Uwe Jochum: Landnahme

Der Germanist und Bibliothekar Uwe Jochum hat einen Essay über das Land als den Ausgangspunkt unseres Seins vorgelegt.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Sei­ne Über­le­gun­gen und The­sen basie­ren auf gründ­li­cher Bibel­lek­tü­re, die er – das legt der Text nahe – als Gläu­bi­ger absol­vier­te. Jochum geht vom »anfäng­li­chen Gar­ten« aus, dem para­die­si­schen, der kei­ne Wild­nis und kei­ne Stadt ist, son­dern eine Art spen­den­der Park, in dem in der Nähe Got­tes gelust­wan­delt wer­den darf und aus dem beschenkt man kei­nen Trop­fen Schwei­ßes zu ver­gie­ßen hat.

Von hier aus läßt Jochum den Men­schen einen Kreis vom Acker in die Stadt, vom Ver­wur­zel­ten über die Gren­ze hin­aus aufs Meer und in die Luft, von der Mau­er ins Vor­land, ins Kul­tur­land und zuletzt durch den Gar­ten Geth­se­ma­ne ins »Land in mir« abschreiten.

Wann ist man behaust? Wie bleibt man es, wenn sich die Din­ge ändern und wenn das Land, auf dem man steht, auch von ande­ren bean­sprucht wird? Jochum ver­han­delt die Fra­ge nach dem Eige­nen und dem Frem­den auf grund­sätz­li­che und ver­mit­teln­de, vor allem aber auf sanf­te Art. Sein Stil erin­nert an den Fried­rich Georg Jün­gers und Carl Schmitts, aber unter­schei­det sich dadurch, daß er kei­ne kal­ten Sät­ze ent­hält oder Merk­sät­ze stanzt; viel­mehr ist alles didak­tisch, durch­aus bestimmt, dabei aber behut­sam und nie her­me­tisch oder elitär.

Der Essay schickt sich ins Unver­meid­li­che des Wan­dels. Ein Bei­spiel: Wo es um die Mau­er geht, um die sichern­de Abgren­zung eines Kul­tur­lan­des von einem weni­ger gedeih­lich ent­wi­ckel­ten Vor­land, schim­mert in einem mil­den Licht his­to­ri­scher Distanz ganz unauf­ge­regt die ewi­ge Mar­mor­klip­pe: Sie wird eines Tages aus der hung­ri­gen Alta Pla­na her­aus von den Scha­ren des Ober­förs­ters über­rannt wer­den, und kein Wall, kein Bau­werk wird sie schüt­zen kön­nen. Denn eine Mau­er muß ja immer erst dann errich­tet wer­den, wenn die eige­ne Macht nicht mehr aus­grei­fen kann, son­dern sich abschot­ten muß. Die Mau­er (jeder Grenz­wall) ist also ein Zei­chen der Schwä­che: Alles Land inner­halb bedarf des Schut­zes, und in die­sem Bild sind bereits die Sze­nen der über­stie­ge­nen und über­rann­ten Grenz­an­la­gen angelegt.

Weh denen, die nicht ein­mal mehr eine Gren­ze schüt­zen oder eine Mau­er errich­ten kön­nen, um sich der Land­nah­me der Frem­den zu erweh­ren? Die sich kei­nen Respekt mehr ver­schaf­fen kön­nen? Ja, durch­aus. Aber die Lek­tü­re der Land­nah­me ist auch an die­sem Punkt nicht schroff oder aus­weg­los oder zor­nig. Jochum wen­det die Land­nah­me auf das »Land in mir« aus und beschreibt die Gren­ze des Ichs, an der das Frem­de gefil­tert, ein­ver­leibt und anver­wan­delt wer­den müs­se, damit es frucht­bar und nicht ver­wäs­sernd oder zer­set­zend wirke.

So auch im Kol­lek­tiv: Gespräch, Aus­tausch, Auf­nah­me und Ableh­nung – je nach­dem. Denn es kön­ne dies doch ein Vor­gang sein, in dem »über das Ob und Wo der Ver­wur­ze­lung mit jenen ver­han­delt wer­den muß, die über den Wur­zel­grund als ange­stamm­ten Besitz verfügen.«

Joch­ums Essay ist ein lehr­rei­ches, klä­ren­des Buch der Zurück­nah­me, der Rück­be­sin­nung auf einen ursprüng­li­chen Gar­ten, den im Ich anzu­le­gen auch dann mög­lich sei, wenn außen die Wüs­te wächst. Das sind defen­si­ve Gedan­ken­gän­ge, und so ist unse­re Lage.

Soll­te nun aber die­se knap­pe Rezen­si­on nach jenem »klei­nen Senf­korn Hoff­nung« klin­gen, das jedem Kirch­gän­ger bis zum Erbre­chen ange­bo­ten wird, müß­ten die Wor­te noch ein­mal anders gesetzt wer­den: Wir kön­nen das gro­ße Welt­thea­ter nur schau­en, wenn wir uns über die nie enden­de Dyna­mik und die Dra­ma­tik von Land­nah­me, Kul­tur­land, Grenz­bau, Ver­wur­ze­lung, Ver­drän­gung, Raub und Wan­de­rung nichts vor­ma­chen und unse­re Rol­le dar­in ver­ste­hen. Joch­ums Buch rät und hilft uns, die eige­ne Lage zu bestim­men und die Rol­le anzunehmen.

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Uwe Jochum: Land­nah­me. Ein Essai, Wien: Karo­lin­ger 2022. 125 S., 19,90 €

 

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