zeit­schrift Le Dis­que vert. Im Okto­ber 1953 teilt er ihm mit, er arbei­te an einem klei­nen Buch mit dem Titel C. G. Jung und die Mytho­lo­gie der See­le, das aller­dings nie fer­tig wird.

Im übri­gen ist Elia­de der­je­ni­ge, der Hen­ry Cor­bin dazu drängt, 1952 unter dem Titel Ewi­ge Sophia einen Arti­kel über Ant­wort auf Hiob zu ver­fas­sen, aus dem Jung schlie­ßen wird, daß der fran­zö­si­sche Iran­kund­ler der ein­zi­ge unter den Hun­der­ten Rezen­sen­ten ist, der sei­nen sonst so umstrit­te­nen Text wirk­lich ver­stan­den hat. Jungs Ant­wort auf Hiob hat­te bei sei­nem Erschei­nen im sel­ben Jahr pole­mi­sche Reak­tio­nen aus­ge­löst, unter denen die laut­stärks­te von Mar­tin Buber kam. „G. Scholem sag­te halb im Scherz, daß Jung ver­su­che, Yah­we zu psy­cho­ana­ly­sie­ren“, erin­ner­te sich Elia­de. „Um ehr­lich zu sein, wenn Sie mich nicht her­aus­ge­for­dert hät­ten, hät­te ich die­sen Arti­kel nicht geschrie­ben“, schreibt Cor­bin sei­nem rumä­ni­schen Freund im Dezem­ber 1952 aus Tehe­ran. Und eine Woche spä­ter ergänzt er: „Jung kommt nicht nur dar­in vor; er steht, um ehr­lich zu sein, ganz im Mit­tel­punkt. Ich glau­be, daß er sich dar­in wie­der­erken­nen wird. Auf jeden Fall ist da das klars­te Ergeb­nis, das ich aus sei­nem bewun­derns­wer­ten Werk gezo­gen habe, und ich ver­sa­ge ihm nicht mein Wohl­wol­len. Ich glau­be, daß auf fran­zö­sisch noch nicht viel gesagt wor­den ist … Es ist ein gro­ßes Aben­teu­er, zu dem Sie mich gedrängt haben, mein lie­ber Mir­cea!“ Ewi­ge Sophia erschien erst 1955, aber Ant­wort auf Hiob, „die­ses groß­ar­tig skan­da­lö­se Buch“, wie Cor­bin es nennt, scheint sei­nen eige­nen Andeu­tun­gen zufol­ge der Keim jenes mar­kan­ten Jun­gia­nis­mus gewe­sen zu sein, der sei­ne Tex­te aus den fünf­zi­ger Jah­ren prägt. Elia­des und Cor­bins Schwär­me­rei für das Werk des Schwei­zer Psy­cho­ana­ly­ti­kers brach­te sie 1952 dazu, ein Büch­lein mit dem Titel Begeg­nung mit Jung ins Auge zu fas­sen, das jedoch unge­schrie­ben blieb.
Jung sei­ner­seits sah in Elia­de einen Nach­fol­ger Hein­rich Zim­mers inner­halb des Eranos-Krei­ses, da der deut­sche Indo­lo­ge wäh­rend des Krie­ges in den USA ver­stor­ben war. Er inter­es­sier­te sich für die Arbei­ten über die asia­ti­sche Alche­mie und den Scha­ma­nis­mus und lud Elia­de im Früh­jahr 1953 nach Zürich ein, eine Rei­he von fünf Vor­trä­gen an dem nach ihm benann­ten Insti­tut zu hal­ten. In Küß­nacht wird Elia­de von einem Jung emp­fan­gen, den zuneh­mend gesund­heit­li­che Beschwer­den pla­gen: „Er stützt sich auf einen Geh­stock. Dies ist jedoch nicht die Krü­cke eines Kran­ken, es ist ein Bischofs­stab, der Hir­ten­stab eines Patri­ar­chen. Mit einem wei­ßen Bart wür­de er wie ein Metro­po­lit aus einem der Län­der des Ostens aus­se­hen. Die Augen sind noch immer so leb­haft, die Stim­me macht­voll, das Lachen voll und frei.“ Er bedau­ert bloß, nicht ein­ge­la­den zu wer­den, Jungs Biblio­thek zu besich­ti­gen mit den „Hun­der­ten von Bän­den über die Alche­mie, von denen Cor­bin mir erzählt hat­te“. Als Elia­de 1954 die end­gül­ti­ge Fas­sung sei­nes Yoga-Buches ver­öf­fent­licht, die bestimm­te von Jung inspi­rier­te psy­cho­lo­gi­sche Erwä­gun­gen ent­hält, reagiert der alte Meis­ter gekränkt, weil er aus dem Text eine Abwer­tung sei­nes Begriffs vom „kol­lek­ti­ven Unbe­wuß­ten“ zuguns­ten der Bewußt­seins­zu­stän­de her­aus­zu­le­sen glaubt, die der Yogi mit Hil­fe sei­ner Medi­ta­ti­ons­übun­gen und Man­da­las erreicht. „Einer­seits“, schreibt er an Elia­de, „machen Sie die so lie­bens­wür­di­ge und groß­zü­gi­ge Ges­te, mir Ihr Buch zu schi­cken, ande­rer­seits hal­ten Sie mich offen­sicht­lich für irgend­ei­nen Idio­ten, der über die Natur des Unbe­wuß­ten nicht ein­mal nach­ge­dacht hat. Womit habe ich die­se Gehäs­sig­keit ver­dient? Seit­dem ich die Ehre und das Ver­gnü­gen hat­te, Ihre per­sön­li­che Bekannt­schaft zu machen, habe ich nie­mals ein ande­res Gefühl als das der Bewun­de­rung und Aner­ken­nung für Ihr gro­ßes Werk emp­fun­den.“ Den­noch läßt sich Jung von Elia­des beflis­se­nen Erläu­te­run­gen und Treue­bekun­dun­gen über­zeu­gen, von sei­nen Ver­däch­ti­gun­gen abzulassen.

Bis auf 1955 hielt Elia­de bis 1961 jedes Jahr einen Vor­trag bei Eranos. Sein per­sön­li­ches Ver­hält­nis zu Olga Froe­be blieb bis zum Tod der alten Dame 1962 her­vor­ra­gend. Ab 1952 lud sie ihn und sei­ne Frau Chris­ti­nel jedes Jahr ein, einen Monat in ihrem Haus in Asco­na Urlaub zu machen, bevor im August das Eranos-Tref­fen statt­fand. „Der Gar­ten ist voll von Tul­pen und Nar­zis­sen, wirk­lich groß­ar­tig. Ich freue mich dar­auf, Sie bald wie­der­zu­se­hen und Sie einen Monat lang in Ruhe hier zu haben!“ schrieb sie ihm im April 1953. Wil­liam McGui­re zufol­ge wur­de Elia­de zu „Olga Froe­bes Ver­trau­tem, einem der sehr weni­gen, denen sie von den ent­le­gens­ten Abschnit­ten ihres Lebens erzähl­te“. Elia­des Tage­buch und Olga Froe­bes Brie­fe bestä­ti­gen dies. Elia­de sei­ner­seits nutz­te sei­ne pri­vi­le­gier­te Stel­lung, um ihr die Namen meh­re­rer Freun­de wie Geor­ges Dumé­zil oder Pater Jean Danié­lou vor­zu­schla­gen, die sie zu Eranos ein­la­den könnte.

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