H. G. Rexroth: Der Wermutstrauch

von Günter Scholdt --

Zu den langlebigen germanistischen Vorurteilen gehört die banausische Geringschätzung der zwischen 1933 und 1945 entstandenen Belletristik.

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Dar­aus resul­tie­ren­de For­schungs- und Edi­ti­ons­de­fi­zi­te wer­den zuwei­len (meist jen­seits grö­ße­rer Auf­merk­sam­keit) durch enga­gier­te Außen­sei­ter kom­pen­siert. Zu ihnen zählt neu­er­dings die Edi­ti­on Fins­ter­berg, der wir die (von ­Mar­cus Som­mer reiz­voll gestal­te­te) Neu­auf­la­ge von ­Her­mann Georg Rex­roths Der Wer­mutstrauch ver­dan­ken, ver­se­hen mit zwei Nach­wor­ten zur mili­tär­ge­schicht­li­chen (Chris­ti­an von Osten­heim) und lite­ra­tur­bio­gra­phi­schen Ein­ord­nung (Marc Pommerening).

Ihr Ver­dienst ist groß, weil die­se mit dem Copy­right 1944 ver­se­he­nen, im März 1945 gedruck­ten Auf­zeich­nun­gen aus dem Ruß­land­feld­zug zu Unrecht prak­tisch völ­lig ver­ges­sen waren. Des­glei­chen ihr Autor, der 1907 in Frank­furt am Main gebo­ren wur­de und 1944 in Ita­li­en gefal­len ist. Die Hoch­schät­zung eines Kriegs­buchs, ver­faßt im Dienst einer Pro­pa­gan­da­kom­pa­nie, mag erstau­nen. Doch von Auf­trags­schrei­be­rei aus Freund-Feind-War­te gegen »Unter­men­schen« fin­det sich nichts. Und kei­ne Zei­le bestä­tigt den Ver­dacht, es wer­de Pro­pa­gan­da statt Lite­ra­tur geboten.

Wer sich als heu­ti­ger Mora­list dar­an stört, daß Par­ti­sa­nen, die in tar­nen­dem Zivil Deut­sche beschos­sen, unkor­rek­ter­wei­se »Ban­di­ten« genannt wer­den, möge beden­ken, daß dies im Kern wohl dem Emp­fin­den von Sol­da­ten aller Zei­ten ent­spricht. Und Regime­kom­pa­ti­bles liegt höchs­tens dar­in, daß Rex­roth einen Zeit­raum schil­dert, in dem letzt­mals noch Zuver­sicht begrün­den­de, grö­ße­re deut­sche Sie­ge erfoch­ten wur­den – wäh­rend der Som­mer­of­fen­si­ve 1942 der Hee­res­grup­pe Süd mit dem Höhe­punkt der Erobe­rung Ros­tows. Das bot Gele­gen­heit, auch von Tap­fer­keit respek­ti­ve Angst­un­ter­drü­ckung bei tod­brin­gen­den Kämp­fen zu reden, neben Beob­ach­tun­gen mecha­ni­sier­ter Käl­te und einer zuneh­men­den Nei­gung zu empa­thie­lo­ser Fremdheit.

Rex­roth wahrt die all­ge­mein­mensch­li­che Per­spek­ti­ve. Das gilt für deut­sche Angrei­fer und Sowjet­sol­da­ten in ihrem erbit­ter­ten Wider­stand eben­so wie für Gefan­ge­nen­ko­lon­nen ver­schie­de­ner Völ­ker­schaf­ten oder im Kriegs­ge­biet ver­blie­be­ne Frau­en. Bit­te­re Gerü­che des Wermut­strauchs als Leit­mo­tiv sym­bo­li­sie­ren das epo­cha­le Leid in einem heu­te aber­mals umkämpf­ten Gebiet, das man bezeich­nen­der­wei­se »Blut­land« genannt hat. Hoff­nung ent­springt allen­falls aus dem Mot­to des Buches nach Lao­tse: »Jen­seits des Nenn­ba­ren liegt der Anfang der Welt.«

In sei­ner ten­denz­lo­sen Genau­ig­keit erfaßt der Text Wesent­li­che­res als das, was sich in lite­ra­tur­päd­ago­gi­scher Nütz­lich­keit erschöpft oder man peni­bel als Kriegs- bzw. (ein­zig mora­lisch gebil­lig­te) Anti­kriegs­li­te­ra­tur scha­blo­ni­siert. Die im Wech­sel von Ein­zel- und Kol­lek­tiv­bio­gra­phi­schem geschil­der­te Fül­le einer gigan­ti­schen gegen­läu­fi­gen Völ­ker­wan­de­rung aus Angriffs­ar­mee und end­lo­sen Flücht­lings­zü­gen läßt sich hier nur in Stich­wor­ten andeu­ten: Staub, Schweiß, mate­ri­el­le und see­li­sche Stahl­pan­ze­rung, Hit­ze, Rui­nen, Ver­wüs­tun­gen und Brän­de, Stick­luft, ent­zün­de­te Augen und quä­len­der Durst, blei­er­ne Müdig­keit, Kada­ver und Ver­we­sungs­ge­stank, bar­ba­ri­sche Häu­ser­kämp­fe, rei­bungs­lo­se Orga­ni­sa­ti­on neben Cha­os mit klei­ne­ren Insubordinationen.

In Kampf­pau­sen zei­gen sich tan­zen­de Frau­en, gemus­tert per unaus­ge­spro­che­ner, unaus­ge­leb­ter Ero­tik. Getö­te­te, ver­wun­de­te oder ver­stör­te Tie­re ergän­zen das Pan­ora­ma: ein ver­ängs­tigt-anleh­nungs­be­dürf­ti­ger Hund, ein ver­stüm­mel­tes Pferd oder eine ner­vö­se Her­de ange­sichts der Feld­schlach­te­rei. Gro­tes­ken spie­len sich ab wie die (teils lebens­ge­fähr­li­che) Plün­de­rung eines Mehl­de­pots durch hun­gern­de Zivi­lis­ten. Und in der absur­den Schluß­sze­ne sol­len aus­ge­rech­net die in eine Mas­sen­ver­nich­tung ver­strick­ten Erobe­rer einen »zivi­len« Mord­fall unter Ein­hei­mi­schen schlichten.

Pom­me­re­nings Wür­di­gung des Autors trägt den Titel: »Ein Träu­mer an der Ost­front«. Dies ver­weist auf Rex­roths frü­he Affi­ni­tät zu Roman­tik und Traum, die auch in die­sen Auf­zeich­nun­gen nicht völ­lig aus­ge­spart bleibt. Man mag Träu­me­ri­sches zudem in der weh­mü­ti­gen Suche nach ver­bor­ge­nem Sinn erken­nen oder in der Art, wie ein Magi­scher Rea­list Natur und Land­schaft als Teil der Hand­lung deu­tet. Doch vor allem zeigt die­ser Text einen hell­wa­chen, im bes­ten Sin­ne neu­gie­ri­gen Schrift­stel­ler, der, statt Urtei­le zu fäl­len, unab­läs­sig beobachtet.

Prä­zi­si­ons­be­dürf­tig ist Pom­me­re­nings Elo­ge auf Prof. Horst Denk­ler und sei­nen angeb­lich sin­gu­lä­ren For­scher­blick, dem auch Der Wer­mutstrauch nicht ent­ging. Frag­los gehört die­ser Ger­ma­nist zu den Aus­nah­men sei­ner Zunft. Er hat Dut­zen­de nicht­ka­no­ni­sier­ter Tex­te tat­säch­lich gele­sen und ihrer gänz­li­chen Aus­gren­zung wider­ra­ten. An einer Pio­nier­rol­le als Wie­der­ent­de­cker eines ver­sun­ke­nen Lite­ra­tur­kon­ti­nents bzw. des­sen effek­ti­ver Reha­bi­li­ta­ti­on hin­der­ten ihn aber letzt­lich doch zeit­ge­mä­ße Vor­be­hal­te, kon­kret: Wer­tungs­kri­te­ri­en, die sich an schwer erfüll­ba­ren Sub­ver­si­ons- oder kei­nes­wegs norm­ge­ben­den Moder­ni­täts­stan­dards der 1920er orientierten.

Zudem ist Der Wer­mutstrauch nicht des­halb bedeu­tend, weil Rex­roth bestimm­te, um 1920 modi­sche Tech­ni­ken ver­wand­te, son­dern weil hier ein wah­res Dich­ter­au­ge ein mons­trö­ses Gesche­hen fixier­te. Weil einer schrieb, der kei­ne Welt­an­schau­ung bestä­ti­gen, son­dern unab­läs­sig sehen, wis­sen und tie­fer begrei­fen woll­te. Und weil er die Kraft hat­te, es in gül­ti­ge Wor­te zu fassen.

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H.G. Rex­roth: Der Wer­mutstrauch. Auf­zeich­nun­gen aus dem Krie­ge, Süd­harz: Edi­ti­on ­Fins­ter­berg 2022. 242 S., 24,50 €

 

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