Diese Überwachung ist, seit in der Ukraine Krieg geführt wird, lückenlos. Halten Sie es dennoch für möglich, daß man nicht aufklären kann, wer für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich ist?
DE ZAYAS: Natürlich kann man das aufklären, und man hat es aufgeklärt. Amerikaner, Norweger, Schweden wissen wohl, wer verantwortlich ist. Natürlich waren es wir, die Amerikaner, die diese internationale terroristische Aktion durchführen konnten, und es sogar vorher angekündigt hatten. Das Märchen von der armseligen pro-ukrainischen Gruppe, die mit einer Segelyacht von Deutschland aus in See stach, um Nord Stream zu sprengen, ist so lächerlich wie die Strategie von Victoria Nuland, jede Beteiligung der USA zu leugnen – si fecisti nega!
Die Darstellung von Seymour Hersh ist kohärent und gibt Anlaß für eine internationale Untersuchung, die durch die UN organisiert werden sollte. Zunächst sollten die UN (und Deutschland!) verlangen, daß Schweden seine Informationen veröffentlicht, denn es geht nicht nur um Schweden oder um Nord Stream, sondern um einen terroristischen Akt gegen eine bedeutende zivile Infrastruktur. Es geht um einen Kriegsakt gegen Deutschland und Rußland, um eine verbotene Anwendung von Gewalt im Sinne des Artikels 2 (4) der UN-Charta.
Hier wurde gegen das 1988 verabschiedete Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt verstoßen, auch gegen die 1997 verabschiedete „International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings“, die terroristisch motivierte Bombenattentate zu kriminellen Akten erklärte. Die in Wien ansässige Unterabteilung zur Verhütung von Terrorismus sollte ebenfalls den Fall untersuchen.
Diese Unterabteilung gehört zum Büro der Vereinten Nationen für Drogenkontrolle und Verbrechensverhütung (UNDCP). Es ist an der Zeit, daß der UN-Generalsekretär António Guterres eine Untersuchung im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung verlangt, denn es geht um einen Bruch des Friedens im Sinne des Artikels 39 der UN-Charta.
SEZESSION: Sie gehen also davon aus, daß das, was der Journalist Seymour Hersh recherchierte, zutrifft: daß nämlich die USA verantwortlich seien für die Zerstörung der Pipelines. Sie gehen aber weiter und reihen diese Aktion ein in eine Kette von vertuschten Lügen, die Konflikte verschärften und zu Kriegen führten – Saddam Husseins vermeintliche Massenvernichtungswaffen und die Katastrophenberichte über serbische Greueltaten im Kosovo gehören dazu. Warum funktioniert so etwas immer wieder?
DE ZAYAS: Schon davor gab es Lügen, etwa die Resolution „Gulf of Tonkin“ vom 7. August 1964, die es Präsident Lyndon B. Johnson ermöglichte, den Krieg in Vietnam auszudehnen. Es gab Lügen vor dem Krieg gegen den Irak 1991, vor und während des Krieges gegen Muammar al-Gaddafi und gegen Baschar al-Assad sowie auch viele andere False-Flag-Aktionen, vor allem gegen Regierungen in Lateinamerika und Afrika.
Leider vertuschen unsere Massenmedien diese – oder sie versuchen, unsere Verbrechen zu rechtfertigen. Schließlich sind wir Amerikaner per Definitionen „die Guten“. Das könnte dann auch eine Erklärung sein, warum es immer wieder funktioniert: Wir sind sehr geschickt darin, unsere Propaganda nicht als Propaganda erscheinen zu lassen, sondern als die verantwortungsbewußte Aussage einer verantwortungsbewußten, „guten“ Macht.
SEZESSION: Gibt es Nationen, die ehrlicher agieren, und Epochen, in denen weniger gelogen wurde?
DE ZAYAS: Schwer zu sagen. Ich bin kein Nostalgiker und bewundere niemanden. In Amerika hatten wir einige einigermaßen ehrliche Präsidenten, Jimmy Carter beispielsweise, aber wir wissen, daß die Politik keine sehr saubere Angelegenheit ist. Vielleicht gab es einige ruhige Perioden unter Kaiser Franz Joseph von Österreich …
SEZESSION: In einem jüngst veröffentlichten Text stellen Sie den Skandal um die „Pentagon Papers“ als Blaupause vor. Es ging damals um die Frage, ob die Veröffentlichung von 7000 Seiten geheimer Dokumente zum Vietnamkrieg Landesverrat sei – oder eine legitime Aufdeckung. In den Papieren ging es um die bewußte Täuschung der Öffentlichkeit, deren Zustimmung zum Krieg mittels Propaganda herbeigeführt worden war. Sie stellen die Frage, warum man aus dem damaligen Skandal und den Gerichtsurteilen zur Pressefreiheit nichts gelernt habe. Stellen Sie sich diese Frage wirklich?
DE ZAYAS: Ja, das tue ich bewußt. Dringend brauchen wir eine Charta der Rechte der Whistleblower, damit wir erfahren, was unsere Regierungen in unserem Namen tun. Ich halte Julian Assange und Edward Snowden für Helden unserer Zeit. Sie verwirklichen, was uns Artikel 19 des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte verspricht:
Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.
Man muß sich Informationen beschaffen, denn die Regierungen lügen – und unsere Lügen- und Lückenpresse, einschließlich der New York Times und der Washington Post, erwies sich als Echokammer der Regierung. Die Geheimhaltung ist eben eine Voraussetzung für Verbrechen und den skandalösen Umstand, daß Verbrechen auf Staatsebene ungesühnt bleiben. Darum müssen wir Transparenz und Rechenschaft von unseren Regierungen und Institutionen verlangen.
Die Demokratie funktioniert nur, wenn die Bürger freien Zugang zu Informationen haben. Also, wie Immanuel Kant es verlangte – sapere aude! Wir müssen den Mut haben, uns unseres eigenen Urteilsvermögens zu bedienen.
SEZESSION: Ihr Menschenbild ist sehr optimistisch! Gegen diesen Optimismus in Sachen gesunder Menschenverstand ließen sich die Erkenntnisse der Massenpsychologie ins Feld führen: Massen neigen zu Hysterie und Leichtgläubigkeit, sind also manipulierbar und zugleich Treiber erregter spektakulärer Politik.
DE ZAYAS: Die Massen sind wohl so. Schon Julius Caesar schrieb in seiner Abhandlung Über den Bürgerkrieg: “quae volumus, ea credimus libenter – wir glauben eben, was wir glauben wollen.” Noch ärger bei Augustinus: “mundus vult decipi – die Welt will betrogen werden.”
Gewiß. Aber da gibt es auch andere intellektuelle Instanzen, etwa John Mearsheimer, Jeffrey Sachs, Stephen Kinzer, Richard Falk, Dan Kovalik und natürlich Noam Chomsky, die uns andere Perspektiven vermitteln. Das Problem liegt woanders – bei den Lügenmedien. Man muß sich endlich davon befreien und sich verläßlichere und vollständigere Informationen besorgen, bei Ihnen etwa in der Weltwoche, bei uns bei Grayzone, Democracy Now, The Real News Network, Push-Back usw.
SEZESSION: Letztendlich laufen Ihre Forderungen bezüglich Transparenz darauf hinaus, daß es ein internationales Regulativ zum Gewaltmonopol der Großmächte gebe. Aber: Wer Macht hat, entzieht sich diesem Konsens ja gerade. Sie haben lange genug bei den Vereinten Nationen gearbeitet: Gibt es eine realistische Chance, eine internationale Rechtsordnung aufzubauen, wenn schon bisher beispielsweise die USA wesentliche Erklärungen und Vereinbarungen nicht ratifiziert haben, sondern sich ihre imperialen Sonderrechte vorbehalten?
DE ZAYAS: Die UN-Charta ist und bleibt eine Art Weltverfassung – allerdings tatsächlich ohne Macht. Mein Land, die Vereinigten Staaten, meint immer noch, es sei die Nummer eins, und so verlangen wir Sonderrechte für uns. Anstelle einer UN-Charta wollen wir unsere eigene regelbasierte Weltordnung, wobei wir damit unsere Regeln meinen, Regeln, die wir selber aufgestellt haben und der Welt aufzwingen.
Allerdings befindet sich Amerika auf dem absteigenden Ast. Täglich verlieren wir Freunde auf der ganzen Welt, in Asien, Afrika und Lateinamerika. Unsere „Alliierten“ sind eher Vasallen, keine echten Freunde.
Ich frage mich: Wann werden die Deutschen endlich begreifen, daß die Vereinigten Staaten kein Freund Deutschlands sind oder je waren? Wilson war nicht germanophil, Harding, Coolidge, Hoover, Roosevelt, Truman, Eisenhower usw. auch nicht. Als wir Deutschland mit dem Marshall-Plan unterstützten, geschah es aus eigenem Interesse. Eigentlich war die amerikanische Haltung dem Morgenthau-Plan näher, aber die reelle Bedrohung durch Stalin hat uns nolens volens zu Verteidigern Westdeutschlands gemacht.
Dies war Realpolitik zu unseren Gunsten. Zwar haben die Deutschen zeitweilig davon profitiert, aber heute sprengen wir deutsche Pipelines und schaden Deutschlands Wirtschaft. Wir verkaufen unser unökologisch geschürftes Gas zu abenteuerlichen Preisen an die Deutschen, und sie müssen es kaufen. Wann werden die Deutschen endlich eine eigene Politik entwickeln? Wann werden sie eine eigene Souveränität aufbauen? Da bin ich nicht optimistisch.
Scholz und Baerbock sind feige, inkompetente, erbärmliche Figuren – Gestalten direkt aus Spenglers Untergang des Abendlandes.
t.gygax
Der letzte Satz ist großartig.