»Du hast mich als erster umrundet«, lautet der Wappenspruch, den Kaiser Karl V. dem Kapitän der nach dreijähriger Fahrt dezimiert und mit letzter Kraft auf einem auseinanderfallenden Schiff heimkehrenden Weltumsegler verlieh.
Aber gerade nicht dem längst in einem Scharmützel von tragischer Bedeutungslosigkeit gefallenen Ferdinand Magellan, der die Welt weder umsegelt noch es beabsichtigt hatte; der geheimes Seefahrerwissen seiner Heimat Portugal deren einzigem Rivalen zukommen ließ, als er sich Spanien andiente; dessen Entdeckung sich als unpraktikabel erwies und zwischenzeitlich sogar in Vergessenheit geriet; dem »Offizier ohne Fortüne, arm und von niederem Adel, ohne Protektion, fast ohne Freunde, der das Geld verachtet, die Höflinge haßt, knochentrocken und schroff ist, unfähig, sein Haupt zu beugen, und mit einem Schweinecharakter geschlagen, ohne jede Fasson gekleidet, dunkelhäutig, schwächlich, schmutzig, häßlich, hinkend, obendrein Portugiese, und allein«, wie Jean Raspail schreibt.
Und doch gilt auch 500 Jahre später das Wort des Historikers Fernández de Oviedo: »In der Seefahrt ist seit der Reise des Patriarchen Noah nichts Bemerkenswerteres gehört oder beschrieben worden.«
Ursächlich für Magellans Entdeckungen sah Stefan Zweig »die eigenste seiner Tugenden: die heroische Beharrlichkeit«; dasselbe gilt für Europas langsames, aber stetiges Hinauswachsen selbst in die entlegensten Winkel der Erde. Unser Kontinent wäre ohne die Seefahrt »womöglich eine nachrangige Ecke der eurasischen Landmasse geblieben« (Lincoln Paine). Unter den Beweggründen für Europas beharrlichen Drang in die Ferne findet sich ein heute geradezu läppisch anmutender: der Heißhunger nach Gewürzen, die teils so wertvoll waren, daß sie auf Goldwaagen gewogen wurden – auch weil sie aus Indien und den noch entfernteren »Gewürzinseln« herangeschafft werden mußten.
Dazu lag der gesamte Gewürzhandel – bis ihn in Alexandria der europäische Monopolist Venedig übernahm – in den Händen moslemischer Händler und Potentaten; deren Sperrkette Richtung Osten zu durchbrechen war eines der Motive der Kreuzzüge, und nicht das geringste. Da dies mißlang, suchte man nach anderen Wegen.
Daß ausgerechnet das kleine Portugal früher und schneller als größere Atlantikanrainer vorankam, lag auch an deren anderweitiger Inanspruchnahme: Spanien war noch nicht geeint, hatte noch immer die Mauren im Pelz; Frankreich und England waren im Hundertjährigen Krieg verstrickt, letzteres obendrein durch die Rosenkriege zerrissen.
Portugal und Spanien, der Islam und das Meer: Erst 1385 hatte Portugal seine endgültige Unabhängigkeit von Kastilien, also Spanien, erkämpft; erst ständige Überfälle der Almohadenflotte hatten die Portugiesen bewogen, ihrerseits eine Flotte auf Kiel zu legen; erst mit Hilfe einer Kreuzfahrerflotte hatten die Lusitanier den Almohaden ihre spätere Hauptstadt Lissabon über das Meer abgejagt. Ein innovatives Versicherungssystem gegen Seehandelsrisiken und das Anziehen von Kapital aus Norditalien waren Zwischenschritte; ein entscheidender auf dem Weg zur Weltmacht Portugals hingegen 1415 die Eroberung von Ceuta, an der neben vielen anderen Fremden auch Oswald von Wolkenstein teilnahm.
Initiator und tollkühner Anführer dieses Unternehmens war der Infant Dom Henrique – Heinrich der Seefahrer. »Nach Quadratkilometern gerechnet ist es nicht viel, was sich […] um Ceuta in portugiesischem Besitz befindet. Aber es ist das einzige außereuropäische Territorium, das einem christlich-europäischem Herrscher gehört, es ist […] ein Teil islamischen Gebiets, ein Sprungbrett zum atlantischen Süden, es ist die Grundlage des Griffs in die Welt.« (Hellmut Diwald)
Der Rang des Königssohns, Mystikers und Asketen Heinrich als einer der herausragenden Persönlichkeiten der europäischen Geschichte ist ebenso unbestritten wie sein Motiv: der Kreuzzugsgedanke. So galt es erstens, die Moslems im Maghreb im Rücken zu fassen; zweitens, dem mythischen christlichen Priesterkönig Johannes und dessen Reich irgendwo in Afrika zur Hilfe zu kommen; drittens, die Quelle des legendären afrikanischen Goldes und den Weg zu den Gewürzinseln zu finden, um die Kreuzzüge zu finanzieren.
Zunächst wurde mit den Azoren, Madeira und den Kapverden eine erste »Neue Welt« in Besitz genommen, die Portugal als ein weiteres Sprungbrett diente, zur afrikanischen Westküste, inklusive lukrativen Sklavenhandels. Als hervorragendes Instrument erwiesen sich die unter Heinrich entwickelten, sowohl hochseetauglichen als auch für die Küsten- und Flußschiffahrt geeigneten Karavellen. Durch die Überwindung des von Generationen von Seefahrern zutiefst gefürchteten Kap Bojador mit seinen ebenso gefährlichen wie unheimlichen Wetterphänomenen durch Gil Eanes wurde nach Diwald »eine der mächtigsten nautisch-psychologischen Barrieren gesprengt, die jemals existiert haben«.
Beim Tod Dom Henriques 1460 waren zweitausend Meilen afrikanischer Küste rekognosziert; das gewonnene Wissen unterlag strikter Geheimhaltung. Immer weiter südlich ragen die padrões auf, steinerne Stelen mit dem königlichem Wappen und dem Kreuz. Portugals Stellung als rechtmäßiger Beherrscher des südlichen Atlantiks sicherten mehrere päpstliche Bullen.
1488 umrundete Bartolomeu Dias die Südspitze Afrikas, der Weg nach Indien schien endlich gefunden. 1498 war es vollbracht und Indien erreicht: »Kolumbus sprach von einem Potential, Vasco da Gama hingegen hatte Resultate geliefert« (Peter Frankopan). Nach seiner Rückkehr aus Calicut wurde da Gama mit Alexander verglichen. Anderswo war man weniger begeistert: In Venedig brachen Trübsal und Panik aus, und in Calicut hatten ihn Mauren mit »Hol dich der Teufel! Wer hat dich hierhergebracht?« begrüßt.
Dort zeigte sich allerdings auch, daß Portugal mit seinen kümmerlichen Produkten als Handelspartner uninteressant war; und für die Rolle eines Zwischenhändlers war es zu arm. Nicht die ultima, sondern die unica ratio zur Erlangung der Schätze des Orients war rasch gefunden: »Da kam ein Dutzend Schiffe übers Meer, entschlossen, den ungeheuren Welthandel einer ganzen Hemisphäre zu erobern. Für einen solchen Plan war die völlige Ruchlosigkeit das eiserne Gesetz.« (Diwald)
Trotzdem erwies sich, daß die alljährlich nach Indien segelnde Flotte nicht ausreichte, um das moslemische Gewürzhandelsmonopol zu übernehmen. Dies gelang erst dem ebenso grausamen wie genialen Afonso de Albuquerque: Er erobert 1510 Goa, den späteren Sitz fast allmächtiger portugiesischer Vizekönige; er schafft ein Netz aus patrouillierenden Kriegsschiffen, dazu Festungen, Faktoreien und Arsenale, und damit ein dauerhaftes System transozeanischer imperialer Herrschaft, das schließlich von Mosambik bis Nagasaki reicht; er nimmt 1511 mit Malakka die Drehscheibe des weltweiten Gewürzhandels und schreibt zu Recht, dies sei »der größte Schlag, der das Haus Muhammad in hundert Jahren getroffen hat«.
Dieser Schlag wurde durch weitere Faktoren ermöglicht: Über Kriegsschiffe verfügten Portugals Gegner vor Ort kaum, erst recht nicht über hochseetaugliche oder gar Schiffsartillerie; die Handelsschiffe waren ohne Metall gebaut, zudem nur auf das Segeln vor dem Monsun ausgelegt und daher schwerfällig. Die Fürsten Vorderindiens interessierten sich ausschließlich für die Machtausübung zu Lande, bei der die Portugiesen sich außerhalb winziger Stützpunkte hüteten, ihnen in die Quere zu kommen – allerdings weidlich das alte Prinzip »divide et impera« zur Anwendung brachten. Bald lenkten die Portugiesen als die »Fuhrleute Asiens« einen Strom heißbegehrter Waren ins Mutterland, dessen Monarch vom französischen Herrscher neidisch als »Gewürzkrämerkönig« geschmäht wurde.
Mit an Bord ist ein gewisser Magellan, er verdient sich sauer die Sporen eines subalternen Offiziers. Nach fast zehnjährigem Dienst, nach Schiffbruch und drei schweren Kriegsverletzungen, kommt der Veteran bei seinem König ungeschickt und vergeblich um eine bescheidene Erhöhung seiner Bezüge und eine Stellung ein; immerhin gestattet ihm Manuel I., sich in fremde Dienste zu begeben. Der schweigsame, kühle Einzelgänger, als Seefahrer und Kriegsmann ein Praktiker, tut sich mit einem herausragenden Theoretiker, dem hitz- bis wirrköpfigen Kartographen und Astronomen Ruy Faleiro, zusammen.
Gemeinsam gehen sie nach Sevilla, wo Magellan sich etabliert und Fürsprecher bei Hofe gewinnt; gemeinsam schließen sie 1518 mit Karl V. den Vertrag, diesem gegen Gewinnbeteiligung Ländereien und Gewürze zu entdecken – strikt innerhalb der spanischen Hemisphäre. Denn damit sich die christlichen Seefahrernationen nicht gegenseitig bekriegen und Ressourcen für den Kreuzzug erübrigen können, war nach den Entdeckungen des Kolumbus vom Papst eine Demarkationslinie festgelegt worden, die Gebiete westlich davon Spanien, östlich davon Portugal zuschlug – endgültig im Vertrag von Tordesillas. Magellan war der Annahme, der Pazifik sei weitaus schmäler als vermutet und die Gewürzinseln somit noch in der spanischen Hemisphäre. Dorthin wollte er, an der Südspitze Amerikas vorbei, eine neue, kürzere Route finden.
Trotz allerhöchster Protektion läßt sich das Unternehmen schwierig an: Wolfram zu Mondfeld zitiert »Portugals Repräsentanten und Oberschnüffler in Sevilla«, der nach Lissabon berichtet: »Mit solch alten Kähnen würde ich nicht einmal zu den Kanarischen Inseln segeln wollen«. Die Proviantlisten verzeichnen so prosaische Vorräte wie Knoblauch und Bohnen sowie auf Heller und Pfennig deren Einkaufspreis, aber kalligraphisch ebenso schön wie der Name der damaligen Währung: Maravedí. Am 20. September 1519 laufen die fünf Schiffe aus. Magellan nimmt die Kapitäne an die Kandare; bald verabscheuen die stolzen Spanier den Ausländer, wie selbst der junge venezianische Chronist Antonio Pigafetta vermerkt, ein ergebener Bewunderer Magellans.
Nach erholsamem Aufenthalt in der Bucht von Rio de Janeiro verbringt die Flotte Wochen am Rio de la Plata, bis man erkennt, daß es sich dabei nicht um eine Durchfahrt handelt; der Fehlschlag beschädigt das Vertrauen in den Generalkapitän und dessen Fähigkeit, die ersehnte Route zu finden. Die damaligen nautischen Instrumente erschweren dies ohnehin: Zwar kann man mit dem Astrolabium den Breitengrad ermitteln, den Längengrad aber erst nach Erfindung des Chronometers im 18. Jahrhundert. Überhaupt wird Magellan, unter anderem von Mondfeld, weniger als meisterhafter Seefahrer betrachtet: »Seine Stärken lagen weit mehr auf militärischem Gebiet, in seiner Charakterfestigkeit und der Fähigkeit, Menschen zu führen«.
All das kommt ihm zugute, als nach dem Ankern zur Überwinterung eine Meuterei ausbricht – nicht zuletzt, weil Magellan jede Konsultation mit seinen Kapitänen verweigert. Durch seine kühne Entschlossenheit ist er rasch wieder Herr der Lage. Einer der spanischen Kapitäne wird hingerichtet, ein weiterer mit einem aufrührerischen Priester an der öden Küste des »Patagonien« getauften Landes ausgesetzt. Die vom Winterliegeplatz vorausgeschickte »Santiago« erleidet Schiffbruch; erst nach einem geschlagenen halben Jahr wetterbedingter Wartezeit läuft die Flotte wieder aus.
Inzwischen sind der ohnehin oft kaum genießbare Proviant und das Trinkwasser zur Neige gegangen. Aber schon nach drei Tagen wird das »Kap der elftausend Jungfrauen« erreicht, zwei Schiffe werden zur Suche nach einem Durchgang delegiert – und diesmal handelt es sich tatsächlich um eine Meeresstraße! Vier Wochen lang läßt Magellan mit »heroischer Beharrlichkeit« den riesigen Archipel erkunden, dann ist endlich die Ausfahrt gefunden; Pigafetta berichtet, daß der Generalkapitän vor Glück geweint habe.
Bald darauf desertiert die »San Antonio«, das größte Schiff mit den meisten Vorräten. Dabei steht das Schwierigste noch bevor: die Überquerung eines unbekannten Ozeans, mit einer erschöpften Mannschaft und ausgelaugten Schiffen. Magellan könnte, sollte, müßte jetzt umkehren – aber so hat sich Europa die Welt nicht entdeckt und unterworfen!
Die Flotte segelt weiter, erst noch an der chilenischen Küste entlang nach Norden, aber es hilft ja nichts: Am 22. Dezember 1520 biegen die Schiffe auf Westkurs in die unbekannten Weiten des Pazifiks hinaus, der sich als unvergleichlich größer erweist als erhofft. Die Besatzung beginnt zu verhungern und an Skorbut zugrunde zu gehen – einer der ersten gesicherten Fälle dieser Geißel der Langstreckenseefahrt. Der Höllentörn über den immerhin sturmlosen und daher »Pazifik« getauften Ozean dauert drei Monate und 20 Tage – dreimal so lang wie die erste Reise des Kolumbus. Erst am 6. März 1521, nach umgerechnet etwa 20 000 Kilometern, erreicht die Flotte Guam, dann die Philippinen.
Auf Cebu kann Magellans Sklave Enrique in seiner Muttersprache mit dem dortigen Fürsten sprechen und ist damit wohl der erste Mensch, der die Erde umrundet hat. Der Rajah Humabon konvertiert zum Christentum und unterwirft sich der spanischen Schutzherrschaft – nicht aber Lapulapu, Potentat der Nachbarinsel Mactan.
Am 27. April landet Magellan ebendort, kämpft an der Spitze von nur sechzig Mann – als Machtdemonstration bewußt ohne seine neuen Verbündeten – gegen die 1500 Krieger des »braunen Lümmels« und »lächerlichen Menscheninsekts« (Stefan Zweig), wird verwundet, stürzt und findet den Tod. Die Überlebenden irren ein halbes Jahr lang über das Südchinesische Meer, müssen die waidwunde »Concepción« versenken, erreichen endlich die Gewürzinseln und laden die heißbegehrten Gewürznelken; Magellans altes Flaggschiff, die »Trinidad«, muß zur Überholung zurückbleiben.
Die Heimreise des letzten Schiffes, der »Victoria« unter Juan Sebastián Elcano, ist eine weitere seefahrerische Glanztat, auch weil sie die portugiesischen Stützpunkte weiträumig umsegeln muß. Die morsche Nußschale überquert in einem Zug den gesamten Indischen Ozean und das Kap der Guten Hoffnung, landet erst wieder auf den Kapverden, »inkognito«, wird enttarnt und muß überstürzt vor den Portugiesen fliehen. Am 8. September 1522 »wurden die wurmzerfressenen Überreste der ›Victoria‹ am Kai von Sevilla vertäut«, nach 43 380 Seemeilen. Nur 18 der 237, die drei Jahre zuvor ausgefahren waren, kehren heim und wallfahren am selben Tag, barfuß und mit Kerzen in der Hand, zu den Marienaltären der Stadt.
Auf die großen Entdeckungen der Europäer folgt die oft ebenso verlustreiche Erforschung der Strömungen und Winde, und damit fester, regelmäßig befahrener Seewege, deren Netz – geradezu eine Revolution – die Ozeane verbindet und die europäischen Besitzungen in Übersee mit dem Mutterland. Entdeckungen hatten auch andere gemacht – aber keine neuen Wege über alle Ozeane gebahnt. »Der neue Reichtum verlieh Europa Eitelkeit und Selbstvertrauen und stärkte darüber hinaus den Glauben«, schreibt Frankopan: »Somit war diese Epoche, auch wenn die Historiker sie ›Renaissance‹ genannt haben, keine Wiedergeburt. Vielmehr war sie eine ›Naissance‹ – eine Geburt. Zum ersten Mal in der Geschichte befand sich Europa im Zentrum der Welt.«
Warum gerade Europa? Das »Reich der Mitte« war schon 1405 unter dem Hofeunuchen Zheng He mit Flotten, die jene von Kolumbus oder Magellan lächerlich erscheinen lassen, bis Kenia gelangt – wandte sich dann aber plötzlich von der Seefahrt ab. Warum errichtete China, das auf manchen Gebieten Europa technisch voraus war, kein Weltreich? Der chinesische Kaiser entsandte Flotten, um seine Macht vorzuführen und seine Oberhoheit anerkennen zu lassen – ein singuläres, zentralistisches Projekt und ein politischer Akt, kein merkantiler, denn privater Handel war in China damals verboten.
Der »Sohn des Himmels« verteilte reiche Geschenke, forderte auch Tribute ein, vorzugsweise »sammelbare« exotische Tiere oder Waren – aber »das ist nicht ganz dasselbe wie Neugier hinsichtlich der menschlichen und physischen Geographie des Indischen Ozeans« (David Abulafia). Vor allem aber systematisierten die Europäer wissenschaftlich alle nautischen Informationen, wie es das später vielgeschmähte europäische Mittelalter auf zahlreichen Wissensgebieten tat. Auch das religiöse Sendungsbewußtsein Chinas hielt sich in Grenzen: So wurden mit Inschriften und Opfern neben Buddha auch Allah und Hindugottheiten bedacht. Die christlichen Seefahrer hingegen hatten stets auch das Ziel, allen Menschen die christlichen Wahrheiten zugänglich zu machen.
Wie konnten 168 Spanier unter Pizarro den Inka Atahualpa inmitten seiner Armee von 80 000 Mann ergreifen und sein riesiges Reich zu Fall bringen? Bekanntlich durch Schußwaffen, Stahlwaffen, eine höhere Resistenz gegen Seuchenkeime, Pferde, seefahrerische Fertigkeiten, Schrift, Bücher und damit durch den Rückgriff auf Tausende Jahre Wissen.
Warum aber erlangte vor allem Europa diese Machtfaktoren – und verstand es nur Europa, damit die Welt zu erobern? Der Evolutionsbiologe Jared Diamond verwirft »rassistische biologische Erklärungen« und hält statt dessen vielschichtige Umweltfaktoren für entscheidend: Hochkulturen außerhalb Europas hätten sich oft zu isolierten, großflächigen und monolithischen Staatswesen entwickelt und so zu sozialer, wirtschaftlicher und technologischer Stagnation geneigt.
Nicht aber das kleinteilige Europa, wo ein ganz anderer Konkurrenz- und Innovationsdruck geherrscht habe. Und wo Männer wie Kolumbus und Magellan zwar manche Abfuhr erlitten, letztlich aber Unterstützer gewannen, für Vorhaben, die das Angesicht der Welt entdeckt und für immer verändert haben. Durch sie wurde der Atlantik zum »neuen Mittelmeer« Europas und seiner Kolonien.
Am Beginn von Portugals hoher Zeit standen Heinrich der Seefahrer, der Kreuzzugsgedanke, Ceuta – und der demographiebedingte, kluge Verzicht auf großflächige Landnahme, zugunsten einer Stützpunktpolitik. Am Ende von Portugals langem Niedergang standen die Abkehr von dieser Selbstbeschränkung und der Kreuzzugsfanatismus König Sebastians: Beim Versuch Marokko zu erobern und die Moslems zu vertreiben, erlitt ein portugiesisches Heer 1578 bei Ksar-el-Kebir eine vernichtende Niederlage; der kinderlos gebliebene Sebastian fiel, und Portugal kam 1580 unter die Herrschaft Spaniens.
Luís de Camões, der Barde von Portugals Epos, das er in den an die Odyssee angelehnten Lusiaden verewigt hatte, fand im selben Jahr den Tod, gemäß seiner Prophezeiung »ich habe mein Land so sehr geliebt, daß ich mit ihm sterben werde«. Er ruht in Lissabon, Seite an Seite mit Vasco da Gama, im Kloster von Belém, vor dem sich Salazars gewaltiges »Denkmal der Entdeckungen« erhebt; und an dessen steinernem Bug Heinrich der Seefahrer die portugiesische Dreifaltigkeit vervollständigt und über den Tejo in die Ferne blickt.