Ambivalenzen

PDF der Druckfassung aus Sezession 109/ August 2022

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Die Nie­der­lan­de haben Geset­ze beschlos­sen, die einem Drit­tel ihrer Bau­ern das Wirt­schaf­ten unmög­lich machen könn­ten. Begrün­det wird die­se Ent­schei­dung mit einer für das Welt­kli­ma not­wen­di­gen Redu­zie­rung der Emis­sio­nen, die aus den dicht­ge­dräng­ten Vieh­be­stän­den der Fleisch-Export-Nati­on Hol­land aufsteigen.

Gase stei­gen aus Stäl­len auf, in denen mas­sen­haf­te Ver­nut­zung von Tier­le­ben für den Mas­sen­kon­sum so effek­tiv wie mög­lich orga­ni­siert ist. Tier­fa­brik, Mas­sen­trans­port, Groß­schlach­te­rei­en mit Kapa­zi­tä­ten von zehn‑, fünfzehn‑, zwan­zig­tau­send Stück Vieh am Tag: Wenn sechs unter Klar­sicht­fo­lie ver­pack­te Schnit­zel das Fünf­tel einer Hand­wer­ker­stun­de kos­ten, kann von Acht­sam­keit, Sorg­falt, Wür­di­gung, kurz: von Lebens­mit­tel nicht mehr die Rede sein.

Das anony­me Stück Vieh, die Weg­stre­cke quer durch Län­der, die Mas­sen­ab­fer­ti­gung im Schlacht­vor­gang, die Keu­lung gan­zer Bestän­de bei Befall, die Ver­pa­ckungs­in­dus­trie und die Dis­tri­bu­ti­on – das alles ist eben­so ein­ge­preist wie die wort­wört­lich mit Gewür­zen über­tünch­te Geschmack­lo­sig­keit des Flei­sches und die Tat­sa­che, daß von die­sen Pro­duk­ten über ein Vier­tel nicht ver­zehrt, son­dern als über­flüs­si­ger Kon­sum mit üppi­ger Ges­te ent­sorgt wird.

Wir soll­ten das Argu­ment, hier müs­se die CO2-Bilanz ver­bes­sert wer­den, als Teil eines gro­ßen Ver­blen­dungs­zu­sam­men­han­ges ver­wer­fen: Es gibt einen grü­nen Kapi­ta­lis­mus, ein grü­nes Kli­en­tel­in­vest­ment in nur ver­meint­lich »sau­be­re« Pro­zes­se, einen grü­nen Mas­sen­kon­sum, der nur auf­grund einer grü­nen Pro­pa­gan­da­ma­schi­ne­rie schon beim Ein­kauf das gute Gefühl von Nach­hal­tig­keit, glo­ba­ler Ver­ant­wor­tung, Rei­fe, eben von Woke­ness, von kri­ti­scher Auf­merk­sam­keit vermittelt.

Die grü­ne Mas­sen­pro­duk­ti­on benö­tigt den grü­nen Mas­sen­kon­sum, die Ver­schwen­dung, die Kurz­le­big­keit der Ware, die Not­wen­dig­keit des Ersat­zes, die Weg­werf­men­ta­li­tät, das Pein­ge­fühl beim Anblick in die Jah­re gekom­me­ner Güter. Dies alles soll ja so blei­ben, bloß wird es mit dem guten Gewis­sen auf­ge­la­den, daß es sich doch um etwas ganz ande­res han­de­le, um eine Form des Kon­sums näm­lich, die die dro­hen­de Kata­stro­phe im Blick hat.

Fleisch kau­fend die Pflan­zung eines Bäum­chens am Ufer des Ama­zo­nas för­dern – das soll es sein.

Weiß jemand, wie vie­le »Däni­sche Las­ten­fahr­rä­der« in Groß­stadt­kel­lern vor sich hin ros­ten, weil ihr Ein­satz als Auto­er­satz doch nicht das hielt, was er ver­sprach? Wie vie­le mit gigan­ti­schem Ener­gie­ein­satz zusam­men­ge­schraub­te E‑Autos rol­len, weil jemand die Kauf­prä­mie ein­strich und dafür sei­nen bloß ein paar Jah­re zuvor mit eben­so gigan­ti­schem Ener­gie­auf­wand her­ge­stell­ten Die­sel abstieß? Ist nicht jedes Auto, das zwei Jahr­zehn­te läuft, öko­lo­gi­scher als jeder grün ange­prie­se­ne Ersatz, jedes im Dorf gemäs­te­te, geschlach­te­te und in sei­ne Där­me gestopf­te Schwein ein Ener­gie­spen­der, jedes indus­tri­ell her­ge­stell­te, vega­ne Stück “Fleisch” eine Energiesenke?

Es gibt kaum etwas Ver­lo­ge­ne­res als die Umwelt­bi­lanz der grü­nen Indus­trie und wohl kaum etwas Pro­fes­sio­nel­le­res als die PR-Maschi­ne, die eine sol­ches Lügen­ge­bäu­de unsicht­bar zu machen versteht.

Wir soll­ten einer­seits die­se Lügen Lügen nen­nen, ohne uns ande­rer­seits zu denen zu gesel­len, die von der men­schen­ge­mach­ten Zer­stö­rung orga­ni­scher Gleich­ge­wich­te und Balan­cen nichts wis­sen wol­len und die Ver­tei­di­gung ihrer Frei­heit am Grill, beim Buchen bil­li­ger Fern­rei­sen und im jähr­li­chen Aus­tausch ihrer Gar­de­ro­be für eine Wider­stands­leis­tung halten.

Die­se so oft so unbe­schei­de­nen Men­schen sind eben­so unacht­sam wie der gro­ße Kom­plex, der ihnen ermög­licht, was sie jahr­zehn­te­lang soll­ten und nun nicht mehr auf die­sel­be Wei­se sol­len, also doch wei­ter­hin, bloß anders.

Die Bau­ern auf den Stra­ßen Hol­lands: Wir haben sie wahr­ge­nom­men und ihren Antrieb, ihre Exis­tenz­angst, ihre Empö­rung ver­stan­den. Wir ver­wer­fen ihren wider­stän­di­gen Furor nicht, wenn sie Stra­ßen blo­ckie­ren und Eng­päs­se her­bei­füh­ren. Es kann jetzt nicht ein­fach so wei­ter­ge­hen, lau­tet die Botschaft.

Ihr Trei­ben ist uns näher als das radi­ka­l­öko­lo­gi­scher Akti­vis­ten, die ihre Hand­flä­chen auf Stra­ßen­kreu­zun­gen kle­ben und SUV-Rei­fen auf­ste­chen, um den Ver­kehr zum Still­stand zu brin­gen – das näm­lich ist abge­si­cher­ter Mut, pro­fi­tie­rend von den Trans­fer­leis­tun­gen der hart arbei­ten­den Mit­tel­schicht, die auch den Ver­sor­gungs­ap­pa­rat radi­ka­ler Tei­le der links­grü­nen Bla­se mit­zu­fi­nan­zie­ren hat.

Ambi­va­len­zen: die Land­wir­te ver­ste­hen, aber ihre Wirt­schafts­form ableh­nen, ihren Hil­fe­ruf ver­neh­men, aber ihre fun­da­men­ta­le Unfrei­heit als Teil­stück in Ver­nut­zungs­ket­ten wahr­neh­men, Lage­sym­pa­thie emp­fin­den, mehr nicht.

Es muß drit­te Wege geben, es muß.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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