Marcel Jouhandeau: Die geheime Reise

Inmitten des Zweiten Weltkrieges, vom 5. bis 27. Oktober 1941, brachen französische Schriftsteller zu einer Deutschlandtour auf. Höhepunkt der Reise waren die Weimarer Dichtertage vom 24. bis 26. Oktober.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Im Zuge die­ser kul­tur­po­li­ti­schen Ver­an­stal­tung mit pro­pa­gan­dis­ti­scher Wir­kung wur­de die »Euro­päi­sche Schrift­stel­ler­ver­ei­ni­gung« geplant (und 1942 dann offi­zi­ell gegrün­det). Zum Prä­si­den­ten wur­de der deut­sche Schrift­stel­ler Hans ­Caros­sa (1878 – 1956) ernannt, zum Gene­ral­se­kre­tär sein Lands­mann und Kol­le­ge Carl Rothe (1900 – 1970). Aus Frank­reich nah­men ver­schie­de­ne Köp­fe der rech­ten Intel­li­genz teil: Abel Bon­nard (1883 – 1968) und Robert Bras­il­lach (1909 – 1945) waren dar­un­ter, aber auch Mar­cel Jou­han­deau (1888 – 1979) und Pierre Drieu la ­Rochel­le (1893 – 1945).

Die­se Autoren ver­band die Bereit­schaft zur Kol­la­bo­ra­ti­on mit dem Groß­deut­schen Reich, ansons­ten ver­folg­ten sie durch­aus unter­schied­li­che welt­an­schau­li­che Zie­le. Der Roman­cier Jou­han­deau etwa ent­stamm­te der katho­li­schen Reform­be­we­gung Renou­veau catho­li­que und ver­trat in den 1930er Jah­ren einen stark ­Action-fran­çai­se-gepräg­ten Ästhe­ti­zis­mus und Anti­se­mi­tis­mus. Poli­tisch hat­te er dem­zu­fol­ge nur weni­ge Berüh­rungs­punk­te mit sei­nem Rei­se­ge­fähr­ten, dem sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren »Euro­fa­schis­ten« Drieu la Rochel­le, aber sie waren ja auch und vor allem Lite­ra­ten. Dies­be­züg­lich war Drieu begeis­tert und ver­trau­te sei­nem Tage­buch an, daß er die Wer­ke ­Jou­han­de­aus ver­eh­re, ja schlicht­weg »lie­be«.

Die rei­se­freu­di­gen Fran­zo­sen ver­ar­bei­te­ten ihre Ein­drü­cke aus Deutsch­land unter­schied­lich. Auf­sät­ze zu diver­sen Publi­ka­tio­nen der kol­la­bo­ra­tio­nis­ti­schen Rech­ten steu­er­ten sie alle pflicht­schul­dig bei; aber dar­über hin­aus gin­gen nur weni­ge. Drieu bei­spiels­wei­se ver­trau­te sei­nem Tage­buch nur einen ein­zi­gen (!) Satz zur gesam­ten Deutsch­land­fahrt an: »Rei­se in Deutsch­land. Wei­mar, Ber­lin, Ende Okto­ber.« Jou­han­deau hin­ge­gen ver­fuhr anders: Er ver­faß­te ein Rei­se­ta­ge­buch und einen lite­ra­ri­schen Bericht über Die gehei­me Rei­se. Bei­de Tex­te lie­gen nun erst­mals auf deutsch vor, und zwar in einem reich­be­bil­der­ten Band.

Das Tage­buch wur­de von Jou­han­deau nie ver­öf­fent­licht, Le voya­ge secret pseud­onym 1949 (erst ab 1988 trägt der Band offi­zi­ell sei­nen Namen). Letz­te­rer Text ist kryp­tisch; die Rei­se ist inso­fern »geheim«, als daß der Leser Per­so­nen, Orte und Kon­tex­te ent­schlüs­seln muß. ­Jou­han­deau, so faßt es der her­vor­ra­gen­de Über­set­zer und Nach­wort­au­tor Oli­ver Lubrich zusam­men, stellt dem Leser eine Auf­ga­be, die dar­in bestehe, das Buch »wie einen Schlüs­sel­ro­man zu ent­zif­fern«. Die­ser Text »zwi­schen Eros und Faschis­mus« (Lubrich) ist für den Rezen­sen­ten indes nur bedingt les­bar; schwüls­ti­ges Pathos und ste­tes Begeh­ren – im Fokus steht Rei­se­lei­ter und Kul­tur­funk­tio­när Ger­hard Hel­ler (1909 – 1982), der in der Gehei­men Rei­se als »X.« auf­tritt – ver­gäl­len die Lektüre.

Anders ver­hält es sich beim Rei­se­ta­ge­buch (»Erin­ne­run­gen an Deutsch­land«). Dort wird nichts ver­schwie­gen, nichts ver­schlei­ert, nichts in über­schwäng­li­cher Begier­de ertränkt. Statt des­sen begreift man, wes­halb Jou­han­deau zeit­le­bens kei­ner­lei Ver­öf­fent­li­chung des Tex­tes plan­te – zu anti­se­mi­tisch (»alles, nur kein jüdi­scher Sieg, nur kei­ne jüdi­sche Herr­schaft«) und zu NS-affin bzw. deut­schen­freund­lich (eine Freund­schaft, die »ich mir wün­sche«, für die er »ger­ne zu einer Brü­cke zwi­schen unse­ren bei­den Län­dern« wer­de). Schließ­lich ver­nimmt man auch die düs­te­re Ahnung Jou­han­de­aus, daß die­se Rei­se – endet der Krieg nach­tei­lig für Deutsch­land – schwe­re Fol­gen für die pro­deut­schen Betei­lig­ten haben wird.

Doch ­Jou­han­deau trotzt sei­nen inne­ren Zwei­feln: »Kei­ne Aus­flucht, kein Zögern, kei­ne Zurück­nah­me mei­nes Wor­tes […], auch wenn es mich an den Gal­gen brin­gen soll­te!« Nun, die Todes­stra­fe erhiel­ten ande­re Mit­rei­sen­de wie Bras­il­lach; Jou­han­deau kam mit einem blau­en Auge davon. Der Unter­schied ist evi­dent: Bras­il­lach ätz­te offen gegen Juden und Alli­ier­te, Jou­han­deau ver­öf­fent­lich­te sei­ne Haß­ge­sän­ge aus dem Rei­se­ta­ge­buch nicht. Das holt der Wie­ner DVB Ver­lag nun in sei­ner Kol­lek­ti­on »das ver­ges­se­ne buch« nach. War­um das so ist, erschließt sich dem Rezen­sen­ten nur bedingt.

Wer sich mehr Erkennt­nis­se über die Deutsch­land­rei­se der Fran­zo­sen wünscht als die Dar­le­gung per­sön­li­cher Emp­fin­dun­gen und ero­ti­scher Exkur­se, greift bes­ser zu Fran­çois Dufays Herbst­rei­se (Ber­lin 2001) oder zu Drieus poli­ti­schen Rei­se­be­rich­ten in Hei­mat Euro­pa (Dres­den 2022).

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Mar­cel Jou­han­deau: Die gehei­me Rei­se, hrsg. und aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt von Oli­ver Lubrich, Wien: DVB Ver­lag 2022. 254 S., 24€

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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