Susanne Hartfiel: Die Neuerfindung des Menschen

von Felix Dirsch --

Schon seit geraumer Zeit tobt ein (in mancherlei Hinsicht neuer) globaler Streit um Konturen eines modernen Menschenbildes.

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Der Kampf dreht sich vor allem um Iden­ti­tä­ten. Die Fron­ten sind unschwer zu erken­nen: Die eine Rich­tung – wohl eher als Min­der­heit zu bezeich­nen – ver­tei­digt eine die mensch­li­che Natur ach­ten­de Welt­an­schau­ung. Die ande­re Strö­mung setzt die­ser Per­spek­ti­ve eine den Men­schen neu erfin­den­de, künst­li­che Lebens­wirk­lich­keit entgegen.

So weit, so ein­fach, jeden­falls auf den ers­ten Blick. Schaut man genau­er hin, so stellt sich die­ser für die Bewah­rung der Huma­ni­tät so zen­tra­le Kon­flikt kom­pli­zier­ter dar. Die Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin Susan­ne Hart­fiel kon­sta­tiert nichts weni­ger als die »Neu­erfin­dung des Menschen«.

Das poli­tisch-welt­an­schau­li­che Ziel, neue Men­schen zu erschaf­fen, ist kei­nes­wegs unbe­kannt. Die tota­li­tä­ren Ideo­lo­gien des 19. und 20. Jahr­hun­derts knüpf­ten hier – gewollt oder nicht – an christ­li­che Tra­di­tio­nen an. Doch die­se die Moder­ne maß­geb­lich domi­nie­ren­den Dok­tri­nen und ihre prak­ti­schen Exe­ku­to­ren konn­ten nur durch Zwang und rhe­to­ri­sche Phra­sen wir­ken. Heu­te ste­hen viel­fäl­ti­ge tech­ni­sche Mit­tel zur Ver­fü­gung, um eine Umfor­mung und Ver­ge­wal­ti­gung der mensch­li­chen Natur zu errei­chen. Die­se Ein­grif­fe in die per­so­na­le Inte­gri­tät wer­den natür­lich medi­al als frei­wil­lig und sanft pro­pa­giert, basie­ren aber indes­sen nicht sel­ten auf Zwang und sozia­lem Druck.

Hart­fiels fak­ten­ge­sät­tig­te Unter­su­chung expo­niert den Gegen­satz zwi­schen Gott- und Men­schen­zen­trie­rung. Sie beschreibt die Fül­le an Mög­lich­kei­ten, das Dasein künst­lich zu regu­lie­ren: Künst­li­che Kon­tra­zep­ti­va, die es prin­zi­pi­ell ermög­li­chen, Sexua­li­tät einer­seits und Zeu­gung sowie Geburt ande­rer­seits zu tren­nen, Abtrei­bung, Labo­r­er­zeu­gung, Por­no­gra­phie und Leih­mut­ter­schaft offen­ba­ren im Kon­text der Debat­ten um die Abschaf­fung der her­kömm­li­chen Fami­lie, der Vor­herr­schaft der LGBT-Ideo­lo­gie sowie viel­fäl­ti­ger trans­hu­ma­nis­ti­scher, bio­ethi­scher und euge­ni­scher Kon­zep­tio­nen ihre tie­fe­re Bedeutung.

Neben den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, etwa im Rah­men der In-vitro-Fer­ti­li­sa­ti­on oder geschlecht­li­cher Umope­ra­tio­nen, wir­ken die post­struk­tu­ra­lis­ti­sche Phi­lo­so­phie und ihre Popu­la­ri­sie­rung als Fer­ment stra­te­gi­scher Neu­aus­rich­tung. Ihr zufol­ge ist die Gleich­heit onto­lo­gisch und nicht in ers­ter Linie juris­tisch zu fas­sen. In die­ser Sicht­wei­se, die sich mit den meis­ten All­tags­über­zeu­gun­gen trotz ihrer aka­de­mi­schen Ver­stie­gen­hei­ten pro­blem­los ver­ein­ba­ren läßt, ist der Mensch eine belie­big form­ba­re Mas­se. Die abso­lut gesetz­te Frei­heit des ein­zel­nen läßt schran­ken­lo­se Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten zu.

In den letz­ten Jah­ren wird die­ser Grund­zug am Bei­spiel der ufer­lo­sen Gen­der- und Trans­gen­der-Vari­an­ten beson­ders inten­siv dis­ku­tiert. Die Annah­me von bio­lo­gi­schen Kon­stan­ten ist in die­ser neu­en Per­zep­ti­on unter­sagt – unge­ach­tet der Tat­sa­che, daß gen­tech­ni­sche Mani­pu­lier­bar­keit spä­tes­tens wäh­rend der Coro­na-Kri­se zum Mas­sen­phä­no­men gewor­den ist.

Von Trans­gen­der-Vor­stel­lun­gen führt ein direk­ter Weg zum Trans­hu­ma­nis­mus. Die Autorin prä­sen­tiert auch über die­se Welt­an­schau­ung, die im Zuge der Debat­ten über den Gre­at Reset einen regel­rech­ten Boom in Medi­en­welt und Publi­zis­tik erlebt, einen kom­pe­ten­ten Über­blick. Die lan­ge im theo­re­ti­schen Bereich ver­blei­ben­de Denk­fi­gur des Über­men­schen fin­det, vor allem mit­tels der Ver­schmel­zung von Tech­nik und Mensch, zuneh­men­den Ein­gang in prak­ti­sche Expe­ri­men­te zur angeb­li­chen Ver­bes­se­rung des über­hol­ten alten Adam.

Die kla­re Argu­men­ta­ti­on Hart­fiels besticht. Sie folgt inhalt­lich einer Rei­he bekann­ter christ­li­cher Autoren. Von ihnen sind ledig­lich die Namen Gabrie­le Kuby, Man­fred Spie­ker, Bern­hard Meu­ser und Bir­git Kel­le anzu­füh­ren. Das christ­li­che Fun­da­ment wird expli­zit her­aus­ge­stellt, die mensch­li­che Natur als Vor­aus­set­zung ech­ter Frei­heit betont. Sel­ten hat man ein sol­ches schöp­fungs­theo­lo­gisch fun­dier­tes Anti­dot gegen die Selbst­zer­stö­rung des Men­schen gele­sen, an der nach Mei­nung der Autorin auch jene Chris­ten Anteil haben, die zen­tra­le Glau­bens­pos­tu­la­te igno­rie­ren. Ein biß­chen Chris­ten­tum gibt es eben­so­we­nig wie ein biß­chen Schwangerschaft.

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Susan­ne Hart­fiel: Die Neu­erfin­dung des Men­schen, Augs­burg: Domi­nus Ver­lag 2021. 280 S., 19,95 €

 

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