Der Kampf dreht sich vor allem um Identitäten. Die Fronten sind unschwer zu erkennen: Die eine Richtung – wohl eher als Minderheit zu bezeichnen – verteidigt eine die menschliche Natur achtende Weltanschauung. Die andere Strömung setzt dieser Perspektive eine den Menschen neu erfindende, künstliche Lebenswirklichkeit entgegen.
So weit, so einfach, jedenfalls auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, so stellt sich dieser für die Bewahrung der Humanität so zentrale Konflikt komplizierter dar. Die Sozialwissenschaftlerin Susanne Hartfiel konstatiert nichts weniger als die »Neuerfindung des Menschen«.
Das politisch-weltanschauliche Ziel, neue Menschen zu erschaffen, ist keineswegs unbekannt. Die totalitären Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts knüpften hier – gewollt oder nicht – an christliche Traditionen an. Doch diese die Moderne maßgeblich dominierenden Doktrinen und ihre praktischen Exekutoren konnten nur durch Zwang und rhetorische Phrasen wirken. Heute stehen vielfältige technische Mittel zur Verfügung, um eine Umformung und Vergewaltigung der menschlichen Natur zu erreichen. Diese Eingriffe in die personale Integrität werden natürlich medial als freiwillig und sanft propagiert, basieren aber indessen nicht selten auf Zwang und sozialem Druck.
Hartfiels faktengesättigte Untersuchung exponiert den Gegensatz zwischen Gott- und Menschenzentrierung. Sie beschreibt die Fülle an Möglichkeiten, das Dasein künstlich zu regulieren: Künstliche Kontrazeptiva, die es prinzipiell ermöglichen, Sexualität einerseits und Zeugung sowie Geburt andererseits zu trennen, Abtreibung, Laborerzeugung, Pornographie und Leihmutterschaft offenbaren im Kontext der Debatten um die Abschaffung der herkömmlichen Familie, der Vorherrschaft der LGBT-Ideologie sowie vielfältiger transhumanistischer, bioethischer und eugenischer Konzeptionen ihre tiefere Bedeutung.
Neben den technischen Möglichkeiten, etwa im Rahmen der In-vitro-Fertilisation oder geschlechtlicher Umoperationen, wirken die poststrukturalistische Philosophie und ihre Popularisierung als Ferment strategischer Neuausrichtung. Ihr zufolge ist die Gleichheit ontologisch und nicht in erster Linie juristisch zu fassen. In dieser Sichtweise, die sich mit den meisten Alltagsüberzeugungen trotz ihrer akademischen Verstiegenheiten problemlos vereinbaren läßt, ist der Mensch eine beliebig formbare Masse. Die absolut gesetzte Freiheit des einzelnen läßt schrankenlose Gestaltungsmöglichkeiten zu.
In den letzten Jahren wird dieser Grundzug am Beispiel der uferlosen Gender- und Transgender-Varianten besonders intensiv diskutiert. Die Annahme von biologischen Konstanten ist in dieser neuen Perzeption untersagt – ungeachtet der Tatsache, daß gentechnische Manipulierbarkeit spätestens während der Corona-Krise zum Massenphänomen geworden ist.
Von Transgender-Vorstellungen führt ein direkter Weg zum Transhumanismus. Die Autorin präsentiert auch über diese Weltanschauung, die im Zuge der Debatten über den Great Reset einen regelrechten Boom in Medienwelt und Publizistik erlebt, einen kompetenten Überblick. Die lange im theoretischen Bereich verbleibende Denkfigur des Übermenschen findet, vor allem mittels der Verschmelzung von Technik und Mensch, zunehmenden Eingang in praktische Experimente zur angeblichen Verbesserung des überholten alten Adam.
Die klare Argumentation Hartfiels besticht. Sie folgt inhaltlich einer Reihe bekannter christlicher Autoren. Von ihnen sind lediglich die Namen Gabriele Kuby, Manfred Spieker, Bernhard Meuser und Birgit Kelle anzuführen. Das christliche Fundament wird explizit herausgestellt, die menschliche Natur als Voraussetzung echter Freiheit betont. Selten hat man ein solches schöpfungstheologisch fundiertes Antidot gegen die Selbstzerstörung des Menschen gelesen, an der nach Meinung der Autorin auch jene Christen Anteil haben, die zentrale Glaubenspostulate ignorieren. Ein bißchen Christentum gibt es ebensowenig wie ein bißchen Schwangerschaft.
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Susanne Hartfiel: Die Neuerfindung des Menschen, Augsburg: Dominus Verlag 2021. 280 S., 19,95 €
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