Über Franz Werfel (1890–1945) und seine Wendung als Jude zum Christentum haben wir in der 105. Sezession ein Autorenportrait veröffentlicht. Es ist nicht klar, ob Werfel überhaupt je konvertierte.
Nun hat der schillernde thüringische Arnshaugk-Verlag Paulus unter den Juden als „Dramatische Legende in sechs Bildern“ vorgelegt. Es ist ein atemberaubendes Stück, auch wenn der Einstieg (nicht untypisch für Werfel) sich schwierig gestaltet.
Wir befinden uns in Judäa, in Jerusalem, etwa 40 n. Chr. Es herrscht Cäsar Cajus Caligula. Die Macht ist römisch, Kultur und Religion sind jüdisch. Es kommt hinzu: diese neue Sekte mit dem sogenannten Messias, dem Christus. Nicht zu vergessen: die blonden Germanen in der römischen Legion.
Sie alle streiten und müssen miteinander zurechtkommen. Man gibt sich tolerant. Die einen tun, als respektierten sie die römische Herrschaft, die anderen tun, als verneigten sie sich vor den jüdischen Hohepriestern. Ein Psychodrama! In Wahrheit ist es ein Lauern und Heucheln. Manchmal bricht er heraus, der Haß der Römer gegen die Juden:
Schwermütiges Land und finstere Menschen. Euer Bilderhaß kommt aus finsterem Blut.
Held des Stücks ist Paulus, der zwischen allen Fronten steht. Paulus war als jüdischer Pharisäer einst eifriger Schüler der Rabbis Gamaliel (der hier den Buchtitel ziert). Paulus war vordem ein so wilder Parteigänger der antichristlichen Zeloten, daß er gegen Gamaliels Rat Stephanus steinigen ließ. Für ihn galt der jüdische Standpunkt:
Wir müssen seinen Willen tun, aber nicht verstehn.
Bis zu seinem „Damaskuserlebnis“ kannte das Feuer des Paulus keine Gnade. Es galt das Gesetz, punktum. Nun kehrt er geläutert nach Jerusalem zurück. Er hat alle gegen sich: die Juden, die Heiden, selbst die engen Jünger Jesu. Auch seinen Ziehvater Gamaliel, der als weiser Rabbi den „Alten Bund“ mit seinen strikten, hohlen Gesetzen vertritt.
In diesem (einerseits zu Unrecht, andererseits sicher aus Gründen) vergessenen Stück Werfels (Ursprungsfassung 1926) sehen wir den Kontrast zwischen mosaischem Gesetz und neutestamentlicher Hoffnungserwartung aufs Schönste ins Bild gesetzt.
Aus heutiger Sicht ist dieses Werk so politisch unkorrekt wie nur denkbar. Gemäß Regieanweisung Werfels geht Pinchas, der „kleine, rundliche Jude“ und Beamter des römischen Statthalters, vor lauter „schlechtem Gewissen“ gekrümmt – er verdingt sich ja für den Feind! Chanan, der (tragisch endende) Sohn des Hohepriesters beschimpft Pinchas hochmütig: Künftig werde es keine „Pinchasjuden, keine Verräterjuden, keine Wucherjuden“ geben, „und keine Römer in Israel“.
Bald wird – mit dem provokanten Erscheinen des Paulus – klar, daß das ersehnte „Künftige“ den Juden eine leere Zauberformel ist. Sie predigen eine ewige Künftigkeit und leugnen, daß der Erlöser längst da war! Den Römern war Christi Kreuzestod bekanntlich eine Torheit:
Laß den Narren in seinem Bett sterben und du ersparst eine Religionsstiftung.
Der Germane (in römischen Diensten) Frisius steht dabei „lächelnd“, „kopfschüttelnd“ und „einfach“ (gemäß Regieanweisung) daneben. Naiv staunend vernimmt er den jüdischen „Abscheu vor dem eigenen Blut“ und kann die Frage des Hohepriestersohns Matthias kaum fassen, ob er nicht auch „die Seinen“ hasse? Frisius: „Warum hassen? Sie leben in einsamen Gehöften und schweigen.“
Matthias:
Schweigen? Wunderbar! Das gefällt mir. Wir Juden schweigen nicht. Laß mich dein Haar streicheln, Frisius. Ach, das ist weich!… Nur das Fremde ist schön.
Später wird Frisius vom römischen Statthalter aufgrund seiner Neigung zu Gamaliel getadelt:
Frisius!! Die alten Damen des Palatin lassen sich vom Judentum einfangen oder abgelebte Wüstlinge, die für den Fall vorsorgen wollen, daß nach dem Tod wider aller Vernunft doch eine Strafe kommen sollte! Aber du? Ein tapferes Germanenherz?! Nein, nein! Jeder Germane wird als Judenfeind geboren.
Gegen Ende versucht der eifersüchtige „Rabbi Beschwörer“ („der furchtbare Mann, der alle sechshundertdreizehn Gebote hält und die Kinder und Kindeskinder der Gebote“), Paulus „mit der geschäftsmäßigen Freundlichkeit eines Arztes“ zu „heilen“, denn: „Ein gesunder Jud führt solche Rede nicht.“ Rabbi Beschwörer haßt die „Jünger des Gehenkten“, die „galiläischen Ratten, die unsere Thora anfressen!“ Er schreit auf vor deren Anblick, der ihn sogleich „unrein“ mache.
Und Paulus? Er schaut auf die „Abendsonne“ seines Volkes, auf Gamaliel. Auf den Guten, den Sterbenden. Sie sinkt unaufhaltsam. Weil Christus auferstanden ist. Was für ein Wagnis! Ein tolles Stück und eine wahrhaft österliche Lektüre!
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Franz Werfel: Paulus unter den Juden. Neustadt/Orla: Arnshaugk 2022, 111 S., 18 € – hier bestellen (wir haben 20 auf Lager).
Franz Bettinger
Gibt es neben dem Christentum noch eine Religion, deren Gott - zumindest dem äußeren Schein nach, also nach weltlichen Kriterien - in den Händen seiner Feinde, im Gefängnis, im Spott und schließlich am Kreuz endete? Ich weiß, wer nicht erleuchtet ist, sollte schweigen. Aber ich habe das Göttliche an dieser Figur Jesus nie begriffen. Mea culpa. Kann mich auch nicht in die Menschen jener oder auch einer späteren Zeit versetzen, denen ein so elendes Ende (eines Menschen oder eines Gottes) Mut und Hoffnung gegeben haben soll. Gestorben, um die Menschheit zu erlösen? Vor was? Und wieso durch Sterben? (Löschen Sie’s. Es stört nur.)