Man müsse unserem Treiben den Riegel vorschieben. Dennoch sitzen wir heute wieder hinter unseren Schreibtischen und treiben, was doch verhindert werden sollte. Auch zog ich samt Kositza unbehelligt für drei Stunden über die Leipziger Buchmesse, und Du warst auf einer Jubiläumsveranstaltung des Landesamtes für Verfassungsschutz in Brandenburg. Ist „absurd“ der richtige Begriff?
LEHNERT: Zumindest klafft eine große Lücke zwischen dem, was über uns behauptet wird und wie man sich uns gegenüber verhält. Selbst wenn wir laut Nancy Faeser zwar nur „geistige Brandstifter“ sind, klingt das doch irgendwie nach Bürgerkriegspartei, vor der man sich in acht nehmen muß.
Aber bei der VS-Veranstaltung in Potsdam konnte ich ungehindert mit meiner Aktentasche (!) an Ministerpräsident Woidke vorbeigehen, und der Verfassungsschutzchef begrüßte mich persönlich. Er weigerte sich lediglich, mir die Hand zu geben.
In den Jubiläumsreden wurde der Rechtsextremismus als das größte Sicherheitsproblem der Gegenwart beschworen, und die BRD-Gesichter nickten andächtig dabei, aber all das machte doch eher den Eindruck eines leeren Rituals. So wie in der evangelischen Kirche: Alle reden von Jesus, aber an seine weltumstürzende Kraft glaubt keiner mehr.
Aber beim Verfassungsschutz geht es ja um Politik. Also: Ist das Arroganz der Macht, die sich ihrer Sache sicher ist? Oder bauen die ganz bewußt einen Strohmann auf, weil sie die eigentlichen Probleme nicht in den Griff bekommen?
KUBITSCHEK: Unsere Namen und die Namen unserer Projekte sind zu Chiffren geworden, zu Markierungswörtern, die eine zugleich komplexe und glasklare Bedeutung transportieren sollen: Wir seien gemeingefährlich verästelt und eindeutig rechtsextremistisch.
Sinn der Übung ist zum einen Feindmarkierung: Jede Ideologie braucht Feinde, wir boten uns an, nun läuft die Sache ab wie am Schnürchen. Trotz maximaler Transparenz – ein Verlag, eine Zeitschrift und eine Bildungseinrichtung sind per se transparent, sie leben von Öffentlichkeit – muß der Staat aber das Hintertriebene und das Insgeheime unserer Arbeit miterzählen: Unsere Brandgefährlichkeit liege in dem, was wir nicht äußern, sondern über Codes und verdeckte Netzwerke vorbereiten für den Tag X.
Wir haben es also mit beidem zu tun: mit simplen, wiederholbaren Feinderzählungen und mit Arroganz. Unsere Gegner haben den Staat unter sich aufgeteilt, sitzen wie Maden im Speck und müssen sich nicht mehr anstrengen. Sie dürfen einfach, also machen sie. Das muß uns klar sein. Und vielleicht wird daraus verständlich, warum wir nun entschieden haben, den juristischen Kampf nicht mehr fortzusetzen.
LEHNERT: Der Grund, warum das manche für eine Schutzbehauptung halten, mit der wir nur unsere mangelnde Ernsthaftigkeit verschleiern wollen, liegt in der Janusköpfigkeit des Systems. Es bietet ja bis zu einem gewissen Grad Partizipationsmöglichkeiten an der Beutegemeinschaft, die nur denen verwehrt wird, die an der Rechtmäßigkeit dieser Gemeinschaft zweifeln. Daher auch die Stigmatisierung von sogenannter Systemkritik.
Dagegen hat sich die Bundesrepublik in den letzten zwanzig Jahren immer stärker immunisiert. Denken wir an die erfolgreichen Prozesse von „Junge Freiheit“ und „Republikanern“ zurück, fällt sofort auf, daß das Arsenal der Verfassungsschutzbehörden seitdem beträchtlich erweitert wurde.
Davon, daß das Vertreten eines „ethnischen Volksbegriff“ einen Verstoß gegen die Menschenwürde impliziere, war damals noch nicht die Rede. Jeder weiß, daß der Zusammenhang zwischen Abstammung und Volkszugehörigkeit existiert, weil sonst die Basken in Spanien und Frankreich, die Sorben bei uns und die Deutschen außerhalb der Bundesrepublik keine Minderheitenrechte hätten, bis hin zum Status der Autonomie.
Gegen eine so offensichtliche Perfidie kann man sich in einem Parteienstaat, der sowohl die Verfassungsschutzämter als auch die obersten Gerichte nach Proporz besetzt, schlecht juristisch wehren. Die IB hat es versucht und ist gescheitert.
KUBITSCHEK: Es gibt Stimmen, die uns einen zu lässigen Umgang mit dieser Sache vorwerfen und vom Wähler und noch nicht Überzeugten sprechen, für den diese Einstufung furchtbar klinge. Solcher Leute wegen solle, müsse man kämpfen und klagen und Argumente zusammentragen. Korrigiere mich, wenn ich mich irre: Aber das alles haben wir doch längst und oft getan – und würden es wieder tun, wenn der Spiegel zum Interview bäte oder der Staatsfunk zur Talkshow.
LEHNERT: Mit dem Etikett „Rechtsextremist“ gibt es auch keine sympathische Homestory mehr, das ist ja Sinn der Sache. Die Auseinandersetzung um das Konstrukt „Rechtsextremismus“ ist außerdem intellektuell wenig reizvoll. Das ist alles tatsächlich schon zu oft besprochen worden, als daß man hoffen könnte, mit neuen Argumenten irgendetwas zu bewirken.
Bei der juristischen Auseinandersetzung ist das nicht anders. Die Akteneinsicht, die wir im Rahmen unseres Eilverfahrens in Magdeburg nehmen durften, vermittelte uns ein jämmerliches Bild von der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes: Das Material, das er zusammengetragen hat, besteht zu 100 Prozent aus zusammenkopierten Sezession-Artikeln und Veröffentlichungen des Instituts. Die Schlußfolgerungen, die das Amt daraus gezogen hat, wurden vom Gericht in Gänze geteilt.
Und natürlich gibt es nun Stimmen, die sagen, wir sollten nun juristisch weitermachen, die Gerichte seien neutral und dies alles sei nur ein Mißverständnis. Die absurden Vorwürfe, bei uns ließen sich „Verstöße gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip“ feststellen, legen solche Tips nahe. Denn wie hätten wir dagegen verstoßen können? Bei der Vorstandswahl schummeln?
Aber ich bin es leid. Das ganze Verfahren würde in zehn Jahren in Karlsruhe enden, und wie dort geurteilt wird, haben Klagen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen sehr deutlich gemacht.
KUBITSCHEK: Du hast unser Verfahren betrieben und begleitet, bist also tiefer im Stoff als ich. Meine Ablehnung ist pauschal: Ich möchte mir weder von politischen Beamten Meinungsdelikte vorhalten lassen noch vor Richtern umständlich und in juristischem Jargon erklären müssen, was ich denke und mache.
Auch verstehe ich den rechtspositivistischen Optimismus nicht, der in Briefen an uns formuliert wird: als gebe es ein von der Macht ganz unabhängiges Recht! Das ist Naivität auf dem selben Niveau wie der Glaube an herrschaftsfreie Diskurse. Und überhaupt: Welche Argumente soll man gegen die neue Kategorie der „Delegitimierer“ anführen? Und wie sollte man Haldenwangs sanften Umgang mit den Klimaklebern für einen ebenso sanften Umgang mit den noch sehr viel weniger störenden Identitären reklamieren?
LEHNERT: Das Problem besteht darin, daß viele unserer politischen Gegner diesen Unsinn wirklich glauben oder zumindest erfolgreich diesen Eindruck vermitteln. Das wurde jedenfalls bei der eingangs erwähnten Feier zum 30jährigen Geburtstag des Verfassungsschutzes in Brandenburg deutlich. Der Innenminister behauptete, daß es in den 1990er Jahren noch keine „Delegitimierer“ gegeben habe. Er versteht darunter Leute, die „demokratisch gewählte Repräsentanten des Staates verächtlich“ machen oder „staatlichen Institutionen und ihren Vertretern die Legitimität“ absprechen.
Beide „Vergehen“ fallen in den sogenannten Phänomenbereich „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Das hat es natürlich immer gegeben, mit dem feinen Unterschied, daß es damals nicht als „extremistisch“, sondern als Teil des demokratischen Meinungspluralismus angesehen wurde.
KUBITSCHEK: Wollen wir zusammenfassen? Erstens: Gegen bald rund 30 Prozent Wählerstimmen in den Ostländern und stabilen 16 Prozent bundesweit für die AfD gibt es wohl keine inhaltlichen und politischen Argumente mehr. Der Staat zieht also seine Samthandschuhe aus – und viele, viele machen mit.
Zweitens: Gestern strolchte wieder ein Journalist durchs Dorf. Ich bat ihn kurz in die Bibliothek, um ihm klarzumachen, daß wir nur noch mit freien Journalisten redeten. In diesen knappen fünf Minuten bewies er durch seine Äußerungen, daß er keinen blassen Schimmer von unserer Arbeit, nicht gelesen und nur schlampig recherchiert hat. Er mußte abziehen, suchte im Dorf noch nach Aussagen und Unmut und wird nun für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung etwas zusammenpinseln. Gegen dieses Gefälle sind unsere Bremsen machtlos. Man muß die Karre rollen lassen.
Drittens: Es gibt so viel zu tun und zu bedenken. Darauf sollten wir uns konzentrieren.
brueckenbauer
Ja, die Juristen sind in hohem Maße verführbar. Und ihre Orientierung an guten Traditionen und Autoritäten (die freiheitlichen Standpunkte früherer Bundesverfassungsrichter) hält nicht stand, wenn sie das Gefühl haben, einer neuen Zeit, einem Fortschritt dienen zu müssen. Das alles hat Bernd Rüthers in "Die unbegrenzte Auslegung" für die Juristen im Dritten Reich beschrieben.
Ein kleiner Vorbehalt: Irgendwann wird ein anderer Rüthers ein Buch über den Verfall der Justiz in der Bundesrepublik schreiben. Und wird dafür Belege brauchen. Diese Belege muss man ihm schaffen. Wenn man keine unnötigen Rechtsstreite führen will, muss man zumindest die vorhandenen so gründlich dokumentieren, dass das Versagen der Juristen für die Nachwelt kenntlich wird.