Gunda Frey: Das verstaatlichte Kind

Was für ein formidabler Titel! Wird hier doch der Ausruf eines Olaf Scholz anno 2002 aufgegriffen: »Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten!«

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Autorin Gun­da Frey erwähnt das pro­mi­nen­te Ansin­nen aber nicht ein­mal, und der Unter­ti­tel ihres Buches bremst die Begeis­te­rung gelin­de aus. Sind unse­re Kin­der denn wirk­lich bereits »trau­ma­ti­siert« und gar »ver­saut«? Soll hier mit dem Holz­ham­mer den Über­grif­fig­kei­ten des Staa­tes begeg­net wer­den? Sachte.

Die­ses Buch birgt viel Gutes für Leser, die sich erst­mals damit befas­sen, was es eigent­lich heißt, wenn man als Mut­ter oder als Eltern »von oben« ent­mach­tet wird. Frau Frey hat ihr Buch in zwölf Kapi­tel geglie­dert. Sie behan­delt die Zeit von Schwan­ger­schaft und Geburt über den Kin­der­gar­ten hin zu den Zwän­gen in wei­ter­füh­ren­den Schu­len. Das ist teil­wei­se ver­dienst­voll. Wann wur­de je so vehe­ment gegen den Wunsch- oder Zwangs­kai­ser­schnitt gestrit­ten? Was hier über selbst­be­stimm­te Geburt und die ver­schwie­ge­nen Nach­wir­kun­gen einer Schnitt­ent­bin­dung geschrie­ben wird, ist so uner­hört wie Gold wert. Dar­über wird weit­hin geschwie­gen. Frau Frey schil­dert glaub­haft die Aus­wir­kun­gen die­ses Trends.

Der Rest des Buches, inklu­si­ve des eigens bewor­be­nen »Extra-Kapitel[s] zur Coro­na-Pan­de­mie«, fällt hin­ge­gen ab. Es gibt in der zwei­ten Buch­hälf­te vie­le »Impul­se zum Nach­den­ken«. Sol­che: »Sind Sie bereit, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men?« »Wie sehen Sie Ihre Auf­ga­be im Pro­jekt Haus­sa­nie­rung?« (Es geht natür­lich ums gan­ze Land. Schön. Schön naiv.) Von Frau Frey gewin­nen wir einen ers­ten Ein­druck, indem wir ihre Home­page besu­chen. Dort fin­den wir vie­le, zu vie­le schö­ne Fotos der Kinder‑, Jugend­li­chen­psycho- und Trau­ma­the­ra­peu­tin und einen zen­tra­len Satz: »Es hat lan­ge gedau­ert, bis ich mir ein­ge­ste­hen konn­te, daß ich dadurch trau­ma­ti­siert war, daß mei­ne Bedürf­nis­se nicht gese­hen wurden.«

Es ist nicht beson­ders vor­teil­haft, wenn eine The­ra­peu­tin von eige­nen kind­li­chen »Ver­let­zun­gen« spricht, zumal die­se Zurich­tun­gen im Unge­fäh­ren blei­ben. Frau Freys Arbeit am Trauma­begriff (sie sie­delt ein »Trau­ma« nied­rig­schwel­lig an, bereits gering­fü­gi­ge Krän­kun­gen des Kin­ders könn­ten »trau­ma­ti­sie­rend« wir­ken) über­zeugt nicht, wie auch Ana­ly­se und Spra­che nicht über­zeu­gen: »Anstatt an der Wur­zel etwas zu ändern, wird an den Sym­pto­men her­um­ge­dok­tert mit immer fata­le­ren Aus­wir­kun­gen. Mich erin­nert das sehr an ein Buch über Mas­sen­tier­hal­tung, wel­ches ich ein­mal gele­sen habe.«

Hier schreibt eine (sicher im Kern höchst ver­nünf­ti­ge) Frau im Bewußt­sein dar­über, daß sie durch irgend­wel­che Pod­casts bereits eine Art Pro­mi­nen­ten- und mit­hin Bera­ter­sta­tus inne­hät­te. Pein­lich! Si tacuis­ses, etc. pp.!

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Gun­da Frey: Das ver­staat­lich­te Kind. Opti­miert, regu­liert, trau­ma­ti­siert – wie unse­re Gesell­schaft ihre Kin­der ver­saut, Kulm­bach: Bör­sen­me­di­en AG 2022. 207 S., 19,90 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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