Im Zuge dieser kulturpolitischen Veranstaltung mit propagandistischer Wirkung wurde die »Europäische Schriftstellervereinigung« geplant (und 1942 dann offiziell gegründet). Zum Präsidenten wurde der deutsche Schriftsteller Hans Carossa (1878 – 1956) ernannt, zum Generalsekretär sein Landsmann und Kollege Carl Rothe (1900 – 1970). Aus Frankreich nahmen verschiedene Köpfe der rechten Intelligenz teil: Abel Bonnard (1883 – 1968) und Robert Brasillach (1909 – 1945) waren darunter, aber auch Marcel Jouhandeau (1888 – 1979) und Pierre Drieu la Rochelle (1893 – 1945).
Diese Autoren verband die Bereitschaft zur Kollaboration mit dem Großdeutschen Reich, ansonsten verfolgten sie durchaus unterschiedliche weltanschauliche Ziele. Der Romancier Jouhandeau etwa entstammte der katholischen Reformbewegung Renouveau catholique und vertrat in den 1930er Jahren einen stark Action-française-geprägten Ästhetizismus und Antisemitismus. Politisch hatte er demzufolge nur wenige Berührungspunkte mit seinem Reisegefährten, dem sozialrevolutionären »Eurofaschisten« Drieu la Rochelle, aber sie waren ja auch und vor allem Literaten. Diesbezüglich war Drieu begeistert und vertraute seinem Tagebuch an, daß er die Werke Jouhandeaus verehre, ja schlichtweg »liebe«.
Die reisefreudigen Franzosen verarbeiteten ihre Eindrücke aus Deutschland unterschiedlich. Aufsätze zu diversen Publikationen der kollaborationistischen Rechten steuerten sie alle pflichtschuldig bei; aber darüber hinaus gingen nur wenige. Drieu beispielsweise vertraute seinem Tagebuch nur einen einzigen (!) Satz zur gesamten Deutschlandfahrt an: »Reise in Deutschland. Weimar, Berlin, Ende Oktober.« Jouhandeau hingegen verfuhr anders: Er verfaßte ein Reisetagebuch und einen literarischen Bericht über Die geheime Reise. Beide Texte liegen nun erstmals auf deutsch vor, und zwar in einem reichbebilderten Band.
Das Tagebuch wurde von Jouhandeau nie veröffentlicht, Le voyage secret pseudonym 1949 (erst ab 1988 trägt der Band offiziell seinen Namen). Letzterer Text ist kryptisch; die Reise ist insofern »geheim«, als daß der Leser Personen, Orte und Kontexte entschlüsseln muß. Jouhandeau, so faßt es der hervorragende Übersetzer und Nachwortautor Oliver Lubrich zusammen, stellt dem Leser eine Aufgabe, die darin bestehe, das Buch »wie einen Schlüsselroman zu entziffern«. Dieser Text »zwischen Eros und Faschismus« (Lubrich) ist für den Rezensenten indes nur bedingt lesbar; schwülstiges Pathos und stetes Begehren – im Fokus steht Reiseleiter und Kulturfunktionär Gerhard Heller (1909 – 1982), der in der Geheimen Reise als »X.« auftritt – vergällen die Lektüre.
Anders verhält es sich beim Reisetagebuch (»Erinnerungen an Deutschland«). Dort wird nichts verschwiegen, nichts verschleiert, nichts in überschwänglicher Begierde ertränkt. Statt dessen begreift man, weshalb Jouhandeau zeitlebens keinerlei Veröffentlichung des Textes plante – zu antisemitisch (»alles, nur kein jüdischer Sieg, nur keine jüdische Herrschaft«) und zu NS-affin bzw. deutschenfreundlich (eine Freundschaft, die »ich mir wünsche«, für die er »gerne zu einer Brücke zwischen unseren beiden Ländern« werde). Schließlich vernimmt man auch die düstere Ahnung Jouhandeaus, daß diese Reise – endet der Krieg nachteilig für Deutschland – schwere Folgen für die prodeutschen Beteiligten haben wird.
Doch Jouhandeau trotzt seinen inneren Zweifeln: »Keine Ausflucht, kein Zögern, keine Zurücknahme meines Wortes […], auch wenn es mich an den Galgen bringen sollte!« Nun, die Todesstrafe erhielten andere Mitreisende wie Brasillach; Jouhandeau kam mit einem blauen Auge davon. Der Unterschied ist evident: Brasillach ätzte offen gegen Juden und Alliierte, Jouhandeau veröffentlichte seine Haßgesänge aus dem Reisetagebuch nicht. Das holt der Wiener DVB Verlag nun in seiner Kollektion »das vergessene buch« nach. Warum das so ist, erschließt sich dem Rezensenten nur bedingt.
Wer sich mehr Erkenntnisse über die Deutschlandreise der Franzosen wünscht als die Darlegung persönlicher Empfindungen und erotischer Exkurse, greift besser zu François Dufays Herbstreise (Berlin 2001) oder zu Drieus politischen Reiseberichten in Heimat Europa (Dresden 2022).
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Marcel Jouhandeau: Die geheime Reise, hrsg. und aus dem Französischen übersetzt von Oliver Lubrich, Wien: DVB Verlag 2022. 254 S., 24€
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