Zu sehr sitzt allen noch die „Lektion von Ibiza“ aus dem Jahr 2019 in den Knochen. Der „dritte Aufstieg“ der FPÖ ist von einer allgemeinen Ernüchterung hinsichtlich des “Parlamentspatriotismus” begleitet.
Warum spreche ich vom „Dritten Aufstieg“? Die österreichische Innenpolitik ist seit den 90er Jahren geprägt von Wellen des Rechtspopulismus, welche die FPÖ regelmäßig in die Regierung spülen. Das Freiheitliche Bildungsinstitut nennt das selbst die „freiheitliche Fieberkurve“.
1999 folgte auf Haiders Höhenflug die erste schwarz-blaue Regierung mit Wolfgang Schüssel. Danach kam ein Absturz. Der Wiederaufbau unter Strache führte 2017 zur Koalition mit Sebastian Kurz. Nach Ibiza folgte erneut ein Tal der Tränen. Nun führt, eineinhalb Jahre vor der 28. Nationalratswahl im Herbst 2024, die FPÖ wieder mit rund 30% in den Umfragen. Vieles spricht dafür, daß diese Ausgangslage erneut zu einer schwarz-blauen Koalition führen könnte.
Derzeit ist die Lage für die FPÖ tatsächlich ideal. Die Sozialdemokraten zerlegen sich in einem Führungsstreit zwischen Linkspopulismus und Linksliberalismus (ich analysiere ihn hier in einem Podcast.). Die ÖVP findet nach dem Weggang von Sebastian Kurz kein Profil mehr. Derzeit scheint nur eine Rückkehr des ehemaligen Kanzlers die Partei vor dem Abstieg retten zu können. (Zur Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios hier.)
Die Freiheitlichen profitieren von ihrer klaren Haltung gegen die Coronapolitik. Schon damals sagte ich, daß die konsequente Linie Kickls (die er teils gegen konservativ-liberale Feiglinge in den eigenen Reihen durchsetzte) eine „politische Aktie“ sei, die einst enorm im Wert steigen werde. Beschämt leugnen heute viele Politiker ihre Beteiligung am Coronaregime, und die ÖVP will gar einen „österlichen Versöhnungsprozess“ in die Wege leiten.
Die Wirtschaftskrise, die Massenmigration und der Ukrainekrieg, bei dem die FPÖ abermals als einzige Kraft einen konsequent neutralen Kurs vertritt, stärken ebenfalls den Höhenflug. Doch es droht eine gewisse Gefahr, daß sie die “Früchte des Zorns” zu früh erntet und damit die Chance auf die große Wende schwächt.
In Oberösterreich befindet sich die Partei bereits in einer langjährigen Koalition mit der ÖVP. Nach einem Erfolg bei der Landtagswahl in Niederösterreich kam es nun überraschend zu einer weiteren Landeskoalition. Das, obwohl der Landesparteiobmann Udo Landbauer seinen gesamten Wahlkampf auf die politische Pensionierung der ÖVP-Chefin Mikl-Leitner ausgelegt hatte: “Niemals” werde er eine ÖVP-Regierung mit ihr an der Spitze mittragen! Nun wurde Mikl-Leitner mit Duldung der FPÖ erneut als Landeschefin angelobt.
Zwar sind im Koalitionspapier einige symbolische Erfolge der Freiheitlichen zu verzeichnen (es soll Coronaentschädigungen geben, der Impfzwang wird explizit verworfen, und Gendern wird kritisiert). Doch zum Thema des Bevölkerungsaustauschs schweigt man sich aus. Stattdessen wird auf “Deutsch am Schulhof” und „Integration“ gesetzt. Immerhin werden Staatsbürgerschaften restriktiver vergeben. In Anbetracht der demographischen Lage ist das aber zu wenig.
In wenigen Wochen finden auch in Salzburg Wahlen statt, bei denen die FPÖ ebenfalls einen starken zweiten Platz erreichen dürfte. Käme es auch dort zu einer Koalition, dann wäre ein Drittel unserer Bundesländer unter blauer Regierungsgewalt. Kann man dann immer noch authentische Oppositionspolitik gegen den Bund betreiben? Nehmen die zahlreichen Kooperationen mit der ÖVP auf Landesebene der Kritik an Kanzler Nehmanner nicht ihre Schärfe?
Die Gegner der FPÖ werden auf jeden Fall so argumentieren. Vor allem aber fallen die Entscheidungen zur Bevölkerungspolitik nicht auf Landesebene. Bis 2024 wird die FPÖ hier wenige Akzente gegen illegale Migration und importiertes Verbrechen setzen können. In Linz (OÖ) und Wiener Neustadt (NÖ) ist die Lage nicht besser als in Eisenstadt oder Graz, beides Städte in sozialistisch regierten Ländern.
Auch die wirtschaftliche Lage wird sich wohl weiter verschlechtern. Ab jetzt ist die FPÖ in den Augen vieler Protestwähler dafür mitverantwortlich. In einer bösen Metapher könnte man die Beteiligung der FPÖ an Landesregierungen mit der Übernahme einer maroden Firma kurz vor einer großen Finanzprüfung vergleichen.
Auf der anderen Seite bedeutet eine Koalition mit der ÖVP auch eine Normalisierung des Umgangs mit der FPÖ und einen Bruch des „Cordon sanitaire“. Herbert Kickl galt bis vor kurzem noch als unüberwindliches „Koalitionshindernis“. Gerade in Niederösterreich, dem Kernland der ÖVP, wurde er von Mikl-Leitner und Co immer besonders scharf kritisiert. Die Koalition könnte entdämonisierend wirken.
Fragt sich nur für wen und was: Wichtig ist nämlich nicht die Entdämonisierung einer Person und einer Partei. Die Inhalte und Forderungen der Freiheitlichen sind es, die normalisiert und entdämonisiert werden müssen! In Oberösterreich findet das aber bisher kaum statt. Manfred Haimbuchner, der dortige FPÖ-Chef, neigt eher zur Distanzierung.
Bis auf die Parteijugend wird weder der Bevölkerungsaustausch angesprochen noch eine Remigration gefordert. Das außerparlamentarische rechte Umfeld nimmt keine besondere Rolle ein. Es drängt sich der Verdacht auf, daß der ideologische Seuchengürtel gar nicht durchbrochen wurde.
Einzelne Akteure haben ihn überschritten, indem sie anstößige Inhalte wie Volksbegriff und demographische Frage “außen vor” gelassen haben. Norbert Hofer ist hierfür ein negatives Paradebeispiel. Seine „Entdämonisierung“ erfolgte durch eine „Entkleidung“ von freiheitlichen Kerninhalten: Vom Bevölkerungsaustausch wollte er nicht sprechen, von der Identitären Bewegung distanzierte er sich bei jeder Gelegenheit mit Nachdruck und sympathisierte stattdessen mit Fridays for Future und Black Lives Matter.
Nur indem er den “ideologischen Ballast” identitärer Forderungen abwarf, gleitete er elegant per E‑Scooter in den Rahmen des Sagbaren weiter und wurde von der Presse als “vernünftiger”, “koalitionsfähiger” Freiheitlicher gestreichelt.
Genau diese Gefahr scheint bei Kickl nicht zu bestehen. Er hat die FPÖ weitgehend von der Distanzeritis geheilt und versteht die Mechanismen der Metapolitik. Kickl ist kein Parlamentspatriot, sondern macht die FPÖ Zug um Zug zu einer „Partei der Reconquista“. Seinem Kurs ist es zu verdanken, dass junge Freiheitliche mit einer „Remigrationstour“ und der Seite „bevölkerungsaustausch.at” den Rahmen des Sagbaren erweitern.
„Metapolitik“ war auch der Titel eines neuen Seminars des Freiheitlichen Bildungsinstituts, in dem unter anderem das gleichnamige Kaplaken studiert wird. Ein Novum in der Partei, die sonst eher auf „NLP“ und „Rhetorikkurse“ setzte.
Im “dritten Aufstieg” hat daher dank Kickl jeder neue Prozentpunkt für die FPÖ auch einen metapolitischen Mehrwert. Nur einer Kickl-FPÖ wäre es zuzutrauen, daß sie ihre Ressourcen auf das wahre Machtzentrum der Gesellschaft, ihre herrschende Ideologie, fokussiert. Denn die wichtigste Aufgabe der FPÖ ist nicht die “Sacharbeit in Gebietskörperschaften”, sondern die Eroberung der ideologischen Staatsapparate und ein gesellschaftlicher Diskurswandel. Vor allem muß der Bevölkerungsaustausch ebenso zum brennenden Zentralthema gemacht werden, wie das linksliberalen Kräfte gerade mit dem Klimawandel gelingt. Dazu sind erhebliche Investitionen in das rechte Umfeld, also in Theoriebildung, Gegenkultur, Bewegung und Gegenöffentlichkeit erforderlich.
Diese langfristige metapolitische Wende muß in einer Regierungsbeteiligung von raschen symbolischen Maßnahmen markiert werden, die auch die eigene Basis zufriedenstellen. Herbert Kickl hat dafür ein feines Gespür. (In diesem Video analysierte ich dahingehend seine Zeit als Innenminister, die neben struktureller Arbeit von starken Symbolen wie Polizeipferden, der Umbenennung des Asylheims Traiskirchen in “Ausreisezentrum”, der Grenzeinheit Puma etc. lebte. )
(Meloni versagt meiner Ansicht nach genau hier. Die Migrationszahlen in Italien schnellen in die Höhe. Selbst wenn sie an „langfristigen Maßnahmen“ arbeiten sollte, hätte sie meiner Meinung nach mit einer symbolischen “Seeblockade” oder zumindest einem „Pushback“ einen Kontrapunkt setzen müssen. Macht sie so weiter, könnte es ihr ergehen wie vorher Matteo Salvini oder der FPÖ nach dem ersten und zweiten Aufstieg.)
Die Währung der FPÖ ist die Glaubwürdigkeit ihres “Wendeversprechens”. Die Partei wird nicht der “guten Sacharbeit in der Verkehrspolitik” oder der “Förderung der Wirtshauskultur” wegen gewählt. Ihre Wähler erwarten von der Partei einen akut sichtbaren und langfristig spürbaren Kurswechsel der Migrationspolitik. Bleibt dieser aus, werden sie sich rasch und in Scharen abwenden. Daraus folgt im Grunde, daß die FPÖ nur dann Regierungsverantwortung übernehmen darf, wenn sie damit auch reale Gestaltungsmacht erlangt. Wenn sie weitgehend folgenlos in Landesregierungen mitwirkt, könnte das ihren Nimbus beschädigen.
Doch selbst wenn die FPÖ am Wahltag im Jahr 2024 stärkste Kraft wird und eine Koalition anführt, müssen wir uns eine unangenehme Frage stellen: Würde ihre politische de jure-Macht gegen die de facto-Macht des “tiefen linken Staats” bestehen?
Den politischen Programmen könnte die Übermacht der linken “ideologischen Staatsapparate” in die Parade fahren. Ist der metapolitische Status quo der Gesellschaft reif für eine identitäre Politik?
Als Faustregel gilt: Erst wenn der Bevölkerungsaustausch als Problem anerkannt und als politische Frage enttabuisiert ist, ist eine politische Antwort in Form der Remigration überhaupt vorstellbar.Wenn eine FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht zur Normalisierung und Popularisierung identitärer Ideen führt, werden ihr auch keine echten Reformen der Bevölkerungs- und Identitätspolitk gelingen. Stattdessen gäbe es ein wenig „law & order“-Theaterdonner (wie z.B. ein paar spektakuläre Abschiebungen). Das ist zu wenig. Zu wenig, um den Bevölkerungsaustausch aufzuhalten, und zu wenig, um die „Wendehoffnung“ der Kernwähler zu erfüllen. Eine unweigerliche Enttäuschung wäre die Folge. Ebenso dürfte der Fall nach einem verjuxten und politisch erfolglosen „dritten Aufstieg“ tiefer sein als je zuvor.
In Oberösterreich und im niederösterreichischen Regierungsprogramm fokussiert man sich bis jetzt eher auf die ökonomischen und kriminologischen, geringer tabuisierten “Kollateralphänomene” des Bevölkerungsaustauschs (als da wären Ausländerkriminalität, illegale Migration, der radikale Islam etc.).
Es bleibt zu hoffen, daß sich das ändert. Eine Regierungsbeteiligung auf Landesebene darf der FPÖ wenige Meter vor der Ziellinie nicht „den Schneid abkaufen”. Die “Ernte” der Proteststimmung und des Coronawiderstands darf nicht in ein paar Landtagsmandaten bestehen.
Die FPÖ darf sich nichts vormachen. Sie existiert als Protestpartei nur, weil ihre Wähler implizit und explizit den Bevölkerungsaustausch ablehnen. Damit “Österreich Österreich bleibt”, braucht es eine Politik der Remigration. Kann man diese in einer Koalition aus politischer oder metapolitischer Schwäche nicht symbolisch und strukturell umsetzen, ist diese Koalition sofort und publikumswirksam aufzukündigen.
Auf keinen Fall kann sich die FPÖ eine Regierungsperiode leisten, in der sich nichts Wesentliches ändert und der Bevölkerungsaustausch ungebrochen weitergeht. Stattdessen gilt es, in der Opposition so stark zu werden, und das gesellschaftliche Klima so weit zu ändern, dass es beim nächsten Mal gelingt. Andernfalls würde der jähe Aufstieg wieder einen „dritten Abstieg“ nach sich ziehen, der die Partei im Kern zermürben könnte.
Majestyk
Mögen würde sie schon wollen, aber dürfen wird sie sich nicht trauen. Hinzu kommt, ein Umfragesieger in der Vorbereitung gewinnt noch lange nicht den Wettkampf, zumal die Punktrichter ja auch noch einverstanden sein müssen. Für Meloni gilt, der Kurs wird in Aspen abgesteckt. Die darf etwas Slalom fahren, muß aber auf jeden Fall den Zieleinlauf schaffen. Nur weil der Schaffner das Jacket wechselt, nimmt die Bahn noch lange keinen anderen Kurs.