Artur Abramovych: Entartete Espritjuden und heroische Zionisten

Der 26jährige Artur Abramovych ist Bundesvorsitzender des Vereins »Juden in der AfD«, der beim Mainstream der jüdischen Funktionäre in Deutschland äußerst unbeliebt ist und innerhalb der Partei die Rolle einer proisraelischen Lobby spielt, mit Hauptaugenmerk auf »importierten Antisemitismus« aus nahöstlichen Gefilden. ­

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Abra­mo­vychs ers­te eigen­stän­di­ge Buch­ver­öf­fent­li­chung ist eine detail­lier­te Magis­ter­ar­beit, die eine heu­te ver­ges­se­ne Intel­lek­tu­el­len­kon­tro­ver­se aus dem Wil­hel­mi­ni­schen Kai­ser­reich unter­sucht. Der jüdi­sche Phi­lo­soph Theo­dor ­Les­sing hat­te 1910 eine schar­fe Sati­re (»Samu­el zieht die Bilanz«) auf den jüdi­schen Schrift­stel­ler Samu­el Lub­lin­ski ver­öf­fent­licht und damit einen Sturm der Ent­rüs­tung ent­fes­selt, der dem Autor sogar Mord­dro­hun­gen einbrachte.

Les­sing, der spä­te­re Ana­ly­ti­ker des »jüdi­schen Selbst­has­ses«, atta­ckier­te Lub­lin­ski als Ver­tre­ter »des schrei­ben­den Typus, den ich den esprit­jü­di­schen nen­ne«. Dabei hagel­te es per­sön­li­che Belei­di­gun­gen, die heu­te in der Tat kraß anti­se­mi­tisch wir­ken. ­Les­sing nann­te sei­nen Stam­mes­ge­nos­sen ein »Tal­mud-Miß­ge­bürt­chen mit hyper­tro­phisch ent­ar­te­ten Schreib- und Rede­zen­tren«, ein »fet­ti­ges Syn­a­gög­lein auf ein paar ganz kur­zen fah­ri­gen Bei­nen«, alles in allem sei er ein sub­stanz­lo­ser Blen­der und Dampfplauderer. 

Lub­lin­ski war nun ein »Rene­gat des Zio­nis­mus«, wie ­Abra­mo­vych for­mu­liert, der 1899 die »Ent­deckung gemacht« hat­te, »daß er aus psy­chi­schem Zwang ein Deut­scher sei«, wie er in einem Brief an Theo­dor Herzl schrieb. Die­sen »zwang­haf­ten« Assi­mi­lie­rungs­drang fand nun Les­sing, den Lub­lin­ski sei­ner­seits als fana­ti­schen Zio­nis­ten und Anhän­ger von »Ras­sen­theo­rien« cha­rak­te­ri­sier­te, pein­lich und unauf­rich­tig. Lub­lin­ski war für ihn der Arche­typ des Juden, der auf­grund von Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xen ger­ne ein »blon­der Ger­ma­ne« wäre, dabei aber phy­sisch, geis­tig und habi­tu­ell erz- und ober­jü­disch geblie­ben sei, dies aller­dings in einer »ent­ar­te­ten«, nega­ti­ven Form.

Schließ­lich misch­te sich Dich­ter­fürst Tho­mas Mann in die Debat­te ein und ergriff wider Erwar­ten Par­tei gegen Les­sing, in ers­ter Linie, weil Lub­lin­ski die Bud­den­brooks über den grü­nen Klee gelobt hat­te und er ihm einen Gefal­len schul­dig war. In der Sache stimm­te er mit Les­sing weit­ge­hend über­ein, aber dreh­te den Spieß in des­sen Rich­tung: Les­sing sol­le nicht mit Stei­nen im Glas­haus um sich wer­fen, sei er doch selbst ein »Schreck­bei­spiel schlech­ter jüdi­scher Ras­se« und über­haupt das »schä­bigs­te Exem­plar die­ses in eini­gen Fäl­len bewun­de­rungs­wür­di­gen Typus«. Der tief­ver­letz­te Les­sing ver­such­te nun, auch Mann in einer Sati­re (»Tomi melkt die Moral­kuh«) als dege­ne­rier­te Figur bloß­zu­stel­len. Les­sing und Mann haß­ten ein­an­der für den Rest ihres Lebens, und als ers­te­rer 1933 von Natio­nal­so­zia­lis­ten ermor­det wur­de, fand letz­te­rer, daß ein solch elen­des Ende »einem Les­sing durch­aus anste­hen mag.«

Weder Les­sing noch Lub­lin­ski noch Mann gaben in die­ser Schlamm­schlacht, befeu­ert von klein­ka­rier­ten Eitel­kei­ten, eine gute Figur ab. ­Abra­mo­vych nutzt sie, um mit der Schub­la­de »lite­ra­ri­scher Anti­se­mi­tis­mus«, in die Mann seit Jahr­zehn­ten von außer­li­te­ra­risch moti­vier­ten Ger­ma­nis­ten gepackt wird, abzu­rech­nen und sie als »unwis­sen­schaft­lich, weil rein poli­ti­scher Natur«, zu ver­wer­fen. In der »Assi­mi­la­ti­ons­kri­tik« Les­sings und Manns ent­deckt er einen »jüdi­schen« bzw. pro­jü­di­schen »Nietz­schea­nis­mus«. Nietz­sches Kri­tik der »déca­dence« und sein Auf­ruf zur »Selbst­über­win­dung« soll­ten der zio­nis­ti­schen Idee Attrak­ti­vi­tät und pole­mi­sche Muni­ti­on ver­lei­hen. Juden soll­ten Nietz­sches Ermah­nung »Wer­de, der du bist« befol­gen, ohne Selbst­haß und Selbst­ver­leug­nung im Kar­ne­val einer unfrucht­ba­ren kul­tu­rel­len Mimikry.

Auf die­se Wei­se gelangt Abra­mo­vych zu einer Ehren­ret­tung sei­nes lite­ra­ri­schen Säu­len­hei­li­gen Tho­mas Mann, in des­sen Werk häu­fig deka­dent ange­krän­kel­te Gestal­ten auf­tau­chen, die impli­zit (und gele­gent­lich expli­zit) »jüdisch« kon­no­tiert sind. Frei­lich steht und fällt dies alles mit der Fra­ge, wann die »legi­ti­me« Kri­tik an Juden, Juden­tum und Jüdi­schem auf­hört und wann der »Anti­se­mi­tis­mus« beginnt. Dar­auf gibt es nir­gends eine ver­bind­li­che Ant­wort. Die Grün­de dafür lie­gen eben­so in gewis­sen his­to­risch beding­ten Kom­ple­xen wie in ver­schie­de­nen poli­ti­schen Oppor­tu­ni­tä­ten. Die heu­te weit­ver­brei­te­te Auf­fas­sung, daß zum Anti­se­mi­tis­mus schon die »die Emp­fin­dung der Anders­ar­tig­keit von Juden« (Abra­mo­vych) genü­ge, ist offen­sicht­lich zu eng und negiert (anti­se­mi­tisch?) die Tat­sa­che, daß so etwas wie ein »Geblüt« (Tho­mas Mann) namens »Juden« nun ein­mal exis­tiert und der Welt­ge­schich­te einen mar­kan­ten Stem­pel auf­ge­drückt hat.

Aller­dings bie­tet auch Abra­mo­vych kei­ne »kon­kre­te wis­sen­schaft­li­che Defi­ni­ti­on des Anti­se­mi­tis­mus­be­griffs« an; sein impli­zi­ter Maß­stab scheint das posi­ti­ve oder nega­ti­ve Ver­hält­nis zum Zio­nis­mus zu sein. Auch das ist zwei­schnei­dig, denn Zio­nis­ten und Anti­se­mi­ten waren sich häu­fig in ihrer Ableh­nung der Assi­mi­la­ti­on einig und dach­ten zuwei­len, man könn­te die »Juden­fra­ge« durch eine ein­ver­nehm­li­che Schei­dung lösen.

Die ger­ma­nis­ti­sche Zunft wird die vor­lie­gen­de Arbeit wohl igno­rie­ren. An einem dif­fe­ren­zier­ten Anti­se­mi­tis­mus­be­griff herrscht dort kein Bedarf; er wür­de nur die Arbeit erschwe­ren und man­che aka­de­mi­sche Kar­rie­re aufs Glatt­eis führen.

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Artur Abra­mo­vych: Ent­ar­te­te Esprit­ju­den und heroi­sche Zio­nis­ten. Jüdi­scher Nietz­schea­nis­mus in der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Theo­dor Les­sing und Tho­mas Mann, Bad Schus­sen­ried: Ger­hard Hess Ver­lag 2022. 140 S., 16,99 €

 

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Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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