Gegen diese Gewohnheit hat Grosch (geb. 1969), der lange als Lehrer arbeitete und jetzt beim hessischen Kultusministerium tätig ist, ein Buch geschrieben, das den pädagogischen Anspruch nicht verhehlt. Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte der Geopolitik werden die geopolitischen Faktoren durchdekliniert: von der Lage, über deren Bedeutung am Beispiel der Ukraine einiges zu lernen ist, über die Bodenschätze und das Wasser bis hin zu den demographischen Problemen, die auch bei der raumorientierten Analyse eine entscheidende Rolle spielen. Darauf aufbauend, macht Grosch geopolitische Konflikte der Gegenwart aus: Kampf um Wasser und fruchtbare Anbauflächen, Sicherung der Energieversorgung, Zugang zu Rohstoffen, Migration als Waffe und Freiheit der See- und Handelswege.
Nach einem wenig ergiebigen Exkurs über die Jugoslawienkriege wagt Grosch aktuelle exemplarische Analysen verschiedener Staaten und Regionen, mit deutlichem Schwerpunkt auf nichtwestlichen Staaten. Diese Analysen sind eine Mischung aus Geschichtserzählung und geographischer Lagebeschreibung, aus denen er versucht, ein Resümee für das zukünftig zu erwartende Handeln abzuleiten.
Es ist dabei erstaunlich, wie oft Wasser nicht eine abstrakte Ressource, sondern Grund und Ursache von geopolitischen Entscheidungen ist. Tibet ist der »Wasserturm Chinas«, der israelische »Wasserkrieg« mit den Arabern ist für Israel existentiell, und Äthiopiens Entscheidung, den Nil aufzustauen, stellt die tausendjährige Gewißheit der Ägypter in Frage, daß der Nil »ihr« Fluß ist.
Auch Rußlands Lage und Strategie werden nüchtern erörtert und in den Kontext der amerikanischen Hegemonialbemühungen gestellt. Diese sieht Grosch als gegeben an, auch wenn man nicht gern darüber spricht. Die rund 1000 Militärstützpunkte weltweit, die sechs strategisch global ausgerichteten Kommandobereiche und die Tatsache, daß die USA als Schutzmacht für zahlreiche Staaten auftreten, sprechen eine eindeutige Sprache.
Die EU und Deutschland sind demgegenüber als geopolitische Akteure »faktisch und praktisch inexistent«, was Grosch dadurch erklärt, daß hierzulande der Krieg nicht einmal mehr als gedankliche Möglichkeit existiere. Die Ahnungslosigkeit der bundesrepublikanischen Eliten gegenüber den geopolitischen Herausforderungen wird (unfreiwillig?) durch ein Interview mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Jung erhellt, das Grosch in sein Buch aufgenommen hat.
Es ist zu hoffen, daß sein Buch auch dort gelesen wird, wo Entscheidungen fallen, denn es bietet eine solide Einführung in ebendiese Herausforderungen.
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Martin Grosch: Geopolitische Machtspiele. Wie China, Rußland und die USA sich in Stellung bringen und Europa immer stärker ins Abseits gerät, Reinbek: Lau Verlag 2022. 339 S., 28 €
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