Die Konvergenz der Krisen

PDF der Druckfassung aus Sezession 112/ Februar 2023

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

So viel Kri­se war nie. Bes­ser: So viel wahr­nehm­ba­re Kri­se war in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nie.

Gewiß: Kri­sen als Sonder­situationen, die einen »Bruch der gewöhn­li­chen Rou­ti­ne sowohl auf indi­vi­du­el­ler wie auch auf sys­te­mi­scher Ebe­ne« (Sebas­ti­an Klau­ke) bewir­ken, gibt es seit jeher auch in der BRD; ob wirt­schaft­li­che Rezes­si­on 1966, Ölkri­se 1973 oder die Fol­ge­kri­sen auf die Wie­der­ver­ei­ni­gung bis zur Kon­so­li­die­rungs­kri­se 1993.

Neu ist einer­seits die Ver­kür­zung der Abstän­de zwi­schen eben­sol­chen und ande­rer­seits die Inten­si­tät, mit der sich Kri­sen ent­fal­ten und in grö­ße­ren Tei­len der Gesell­schaft bemerk­bar machen.

Spä­tes­tens seit 2007, dem Aus­bruch der Welt­fi­nanz­kri­se, ist »Kri­se« Pro­gramm. 2010 folg­te ein Höhe­punkt der Finanz­kri­se in der Euro­zo­ne, 2015 führ­te die feh­len­de Schlie­ßung der Gren­zen zu einer Migra­ti­ons­kri­se neu­en Typs, 2020 begann die Coro­na­kri­se, 2022 eska­lier­te erst die Ukraine‑, dann die Ener­gie- und Ver­sor­gungs­kri­se, gar­niert mit einer für die BRD-His­to­rie bei­spiel­lo­sen Infla­ti­ons­kri­se. Kei­ne der genann­ten Kri­sen ist gelöst, jede die­ser Kri­sen wirkt heu­te und künf­tig fort, wenn­gleich in unter­schied­li­cher Wirkungsstärke.

Vie­le die­ser Kri­sen wur­zeln in poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Pro­zes­sen, die Jahr­zehn­te zurück­lie­gen. Bereits in den 1970er Jah­ren, so dia­gnos­ti­ziert es der deut­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Joshua Wull­we­ber, sei

ein Nähr­bo­den ent­stan­den, der die Wahr­schein­lich­keit von Kri­sen mit glo­ba­lem Aus­maß stark erhöhte.

Dar­auf auf­bau­end, ergänzt Adam Too­ze, sei ein »dyna­mi­sches Kräf­te­par­al­le­lo­gramm« ent­stan­den, »das eine Dees­ka­la­ti­on schwer, wenn nicht gar unvor­stell­bar macht«. Der Wirt­schafts­his­to­ri­ker mahnt: Was wir bis­her erlebt haben, das war erst der Anfang.« Too­ze ist nicht der ein­zi­ge mit düs­te­ren Vor­ah­nun­gen. Der 2012 ver­stor­be­ne Wert­kri­ti­ker Robert Kurz sprach schon früh von einer »her­an­rei­fen­den Meta­kri­se«, und er kon­sta­tier­te zehn Jah­re vor Wull­we­ber, daß nie­mand ahnen kön­ne, »wo mor­gen oder über­mor­gen das Feu­er unterm Dach auf­lo­dern wird«. Dage­gen wür­den alle

wis­sen, daß die Brand­her­de über­all lau­ern und anschei­nend auf geheim­nis­vol­le Wei­se mit­ein­an­der ver­bun­den sind.

Eben dies macht die Son­der­si­tua­ti­on seit 2022 aus: die expli­zi­te Ver­bin­dung zwi­schen unter­schied­li­chen Kri­sen­kom­ple­xen. Ein­zel­ne Kri­sen, die iso­liert von­ein­an­der poten­ti­ell lös­bar wären, spit­zen sich zu, erzeu­gen neue Kri­sen (auch durch man­gel­haf­te Ver­su­che, sie zu lösen), die sich wie­der­um ver­dich­ten; sie lau­fen zusam­men, sie konvergieren.

Die­se Kri­sen­bün­de­lung ist in der jün­ge­ren Geschich­te ein­zig­ar­tig. Denn die Kri­se als Ereig­nis ist gewöhn­lich tem­po­rä­ren Cha­rak­ters. Das heu­te im All­tags­ver­stand als Bezeich­nung für har­te und beson­ders stres­si­ge Zei­ten gän­gi­ge Wort lei­tet sich ab von der grie­chi­schen krí­sis, was je nach Kon­text Unter­schei­dung, Urteil oder Ent­schei­dung bedeu­te­te; die latei­ni­schen Wur­zeln von cri­sis beschrei­ben ganz ähn­lich den Höhe- und Wen­de­punkt einer Situa­ti­on, im Regel­fall einer Krankheit.

Daß heu­te »die Kri­se« nicht mehr eine kur­ze Pha­se mit Rich­tungs­ent­schei­dun­gen beschreibt, son­dern einen fort­wir­ken­den Zustand, liegt – ers­tens – an ihrem zusam­men­lau­fen­den Auf­tre­ten: In der Kon­ver­genz der Kri­sen ist es schwer mög­lich, eine der Kri­sen zu »lösen«, ohne die ande­ren eben­falls anzu­ge­hen: »Die neue Nor­ma­li­tät zeich­net sich durch eine poli­ti­sche Gover­nan­ce der per­ma­nen­ten [!] Kri­se aus« (Wull­we­ber).

Zwei­tens liegt die Mög­lich­keit einer sol­chen per­ma­nen­ten Kri­se – eigent­lich ein Wider­spruch in sich – in ihrer welt­wei­ten Aus­strah­lung. Wir sind im 21. Jahr­hun­dert mit der »Tat­sa­che des inne­ren Zusam­men­hangs aller Erschei­nun­gen in der glo­ba­li­sier­ten Gesell­schaft« kon­fron­tiert, mit der »One World des Kapi­tals«, wie Kurz akzen­tu­ier­te. Die­se Eine Welt sorgt nicht nur für den rei­bungs­lo­sen Waren­ver­kehr im glo­ba­len Maß­stab und damit auch im Schnitt für eine glo­ba­le Wohl­stands­ver­meh­rung, son­dern seit Jah­ren auch für einen welt­weit inter­de­pen­den­ten Kri­sen­zu­sam­men­hang mit ste­tig wach­sen­dem Eskalationspotential.

Heft 112Für das Zeit­al­ter des digi­ta­li­sier­ten und finan­zia­li­sier­ten Welt­ka­pi­ta­lis­mus – der kein mono­lithischer Block ist, son­dern natio­na­le und kon­ti­nen­ta­le Spe­zi­fi­ka auf­weist – ist der neue Grad der Vir­tua­li­tät und Ver­net­zung, der gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­kei­ten, der Anfäl­lig­keit und »Vul­nerabi­li­tät« welt­wei­ter Wert­schöp­fungs­ket­ten usf. kennzeichnend.

Eine sol­che hyper­glo­ba­li­sier­te Kon­stel­la­ti­on nährt apo­ka­lyp­ti­sche Deu­tungs­mo­del­le von links wie von rechts. Robert Kurz, als Ver­tre­ter einer grund­sätz­lich ope­rie­ren­den intel­lek­tu­el­len Lin­ken, wit­ter­te unge­ahn­te Schre­ckens­ent­wick­lun­gen, die in der »welt­ge­sell­schaft­li­chen Dimen­si­on« eben­so begrün­det lägen wie in der »unge­heu­ren Dyna­mik die­ses Sys­tems«, das in die Pha­se des »größ­ten his­to­ri­schen Kri­sen­zeit­al­ters« über­ge­gan­gen sei.

Guil­laume Faye, als Ver­tre­ter einer grund­sätz­lich ope­rie­ren­den intel­lek­tu­el­len Rech­ten, folg­te Kurz und über­bot ihn sogar: Für den 2019 ver­stor­be­nen fran­zö­si­schen Den­ker war das von Kurz ange­zeig­te Krisenzeit­alter bereits been­det; die Epo­che der »Kon­ver­genz der Kata­stro­phen« habe begon­nen. Auch Faye ziel­te auf das Zusam­men­wir­ken unter­schied­li­cher Pro­blem­strän­ge ab. »Zum ers­ten Mal in der Welt­ge­schich­te«, pro­phe­zei­te er, »könn­te die Kata­stro­phe glo­ba­le Züge in einer glo­ba­li­sier­ten Welt« tra­gen. Auf den Kon­junk­tiv ver­zich­te­te Faye alsbald:

Die kata­stro­pha­len Ereig­nis­se, die ein­tre­ten, wer­den um eini­ges bedeu­ten­der sein als die­je­ni­gen, die das Ende des Römi­schen Rei­ches her­bei­führ­ten, weil sie die gan­ze Welt betref­fen und sich viel schnel­ler voll­zie­hen werden.

Faye ließ kei­nen Zwei­fel an sei­ner Pro­gno­se: Wir leben kurz vor dem Ein­set­zen eines glo­ba­len Cha­os. Fayes The­sen, die bis­her stär­ker im ang­lo-ame­ri­ka­ni­schen und fran­zö­si­schen Sprach­raum zir­ku­lie­ren als im deut­schen, loh­nen einer nähe­ren Betrach­tung, weil sie zum einen in dif­fu­sen und schwer über­schau­ba­ren Kri­sen­zei­ten neue Anhän­ger fin­den und weil man zum ande­ren anhand ihrer ver­deut­li­chen kann, wo die poli­ti­sche Oppo­si­ti­on gera­de nicht »falsch abbie­gen« soll­te. Denn obschon Fayes Ana­ly­sen einen Wahr­heits­kern auf­wei­sen (er selbst bezeich­ne­te sei­ne Arbeit euphe­mis­tisch als »ratio­nal und beob­ach­tend«), füh­ren sie auf­grund ihrer Maß­lo­sig­keit und ihres Deter­mi­nis­mus, die die­sen Kern über­la­gern, in die Irre.

Fayes Kon­zept basiert auf der Grund­an­nah­me, daß die Mensch­heit erst­mals über­haupt von einer »Kon­ver­genz der Kata­stro­phen« heim­ge­sucht wer­de. Er ver­mengt Kri­sen- und Kata­stro­phen­be­griff ohne jede Not, denn die Kon­ver­genz der Kata­stro­phen besteht für ihn unter ande­rem in der isla­mi­schen Zuwan­de­rung und dem eth­ni­schen Bür­ger­krieg, in der Demo­gra­phie, in der Welt­fi­nanz­kri­se, in der Umwelt- und Kli­ma­kri­se und in der nahen­den Implo­si­on der Euro­päi­schen Union.

Faye läßt bei sei­ner Pro­gno­se kei­ne Alter­na­tiv­deu­tung zu. Die EU, heißt es apo­dik­tisch, »wird ver­schwin­den«, der »unaus­weich­li­che Kol­laps« ste­he vor der Tür. Ein­zel­ne Kata­stro­phen wür­den sich bün­deln, was den brea­king point her­vor­ru­fe. Der »glo­ba­li­sier­te büro­kra­ti­sche Ultra­li­be­ra­lis­mus« kön­ne dem Ansturm des Glo­ba­len Südens, der durch den Kli­ma­wan­del und sei­ne Fol­gen (Dür­ren, Was­ser­knapp­heit, Hit­ze- und Käl­te­wel­len usf.) eska­liert, nichts ent­ge­gen­set­zen. Eine »per­ma­nen­te Kri­se, die die Völ­ker in Armut stürzt«, wer­de beglei­tet durch Bür­ger- und regu­lä­re Krie­ge. Aus den Trüm­mern ent­ste­he eine neue Welt: jene, die auf der Welt­sicht des »Archäo­fu­tu­ris­mus« – ganz Altes und ganz Neu­es wer­den syn­the­ti­siert – beru­he und das Post-Kata­stro­phen-Zeit­al­ter mit stark redu­zier­ter Welt­be­völ­ke­rung ein­lei­te. Vor­her aber erweist sich – als con­di­tio sine qua non – für Faye eine Kata­stro­phen­kon­ver­genz als Zusam­men­lau­fen von bru­ta­len Eskalationen.

Die­se Sicht­wei­se ist, läßt man – wie Faye – nur sie als Erklä­rungs­mo­dell zu, zwei­fel­los zu deter­mi­nis­tisch. Denn Faye geht in sei­nem in meh­re­re Spra­chen über­setz­ten Schlüs­sel­text von inne­ren Gesetz­mä­ßig­kei­ten aus, die das west­li­che Sys­tem zum Ein­stür­zen brin­gen wer­den. Der ratio­na­le Kern sei­ner Ana­ly­se besteht dar­in, daß Pro­ble­me und Wider­sprü­che, die er anführt, tat­säch­lich bestehen: Mas­sen­zu­wan­de­rung und mas­si­ve Über­al­te­rung, flä­chen­de­cken­de Aus­blu­tung des Mit­tel­stands und Ver­mö­gens­kon­zen­tra­ti­on an der Spit­ze sowie die Ver­än­de­rung der bis­her bekann­ten Klima­konstellation sind real.

Indes: Das sind vor­erst Kri­sen, kei­ne Kata­stro­phen. Als Kata­stro­phe begreift man gewöhn­lich einen plötz­li­chen, extern ver­ur­sach­ten Bruch, der nicht erwart­bar ist; man denkt an Natur­er­eig­nis­se wie Vul­kan­aus­brü­che, Erd­be­ben, eine Flut oder ähn­li­ches. Kata­stro­phe im All­tags­ver­stand heißt: Ein Ereig­nis ist nicht auf mensch­li­ches Han­deln zurück­zu­füh­ren – Kri­sen sind es in der Regel schon. Das Gros der heu­ti­gen Kri­sen in der Epo­che der Kri­sen­kon­ver­genz ist expli­zit men­schen­ge­macht und ent­springt ­kei­nem plötz­li­chen, gewalt­sa­men Ein­bruch in die Rea­li­tät, kei­ner sprung­haf­ten ­Situa­ti­ons­ver­än­de­rung, wie es für Kata­stro­phen typisch ist.

Fayes Modell blen­det nicht nur die zugrun­de­lie­gen­de Begriffs­klä­rung aus, son­dern steht pars pro toto für eine Tag-X-Men­ta­li­tät, die Jahr­zehn­te vor ihm sein Lands­mann Domi­ni­que Ven­ner als ent­mu­ti­gend und läh­mend denun­zier­te. Denn in einem sol­chen Modell ist kein eige­ner Hand­lungs­spiel­raum vor­ge­se­hen. Man kann als ein­zel­ner und als Kol­lek­tiv nichts tun, der Nie­der­gang des Bestehen­den ist zwin­gend – es gilt zu war­ten, bis das »Unver­meid­li­che« eintritt.

Schließt man sich Fayes inter­es­san­ter Gegen­warts­ana­ly­se und sei­ner alar­mis­tisch-ver­stie­ge­nen Zukunfts­schau an, ist das Risi­ko groß, in einen zur Untä­tig­keit trei­ben­den Fata­lis­mus zu ver­fal­len. Aus die­sem Grund ist es bes­ser, von einer »Kon­ver­genz der Kri­sen« als von einer »Kon­ver­genz der Kata­stro­phen« aus­zu­ge­hen. Denn eine Kri­se ist, wie alle men­schen­ge­mach­te Geschich­te: kon­tin­gent, ergeb­nis­of­fen. Im »Wesen der Kri­se« lie­ge es, notier­te Rein­hart Koselleck, »daß eine Ent­schei­dung fäl­lig ist«, aber »offen­bleibt, wel­che Ent­schei­dung fällt«. Bei Faye und sei­nen Anhän­gern über­wiegt indes die blei­er­ne Sehn­sucht nach Tabu­la rasa ange­sichts eines all­um­fas­sen­den Ekels ob der herr­schen­den Verhältnisse.

Das heißt nicht, zu leug­nen, daß eine real exis­tie­ren­de Kon­ver­genz der Kri­sen durch exter­ne Schocks und his­to­ri­sche Zufäl­le in eine Kata­stro­phe umschla­gen kann; das scheint aber ein Extrem­fall zu sein, weni­ger ein eher­nes Gesetz, als wel­ches es bei Faye ein­ge­führt wird. Ohne­hin soll­te nicht das Kata­stro­pha­le, son­dern das Kri­sen­be­haf­te­te in den Vor­der­grund treten:

Das Kata­stro­pha­le ver­un­mög­licht eige­ne Hand­lungs­op­tio­nen, die Kri­se ermög­licht sie. In der Kri­se leben heißt, in einer her­aus­for­dern­den Lage zu leben, in einer Pha­se, die – je nach Ver­hal­ten der Kri­sen­ak­teu­re, je nach Dyna­mik – das Poten­ti­al zu Umbrü­chen und Wen­den, aber auch zur blo­ßen Kri­sen­ver­ta­gung in sich trägt. Kri­sen sind »pro­duk­tiv, denn sie nor­mie­ren, akti­vie­ren und regu­lie­ren gesell­schaft­li­ches Han­deln«. Indem sie mit Gewohn­hei­ten und Rou­ti­nen »bre­chen«, rufen sie »wei­te­re Kri­sen her­vor und sind in der Lage, bestehen­de Herr­schafts­ver­hält­nis­se zu erneu­ern oder insta­bil wer­den zu lassen«.

Letz­te­res ist Oppo­si­ti­ons­be­geh­ren. Denn erst in der »Kri­se der Auto­ri­tät«, so der ita­lie­ni­sche Links­re­vo­lu­tio­när ­Anto­nio Gramsci, ver­lie­ren die herr­schen­den Eli­ten den gesell­schaft­li­chen Kon­sens; sie füh­ren nicht mehr, son­dern herr­schen nur. Tei­le der Bevöl­ke­rung wen­den sich vom Alten ab (von den bis­he­ri­gen Par­tei­en, von bis­her kon­su­mier­ten Medi­en­an­ge­bo­ten etc.), aber noch nichts Neu­em zu. Sie haben Gewiß­hei­ten und Sicher­hei­ten ver­lo­ren, aber noch nichts neu­es Sta­bi­li­sie­ren­des gefun­den. Es hat noch kei­ne »Kathar­sis« im Sin­ne Gramscis statt­ge­fun­den, da eine Kri­sen­wirk­lich­keit, die Unzu­frie­den­heit mit dem Eta­blier­ten mit sich bringt, nicht auto­ma­tisch Kri­sen­so­li­da­ri­tät mit non­kon­for­men Akteu­ren gebiert. Ver­trau­en muß man sich erar­bei­ten, und Hege­mo­nie will erkämpft sein; die Kri­sen schaf­fen die objek­tiv erfor­der­li­che Ausgangsbasis.

In einer mate­ria­lis­ti­schen Gesell­schaft erfol­gen die­se Sor­tie­rungs­pro­zes­se – Abwen­dung, Suche, Zuwen­dung – pri­mär auch auf mate­ria­lis­ti­schem Grun­de. Gramsci ver­mied dabei öko­no­mis­ti­schen Reduk­tio­nis­mus; Wirt­schafts­kri­sen allein erzeu­gen kei­ne Kathar­sis und kei­nen anschlie­ßen­den Umschwung. Aber ganz ohne sie kann es nicht funk­tio­nie­ren, da der Aus­lö­ser für eine geball­te Kri­sen­si­tua­ti­on his­to­risch oft­mals auf wirt­schaft­li­chem Ter­rain zu suchen ist.

Für unse­re Gegen­wart heißt das kon­kret: »Kri­selt das Finanz­sys­tem, funk­tio­nie­ren auch ande­re Berei­che der Öko­no­mie nicht mehr rei­bungs­los.« Popu­lis­tisch lie­ße sich die­se Abfol­ge so fort­schrei­ben: Erst wenn das rei­bungs­lo­se Funk­tio­nie­ren wei­ter Ver­sor­gungs­be­rei­che lädiert scheint (ob es das ist, bleibt sekun­där), wenn es also wei­ten Tei­len der Gesell­schaft mate­ri­ell gefühlt oder real an den Kra­gen geht, öff­nen sich grö­ße­re Wir­kungs­fens­ter für non­kon­for­me Poli­tik. »Wenn der pro­spek­ti­ve Hege­mon weder kör­per­li­che Sicher­heit noch mate­ri­el­le Bedürf­nis­be­frie­di­gung bie­ten kann«, pro­gnos­ti­zier­te mit Wolf­gang Fritz Haug ein wei­te­rer Kri­sen­den­ker von links, »wird sich sei­ne Macht in Luft auflösen«.

Daß wir auch Anfang 2023 nicht so weit sind, gehört zum Bestand­teil einer rea­lis­ti­schen Lage­auf­fas­sung eben­so wie das Fazit, dem zufol­ge man sich im Wir­kungs­feld erreich­ba­rer Nah­zie­le geis­tig zurüs­ten muß für das Fern­ziel, dem man durch eige­ne Schaf­fens­kraft näher­kom­men kann. Das gelingt über eine Annah­me der Deu­tungs­kämp­fe, die um jede ein­zel­ne Kri­se geführt wer­den. Kri­sen kön­nen im Rah­men die­ser gestell­ten Hege­mo­nie- und Macht­fra­gen eine akti­vie­ren­de Wir­kung auf die eige­nen Zusam­men­hän­ge aus­üben, selbst wenn man sich gesamt­ge­sell­schaft­lich in einer Min­der­heits­po­si­ti­on befin­det, wie die Coro­na­pro­tes­te gut, die schwä­cheln­den Ener­gie­pro­tes­te weni­ger gut ver­deut­licht haben.

Doch auch das Gegen­teil, eine pas­si­vie­rend-demo­ti­vie­ren­de Wir­kung, ist nicht aus­ge­schlos­sen; die Ergeb­nis­of­fen­heit der Kri­se liegt auch hier vor. Der Kipp-Punkt, an dem die Ver­hält­nis­se im eige­nen Sin­ne zum Tan­zen gebracht wer­den, kann nicht »geplant« wer­den, weil zu vie­le Varia­blen auf die Situa­ti­on ein­wir­ken. Sehr wohl muß aber auf die­sen hin­ge­ar­bei­tet wer­den. Erschwe­rend wirkt hin­ge­gen, daß just »in den gro­ßen Kri­sen cha­ris­ma­ti­sche Per­sön­lich­kei­ten gefragt [sind], die eine bewe­gen­de Stim­mung des Auf­bruchs erzeu­gen kön­nen«, wir aber einst­wei­len kaum über der­ar­ti­ge Cha­rak­te­re verfügen.

Bis sich ent­spre­chen­de Hoff­nungs­fi­gu­ren zu erken­nen geben, bleibt eini­ges zu tun: Deu­tungs­kämp­fe anneh­men und füh­ren; Mit­men­schen Wis­sen über Kri­sen und ihre Bedeu­tun­gen ver­mit­teln; loka­le / regio­na­le Leucht­tür­me poli­ti­scher Pro­jek­te schaf­fen; Ver­zah­nung von außer­par­la­men­ta­ri­schen Grup­pen mit zugäng­li­chen Par­tei­struk­tu­ren för­dern; arbeits­tei­lig und sich ste­tig pro­fes­sio­na­li­sie­rend an der Wen­de im Klei­nen arbei­ten, indem man kon­kre­te Erfol­ge pro­du­ziert, statt irrea­le und latent gefähr­li­che Tag-X-Phan­ta­sien von der gro­ßen Kata­stro­phen­flut (Faye) zu reproduzieren.

Dies sind rea­lis­ti­sche Ziel­punk­te unse­rer Arbeit in der soeben erst ein­ge­lei­te­ten Epo­che einer Kon­ver­genz der Krisen.

– – –

Die­ser Bei­trag erschien in der 112. Sezes­si­on vom Febru­ar 2023 und liegt mit allen Quel­len­nach­wei­sen hier als pdf vor.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (35)

Niedersachse

11. April 2023 11:12

Deutschland ist das Epizentrum von diveren fatalen politischen Weichenstellungen, die den Bürgern als "Krisen" dargestellt werden. Eine ähnliche volksverneinende und wertezersetzende Politik findet sich in abgemilderter Form auch bei unseren westlichen Nachbarstaaten wieder. Das es sich - um beispielsweise bei der Migrationspolitik zu bleiben - nicht um eine wirkliche Krise handelt, wo die Regierung die Kontrolle verloren hat, sondern um einen perfiden Plan, um die Bevölkerungsstruktur in Deutschland nachhaltig zu verändern, sollte mittlerweile jedem aufgefallen sein. Den perfekten Anschauungsunterricht bot dafür der Herbst 2021: Während Polen einen Grenzzaun zwischen sich und  Weißrussland errichtete, stockte die unsägliche BRD die  "Kapazitäten der Asylzentren auf"(O- Ton ZDF). Die Ansiedlung von Asyltouristen über sichere Drittstaaten ist demnach das wichtigste Ziel einer volksfeindlichen Regierung und keine wirkliche Krise. Es wird den Bürgern nur als eine solche verkauft.

Martin Barkhoff

11. April 2023 11:35

1‚Menschengemachte Krisen‘ können in Katastrophen umschlagen. Der 1. und 2. Weltkrieg wären mit ‚Krise‘ ehr schöngeredet. 
2‚Keiner‘ redet von der geistigen Krise (oder Katastrophe), vom Verschwinden, vom Verlust des selbstständigen Menschen. Wir haben schon länger nicht mehr die Menschen, die Leute, die eine europäische Zivilisation tragen und betreiben könnten. Ehrlichkeit (Wahrheitsliebe), Erkenntnisstreben, Interesse am Anderen (ernsthafte Liebe-Kultur) und durchhaltende Gewissenskraft, Fünfe, ohne die nichts geht, sind ‚gestorben‘, fehlen auf der ganzen Linie für den Betrieb von ‚Gesellschaft‘. Keine Hauptesbildung, garkeine Herzensbildung, keine Willensbildung (Selbstzucht). Das muss man erstmal auf sich wirken lassen. 
3Auch Krisen- und Katastrophenzeiten sind lebenswert; sie können das Grösste im Leben sein. Aber sie werden es nicht durch ‚Politik‘.
4Kürzer ging’s nicht.  ;–)
 
 

tearjerker

11. April 2023 11:44

Die bundesrepublikanische Perspektive unterschägt den Blick aus der Ostzone und den der ehemaligen OstOst-Deutschen jenseits der Oder. Im alten Westen gab's zunächst die Dauerbedrohung durch die Soffiet-Armeen und erst ab der zweiten Hälfte der 60ger die AddOns wie Geschlechterkampf, Arbeitslosigkeit, Gurtpflicht usw. Die "DDR" war nach meiner Erinnerung krisenfrei und für die überlebenden Memelländer, Donauschwaben, Schlesier usw war die grösste Krise, die Alles und Viele verschlang schon vorbei. Die die Krise beschwören haben mit ihrem Dauertrara auf jeden Fall einen guten Schnitt gemacht und erst wenn Otte, Krall und Co. sich nicht mehr melden, wird es wirklich ernst. Einstweilen dürfen sich die im alten Westen erwachsenen Deutschen erstmalig darauf einstellen, dass nach 50 Jahren Aufschwung der allgemeine Lebensstandard für alle sinken wird. Voraussichtlich für viele Jahrzehnte. Um diese Einmal-im-Leben-Erfahrung ist man in der Trizone bisher im Gegensatz zu den 30 Vorgängergenerationen ja herumgekommen. Wird Zeit, diesen widernatürlichen Zustand zu beenden.

Eo

11. April 2023 12:39

 
Krise ist dann,wenn die Zukunft zum Problem wird ...
https://neue-spryche.blogspot.de/2014/11/die-krise-als-prufung.html
 

anatol broder

11. April 2023 13:08

@ martin barkhoff 11:35
wenn ich den zweiten punkt auf mich wirken lasse, dann muss ich gähnen.

Majestyk

11. April 2023 14:00

@ anatol broder:
Was gibt es da zu gähnen? Die Formulierung mag nicht stimmig sein, aber nichts ist für eine Gemeinschaft wichtiger als die charakterliche Prägung der Mitglieder. Nur Hunde folgen dem der sie füttert. Starke, freie und integre Menschen achten auch darauf, daß ihr Gemeinwesen stark, frei und integer bleibt. Genau das ist das Übel jener sozialistischen und eben auch der feministischen Seuche, die macht die Menschen innerlich kaputt und verlottert. Wo die Männer schwach sind werden die Zeiten hart. 
Eine Gesellschaft die von starken und charakterlich gefestigten Männern geführt wird, die teilt kein Land, kein Know How, die importiert keine Fremden die man nicht bauchen kann und die läßt auch nicht zu, daß die eigene Jugend vergiftet wird, weder mit Drogen, noch mit Propaganda, auch nicht mit Pornographie oder anderem Dreck. 
Und charakterliche Prägung beginnt in der Familie. Deswegen braucht es auch gute Frauen als Mütter, die nicht feministisch verblendet sein dürfen und man erzählt den Menschen nicht, daß gescheiterte Familien sexy sind und nennt das ganze dann Flickwerk.

Majestyk

11. April 2023 14:14

@ tearjerker:
Die "DDR" war nach meiner Erinnerung krisenfrei
Die DDR war selber eine "Krise" und wer das im Jahr 2023 immer noch nicht über die Lippen bekommt ist im Innern alles mögliche, nur kein freiheitsliebender Mensch. Wer denken konnte und sich in der DDR dennoch wohl fühlte, der war Sozialist, gleich wie er sich selber sieht.

Mitleser2

11. April 2023 14:33

@Niedersachse: "Die Ansiedlung von Asyltouristen ... ist demnach das wichtigste Ziel einer volksfeindlichen Regierung und keine wirkliche Krise. Es wird den Bürgern nur als eine solche verkauft."
Richtig, und das beschränkt sich nicht auf die Migration. Energie,Dämmung und Entwertung des Wohnsbestandes sind auch keine Krisen, sondern gewollte Maßnahmen, um die Bevölkerung in noch mehr Abhängigkeiten zu zwingen. Leider erkennen das noch viel zu wenige. Letztlich muss man hoffen, dass eine tatsächliche "Krise" ein Umdenken erfolgen lässt.

Gustav

11. April 2023 15:05

»Wenn der prospektive Hegemon weder körperliche Sicherheit noch materielle Bedürfnisbefriedigung bieten kann«, prognostizierte mit Wolfgang Fritz Haug ein weiterer Krisendenker von links, »wird sich seine Macht in Luft auflösen«.
Die geschichtliche Erfahrung von Russen und Chinesen spricht eine ganz andere Sprache. Warum sollte im "Westen" nicht eine ganz ähnliche Erfahrung lauern?
Im damaligen Russland gab es noch die "Weißen", mit der Fähigkeit zu militärischem Widerstand.
Wir haben die AfD und utopistische Träumer der Worte, aber weit und breit keine Männer und Frauen der Tat....., keine Organisation für den Ernstfall, eine Ansammlung von Schwätzern und Schreiberlingen, die aber auch nichts an der jetzigen und zukünftigen Entwicklung ändern werden. 

Adler und Drache

11. April 2023 15:49

@Martin Barkhoff
Vielen Dank, ich stimme vollkommen zu. Ob wir in 10 Jahren noch in Urlaub fahren oder Fleisch essen können, ist im Grunde nebensächlich - Hauptsache, wir bleiben oder werden geistig freie, gefestigte, klarsehende Menschen, überhaupt Menschen, nicht pawlowsche Affen. 
@Gustav
Nein, wir haben keine Avengers und auch keine Justice League. Es hat Gründe, warum es die Superhelden, die Sie sich wünschen, nicht gibt, und der Hauptgrund liegt in Ihnen selbst. 
Ein Gedanke, ein Wort, eine Tat - die wesentliche Frage ist doch, ob RICHTIG gedacht, gesprochen, gehandelt wurde! 
 

Elvis Pressluft

11. April 2023 17:45

Die Rechte repliziert gern das klassische linke Denkmuster und "dialektisiert" das System; daher auch die Überzeugung, dasselbe werde an seinen selbstverschuldeten Krisen und Katastrophen, seinen inneren Widersprüchen letztlich zwangsläufig zugrundegehen. Hier hat u.a. ein Baudrillard tiefer gesehen: Das System orchestriert die Krisen, Metakrisen ff.; es nährt sich davon. 2015/16 schien vielen klar: Diesmal haben sie den Bogen überspannt! 2019, "Covid": Diesmal aber ...! - Kleine Quintessenz: Nichts geschieht aus irgendeiner vermeintlichen historischen Ablauflogik allein heraus; nichts ist ohne Kampf und Widerstand zu gewinnen. Der "deutsche Michel" freut sich am Ende noch über die widerruflich erteilte Erlaubnis zum Überleben - Agamben, Homo sacer und die Folgen lesen! - und macht alles artig mit. (Gerade flackert über den Schirm: "Union sieht Deutschland in „schwerster Migrationskrise seit Jahren“" - ja, wenn das so ist!)

Hesperiolus

11. April 2023 19:37

@ Anatol Broder
Tobias 6,3. - Menschen Ihrer vorgestellten Art wohl (- weh), nominös wie ominös, die auch Schnittblumen nicht als zum lebens-not-wenigen erachten.

Gotlandfahrer

11. April 2023 19:56

Ein guter Beitrag, danke, da vor allem der "Call for Action" am Ende überzeugt.
Aus meiner Sicht: Alles "globale Krisen"gedöns geht fehl.

Die Krise ist nicht global sondern findet im verbliebenen Dollarherrschaftsbereich statt. Russland, China, Indien, Asien generell wie auch Afrika geht es den Umständen entsprechend hingegen normal bis prächtig. Über die infantile "Klimakrise" sei geschwiegen und auf den folgenden Punkt verwiesen:
Es ist keine Krise, auch keine Krisenkonvergenz, denn Krisen mögen selbstverschuldet, aber wohl kaum vorsätzlich herbeigeführt sein, jedenfalls sofern man unterstellt, dass Krisenherbeiführer "eigentlich" im Sinne der Krisenopfer dieser vorzubeugen hätten. Absichtlich herbeigeführte Krisen sind verdeckte Kriegshandlungen. Wenn sie nicht nur verdeckt, sondern auch noch von internen Akteuren der Krisenregion herbeigeführt werden ist dies Ergebnis einer unerklärten Frontstellung, ein in den Geschichtsbüchern nicht auffindbarer Fall von Großgaukelei, Infiltration und Unterwanderung zwecks psychologischer, wirtschaftlicher und kinetischer Zerstörung.

Wo keine Krise ist sondern Krieg der fünften Generation hilft auch kein Krisenmanagement. 

MARCEL

11. April 2023 20:06

Katastrophen können etwas Kathartisches haben (daher manche Sehnsucht nach dem Knall), etwas, das zäh-klebrige Krisen nicht bewirken - die führen eher zu langsamen "Gefäßverkalkungen und -verschlüssen" (und dann eben auch zur Katastrophe, aber einer lautlosen)
Der Ingenieur und Philosoph Jean-Pierre Dupuy (geb. 1941) warnt insbesondere in Bezug auf den Ukraine-Krieg vor der naiven "Grund-Unterstellung", der Atomkrieg werde nicht stattfinden, weil das suizidär wäre und im Kalten Krieg ja auch nicht stattgefunden habe (oft genug aus reinem Glück).
Gestützt auf Memoranden von Dissidenten der RAND Corporation sowie seiner Analysen der Nuklear-Strategien der USA/UDSSR-Russlands sowie Frankreichs plädiert er für einen sog. "aufgeklärten Katastrophismus",
will heißen:
Davon ausgehen, dass der Atomkrieg mit mathematischer Wahrscheinlichkeit kommen wird, so wie der Erste Weltkrieg gekommen ist und ihn daher hinauszögern und zwar ad infinitum.
Alle andere ist s. E. verantwortungslose Blindheit gegenüber den technischen Fehlerquellen, Missverständnissen, der Proliferation sowie den taktischen Schachzügen, welche diese Waffe bereithält.
Ein Beispiel: Wer schlägt wirklich zurück, wenn eine taktische Bombe (20x Hiroshima!) auf dem Gefechtsfeld gezündet wurde und ist verantwortlich für die weltweite suizidäre Kettenreaktion? Die USA? Die NATO?
 

Gracchus

11. April 2023 20:54

Die Krisenrhetorik ist inzwischen etwas schal, bezeichnet Krise - eigtl. der Wende- oder Scheitelpunkt in einem Krankheitsgeschehen - doch keinen Dauerzustand. 
Ich finde entgegen @anatol broder die Worte von @M. Barkhoff goldrichtig. Passen gut zu meiner österlichen Stimmung und Stifter-Lektüre (aber Stifter finden ja auch viele langweilig). 
 

Lausitzer

11. April 2023 21:07

Lieber Martin Barkhoff,
Sie sprechen mir aus dem Herzen und ich glaube, daß ich Sie selbst falsch eingeschätzt habe. Ich muss den Briefwechsel mit Frau Sommerfeld doch noch zu Ende lesen oder besser noch einmal von vorn beginnen.
Aber was können wir tun, wenn wir nicht in der Beschreibung der Katastrophe hängen bleiben wollen und wenn die Lösung keine politische mehr alleine sein kann?
Ihr
Lausitzer

Nordlicht

12. April 2023 00:01

Es scheint mir sinnvoll zu ein, die schon längerfristig entwickelten Finanzkrisen von den politischen und gesellschaftlichen Krisen zu unterscheiden.
Ich hege den Verdacht, daß die Corona-Krise bewusst losgetreten und mit "Maßnahmen" zur Unterdrückung der Bevölkerung sowie zur weiteren Verschuldung befeuert wurde. Vergleichbares denke ich von der sog. Klimakrise, wobei es mE zwar einen Beitrag der antropogenen CO2-Emissionen zum Klimawandel gibt, aber keine Klimakrise und keinen Klimanotstand. Es ist nicht dringlich, ein Null-CO2 anzustreben.
Corona- und Klima-Politik halte ich für Machtinstrumente, um die Staatsschulden durch allgemeine Verarmung zu reduzieren. Diese Instrumente sind nicht ohne Sinn eingesetzt worden; treibende Kraft ist mE durchaus die globale Wirtschafts-/Finanzkrise. 
(Ok, nichts ist bewiesen, man mag mich für einen Verschwörungstheoretiker halten.)

Franz Bettinger

12. April 2023 06:40

@Viele hier haben es bereits gesagt. Dies ist keine Krise wie sonst. Keine, die mit irgendeiner früheren vergleichbar wäre (Öl-, Dotcom-, Banken-Krise). Die Installierung der NWO ist auch keine herbei gelogene Krise (wie Waldsterben, Seuchen, Klimawandel) und auch keine inszenierte (Versorgungs+ Energiekrise). Heut und hier geht es um die Wurst. Das Ganze. Es geht um nicht weniger als eine Zeitenwende (die es abzuwehren gilt), wie die Franz. Revolution eine war; damals (aus meiner Sicht) fruchtbringend im Sinne einer Vermehrung der Freiheitsgrade; heute sicher verderblich, rückschrittlich. Beabsichtigt ist von WEF und UNO die Verfestigung, ja sogar der Ausbau jener oligarchischen Architektur, die das Oben und Unten (Frei und Unfrei) auf ewig zementieren soll. Dagegen müssen sich alle, die’s kapiert haben, von Links bis Rechts stemmen. Ende der Kontaktangst! Ende der Kontaktschuld! 

Franz Bettinger

12. April 2023 06:57

Bin gar nicht sicher, dass Faye auf unserer Seite ist. Dem Archäofuturismus kann ich nichts abgewinnen. Auch glaubt Faye an Global Warming und sieht darin einen Krisen-Dynamo. Wer jedoch gewisse, wirklich leicht durchschaubare Lügen (Klima, Corona) nicht erkennen will, hat schon verloren oder ist Agent der Gegenseite. Was wäre leichter zu beenden als die gewollt geförderte Massen-Migration?! Darin etwas Schicksalhaftes zu sehen, ist irr. Wie kann man über die „massive Überalterung“ als Krise sprechen? Es ist wunderbar, in Gesundheit alt und älter werden zu dürfen. Es ist und war immer ein Menschheitstraum. 

Franz Bettinger

12. April 2023 07:20

Anekdote @BK’s Aufforderung "Deutungskämpfe annehmen & führen!“ Ort, ein Straßencafé. Ich saß am Nebentisch und bekam diesen Dialog mit: Ich hörte, du seist ein Nazi. Bist du's? - Der Angeklagte sagte nach kurzem Nachdenken: Das Wort Nazi hat im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel erlebt. Es war mal die Bezeichnung für ein Mitglied der NSDAP. Später wurde's zu einem reinen Schmähwort. Da ich vom Alter her kein Mitglied der NSDAP gewesen sein kann, kann die Frage nur im Sinne einer  Schmähung gemeint sein. — Der Ankläger blickte sich um. Auch an anderen Tischen stellten sich nun die Ohren. Der Angeklagte blickte sein Gegenüber an, dann fuhr er fort, fürs Publikum zu reden: Wenn du heute einen Menschen als Nazi bezeichnest, kann das nur als Schmähung gemeint sein. Zu fragen Bist du ein Nazi? bedeutet so viel wie Bist du ein Arschloch? zu fragen. Nett, nicht wahr? Willst du echt, dass ich das beantworte? - Das Gegenüber zog sichtbar Luft ein. Es war still geworden um die 2 an ihrem Tischchen, auf dem ein Kaffee dampfte. — Glaubst du, es gibt irgendeinen Menschen auf der Welt, der diese Frage bejahen würde? Der also sagen würde Ja, ich bin ein Arschloch? — Der in Verlegenheit Gebrachte stand wortlos auf und ging. Wir waren die Zecke los. Der Zweck war erfüllt. (Es braucht manchmal gar nicht viel.) 

Mitleser2

12. April 2023 09:05

@Nordlicht: " ...halte ich für Machtinstrumente, um die Staatsschulden durch allgemeine Verarmung zu reduzieren."
Wie soll das gehen? Die Steuereinnahmen von 1.000 Mrd Euro(!) reichen schon jetzt nicht. Bei allgemeiner Verarmung würden die massiv einbrechen. Ich erwarte eher, dass versucht wird, durch Inflation die Schulden zu entwerten. Wobei vieles gerade völlig offen ist. Wenn die Dollar-Dominanz tatsächlich fallen würde, gäbe es eine völlig neue Situation zulasten des Westens.

Sandstein

12. April 2023 09:19

@ Bettinger
"Wie kann man über die „massive Überalterung“ als Krise sprechen? Es ist wunderbar, in Gesundheit alt und älter werden zu dürfen. Es ist und war immer ein Menschheitstraum."
Falsch, ewiges Leben war schon immer der Menschheitstraum, oder bei Frauen die ewige Jugend. Niemand freut sich mit 83 auf seine neue Hüfte um dann am Rollator durch den Stadtpark zu Kurven. Und wenn Sie jüngere Semester fragen: es gibt Gegenden, in denen ist man froh, mal paar junge Menschen zu sehen. Auch die Corona Panik war ja maßgeschneidert für alle alten Wähler und Wählerinnen, die bloß nicht zu früh abtreten wollen. Wobei ich der Meinung bin, dass sich sowas wie der Geburtenrückgang von alleine erledigt, wenn erstmal wieder Platz in diesem Land ist und die Praxen und Supermärkte um 10 Uhr nicht voller Rentner.
..möchte damit niemanden angreifen, aber es gibt auch noch paar junge Menschen in diesem Land.

Le Chasseur

12. April 2023 10:36

@Nordlicht: " ...halte ich für Machtinstrumente, um die Staatsschulden durch allgemeine Verarmung zu reduzieren."Wie soll das gehen?
Würde mich auch interessieren. Die Theorie, dass die Corona-Krise inszeniert wurde, um ein erneutes 2008 zu verhindern, habe ich auch schon mehrfach gelesen, u.a. HIER
Ich würde das Argument verstehen, "Staaten setzen ein künstlich erschaffenes Virus frei, das vor allem alte Menschen gefährdet, um so deren sozialverträgliches Frühableben zu verursachen und somit die Rentenkassen zu entlasten" https://www.tagesschau.de/inland/rentenversicherung-ueberschuss-101.html

Le Chasseur

12. April 2023 10:46

@Sandstein
"Wobei ich der Meinung bin, dass sich sowas wie der Geburtenrückgang von alleine erledigt, wenn erstmal wieder Platz in diesem Land ist und die Praxen und Supermärkte um 10 Uhr nicht voller Rentner."
Welcher Geburtenrückgang?
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/zahl-der-geburten-in-deutschland-steigt-um-knapp-drei-prozent-18217918.html
Es sind halt nur die falschen, die die Kinder bekommen. Wer Verhältnisse wie im Gazastreifen gewohnt ist (Bevölkerungsdichte 5328 Einwohner pro km²), dem erscheint Deutschland doch praktisch menschenleer. Und wer im Gazastreifen ein Kind nach dem anderen in die Welt setzt (trotz Überbevölkerung, trotz Armut, trotz völliger Perspektivlosigkeit), der tut es hier erst recht. Allah wird schon dafür sorgen, dass alles passt.

Le Chasseur

12. April 2023 10:59

@Gotlandfahrer"Es ist keine Krise, auch keine Krisenkonvergenz, denn Krisen mögen selbstverschuldet, aber wohl kaum vorsätzlich herbeigeführt sein, jedenfalls sofern man unterstellt, dass Krisenherbeiführer "eigentlich" im Sinne der Krisenopfer dieser vorzubeugen hätten. Absichtlich herbeigeführte Krisen sind verdeckte Kriegshandlungen. Wenn sie nicht nur verdeckt, sondern auch noch von internen Akteuren der Krisenregion herbeigeführt werden ist dies Ergebnis einer unerklärten Frontstellung, ein in den Geschichtsbüchern nicht auffindbarer Fall von Großgaukelei, Infiltration und Unterwanderung zwecks psychologischer, wirtschaftlicher und kinetischer Zerstörung."
Zustimmung. Die Grünen vertreten auf praktisch jedem Politikfeld Positionen, die den Interessen des deutschen Volkes völlig zuwiderlaufen (Zuwanderung, Energiepolitik, Haltung im Ukraine-Krieg...). Klonovsky bemerkte dazu kürzlich, das absurde Verhalten der Grünen werde plötzlich plausibel, wenn man sie als eine ausländische Besatzungsmacht betrachtet.

Le Chasseur

12. April 2023 11:18

@Franz Bettinger
"Was wäre leichter zu beenden als die gewollt geförderte Massen-Migration?!"
Wenn man die Errichtung einer zehn Meter hohen Mauer rund um Deutschland als "leicht" betrachtet...

anatol broder

12. April 2023 12:28

@ majestyk 14:00
pathetische impotenzbekundungen langweilen mich. nichts anderes trägt martin barkhoff vor: «wir haben schon länger nicht mehr die menschen, die leute, die eine europäische zivilisation tragen und betreiben könnten.»
@ hesperiolus 19:37
ich verstehe es nicht.
@ gracchus 20:54
was hat ostern mit dem jammerkanon o tempora, o mores zu tun?

Franz Bettinger

12. April 2023 12:53

@Chasseur: Mauern? 98% der Migranten (plus Familiennachzug) fliegen in D ein. Wie man das verhindert? Bei NZ abschreiben! 

Le Chasseur

12. April 2023 13:38

"Mauern? 98% der Migranten (plus Familiennachzug) fliegen in D ein. Wie man das verhindert? Bei NZ abschreiben!"
Ja, aber wenn man das abstellt, kommen sie eben über den Landweg. Und sie werden natürlich nicht an den offiziellen Grenzübergängen um Einlass bitten. Da gilt es ca. 3900 km Grenze zu kontrollieren. Neuseeland dagegen ist eine Insel im Indischen Ozean, Stichwort splendid isolation. Ich sage ja nicht, dass man nichts unternehmen soll, aber als leicht würde ich es eben nicht bezeichnen.

Majestyk

12. April 2023 14:14

@ anatol broder:
Deftige Krawallausdrücke lesen sich zwar nett, gehen aber völlig an der Sache vorbei. Zumal Ihr Einwand nicht stimmt. Die Menschen die eine europäische Zivilisation betreiben können gibt es sehr wohl, noch sind die auch in der Mehrheit, nur stellen die nicht die Funktionselite. Was Sie nahelegen ist aber auch Schicksalsergebenheit, dann kann man aber auch gleich aufgeben und sich zum sterben ins Bett legen. 

Gracchus

12. April 2023 14:43

@anatol broder: Lese Barkhoffs Ziff. 2 nicht als Jammerkanon, sondern als "Eingedenk", und es geht bei den fünfen (ich zähle allerdings nur 4 oder 4 1/2) auch nicht um mores (= Sitten). Die "fünfe" harmonieren mit der österlichen Hoffnung auf Auferstehung des Fleisches, weil beides derselben göttlichen (geistigen) Wirklichkeit entspringt. Oder anders: Ein österlich gestimmter Mensch wird sich um die "fünfe" bemühen.
 
 

Gustav

13. April 2023 09:32

@ Adler und Drache
„Wenn wir nicht handeln lernen, wie es die wirkliche Geschichte meint, mitten in einer Zeit, die weltfremde Ideale nicht duldet und an ihren Urhebern rächt, in der das harte Tun, das Nietzsche auf den Namen Cesare Borgias getauft hat, allein Geltung besitzt, in der die Moral der Ideologen und Weltverbesserer noch rücksichtsloser als sonst auf ein überflüssiges und wirkungsloses Reden und Schreiben beschränkt wird, dann werden wir als Volk aufhören zu sein.“
Oswald Spengler, Nietzsche und sein Jahrhundert (Rede, gehalten am 15. Oktober 1924, dem 80. Geburtstage Nietzsches,im Nietzsche-Archiv zu Weimar), in. Reden und Ausätze, S. 123-124
 

Adler und Drache

13. April 2023 12:45

@Gustav: Wahre Worte! Das richtige Handeln (und Sprechen und Denken) resultiert aber doch nicht aus Tatendrang oder Tatkult, sondern aus einem richtig aufgestellten Sein. 
Drängt sich Ihnen nie der Gedanke auf, dass "wir" als "Volk" längst aufhörten zu sein? Wenn das "Volk" mehr sein soll als Beschwörungsformel: Wo wären seine materialen Grundlagen? Wo wäre sein Gemeinsinn? 
Ich sehe ein irreversibel desintegriertes Volk, vulgo: nur mehr Bevölkerung.  

anatol broder

13. April 2023 15:55

@ majestyk 14:14
das wird ja immer bunter. können wir uns darauf einigen, dass stärke besser als schwäche ist?
@ gracchus 14:43
leider verstehe ich weder die zahlenmagie noch die hoffnung auf auferstehung. es freut mich allerdings, dass sie miteinander harmonieren.

Gracchus

14. April 2023 00:51

@Adler und Drache, Gustav
"tatenarm und gedankenvoll"
Natürlich: Es herrscht das Geschwätz.
Ehrlich gesagt verstehe ich das Spengler-Zitat aber nicht. 
"handeln, wie es wahre Geschichte meint" - was soll das heißen? So wenig ich über Spengler weiß, als Tatmensch ist er mir nicht bekannt. Nietzsche: dito. Das hat beinah was Tragisches.
Auch @anatol broder: 
"Das Weiche besiegt das Harte, das Schwache das Starke" (Lao-tse)
Der derzeitige Kulturkampf wird doch auch publizistisch geführt - ein Wort kann auch eine Tat sein. Sogar ein Gedanke. 
"nur mehr Bevölkerung" - der Eindruck drängt sich auf. Andererseits: deutsche Eigenarten drängen sich auch auf. 

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