Apologie der deutschen »Geopolitik«

von Karl Haushofer -- PDF der Druckfassung aus Sezession 110/ Oktober 2022

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Spä­tes­tens seit Abschluß des Nicht­an­griffs­pakts zwi­schen der Sowjet­uni­on und dem Deut­schen Reich waren die West­al­li­ier­ten davon über­zeugt, daß Karl Haus­ho­fer einen maß­geb­li­chen Ein­fluß auf die deut­sche Außen­po­li­tik habe. 

Des­halb wur­de nach Kriegs­en­de der Grün­der der George­town Uni­ver­si­ty School of For­eign Ser­vice, ­Edmund A. Walsh (18851956), mit der Ver­neh­mung von Karl Haus­ho­fer beauf­tragt, um zu prü­fen, ob die­ser als Haupt­kriegs­ver­bre­cher anzu­kla­gen wäre. Wegen des hohen Alters und des schlech­ten Gesund­heits­zu­stands Haus­ho­fers sah man davon ab. 

Aus den Gesprä­chen zwi­schen Walsh und Haus­ho­fer am 5. und 6. Okto­ber 1945 resul­tier­te die fol­gen­de »Apo­lo­gie«, die Haus­ho­fer am 2. Novem­ber nie­der­schrieb. Sie ist bis­lang nur zwei­mal ver­öf­fent­licht wor­den: in der von Walsh her­aus­ge­ge­be­nen Bro­schü­re Wah­re anstatt fal­sche Geo­po­li­tik für Deutsch­land (Frank­furt a.M. 1946, S. 1827) und in der von Adolf Jacob­sen her­aus­ge­ge­be­nen Edi­ti­on über Karl Haus­ho­fer (Bd. 1: Lebens­weg 1869 – 1946 und aus­ge­wähl­te Tex­te zur Geo­po­li­tik, Bop­pard am Rhein 1979, S. 639646). Unse­re Doku­men­ta­ti­on des Tex­tes ist also die drit­te Ver­öf­fent­li­chung. (Erik Lehnert)

 

 

  1. AD PERSONAM: Wenn auch nicht der Urhe­ber des ter­mi­nus tech­ni­cus Geo­po­li­tik, so gel­te ich doch wohl mit Recht als ihr Haupt­ver­tre­ter in ihrer deut­schen Erschei­nungs­form. Schon auf der ers­ten Zei­le die­ses Ver­su­ches einer objek­ti­ven Dar­stel­lung ent­steht für den Ver­fas­ser der Zwei­fel, ob er sie in der drit­ten oder ers­ten Per­son durch­füh­ren soll? Das ers­te hät­te den Vor­zug grö­ße­rer Sach­lich­keit, wür­de aber not­wen­dig geküns­telt wir­ken; er nimmt also lie­ber den Schein der Unbe­schei­den­heit auf sich und spricht von sich in der ers­ten Person.

 

  1. Als Hem­mung bei den Bespre­chun­gen in Nürn­berg darf wohl gel­ten, daß dem Kreis der jün­ge­ren, voll­kräf­ti­gen, mit schrift­li­chem Mate­ri­al wohl ver­se­he­nen Inter­ro­ga­to­ren ein durch hohes Alter und lan­ge Lei­dens­zeit in sei­ner kör­per­li­chen und geis­ti­gen Spann­kraft her­ab­ge­drück­ter Ein­zel­ner fast ohne jede Gedächt­nis­hül­fe gegen­über­stand. [Soweit die­se Dar­stel­lung als Zusam­men­fas­sung des Ein­drucks jener Aus­spra­che gel­ten soll, kann sie des­halb selbst­ver­ständ­lich kei­nen Anspruch auf Voll­stän­dig­keit machen.]

 

  1. AD REM: Die Gene­sis der deut­schen Geo­po­li­tik ist gleich­zei­tig ihre Apo­lo­gie; denn sie ist – als öffent­li­che Hoch­schul­leh­re 1919 ent­stan­den – eine Geburt der Not.

Das macht sich beson­ders gel­tend bei drei­en der Fra­gen­krei­se, in die nach ame­ri­ka­ni­scher Lehr­me­tho­de die wesent­lichs­ten Erkennt­nis­se der deut­schen Geo­po­li­tik grup­piert wer­den: die des Lebens­rau­mes, die der Gren­zen und die des Gegen­sat­zes ozea­ni­scher und kon­ti­nen­ta­ler Geopolitik.

Denn eine in sol­chen Not­zei­ten des eige­nen Lan­des ent­stan­de­ne Leh­re – auch wenn ihr Urhe­ber sich auch noch so sehr bemüht, streng wis­sen­schaft­lich legi­tim zu ver­fah­ren – wenn er kein wis­sen­schaft­li­cher Auto­mat, son­dern ein leb­haft emp­fin­den­der Mensch von Fleisch und Blut ist, kann Spu­ren und Män­gel ihrer Ent­ste­hungs­zeit und ‑lage, und sei­nes eige­nen spä­ten Ein­tritts in die wis­sen­schaft­li­che Lauf­bahn tragen.

Es wäre eine unmensch­li­che und unmög­li­che For­de­rung, daß ein deut­scher Wis­sen­schaft­ler in der dama­li­gen Zeit die Unzu­läng­lich­keit der dama­li­gen Lebens­raum-Ver­tei­lung in Mit­tel­eu­ro­pa (als Fol­ge sei­ner über­stei­ger­ten Indus­tria­li­sie­rung und Ver­städ­te­rung) und des­sen Zer­glie­de­rung durch auf die Dau­er unhalt­ba­re und des­halb geo­po­li­tisch nicht zu recht­fer­ti­gen­de Gren­zen außer acht las­sen könn­te. (So ent­stand u. a. mein Buch Gren­zen.)

 

  1. Weit­räu­mig­keit des Den­kens (in Kon­ti­nen­ten!) und die Kennt­nis der Lebens­be­din­gun­gen ande­rer, nament­lich ozea­ni­scher Völ­ker schie­nen bei der Auf­nah­me des Lehr­be­triebs der deut­schen Nach­kriegs­ju­gend am meis­ten zu feh­len. Vom bele­ben­den Atem des Mee­res zurück­ge­schnit­ten und ihrer über­see­ischen Bezie­hun­gen beraubt, war sie in kon­ti­nen­ta­ler Enge auch in ihrem Welt­bild gebun­den, eng­her­zig (nar­row-min­ded) gewor­den und ver­lor sich im Gedrän­ge klein­li­cher Rei­bun­gen, was ja auch die Par­tei­zer­split­te­rung in 36 Par­tei­en und zahl­rei­che Bün­de bewies.

Die Kennt­nis der gro­ßen, im wesent­li­chen meer­be­stimm­ten Lebens­for­men, wie des bri­ti­schen Rei­ches, der Ver­ei­nig­ten Staa­ten Ame­ri­kas, Japans, des nie­der­län­di­schen Sun­da­r­eichs war noch unzu­läng­li­cher als die des Nahen und Mitt­le­ren Ostens, Eura­si­ens, der Sowjetunion.

Des­halb schien es der deut­schen Geo­po­li­tik so not­wen­dig, für Kennt­nis ­meer­um­span­nen­der Rei­che, des Indo-Pazi­fi­schen Rau­mes zu ­sor­gen, und dadurch ein Gegen­ge­wicht gegen das Binnen­gedränge der Zeit von 1919 bis 1933 zu schaf­fen, das nach­her unter dem Druck inne­rer Par­tei­kämp­fe lei­der erst recht die Aus­lands­kennt­nis beschat­te­te und verdunkelte.

Die­sen Auf­ga­ben dien­te auch die aus­lands­wis­sen­schaft­li­che Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Ber­lin mit dem ein­zi­gen Insti­tut für poli­ti­sche Erd­kun­de und Geo­po­li­tik mei­nes Soh­nes, Prof. Albrecht Haus­ho­fer, das es in Deutsch­land gab.

Ein Insti­tut für Geo­po­li­tik in Mün­chen hat nie exis­tiert. Mei­ne lei­der zum Teil durch USA-Beauf­trag­te (Lt. Mor­gen­stern, Kauf­mann) ent­führ­te per­sön­li­che Büche­rei war mein müh­sam erwor­be­nes Pri­vat­ei­gen­tum; irgend­wel­che Mit­tel oder Gehalt von der Uni­ver­si­tät habe ich nicht erhal­ten, weil ich sonst wegen mei­ner Mili­tär­pen­si­on als Kriegs­in­va­li­de »Dop­pel­ver­die­ner« gewor­den wäre.

Die Anfangs­schwie­rig­kei­ten der staat­lich in kei­ner Wei­se unter­stütz­ten deut­schen Geo­po­li­tik aus ärm­li­chen Anfän­gen waren groß.

 

  1. Kein nor­mal emp­fin­den­der Mann irgend­ei­ner andern Nati­on wird bestrei­ten kön­nen, daß auch ein deut­scher Gelehr­ter nach so schwe­rem Wer­de­gang bei aller ange­streb­ten Objek­ti­vi­tät berech­tigt ist, aus den ehr­lich und legi­tim erwor­be­nen Erkennt­nis­sen sei­nes Wis­sens­ge­bie­tes, in einem sol­chen Rin­gen ums Dasein wie von 1919 bis 1932, sei­nem Volk mit sei­ner geis­ti­gen Kraft zur Sei­te zu stehen.

Wenn ich mir auch nie­mals den Grund­satz: »Right or wrong, my coun­try« in sei­ner gan­zen Trag­wei­te zu eigen gemacht habe, so ist doch zuzu­ge­ben, daß in sol­chen Zei­ten der Hoch­span­nung die Gren­ze zwi­schen rei­ner und ange­wand­ter Wis­sen­schaft sich leicht ver­wischt und daß also auch mir gele­gent­li­che Über­schrei­tun­gen mit unter­lau­fen sind, was ich auch den Inter­ro­ga­to­ren gegen­über offen zuge­ge­ben und bedau­ert habe – wie sie ihrer­seits aner­kannt haben, daß ich von 1933 ab in mei­nen münd­li­chen und schrift­li­chen Äuße­run­gen unter vier­fa­cher Zen­sur, nur »under pres­su­re«, unter Druck habe arbei­ten können.

 

  1. Wenn die Inter­ro­ga­to­ren aner­kann­ten, daß – ver­gli­chen mit der USA-Auf­fas­sung »legi­ti­mer« Geo­po­li­tik – an der deut­schen Geo­po­li­tik ein erar­bei­te­ter Wis­sens­be­stand von etwa 60 bis 70 Pro­zent sei, der all­ge­mein ange­nom­men wer­den kön­ne, so wird dabei ein schar­fer Unter­schied zwi­schen allem vor 1933 und nach 1933 gedruck­ten Bestand zu machen sein.

Aus der Jah­res­rei­he von 1919 bis 1933 könn­te ich zahl­rei­che Vor­le­sun­gen vor­zei­gen, die im Auf­bau z. B. mit dem Sche­ma II »Metho­do­lo­gy« des »Cour­se on Geo­po­li­tics« der »School of For­eign Ser­vice« der George­town Uni­ver­si­ty vom 1. Juli 1944 über­ein­stim­men, wenn nicht mei­ne gan­ze wis­sen­schaft­li­che Arbeits­werk­statt durch eine Kom­mis­si­on Anfang Mai unter Anlei­tung von Lt. Mor­gen­stern und Herrn Kauf­mann (USA) auf­ge­bro­chen und zum Teil ent­führt wor­den wäre (aller­dings gegen Ver­spre­chen der Rück­ga­be) – dar­un­ter mei­ne gesam­mel­ten aus­ge­ar­bei­te­ten Vorlesungsgrundlagen.

 

  1. Was nach 1933 geschrie­ben und gedruckt wur­de, stand »under pres­su­re« und muß dem­entspre­chend beur­teilt wer­den. Wie sich die­ser Druck schließ­lich aus­wirk­te (an dem sich ­Rudolf Heß nie­mals betei­lig­te, der eher zu schüt­zen ver­such­te), bewei­sen fast drei Jah­re Gefäng­nis oder Auf­ent­halts­be­schrän­kung mei­ner Fami­lie, mei­ne eige­ne Ein­sper­rung im KZ Dach­au, die Ermor­dung mei­nes ältes­ten Soh­nes am 23. April 1945 durch die Gesta­po, die schar­fe Ein­schrän­kung, dann Ein­stel­lung der Zeit­schrift für Geo­po­li­tik.

 

  1. Im Drit­ten Reich fehl­te der herr­schen­den Par­tei jedes amt­li­che Organ zu Auf­nah­me oder Ver­ständ­nis für geo­po­li­ti­sche Leh­ren, so daß sie sich nur miß­ver­stan­de­ner Schlag­wor­te aus ihnen bedien­te, die­se selbst aber nicht ver­stand; nur ­Rudolf Heß und Außen­mi­nis­ter v. Neu­r­a­th, ers­te­rer aus sei­ner Zeit als mein Schü­ler, ehe es eine NSDAP gab, besa­ßen ein gewis­ses Ver­ständ­nis für Geo­po­li­tik, ohne sich damit durch­set­zen zu können.

Hin­ge­gen war unter den für die Zeit von 1922 bis 1933 kenn­zeich­nen­den Staats­män­nern oder Ver­tre­tern von poli­ti­cal sci­ence Ver­ständ­nis für Geo­po­li­tik häu­fig. Ich nen­ne unter den Deut­schen Außen­mi­nis­ter Stre­se­mann, Bot­schaf­ter Schu­len­burg u. a., unter den Öster­rei­chern Kanz­ler Sei­pel und Kul­tus­mi­nis­ter v. Srbik; in Ungarn Graf Paul Tele­ki u. Göm­bös; in Prag Prä­si­dent Masa­ryk, nam­haf­te Rus­sen und Rumä­nen, Fran­zo­sen, wie Ancel, Bri­and, Deman­ge­on, ­Mon­tan­don, Ita­lie­ner, wie Gabet­ti, Tuc­ci, Mas­si, Rolet­to, die guten Bezie­hun­gen zum Pan­eu­ro­pa-Kreis des Gra­fen Cou­den­ho­ve-Kaler­gi, mit Vor­trä­gen für ihn in Brünn, Olmütz, Prag, Wien.

 

  1. Die­se bereits Inter­ro­ga­to­ren der 3. Armee (14. – 18. 6.), des Gr. H. Qu. Gene­ral ­Eisen­ho­wers (24. 8. – 2. 9.), des Staff of Jus­ti­ce Jack­son (2. – 10. 10.) brei­ter dar­ge­leg­ten Ent­wick­lungs­tat­sa­chen legi­ti­mer Geo­po­li­tik bis zur Stö­rung ihres natür­li­chen Wuch­ses ab 1933 las­sen sich am bes­ten anschau­lich machen an dem Ver­hält­nis zu mei­nen Theo­rien über ozea­ni­sche und kon­ti­nen­ta­le wis­sen­schaft­li­che Geopolitik.

Die­se Theo­rien, ursprüng­lich von ­Fried­rich Rat­zel (Die Erde und das Leben; Poli­ti­sche Geo­gra­phie; Anthro­po­geo­gra­phie) und sei­nen Fort­set­zern in den USA (Semp­le) und Schwe­den (­Rudolf Kjel­lén) ange­regt, sind weit mehr aus Quel­len der eng­lisch reden­den Völ­ker als aus kon­ti­nen­ta­len geformt, und erst nach deren Grund­satz: »Let us edu­ca­te our mas­ters« an deut­sche Stel­len her­an­ge­bracht worden.

Mahan, Brooks-Adams, Joe Cham­ber­lain (mit einer per­sön­li­chen Aus­spra­che 1899 über das Wün­schens­wer­te eines Bun­des Bri­ten­reich, USA, Japan, Deutsch­land), Sir Tho­mas Hol­dich (Grenz­schöp­fer), Sir Hal­ford Mack­in­der (»The geo­gra­phi­cal pivot of histo­ry«), Lord ­Kit­che­ner (1909), spä­ter J. Bow­man (The New World u. a.) sind mei­ne wesent­lichs­ten Anre­ger gewe­sen, und immer wie­der zitiert. Gro­tesk miß­ver­stan­den wur­de im Drit­ten Reich die War­nung vor einem Schau­kel­spiel zwi­schen ozea­ni­scher und kon­ti­nen­ta­ler Poli­tik, das schon Wil­helm II. zum Ver­häng­nis gewor­den war; noch mehr der von Reichs­kanz­ler Fürst Ito stam­men­de Ver­gleich der rus­si­schen Troi­ka mit dem Ver­hält­nis zwi­schen Kul­tur­eu­ro­pa, Kul­tur­osta­si­en und Eura­si­en. Die ein­sei­ti­ge Ost­ex­pan­si­on von 1939 und 1941 war eine Tod­sün­de dagegen.

 

  1. Impe­ria­lis­ti­sche Erobe­rungs­plä­ne sind weder durch mei­ne eige­nen Schrif­ten noch durch mei­ne Vor­trä­ge jemals begüns­tigt wor­den. Ich habe, wie in mei­nem Buch über die Gren­zen, so auch in mei­ner öffent­li­chen Vor­trags­tä­tig­keit, wohl gegen die Ver­stüm­me­lung Deutsch­lands durch die Ver­sailler Grenz­zie­hung pro­tes­tiert, habe mich für die Deut­schen in Süd­ti­rol ein­ge­setzt, die Rück­ge­win­nung der sude­ten­deut­schen Gebie­te begrüßt, aber nie­mals Anne­xio­nen von volks­frem­den Gebie­ten gut­ge­hei­ßen, die nicht von Deut­schen besie­delt waren. Die Träu­me von sol­chen Anglie­de­run­gen sind von mir stets als gefähr­li­che Träu­me ange­se­hen und abge­lehnt wor­den. Daß durch den VDA [Ver­ein für das Deutsch­tum im Aus­land] zur Zeit mei­ner Lei­tung vie­le Tau­sen­de von deut­schen Sied­lern mit Kos­ten und Mühe aus dem Osten nach Deutsch­land zurück­ge­führt wur­den, beweist am bes­ten, daß damals jeden­falls eine Okku­pa­ti­on jener Gebie­te nicht geplant war, min­des­tens der Wunsch nach ihr nicht bekannt gewe­sen ist. Durch Erobe­rung fremd­blü­ti­ger Volks­ge­bie­te hät­te sich der Natio­nal­so­zia­lis­mus, wie er in den ers­ten Jah­ren sei­ne Idea­le ver­kün­dig­te, selbst auf­ge­ge­ben, und ich habe das bei jeder Gele­gen­heit betont, u. a. am 8. Novem­ber 1938, und mich gegen sol­che Erobe­rungs­plä­ne gewen­det. Ich glaub­te an das Satu­rie­rungs­ver­spre­chen von 1938.

Eine wirk­lich gerech­te, alle befrie­di­gen­de Grenz­zie­hung, die kei­ner­lei Volks­tei­le ver­ge­wal­tigt, ist bei der unge­heu­er ver­wi­ckel­ten Ver­zah­nung der Sprach­gren­zen und Wirt­schafts­bil­dun­gen beson­ders in Ost­eu­ro­pa kaum mög­lich, und sowohl ich als auch mein Sohn Albrecht und ande­re mei­ner Schü­ler und Mit­ar­bei­ter haben in lan­gen Bera­tun­gen ver­geb­lich ver­sucht, völ­lig gerech­te und dau­er­haf­te Grund­la­gen für eine sol­che Grenz­zie­hung zu schaf­fen, wobei mein Bestre­ben immer dahin ging, kei­ne Irre­den­ta irgend­wel­cher Art dabei ent­ste­hen zu lassen.

Daß bei einer sol­chen über­zeug­ten Zurück­hal­tung schon inner­halb Euro­pas die mir zur Last geleg­ten Erobe­rungs­plä­ne mit aus­ge­ar­bei­te­ten Kar­ten für eine Über­flu­tung ande­rer Erd­tei­le, wie Süd­ame­ri­ka, völ­lig aus der Luft gegrif­fen waren, ver­steht sich dann wohl von selbst. In sol­chen Din­gen hat sich die Sen­sa­ti­ons­lust der Pres­se auch mit weit gehen­den Kar­ten­fäl­schun­gen hem­mungs­los ausgetobt.

 

  1. Mei­ne kul­tur­geo­gra­phi­sche Vor­lie­be für Japan stammt aus mei­ner zwei­jäh­ri­gen Ver­traut­heit mit Land und Volk. Sie wur­de dadurch ver­stärkt, daß ich die Trä­ger der Alt­kul­tur dort, durch Kennt­nis­se alt­asia­ti­scher Kul­tur- und Reli­gi­ons­ge­schich­te beson­ders vor­be­rei­tet, in vor­neh­men und erfreu­li­chen Per­sön­lich­kei­ten, die unsym­pa­thi­schen Erschei­nun­gen Neu-Japans dage­gen fast gar nicht kennenlernte.

Den japa­nisch-chi­ne­si­schen Krieg von 1937 habe ich, wie mein zur Zeit sei­nes Aus­bruchs aus den USA in Japan und Chi­na ein­tref­fen­der Sohn, Pro­fes­sor Dr. Albrecht Haus­ho­fer, für ein Unglück gehal­ten, und zu sei­ner Hint­an­hal­tung getan, was ich konn­te. Korea dage­gen hat mir 1909 den Ein­druck gemacht, daß es nur die Wahl zwi­schen japa­ni­scher, chi­ne­si­scher, rus­si­scher oder über­see­ischer Vor­mund­schaft hat­te und auf eige­nen Füßen nicht ste­hen konn­te, wie damals auch die Man­dschu­rei. Jeden bewaff­ne­ten Zusam­men­stoß des euro­päi­schen Wes­tens mit den Kul­tur­ras­sen des Fer­nen Ostens in Chi­na, Japan oder Süd­ost­asi­en hielt ich für sinn­los und such­te, ihm durch För­de­rung des Angleichs in wei­ser Kul­tur­po­li­tik vor­beu­gen zu hel­fen. Daher das Buch Deut­sche Kul­tur­po­li­tik im Indo­pa­zi­fi­schen Raum, aber auch schon 1913 Dai Nihon mit sei­nen War­nun­gen gegen Ras­sen-Über­heb­lich­keit und sei­nem Hin­weis auf die Stär­ken des men­schen­rei­chen Süd­os­tens von Asi­en bei sei­ner Ten­denz zum Wie­der­auf­stieg zur Selbstbestimmung.

Ich glau­be auch, daß dem Groß­va­ter des Kai­sers von Japan, Mutsu­hi­to Mei­ji-Ten­no, den ich per­sön­lich kann­te, die immer auf­ein­an­der eifer­süch­ti­gen japa­ni­schen Par­tei­en und Cla­ne nie so weit aus der Hand gekom­men wären wie sei­nem Enkel.

Die ers­ten Aus­ga­ben der Geo­po­li­tik des Pazi­fi­schen Oze­ans beto­nen gera­de des­sen Frei­heit von krie­ge­ri­schen Vor­be­las­tun­gen. Dar­in befand ich mich im Ein­klang mit den ers­ten Her­aus­ge­bern der Paci­fic Affairs, damals noch in Hono­lu­lu, den Begrün­dern der pan­pa­zi­fi­schen Aus­gleichs­be­stre­bun­gen, auch For­schern, wie dem Aus­tra­li­er Grif­fith Tay­lor, der mir Envi­ron­ment and Race zusand­te, das ich ehrend besprach. Ich habe nichts getan, um das Feu­er im Paci­fic zu schü­ren, habe im Gegen­teil bei Buch­be­spre­chun­gen der zeit­wei­lig belieb­ten Zukunftskriegs­romane (Bayswa­ter) vor sol­chem Spiel mit einem gefähr­li­chen Feu­er gewarnt, nur dann die wehr­geo­po­li­ti­schen Tat­sa­chen in lau­fen­den Berich­ten erwäh­nen müssen.

 

  1. Das Buch Mein Kampf habe ich zum ersten­mal gese­hen, als es bereits im ers­ten Band gedruckt war, und sei­ne Bespre­chung abge­lehnt, weil es mit Geo­po­li­tik nichts zu tun habe. Es schien mir damals eine der vie­len eph­eme­ren Agi­ta­ti­ons­er­schei­nun­gen. Selbst­ver­ständ­lich war ich an sei­ner Ent­ste­hung unbe­tei­ligt und glau­be, durch jeden wis­sen­schaft­li­chen Ver­gleich mei­ner Schreib­wei­se mit der jenes Buches vor jedem in der gel­ben Pres­se aus­ge­spro­che­nen Ver­dacht der Mit­wir­kung geschützt zu sein. Hit­ler habe ich nie­mals unter vier Augen, zum letz­ten­mal vor Zeu­gen am 8. Novem­ber 1938 gese­hen und einen Zusam­men­stoß mit ihm gehabt. Von da an war ich in Ungna­de, seit dem Flug von Rudolf Heß im Mai 1941 den Ver­fol­gun­gen der Gesta­po preis­ge­ge­ben, die erst Ende April 1945 mit der Ermor­dung mei­nes ältes­ten Soh­nes wegen Mit­wis­ser­schaft am 20. Juli 1944 und sei­ner Bezie­hun­gen zu den eng­lisch spre­chen­den Völ­kern ende­te. Mei­ne Freund­schaft mit Rudolf Heß stamm­te aus dem Jah­re 1918, ist, wie sei­ne Zuhö­rer­schaft bei mei­nen Vor­le­sun­gen, vier Jah­re älter als die NS-Par­tei­bil­dung. Hit­ler sah ich zum ersten­mal 1922, als einen der vie­len Volks­tri­bu­nen, die damals aus dem über­hitz­ten deut­schen Volks­bo­den und ­sei­nen ver­schie­de­nen Bün­den und Bewe­gun­gen aufsprangen.

Bis 1938 gab ich mich aller­dings ähn­li­chen Irr­tü­mern über Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten zum Guten hin, wie z. B. Hen­der­son und Cham­ber­lain, und hoff­te noch bis Mit­te Okto­ber auf fried­li­che Lösung.

 

  1. Vom Herbst 1938 ab voll­zog sich, an unse­rem Ein­zel­schick­sal von Vater und Sohn mit Gefan­gen­schaft und Tod illus­triert, der Lei­dens­weg der deut­schen Geo­po­li­tik, inner­halb des Lei­dens­we­ges von »poli­ti­cal sci­ence« in Mitteleu­ropa über­haupt, unter dem Druck der Allein­herr­schaft einer Par­tei bis zu Miß­brauch und Miß­ver­ste­hen durch staat­li­che Stellen.

Dabei war die deut­sche Geo­po­li­tik ursprüng­lich, von 1919 bis 1932, auf ganz ähn­li­che Zie­le gerich­tet wie die ame­ri­ka­ni­sche. In dem Pro­gramm ihres ers­ten Auf­tre­tens fand sich die Stel­le, daß sie »das geo­gra­phi­sche Gewis­sen des Staa­tes« sein wol­le. Das hät­te z. B. 1938 gebo­ten, sich dank­bar mit dem in Mün­chen Erreich­ten zu begnü­gen. Als ich das aber am 8. Novem­ber 38 nach der Rück­kehr aus Ita­li­en, end­lich das Staats­ober­haupt errei­chend, durch­zu­set­zen ver­such­te, fiel ich in Ungna­de und sah es nie wie­der. Bis dahin also darf die­ser Trä­ger deut­scher Geo­po­li­tik sich wohl als legi­ti­men Vor­fech­ter auch im Sin­ne der ame­ri­ka­ni­schen betrachten.

 

  1. Das Ziel der deut­schen Geo­po­li­tik war ursprüng­lich, wie das der legi­ti­men ame­ri­ka­ni­schen, gewe­sen, durch gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis der Völ­ker in ihren Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten aus Kul­tur­bo­den und Lebens­raum künf­ti­ge Wir­ren, wie die von 1914 bis 1918, mög­lichst aus­zu­schlie­ßen; für Min­der­hei­ten aber ein Höchst­maß von Gerech­tig­keit und kul­tur­po­li­ti­scher Auto­no­mie zu erlan­gen, wie es etwa in Est­land der Fall war und in Sie­ben­bür­gen zeit­wei­lig erreicht schien.

Das setz­te ein geo­gra­phisch rich­ti­ges Welt­bild, dann Gegen­sei­tig­keit und Ach­tung einer Natio­na­li­tät und Ras­se durch die ande­re und Aner­ken­nung des Men­schen­rech­tes auf »Per­sön­lich­keit« vor­aus: ein Höchst­maß von Dul­dung, Tole­ranz, von dem z. B. mei­ne Vor­le­sun­gen und Übun­gen von 1919 bis 1932 erfüllt waren. Sonst hät­ten mich gewiß nicht die Paneu­ro­pa-Ver­bän­de zu Vor­trä­gen in Prag unter Ein­la­dung des Staats­prä­si­den­ten, in Brünn und Olmütz, in ­Sei­pels Wien ein­ge­la­den, unga­ri­sche und est­ni­sche Kul­tus­mi­nis­ter mei­ne Vor­trä­ge in Buda­pest und Reval besucht, Kul­tur­an­stal­ten in Zei­ten staat­li­cher Span­nung mich nach Rom, in die Schweiz, nach Oxford und Lis­sa­bon gebe­ten, Ange­hö­ri­ge aller Kul­tur­ras­sen, Geo­po­li­tik-Gesell­schaf­ten in Tschung­king, Pro­fes­so­ren der Uni­ver­si­tät Jeru­sa­lem, wie Kohn, mit mir in dau­ern­dem Schrift­wech­sel gestanden.

Eini­ge die­ser kul­tur­po­li­ti­schen Aus­strah­lun­gen der deut­schen Geo­po­li­tik wirk­ten auch nach 1933 noch fort, so die nach Schwe­den und Nor­we­gen, zum Vati­kan, nach Chi­na, Eng­land (wo ich Ehren­mit­glied der Bri­ti­schen Legi­on bin), Frank­reich (Ancel, Deman­ge­on, Mon­tan­don, Hague­nau­er, Socie­té Fran­co-Japo­nai­se de Paris), abge­se­hen von den der deut­schen Poli­tik näher­ste­hen­den Län­dern, wie Ita­li­en, Japan, Ungarn, Rumänien.

 

  1. Das lei­der nur im Ers­ten Band als Hand­schrift gedruck­te Hand­buch mei­nes von der Gesta­po ermor­de­ten Soh­nes über Poli­ti­sche Geo­gra­phie und Geo­po­li­tik könn­te eben­so gut in geis­ti­gen geo­po­li­ti­schen Werk­stät­ten des Aus­lan­des irgend­wel­cher der alli­ier­ten Natio­nen ent­stan­den sein. Es hat im Ent­ste­hen wäh­rend eines Feri­en­auf­ent­hal­tes im Eltern­haus geschrie­ben, gemein­sam durch­dacht, mei­ne vol­le Bil­li­gung gefun­den, – nur hät­te ich es selbst nicht schrei­ben kön­nen, weil mir die metho­do­lo­gi­sche Anla­ge und Schu­lung dafür fehl­te, so brauch­bar ich viel­leicht als Anre­ger gewe­sen sein mag.

 

  1. In Denk­schrif­ten, die als Ant­wor­ten auf Befra­gung im Sta­be Gene­ral Eisen­ho­wers ent­stan­den und den Inter­ro­ga­to­ren vor­la­gen, habe ich im ein­zel­nen aus­ge­führt, daß eine inter­na­tio­nal im leben­digs­ten Gedan­ken­ver­kehr und Per­so­nen­aus­tausch von Pro­fes­so­ren, Leh­rern, Assis­ten­ten und Stu­den­ten auf­ge­bau­te Geo­po­li­tik eines der bes­ten Mit­tel zur Ver­mei­dung künf­ti­ger Welt­ka­ta­stro­phen sein wür­de. Nach dem Sinn ihres Namens könn­te sie das »Sakra­le der Erde«, die Hei­lig­keit des tra­gen­den Bodens der Mensch­heit in der poli­ti­schen Kunst ihrer Füh­rung wie­der zur gebüh­ren­den Ehre brin­gen. Zu die­sem erha­be­nen Ziel such­te die deut­sche Geo­po­li­tik zwi­schen den Erd­be­ben von 1914 bis 1919 und 1938 bis 1945 einen Weg zu bau­en. Lie­fen ihr dabei Feh­ler und Irr­tü­mer unter, so stan­den sie doch unter der Wohl­tat eines Weis­heits­spru­ches in eng­li­scher Spra­che: »All human pro­gress resol­ves its­elf into the buil­ding of new roads.«

 

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)