Hätte sie es vorgehabt, wäre vor sechs Wochen der richtige Zeitpunkt gewesen. Ein paar zehntausend Leute in Berlin auf einer Friedensdemo, nicht ohne Hoffnung, der politischen Heimatlosigkeit zu entkommen, ohne der AfD in die Hände zu fallen – aber schon auf dem Rückweg zur S‑Bahn war klar: Es war eine Show, ein Profi-Konzert. Man fühlte sich unterhalten, das wars.
Im Nachgang führte die Zeitung “Demokratischer Widerstand” ein kurzes Interview mit mir. Es erschien vor anderthalb Wochen, ich kann es hier ebenfalls veröffentlichen, das hatten wir vereinbart.
Geht es auch anders als so ernüchternd? Ich meine: Erst die Ernüchterung öffnet den realistischen, also bespielbaren Spielraum.
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DEMOKRATISCHER WIDERSTAND: Herr Kubitschek, sie sind Gründer des Antaios-Verlages und der Zeitschrift Sezession. Wenn Sie Ihr Verlagsprogramm auf eine einzige Formel bringen müssten, wie würde diese ausfallen?
GÖTZ KUBITSCHEK: Wir sind seit dreiundzwanzig Jahren eine nicht für möglich gehaltene Provokation für den etablierten Denkbetrieb in Deutschland.
DW: Warum haben Sie sich am 25. Februar der Friedensdemonstration mit Wagenknecht und Schwarzer angeschlossen?
GK: Haben meine Frau und ich uns angeschlossen? Wir haben uns das still und vom Rande her angeschaut. Ich mißtraue dieser Form professionellen Widerstands. Mir war zuviel Distanzierung dabei. Zwar stehe, so die Redner, die Atomkrieg-Uhr anderthalb Minütchen vor Zwölf – aber trotzdem wolle man nicht, daß sich die AfD, die Rechten, wir also, mit an den Zeiger hängten, um ihn aufzuhalten. Wir waren also dort, um wahrzunehmen, um die Stimmung zu spüren.
DW: Für viele Berliner von ehemals CDU bis ehemals Linkspartei dürfte es irritierend sein, dass Sie sich als ein Pegida-Redner zur neuen außerparlamentarischen Opposition hinzuzugesellen. Denn Pegida galt vielen als Ausgeburt von »Mölln und Hoyerswerda«. War das so, ist das so?
GK: Nein, so war das nicht. Damals kamen die Begriffe “Lügenpresse” und “Lückenpresse” nicht aus dem Nichts auf, sondern weil der demonstrierende Bürger beim morgendlichen Blick in die Zeitung sich zuerst verwundert, beim zweiten Mal verärgert und von da an fassungslos und höhnend fragte, ob es in derselben Stadt zur selben Zeit unter demselben Motto zwei ganz unterschiedliche Demonstrationen gegeben habe.
Ein wichtiger Teil unserer Aufgabe bestand darin, diesen friedlichen Bürgern immer wieder zu sagen, daß ihre Wahrnehmung nicht trüge: Es war ja tatsächlich so, daß die begleitende Polizei zunächst mit ein paar Verkehrslotsen auskam, obwohl sich tausende Menschen durch die Straße schoben. Später dann, als der Protest gegen Pegida massiv wurde, standen die Polizisten grundsätzlich mit dem Rücken zu uns, weil sie wußten, daß von hier aus keine Übergriffe stattfinden würden.
Alles in allem ist diese Erfahrung der Grund, warum ich mich nicht zur außerparlamentarischen Opposition hinzugeselle, obwohl Sie das vermuten: Solange Wagenknecht und Schwarzer die Mauer gegen uns hochzuziehen helfen, bin ich bloß Beobachter. Es gibt keine klinisch reine Opposition, und wer den vom Establishment vorgesagten Hygienestandard akzeptiert, kann nicht Opposition sein.
DW: Gibt es nur einen einzigen Protest- und Aufwachprozess, der am Ende in der Mitte zusammenfinden kann? Falls ja, wo würde diese Mitte etwa liegen? In Kassel? Im Christentum? In der AfD?
GK: Die Querdenker-Demos waren viel machtvoller, viel virulenter, viel unkontrollierbarer als das, was Wagenknecht aufführt, das wissen Sie selbst doch am besten. Da war die Bedrohung durch den Maßnahmenstaat, seine Verlogenheit, seine Überheblichkeit, seinen Durchgriffsrausch so offensichtlich, daß man im Kampf dagegen buchstäblich nicht mehr nach links und rechts schaute.
Wagenknecht hingegen sortierte auf der Bühne fein säuberlich die immer schon um Menschlichkeit bemühte Linke und die schon immer in Panzerschlachten denkende Rechte auseinander – erzählte also zum einen Quatsch und sprach zum anderen als Parteipolitikerin, die jenes Wasser abzugraben beginnt, das derzeit auf die Mühlen der einzigen ernsthaften Opposition Deutschlands fließt: nach rechts.
Aber Ihre Frage ist damit noch nicht beantwortet, daher: Es gibt seit zehn Jahren Wellen, Bewegungen, Höhepunkte, Ansätze – aber es zeigt sich keine Mitte. Was sich zeigt, ist eine immer breiter aufgestellte Rechte, gegen die geriegelt, gekämpft, gelogen wird, kurz: gegen die “die Mitte” eine totale Mobilmachung ausgerufen hat. Vielleicht verstehen Sie, daß ich deshalb über “Mittiges” nicht oft nachdenke.
Ich bin außerdem der Meinung, daß es für ein Leben ausreicht, daran mitgearbeitet zu haben, daß es eine schöne, wahre, gute, fleißige und provokante Rechte gibt. Und eines noch: Mir ist diese Rechte mittlerweile schon fast zu harmlos. Sie tut ja manchmal gerade so, als handele es sich bloß um einen Irrtum, wenn man sie so bekämpfe.
DW: Zu harmlos? Mit der Neuen Rechten wird es also kein Händchenhalten, keine Meditations-Workshops und keine Herzchenballons geben, indes ausgezeichnete Bücher. Sind Republik, Rechtsstaat und Demokratie mit Ihnen drin, Herr Kubitschek?
GK: Erinnern Sie sich an den AfD-Slogan »Deutschland. Aber normal«? – Natürlich erinnern Sie sich daran. Ich habe mal einen ziemlich langen Text geschrieben über einen “Normalisierungspatriotismus”, der von der AfD und vor allem von der überwältigenden Mehrheit ihrer Wähler und ihres Potentials angestrebt werde.
Ich halte diese Normalisierung tatsächlich für das politische Maximum – mehr ist nicht drin. Und wenn Sie sich die drei großen Protestwellen anschauen, die in den vergangenen Jahren von rechts angeschoben oder aufgefüttert wurden, dann waren – und sind – das alles Empörungen über unstatthafte Veränderungen. Als Ziel wurde ausgegeben: zurück zur Normalität, zu dem, was nicht schlecht war, wenigstens nicht so schlecht wie das, was nun da ist. Schon diese Rückkehr wäre eine Revolte.
DW: Ich denke, ja! Herr Kubitschek, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Franz Bettinger
@Umlautkombi hat bei Bosselmann dankenswerter Weise bereits auf dieses famose witzige Essay von CJ Hopkins hingewiesen. Dessen Ansicht zu Links und Rechts passt gut unter GK’s Beitrag. Hilarious, insightful and full of pointed irony he is mixing right and left stuff to prove that these old concepts don’t hold much water anymore in our days and he let the lefties look into a mirror in which they look ugly and stupid. Deshalb nochmals: https://consentfactory.org/2023/04/03/the-new-normal-left/