Reinhard Mehring: Welch gütiges Schicksal

von Till Kinzel --

Während der eine, Carl Schmitt, dafür berühmt wurde, denjenigen souverän zu nennen, der über den Ausnahmezustand bestimmt, war es bei dem anderen, Ernst-Wolfgang Böckenförde, das Diktum, der freiheitliche Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen könne.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Aus die­sen bei­den Sen­ten­zen lie­ße sich eine anthro­po­lo­gisch gegrün­de­te Staats­leh­re ent­wi­ckeln, die einer­seits klar sieht, daß Staat not­wen­dig ist, und ande­rer­seits die Gren­zen des Staa­tes in ent­schei­den­den Din­gen klar benennt. So etwa dort, wo die Poli­tik auf die Gesin­nung der ein­zel­nen zugrei­fen möch­te und ten­den­zi­ell tota­li­tär wird.

Der Staat aber, so Böcken­för­de (Der Staat als sitt­li­cher Staat, Ber­lin 1978, S. 24 f.), »ver­folgt Zwe­cke des Gem­ein­le­bens, nicht des indi­vi­du­el­len Lebens, und er ver­folgt die­se Zwe­cke nur in recht­li­cher Wei­se, das heißt soweit es durch äuße­re Anstal­ten und voll­zieh­ba­re Gebo­te mög­lich ist, die sich am Ver­hal­ten der ein­zel­nen ori­en­tie­ren, nicht auf ihre Gesin­nung zugrei­fen.« Es sei nicht »ohne inne­ren Grund« der Fall, daß es »tota­li­tä­re Regime« sei­en, »die die poli­ti­sche Gesin­nungs­ein­heit als ihr eige­nes Fun­da­ment pro­pa­gie­ren, sie in der Erzie­hung indok­tri­nie­ren und schließ­lich auch zur Rechts­pflicht und Bedin­gung des poli­ti­schen Bür­ger­sta­tus erheben.«

Ein­sich­ten wie die­se erwuch­sen auch aus der inten­si­ven Prä­gung des Juris­ten und Rechts­his­to­ri­kers Böcken­för­de durch den ­ehe­ma­li­gen Preu­ßi­schen Staats­rat Carl Schmitt, die im Brief­wech­sel anschau­lich zuta­ge tritt. Schmitt war der heim­li­che Leh­rer neben den offi­zi­el­len aka­de­mi­schen; und sein Schü­ler war ihm gegen­über immer loy­al. Stets bekann­te er sich zu ihm, mag er auch zuwei­len aus Klug­heits­grün­den auf ein­schlä­gi­ge Schmitt-Fuß­no­ten ver­zich­tet haben.

Gemein­sam mit Joseph Kai­ser, dem spä­te­ren Nach­laß­ver­wal­ter Schmitts, ver­such­te ­Böcken­för­de über vie­le Jah­re ver­geb­lich, Schmitt zu einer drei­bän­di­gen Aus­ga­be sei­ner Auf­sät­ze zu über­re­den – der sich aber, obwohl Dezi­sio­nist, ein­fach nicht ent­schei­den konn­te. Schmitt folg­te aber auch oft genug dem Drän­gen und den Rat­schlä­gen Böcken­för­des, zum Bei­spiel bei der Her­aus­ga­be einer drit­ten Auf­la­ge des Begriffs des Poli­ti­schen. Und auch wich­ti­ge Bei­trä­ge Schmitts zur Hob­bes-­For­schung wie »Die voll­ende­te Refor­ma­ti­on« (1965) ver­dan­ken sich dem Anstoß sei­nes Schü­lers, der maß­geb­lich an der Grün­dung der in vie­ler Hin­sicht Schmitt-affi­nen Zeit­schrift Der Staat betei­ligt war.

Böcken­för­de tritt 1967 in die SPD ein; 1983 wird er zum Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter gewählt und erreicht damit den Höhe­punkt sei­ner Kar­rie­re; Schmitt stirbt 1985, aber die­ser bleibt bei Böcken­för­de prä­sent, nicht zuletzt weil bei­de das lei­den­schaft­li­che Inter­es­se an Poli­ti­scher Theo­lo­gie teil­ten. Die Edi­ti­on läßt nicht nur Schmitt und Böcken­för­de selbst zu Wort kom­men, son­dern auch die Brü­der des letz­te­ren: den Theo­lo­gen und katho­li­schen Pries­ter ­Wer­ner und den Juris­ten Christoph.

Schmitt und Böcken­för­de waren aber auch ein­ge­bun­den in ein weit­ge­spann­tes Netz­werk, zu dem essen­ti­ell der Kreis um den Müns­te­ra­ner Phi­lo­so­phen Joa­chim ­Rit­ter mit Den­kern wie ­Her­mann Lüb­be, Odo ­Mar­quard, Gün­ter Rohr­mo­ser, Robert ­Spae­mann, Rai­ner Specht und Ber­nard Will­ms gehör­te. Denn hier soll­te Schmitt eben­so wie im Ebra­cher Kreis Ernst Forst­hoffs sei­ne wohl größ­te Wir­kung in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik ent­fal­ten – in einem Staat, den der Staats­recht­ler Schmitt selbst nicht mehr ohne wei­te­res als Staat anzu­er­ken­nen bereit war.

Erst­mals seit sei­nem Erschei­nen zum 70. Geburts­tag Hans ­Frey­ers wird im Brief­band auch Schmitts wich­ti­ger Arti­kel »Die ande­re Hegel-Linie« wie­der abge­druckt, für­wahr ein Klein­od der Schmitt­schen Publi­zis­tik. Schmitt erin­nert hier nach­drück­lich an eine von der öst­li­chen, das heißt kom­mu­nis­ti­schen Hegel-­Deu­tung abwei­chen­de Leh­re, in deren Tra­di­ti­on er sich auch selbst stellt. Es ist die­se Leh­re zugleich eine Theo­rie des gegen­wär­ti­gen Zeit­al­ters, in wel­chem sich Feind­schaft in beson­de­rer Wei­se manifestiert.

Schmitt ent­nimmt ­Frey­ers Welt­ge­schich­te Euro­pas das für ihn emi­nent wich­ti­ge Theo­rem des »Auf­hal­ters«, und er denkt ­Des­car­tes und Frey­er zusam­men, wenn er schreibt: »Ich den­ke, also habe ich Fein­de. Ich habe Fein­de, also bin ich.« Schmitt führt die Deu­tung aber noch wei­ter, wenn er den Frey­er­schen Gedan­ken des »sekun­dä­ren Sys­tems« auf­greift, in dem alles ver­wischt wer­de und die Span­nung der »ehr­li­chen Feind­schaft« entfalle.

Wenn es aber kei­ne ehr­li­chen Fein­de mehr gebe, blie­ben »nur noch Schäd­lin­ge, Sabo­teu­re und Ver­rä­ter, die durch Schwei­gen oder Dif­fa­mie­rung offen oder unter der Hand, pro­zeß­för­mig oder geräusch­los besei­tigt wer­den.« Euro­pa, so Schmitt wei­ter, kön­ne nicht vom geschicht­li­chen Bewußt­sein abs­tra­hie­ren, sosehr wir uns auch anstreng­ten, »pro­blem­los zu wer­den«; es habe sich nicht mehr frem­der Inva­so­ren zu erweh­ren, son­dern der »Aus­ge­bur­ten sei­nes eigens­ten euro­päi­schen Geis­tes nach Osten und Westen«.

Es ver­steht sich, daß an die­sem Band nie­mand vor­bei­kommt, der sich für Staats­recht und Staats­re­fle­xi­on in der alten Bun­des­re­pu­blik inter­es­siert; der Her­aus­ge­ber Rein­hard Meh­ring hat gute Arbeit geleis­tet. Und was das Bes­te ist: Das Buch steht auch zum kos­ten­lo­sen Her­un­ter­la­den zur Ver­fü­gung – das ist prak­ti­zier­te Bar­rie­re­frei­heit für eine geis­tig-poli­ti­sche Fund­gru­be, die so schnell nicht aus­zu­schöp­fen sein wird.

Rein­hard Meh­ring: Welch güti­ges Schick­sal. Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de / Carl Schmitt: Brief­wech­sel 1953 – 1984, Baden-Baden: Nomos 2022. 870 S., 169 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)