»Wir Menschen sollten uns an den Gedanken gewöhnen, daß wir keine geheimnisvollen Seelen mehr sind. Wir sind jetzt Tiere, die man hacken kann«, verkündete Yuval Noah Harari im Januar 2020 auf dem alljährlichen Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos, kurz vor Beginn der sogenannten Pandemie.
Um diesen »Gedanken« zu illustrieren, präsentierte er im selben Vortrag seine Weltformel für das 21. Jahrhundert: B × C × D = AHH. »Biologisches Wissen (B) multipliziert mit Computing Power / Rechenleistung © multipliziert mit Daten (D) ergibt die Fähigkeit, Menschen zu hacken (AHH).« »Hacken« bedeutet hier, menschliche Individuen durch technologische Eingriffe in Körper und Gehirn zu überwachen, zu manipulieren, zu steuern oder gar »umzuprogrammieren«.
Der nächste Schritt wäre die »transhumanistische« Optimierung des menschlichen Leibes, die das Ende des Homo sapiens als Spezies einläuten könnte. Der Mensch, so spekuliert Harari, sei im Begriff, zu seinem eigenen Schöpfergott zu mutieren, zum »Homo Deus«, der nach Milliarden Jahren die Evolution eigenmächtig in die Hand nimmt.
Harari ist nicht irgendwer. Der 1976 geborene israelische Historiker ist nicht zuletzt durch die Schützenhilfe von Klaus Schwab und anderer üblicher Verdächtiger wie Bill Gates, Barack Obama oder Mark Zuckerberg zum Bestsellerautor und führenden Modephilosophen unserer Zeit aufgestiegen. Seine von der Verlagswerbung als »Kultbuch« vermarktete Kurze Geschichte der Menschheit (original Sapiens, dt. 2013), die es inzwischen auch als »Graphic Novel« und in einer Kinderbuchfassung gibt, wurde in fünfzig Sprachen übersetzt und hat bislang eine Auflage von zehn Millionen Exemplaren.
Großen Erfolg hatten auch seine anschließenden Bücher: Homo Deus (dt. 2017) und 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert (2018). Der Durchbruch gelang Harari 2015 mit einem Vortrag auf der »Innovationskonferenz« TED (Technology, Entertainment, Design), einem zentralen Event des Silicon-Valley-Milieus. »Seitdem finden sich Hararis Werke weltweit in den Bücherregalen von Studierenden aus den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, wo sie einen fast bibelartigen Status einnehmen«, kommentierte Nils Güttler im Merkur.
Allzu originell ist Hararis publikumsfreundlich aufbereitete Geschichtsphilosophie aus dem Genre der »Big History«-Wälzer freilich nicht. Sie ist eine dem Tech-Zeitalter angepaßte Variante der altbekannten evolutionären Erfolgsgeschichte, in der sich »der Mensch« immer mehr von seinen naturgegebenen Beschränkungen und geistigen Kerkern befreit, um sich zu prometheischen und neuerdings demiurgischen Höhen aufzuschwingen. Der Autor unterscheidet dabei drei »Revolutionen« der »menschlichen Kulturen«: die »kognitive«, die vor etwa 70 000 Jahren begann, die »landwirtschaftliche« vor rund 12 000 Jahren und die »wissenschaftliche«, die »vor knapp 500 Jahren ihren Anfang nahm.« Diese »könnte das Ende der Geschichte und der Beginn von etwas völlig Neuem sein.«
Hararis Weltsicht ist strikt positivistisch, atheistisch und im Kern nihilistisch: Der Homo sapiens ist ein Tier unter Tieren mit zufällig entstandenen kognitiven Eigenschaften, seine Geschichte ist eine »Sinngebung des Sinnlosen« durch Phantasien und Erzählungen, die den Stoff für Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Religion liefern. Sie sind der Schlüssel zum planetaren Erfolg des Menschen, da sie ihm als einzigem Tier den Zusammenschluß unter größeren, kooperierenden Einheiten ermöglichen, sei es unter dem Dach einer Nation, eines Staates, eines Imperiums, einer Religion, einer Konsumentengemeinschaft oder einer Firma.
Auch »Geld« sei eine solche Fiktion, »an die jeder glaubt«. Interessanterweise spart Harari dabei auch die – noch! – vorherrschende Ideologie nicht aus, die er »liberalen Humanismus« nennt und die dem »Kapitalismus« entspricht. Auch sie ist in seinen Augen eine »Religion«, die auf kryptotheologischen Fiktionen beruht, darunter die »Heiligkeit« der »menschlichen Natur« und die »Gleichheit aller Menschen«.
Harari stellt ihr zwei große Konkurrenz-Humanismen an die Seite, die historisch weniger Erfolg hatten: den »sozialistischen Humanismus«, der den Menschen als Kollektiv denkt und dem etwa der Kommunismus entspricht, und den »evolutionären Humanismus«, der die »Züchtung von Übermenschen« anstrebt und die »Degeneration zum Untermenschen« verhindern will, verkörpert beispielhaft im Nationalsozialismus. In der Tat steht Harari der letzteren Strömung näher als den beiden ersteren, stellt er doch seine Menschheitsgeschichte auf eine biologisch-evolutionäre Basis.
Sein eigener Gott ist »die Wissenschaft«, die er als unternehmerische, weltrevolutionierende Macht preist. Deren Aufgabe sei es, Krieg, Gewalt, Hunger und Krankheiten zu bekämpfen. Ihr »wichtigstes Projekt« sei gar »das ewige Leben für den Menschen«. Überraschend ist auch seine relative Aufwertung des europäischen Imperalismus-Kolonialismus, der entscheidend dazu beigetragen habe, die neuzeitliche wissenschaftliche Revolution auf den ganzen Erdball zu exportieren. Folgerichtig beinhaltet seine Großdarstellung ein beiläufiges Plädoyer für ein globales Imperium, das von kosmopolitischen Eliten aus aller Herren Länder geführt werden und weltweiten Frieden garantieren soll.
Auch dieses Imperium sieht Harari als Träger einer permanenten wissenschaftlich-anthropologischen Revolution, in der Biotechnologie, Robotik und künstliche Intelligenz eine überragende Rolle spielen sollen. Die Technik soll auch wieder reparieren, was sie im Laufe der Zeit an planetaren Verheerungen angerichtet hat: Umweltzerstörung, Übervölkerung, Ressourcenabbau, Klimawandel. Es leuchtet ein, warum die Davos-Menschen Harari als ihren repräsentativen Vordenker erkoren haben. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch seine Entzauberung des Liberalismus, der heute von den westlichen Eliten schrittweise ausgehöhlt, umgedeutet und »entsorgt« wird.
An dieser Stelle lohnt es sich, Harari mit einem Denker zu kontrastieren, dessen Geburtstag am 10. Dezember zum 150. Male wiederkehrt: mit Ludwig Klages (1872 – 1956), dem bedeutendsten deutschen Vertreter der »Lebensphilosophie«. Geboren und aufgewachsen in Hannover im kleinbürgerlichen Milieu, nach eigener Mitteilung zutiefst geprägt durch das Erlebnis der norddeutschen Landschaft, war der junge Klages ein leidenschaftlicher Schwärmer, der sich einem romantischen Kult der »Lebensglut« hingab.
Ursprünglich Student der Chemie und Physik, wandte er sich zunehmend von den Naturwissenschaften ab. In München, wo er seit 1893 lebte, bildete sich um ihn und den exzentrischen »Privatgelehrten« und »Seher« Alfred Schuler (1865 – 1923), der sich als buchstäbliche Inkarnation eines Römers der Spätzeit sah, die Runde der »Kosmiker«, die mit dem George-Kreis in Berührung stand und sich teilweise mit ihm überschnitt, ehe es zum Bruch kam.
Angeekelt vom Militarismus des Weltkriegs, übersiedelte Klages 1915 nach Kilchberg in der Schweiz, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1956 lebte. Neben seinem philosophischen Werk machte er sich einen Namen als Begründer der Charakterkunde und Pionier der Graphologie. Obwohl er ein akademischer Außenseiter war, zählte er zwischen den Kriegen zu den einflußreichsten und bekanntesten Philosophen seiner Zeit, trotz des enorm hohen Anspruchs, den seine Werke an den Leser stellten und auch heute noch stellen.
Nach (und teilweise bereits vor) dem Zweiten Weltkrieg wurde er immer wieder zu Unrecht als »Wegbereiter des Nationalsozialismus« einsortiert, hauptsächlich aufgrund seines vermeintlichen »Irrationalismus« und seines scharfen Antijudaismus, der sich jedoch vorwiegend gegen das geistige Prinzip eines als »weltfeindlich« gekennzeichneten Monotheismus richtete und wenig mit der nationalsozialistischen Rassendoktrin gemein hatte. Eine Tatsache, die von dieser Seite durchaus erkannt und betont wurde: Ausdrückliche Zurückweisungen finden sich etwa bei Alfred Rosenberg und Alfred Bäumler.
Klages’ Denken steht dem Hararis antithetisch gegenüber, und doch finden sich zwischen beiden etliche verblüffende Übereinstimmungen. Der eingangs zitierte Satz des israelischen Historikers steht in schärfstem Gegensatz zu allem, was Klages zeitlebens vertreten und begründet hat. Sein in vier Bänden erschienenes, 1500 Seiten dickes Hauptwerk, Der Geist als Widersacher der Seele (1929 – 1931), formuliert schon in seinem Titel den Einspruch gegen das von Harari beschworene »Hacken« von Menschen. Beide Begriffe, »Geist« und »Seele«, haben bei Klages allerdings eine schillernde, zuweilen eher beschwörende als präzise Bedeutung.
Während Harari seine Thesen in griffige, kurzweilige Formeln verpackt, erfordert die Lektüre von Klages ein »Eintauchen« in oft langatmige Ausführungen. Harari meint mit »Seele« vor allem die seiner Meinung nach von Darwin zertrümmerte Vorstellung, der Mensch habe »eine ewige, individuelle Essenz, die das ganze Leben lang unverändert bleibt und sogar den Tod unbeschadet überstehen kann«.
Der Anti-Darwinist Klages lehnt diese aus dem Christentum stammende Idee ebenfalls ab. Sein Begriff der »Seele« wendet sich gegen dualistische Vorstellungen, denen er ein ganzheitliches Konzept der polaren Spannungsverhältnisse entgegenhält. In seiner Schrift Vom kosmogonischen Eros (1921) führt er aus: »Der Kosmos lebt, und alles Leben ist polarisiert nach Seele (Psychae) und Leib (Soma). Wo immer lebendiger Leib, da ist auch Seele; wo immer Seele, da ist auch lebendiger Leib. Die Seele ist der Sinn des Leibes, das Bild des Leibes die Erscheinung der Seele. Was immer erscheint, das hat einen Sinn; und jeder Sinn offenbart sich, indem er erscheint.«
In Klages’ »biozentrischer« Weltsicht ist nicht nur der einzelne Mensch eine leibseelische Einheit, in deren Bild ein bestimmter Charakter erscheint, sondern nicht minder Tiere und Pflanzen, ja sogar Gesteine und Landschaften. »Seele« und »Leben« sind bei Klages annähernd synonyme Begriffe; alles, was lebt, ist auch beseelt, es »hat« aber keine Seele, sondern »ist« gleichsam eine gestaltgewordene Seele – nach dem Novalis-Wort, das Äußere sei »ein in Geheimniszustand erhobenes Innere«. Beim Sonderfall des Menschen habe sich nun in ferner, vorgeschichtlicher Zeit der »Einbruch des Geistes« ereignet. Dieser stehe außerhalb der Polarität des Lebens, sei also kein Gegenpol zur Seele, sondern eben ihr »Widersacher«, eine lebensfremde und lebensfeindliche Macht.
Zu Beginn sei der Geist noch vom Leben abhängig und befähige den Menschen mitunter zu großen Kulturleistungen; nach und nach verselbständige er sich jedoch und kehre das Abhängigkeitsverhältnis um: »Der Geist, aus der Knechtschaft des Lebens befreit, tritt selbstherrlich in die Erscheinung als zerstörerische Tat, und die Tätigkeit des Denkens ist fortan das Werkzeug des Willens zur Macht.« (GWS, S. 753) Mythisch gesprochen stirbt mit dem Einzug des Geistes der Große Pan, die Götter verlassen Wälder, Berge, Haine, Flüsse und Fluren, die nun dem ehrfurchtslosen Raubbau des Menschen preisgegeben sind. Die Folge ist ein unaufhaltbares und schicksalshaftes Desaster, »eine blutige Orgie namens Weltgeschichte«: »Das Wesen des ›geschichtlichen‹ Prozesses der Menschheit (auch ›Fortschritt‹ genannt) ist der siegreich fortschreitende Kampf des Geistes gegen das Leben mit dem (allerdings nur) logisch absehbaren Ende der Vernichtung des letzteren.« (GWS, S. 69)
Klages zeichnet diesen »Einbruch« geradezu wie eine außerirdische Invasion, ähnlich dem schwarzen Monolithen, der in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum einem Rudel von Affenmenschen erscheint und schockartig einen evolutionären Bewußtseinssprung auslöst. Klages’ prototypischer Mensch vor dem Sündenfall der »logistischen Begeistung« ist ein hauptsächlich passiv erlebendes, die »Aura« und den Charakter alles Lebendigen »schauendes« und empfindendes Wesen, das seiner Schau und Empfindung durch Dichtung, Gesang, Fest, Kultus und Mythenbildung Ausdruck verleiht. Dieser von ihm nach den Ur-Bewohnern von Hellas »Pelasger« genannte, dionysische Mensch lebt im Schoß einer mutterrechtlichen Ur-Gesellschaft, wie sie von dem Juristen und Anthropologen Johann Jakob Bachofen postuliert wurde.
Er erlebt die Erde als »große Mutter« und ehrt sie entsprechend. Der Mensch des »Geistes« hingegen ist nicht nur der rechnende, reduktionistische, analysierende, verdinglichende, verwertende, instrumentalisierende, »zersetzende« Rationalist, der frevelhaft den Schleier des Isis-Bildes hebt, er ist auch ganz wesentlich ein Täter, der aktiv dem biblisch-patriarchalischen Imperativ gehorcht: »Füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.«
Die faulen Früchte des »Fortschritts« unter der Herrschaft des Geistes manifestierten sich für Klages vor allem in der Umweltzerstörung, die er 1913 in seiner berühmten Rede »Mensch und Erde«, verfaßt als Grußwort für den Ersten Freideutschen Jugendtag am Hohen Meißner, mit wortgewaltigem Pathos anprangerte. Im Vergleich zu seiner zornentbrannten Anklage voller Ekel und Abscheu lesen sich die apokalyptischen Mahnungen von Greta Thunberg wie halbherzige Piepser.
Abholzung bis Kahlschlag der Wälder, Zersiedlung der Landschaften, Ausrottung der »Tiergeschlechter«, Pflanzenarten und Naturvölker, Zerstörung ursprünglicher Lebenszusammenhänge – all dies sind Manifestationen des »modernen Vernichtungskriegs« des Geistes, der in der Erde und ihren Lebewesen nur mehr ein seelenloses Reservoir sieht, das es zu »nutzen« gilt: »Zerrissen ist der Zusammenhang zwischen Menschenschöpfung und Erde, vernichtet für Jahrhunderte, wenn nicht für immer, das Urlied der Landschaft.«
Für die »zivilisierenden« europäischen Welteroberer hat Klages nur Spott und Verachtung übrig, während seine ganze Sympathie den von ihnen kolonisierten und ausgerotteten Völkern gilt. Es ist für ihn kein Zufall, daß die industrielle Inbesitznahme des Planeten von Europa ausging: »Wenn schon ›Fortschritt‹, ›Zivilisation‹, ›Kapitalismus‹ nur verschiedene Seiten einer einzigen Willensrichtung bedeuten, so mögen wir uns erinnern, daß deren Träger ausschließlich die Völker der Christenheit sind. Nur innerhalb ihrer wurde Erfindung auf Erfindung gehäuft, blühte die ›exakte‹, will sagen die zahlenmäßige Wissenschaft und regte sich rücksichtslos der Erweiterungsdrang, der die außerchristlichen Rassen knechten und die gesamte Natur verwirtschaften will. Im Christentum also müssen die nächsten Ursachen des weltgeschichtlichen ›Fortschritts‹ liegen.«
Diese »christlichen Völker« sind de facto jene, die man heute als »weiß« identifiziert. Der angeblich dem Nationalsozialismus nahestehende Klages, Lobsänger eines matriarchalen goldenen Zeitalters und Ankläger der weißen Rasse, die dem verderblichen, dualistischen Judäo-Christentum erlegen ist, erweist sich in Wahrheit als Vorläufer der zeitgenössischen Linken, die im »weißen Mann« den großen Übeltäter der Geschichte erblickt, vergleichbar Alfred Schulers »Marder Juda«, der »an das Herz des Lebens schlich«.
Die Rede »Mensch und Erde« imponiert heute nicht nur durch ihre sprachliche Wucht, sondern auch durch das Datum ihrer Entstehung. Sie läßt erahnen, an welche Schwundstufen wir Nachgeborenen uns inzwischen schon gewöhnt haben. Auffällig ist allerdings auch, daß ein großer Teil von Klages’ Betrachtungen und Wertungen heute mehr oder weniger »Mainstream« geworden ist. Seinem Beispiel sind im Laufe des vergangenen Jahrhunderts unzählige weitere Warner, Untergangspropheten und »Tiefenökologen« gefolgt.
Ein bohrendes, schlechtes Gewissen lastet heute auf der westlichen Welt, die ihr eigenes Konsumverhalten zunehmend in Frage stellt. Untergangs- und Verknappungsangst, verbunden mit Schuldgefühlen, breiten sich aus und rufen quasireligiöse Reaktionen hervor. Umweltverschmutzung, Ressourcen- und Artenschwund, Massenhaltung von »Nutztieren« und »menschengemachter Klimawandel« sind heute Dauerbrenner im »öffentlichen Diskurs« der Presse, der Politik, der Sinnvermittler, Volkserzieher und Welterklärer, der NGOs und des Kulturbetriebes. Echos von Klages’ Stimme erklingen heute aus dem Mund zweifelhafter globalistischer Führer. Am 6. November 2022 berichtete die österreichische Kronen Zeitung, UNO-General Guterres warne »vor der sicheren Apokalypse, wenn in Ägypten nicht ein historischer Klimaschutzpakt geschlossen wird. Mehr noch: Der UNO-General wähnt die Welt am Abgrund, ruft die Alarmstufe Rot aus und spricht vom drohenden kollektiven Selbstmord der Menschheit!«
An diesem Punkt berühren sich auch Harari und Klages. Hararis Evolutionsepos ist keine naive, einseitige Lobpreisung des genialen Sapiens. Auch er widmet etliche Stellen seines Buches den Folgeschäden der Industriellen Revolution. Besonders bestürzt zeigt er sich vom Leiden der ausgebeuteten Tiere. Eines der wenigen Bilder in seinem Buch zeigt »Küken auf dem Fließband eines industriellen Legebetriebs«: »Männliche sowie mißgebildete Küken werden aussortiert, in Gaskammern erstickt oder einfach auf den Müll geworfen, wo sie zu Tode gequetscht werden.«
Dieselbe Stoßrichtung verfolgte Klages, als er aus einem Zeitungsartikel über die Herstellung von Federschmuck für Damen zitierte, der jährlich Zigtausende Vögel zum Opfer fielen: »Damit die Schwung- oder Flaumfedern ihren Glanz bewahren, darf man nur lebende Vögel rupfen; man macht daher auf die armen Tiere nicht mit der Flinte Jagd, sondern mit dem Netze. Der unmenschliche ›Jäger‹ reißt den gefangenen Vögeln die Federn vom Leibe, und die unschuldigen Opfer der Mode müssen die größten Martern erdulden, ehe sie unter krampfhaften Zuckungen den Tod finden.«
Man kann also Harari nicht vorwerfen, daß er gegenüber der von Klages angeprangerten Problematik blind oder gefühllos wäre, im Gegenteil. Aus Klagesscher Sicht versucht er jedoch, die Krankheit mit demselben Gift zu heilen, das sie hervorgebracht hat. Harari mag vom Schicksal der geschredderten Küken und anderer »Nutztiere« ehrlich betroffen sein, aber er betrachtet sie letzten Endes genauso wie das »Tier Mensch« als Biocomputer, deren genetischen »Code« man entschlüsseln und beliebig umprogrammieren kann und vor allem auch »darf«.
Harari nimmt an, daß der Homo sapiens in naher Zukunft von cyborgischen Mischlebewesen aus Mensch, Maschine und Tier abgelöst werden könnte. Er kennt die Warnungen vor der prometheischen Hybris aus Literatur und Film, hält es jedoch für möglich, daß Dr. Frankenstein, der im Roman von Mary Shelley scheitert, eines Tages doch triumphieren und »mit derselben Arroganz« auf »uns« herabblicken wird »wie wir auf die Neandertaler«.
Ob er dies eher begrüßt oder befürchtet, beläßt Harari in der Schwebe. Im großen und ganzen macht er eher den Eindruck eines zunehmend enthusiastischen Advokaten dieser Entwicklung. Klages wäre darob zweifellos zutiefst entsetzt gewesen. Welcher »Sinn« offenbart sich im genmanipulierten Leib von Kaninchen, die im Dunkeln leuchten? Welcher »Sinn« würde in künftigen humanoiden Chimären aus der Retorte erscheinen, in Androiden, die die menschliche Form, Mimik, Bewegung und Intelligenz imitieren?
Wie Shelley sah auch Klages den kommenden Schrecken im Bilde des künstlichen oder zumindest »entseelten« Menschen. So prophezeite er im Kosmogonischen Eros, daß auf die jetzige »geschichtliche« Menschheit des »herrschenden Geistes« die »nachgeschichtliche Menschheit der nur mehr scheinlebendigen Larve« folgen werde. Er war sich jedoch gewiß, daß die Hybris bestraft werde: »An der Vergeltung des besudelten und geschändeten Lebens wird unausdenklich grauenvoll die Menschheit verenden in eben dem Augenblicke, wo sie den letzten schrankenlosen Triumph der Larve, des Golems feiert.«