63 Millionen der Deutschen nutzen es. De facto nutzen alle es, bereits die Zehnjährigen, sogar darunter. Ausnahme: die (zahlreichen) Hochgreisen. Die Siebzigjährigen tun noch mit, 68% der 70plus-jährigen verfügen über ein solches Zaubergerät.
Ich nicht – weil ich alles daran hasse. Black boxes sind mir ohnehin ein Greuel. Ich versuche zu begreifen, was ich täglich nutze. Logisch scheitere ich dauernd. Meine jüngste Tochter hat unter Anleitung immerhin einen eigenen Rechner gebaut und kann ein bißchen programmieren – da bin ich längst ausgestiegen.
Oft – ja, es ist nicht schön – überwiegt natürlich der Nutzen. Ich kann beim besten Willen nicht ohne Licht und ohne Rechner. Aber ich kann ohne Smartphone!
Der orwelleske Charme der Nutzung eines Smartphones ist kaum überbietbar. Hätte unser Verlag bereits 1990 existiert, und ein Autor hätte ein SciFi-Manuskript eingereicht, in dem alle Erwachsenen freiwillig ein (im Zweifel) jederzeit ortbares Gerät bei sich tragen, hätten wir von dystopischer Übertreibung gesprochen.
Aber dann wären uns Eumeswil und Heliopolis in den Sinn gekommen, der “Phonophor” also, mit dem Ernst Jünger hellsichtig zugleich Funktion und Statussymbol vorwegnahm, und wir hätten den Roman gedruckt, denn dies alles könnte es einmal geben …
Smartphonenutzung ist ästhetisch ein Unding: Meine Kinder können 1a nachmachen, wie Leute mit 60 plus ihr Gerätchen bedienen. Auf Armlänge gehalten (klassische Altersweitsichtigkeit), die Finger tapsen viel weniger flott als bei den Digital natives: „Aber wart ´mal, das ist es… oder das… nee schau mal hier… ach, ist das nicht stark, guck mal, hier der Film, hoppla, jetzt springt das Bild um…“
Alte und ihr Gerät, ein Thema für sich. Es ist nicht schön. Es ist nicht mal dann niedlich, wenn man mit diesen Alten verwandt ist. Alles wird gespeichert. Der letzte “Call“ ebenso wie die letzten Boomerwitzchen. Alles kann erneut abgespielt werden und wird es im Zweifel auch.
Weil ich die Alten ja mag, schau ich mir´s natürlich dennoch an. Wie eine Katze zwei Purzelbäume macht. Wie Angela Merkel ein Satz vom GröFaZ untergeschoben wird. Wie ein Klimakleber heulen muß. Oder so Sachen, wo man gaaanz weit nach unten scrollen muß, um dann die Pointe, verziert mit „lach-mich-kaputt“-Smileys, präsentiert zu bekommen.
Schon klar: Sie, junger Herr, nutzen Ihr Smartphone nicht für solchen Quatsch. Nur – in Ihrer Stellung können Sie einfach nicht ohne! „Es wird einfach erwartet“, ich weiß. Erwartungen sollte man ja auch erfüllen! Wo kämen wir hin, wenn man sich sperrte!
Und Sie, verehrte Dame, sehen ihr Dinglein auch nur ganz pragmatisch. Nein, kein Rumgedaddel, nie! Nur rein informativ. Eigentlich nur „zur Not“. Logisch! (Not ist fast immer.)
Junge Leute und ein gesenkter Blick: ein Signum dieser Zeit. Ob in der U‑Bahn, im Wartezimmer oder auf der Familienfeier. Es ist kein Zufall. Das Dingelchen wirkt einfach magnetisch.
Ich hingegen hoffe, funklos durchhalten zu können. Warum? Ich habe „null Bock“ auf irgendein ausgelagertes elektronisches Teil, das irgendwie mit meiner Identität verknüpft wäre. Ich mag mich an gar keine Leine legen und “ortbar” werden. Ob´s funktioniert? Bisher schon.
Ja, es wird schwieriger. Und zugegeben bin ich dann doch immer wieder auf die Hilfe derer angewiesen, die das Ding eben nutzen. Ich betreibe seit 21 Jahren ausschließlich Onlinebanking und war seither nie (!) physisch in einer Bankfiliale. Ohne Smartphone läuft das seit einiger Zeit nichts mehr. Gut, daß ich eine Freundin habe, die meine PINs freigibt.
Das 49-Euro-Ticket soll es auch ab 2024 nur mehr auf dem Smartphone geben. Gut, daß ich nicht auf so ein Ticket angewiesen bin. Aber ich merke, daß es enger wird. Ich schwöre: Ich kann sehr stur sein.
Als DB-Vielfahrerin (stets mit etlichen Kindern) hatte ich handylos schon früh das Nachsehen. Das (zuvor von mir vielfrequentierte) ICE-Bordtelephon wurde bereits irgendwann in den Nullerjahren abgeschafft. Ich bin mir sicher, daß ich seine letzte Nutzerin war.
Als ich noch zahlreiche kleine Kinder hatte, ließen mich Bahnmitarbeiter meine Verspätungen an die Verwandtschaft telephonieren. Nie ein Problem! Nervig: ja. Aber nicht nerviger, als sich stets um ein Aufladen, ein Mitführen, das Kabelproblem, das Schwächerwerden des Akkus zu kümmern.
Mittlerweile spreche ich in solchen Fällen (notorische Bahnverspätung, häufig) Mitreisende an: Ob sie mich “gegen Bezahlung” mal bitte einen kurzen Anruf tätigen ließen? Bezahlung ist selten fällig, ein „Nein“ höre ich fast nie. Zweimal, das war besonders schön, wurde ich als „die Frau Kositza, gerne!“ identifiziert, wow!
Ist das nicht erniedrigend und Bettelei: wildfremde Leute um einen Anruf zu bitten? Kann man meinen, ich – mit Neigung zur „Volksgemeinschaft“ – habe ein anderes Empfinden. Die Leute sind meist froh, mir einen Gefallen getan zu haben.
Neulich war ich ein paar Tage „international“ unterwegs. Daß die Telecom öffentliche Fernsprecher nun demontiert, war mir bewußt. Daß es am Flughafen BER schlicht keinen einzigen mehr gäbe, hingegen nicht. Auch an meinem Zielpunkt London Gatwick gab es keinen solchen mehr.
Was soll ich sagen? Es war großartig. Meine Leute wissen, daß ich smartphonefrei bin. Insofern gab es keinen Rechtfertigungsdrang für meine Nichterreichbarkeit. Einfach paar Tage pure Stille: wie schön! Keine Nachrichten, kein Twitter, keine privaten Kurzaufreger. Einfach Ruhe.
Es ist so einfach. Wäre ich Influencer, würde ich eine Initiative #smartphonefrei gründen. Aber ich habe ja kein Smartphone, um zu influencen. Insofern vom Harddesk aus: „Früher hingen Telefone am Kabel, und die Menschen waren frei.”
MARCEL
Das eigentlich Perfide ist nicht so sehr, dass es solche Instrumente überhaupt gibt, sondern dass sie denjenigen, die solches (aus den verschiedensten Gründen) ablehnen, zukünftig kaum noch eine Alternative lassen.
Das Ineinandergreifen von Utensil und Spielzeug, von Arbeit und Unterhaltung begründet die unentrinnbare Faszination sowie den kinderleichten Mißbrauch durch Machthaber. So einfach war es noch nie!
Je smarter, desto enger
Je vielfältiger, desto eintöniger (und zwar weltweit )
Überall im Nirgendwo