9. Mai? Ein Gespräch mit Tino Chrupalla

Tino Chrupalla, Bundes- und Fraktionsvorsitzender der AfD, besuchte am 9. Mai eine Gedenkfeier in der Russischen Botschaft in Berlin.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Seit­her hält man in der hef­tig geführ­ten Debat­te um die Fra­ge, ob er zum rich­ti­gen Zeit­punkt am rich­ti­gen Ort war, zwei Ebe­nen nicht getrennt: den Ver­such, gegen alle west­li­chen Bemü­hun­gen zu Ruß­land ein für bei­de Sei­ten sinn­vol­les und frucht­ba­res Ver­hält­nis auf­zu­bau­en, und die Fra­ge, ob der 9. Mai, der Tag der bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­ti­on Deutsch­lands vor den sowje­ti­schen Sie­gern, ein geeig­ne­ter Tag für Gesprä­che mit Ruß­land sei.

Erik Leh­nert und ich haben mit Chrup­al­la ein schrift­li­ches Inter­view geführt, um eine Klä­rung herbeizuführen.

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SEZESSION: Herr Chrup­al­la, die Ber­li­ner Zei­tung berich­tet über einen Emp­fang beim Rus­si­schen Bot­schaf­ter anläß­lich des Sie­ges der Sowjet­uni­on über Deutsch­land im Zwei­ten Welt­krieg. Sie und der Ehren­vor­sit­zen­de der AfD, Alex­an­der Gau­land, haben dar­an teil­ge­nom­men. Wie kam die Ein­la­dung zustan­de und war­um sind Sie hingegangen?

CHRUPALLA: Alle Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den wer­den seit Jah­ren zum Emp­fang anläß­lich des Kriegs­en­des in die Rus­si­sche Bot­schaft ein­ge­la­den. Und bis vor kur­zem nah­men deut­sche Poli­ti­ker selbst­ver­ständ­lich dar­an teil. Erst seit dem Ukrai­ne-Krieg wird der Emp­fang skan­da­li­siert. Dabei bie­tet er einen guten Anlaß zu Dia­log und Völ­ker­ver­stän­di­gung. Die­sen Dia­log soll­te man in Kriegs­zei­ten nicht abrei­ßen las­sen. Die Ver­stän­di­gung und Aus­söh­nung muß gera­de an sol­chen wich­ti­gen Tagen der Geschich­te stattfinden.

SEZESSION: In dem Bericht heißt es: “Chrup­al­la über­reich­te Bot­schaf­ter Net­scha­jew ein Geschenk als Aus­druck der Dank­bar­keit für die Befrei­ung von der Nazi­herr­schaft.” Sind das Ihre Wor­te? Was haben Sie mit dem Bot­schaf­ter besprochen?

CHRUPALLA: Nein, das waren nicht mei­ne Wor­te. Und ich wun­de­re mich dar­über, daß eini­ge die­ser Pres­se­mel­dung der Ber­li­ner Zei­tung auf den Leim gegan­gen sind.

Ich spre­che mit dem Bot­schaf­ter über die Not­wen­dig­keit, die Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und Ruß­land wie­der zu nor­ma­li­sie­ren. Das wäre im Inter­es­se der Rus­sen und Deut­schen. Bei­den Län­dern ging es gut, wenn die Bezie­hun­gen zwi­schen ihnen gut waren.

SEZESSION: Was haben Sie dem Bot­schaf­ter geschenkt?

CHRUPALLA: Eine Tas­se mit dem preu­ßi­schen Adler. Unter Bis­marck und vor Bis­marck waren gute Bezie­hun­gen zu Ruß­land die Grund­la­ge für poli­ti­sche Sta­bi­li­tät in Deutsch­land. Damals war Ruß­land Garant für eine kon­ser­va­ti­ve Ord­nung. Je schlech­ter die Bezie­hun­gen wur­den, des­to schlech­ter stand es um Euro­pa. An die­se guten Bezie­hun­gen müs­sen wir anknüpfen.

SEZESSION: Aber Sowjet­ruß­land hielt über Jahr­zehn­te einen gro­ßen Teil Deutsch­lands besetzt.

CHRUPALLA: Das ist rich­tig. Zur Wahr­heit gehört aber auch: Die rus­si­schen Trup­pen haben Deutsch­land 1994 ver­las­sen. Gute Wirt­schafts­be­zie­hun­gen auf Augen­hö­he wur­den auf­ge­baut. Die Ame­ri­ka­ner sind geblie­ben und hal­ten unser Land in wirt­schaft­li­cher Abhän­gig­keit – zum Scha­den der Bürger.

Mein Ein­druck als Ost­deut­scher und ehe­ma­li­ger DDR-Bür­ger ist: Die rus­si­sche Erzäh­lung vom Gro­ßen Vater­län­di­schen Krieg soll­te vor allem den eige­nen Patrio­tis­mus fes­ti­gen und die Völ­ker der Sowjet­uni­on an Mos­kau bin­den. Es ging nicht so sehr dar­um, den Patrio­tis­mus der Deut­schen auf­zu­lö­sen oder uns eine untilg­ba­re Schuld auf­zu­bür­den. Das ist auch heu­te so. Nichts­des­to­trotz habe ich immer die deut­sche Sicht­wei­se gel­tend gemacht. Prä­gend sind für mich die Erzäh­lun­gen mei­ner schle­si­schen Fami­lie, mei­nes Vaters und mei­ner Großeltern.

SEZESSION: Als Bun­des­kanz­ler Schrö­der zum ers­ten Mal an den Sie­ges­fei­er­lich­kei­ten der Alli­ier­ten in der Nor­man­die teil­nahm, gab es von kon­ser­va­ti­ver Sei­te schar­fe Kri­tik. Fin­den Sie es nicht pro­ble­ma­tisch, am Tag der größ­ten Nie­der­la­ge Deutsch­lands mit den Sie­gern zu feiern?

CHRUPALLA: Damals warf man Ger­hard Schrö­der zu Recht vor, daß er kei­nen deut­schen Sol­da­ten­fried­hof besucht habe. Bei mei­nen Rei­sen nach Mos­kau habe ich 2020 und 2021 an deut­schen Kriegs­grä­ber­stät­ten einen Kranz nie­der­ge­legt. Das ist für mich selbst­ver­ständ­lich. Die Welt­krie­ge waren für Deutsch­land und Euro­pa eine Kata­stro­phe, weil sie den Kon­ti­nent geteilt und auf Dau­er geschwächt haben. Deutsch­lands Nie­der­la­gen schwin­gen da immer mit. Ich fin­de es aller­dings grund­sätz­lich pro­ble­ma­tisch, Geden­ken immer mit der Schuld­fra­ge zu ver­knüp­fen. Im 21. Jahr­hun­dert soll­ten wir ver­su­chen, eine posi­ti­ve Zukunfts­vi­si­on ins Zen­trum der Fei­er­lich­kei­ten zu stel­len. Ich bin zuver­sicht­lich, daß in einer mul­ti­po­la­ren Welt die Fra­ge nach der Schuld durch die Fra­ge nach den Errun­gen­schaf­ten jeder Zivi­li­sa­ti­on ersetzt wird. Das kön­nen wir anre­gen, aber nicht von heu­te auf mor­gen auch bewir­ken. Gera­de nicht in der Opposition.

SEZESSION: Was ist der 8. Mai für Sie: ein Tag der Befrei­ung oder ein Tag der Nie­der­la­ge? Wie soll­ten die Deut­schen die­sen Tag begehen?

CHRUPALLA: Es ist der Tag der Kapi­tu­la­ti­on und des Kriegs­en­des. Die­ses Ereig­nis hat vie­le Sei­ten. Man­che Deut­sche wur­den befreit, für man­che begann die Ver­trei­bung. All die­se Aspek­te muß man im Geden­ken berück­sich­ti­gen. Geschich­te ist im Fluß. Mit den heu­ti­gen Umbrü­chen ändert sich auch die Sicht auf die Geschich­te. Die Alter­na­ti­ve für Deutsch­land ist ange­tre­ten, um die Pro­ble­me der Gegen­wart zu lösen und die Zukunft Deutsch­lands zu gestal­ten. Nach und nach zeigt sich, daß dazu auch Geschichts­po­li­tik nötig ist. Wie wir uns zu Abschnit­ten unse­rer Geschich­te stel­len, das wird die Par­tei in den kom­men­den Jah­ren klä­ren müs­sen. Erst dann kön­nen wir Vor­schlä­ge für eine zeit­ge­mä­ße Gedenk­kul­tur machen.

SEZESSION: Wie bewer­ten Sie die rus­si­sche Geschichts­po­li­tik im Hin­blick auf das deutsch-rus­si­sche Ver­hält­nis? Ist die von den Rus­sen gefor­der­te Unter­wer­fung unter die rus­si­sche Deu­tungs­ho­heit einer selbst­be­wuß­ten Nati­on würdig?

CHRUPALLA: Durch die Teil­nah­me an einer Ver­an­stal­tung mache ich mir noch nicht zu hun­dert Pro­zent die Erzäh­lung des Gast­ge­bers zu eigen. Ich neh­me teil als Poli­ti­ker einer Par­tei, die für Deutsch­lands Sou­ve­rä­ni­tät in Euro­pa ein­tritt. Und man darf nicht ver­ges­sen: Auch die rus­si­sche Geschichts­po­li­tik ist im Fluß. Die Rus­sen müs­sen für sich eine Deu­tung fin­den, die der heu­ti­gen Zeit ange­mes­sen ist. Die jüngs­ten Fei­er­lich­kei­ten in Mos­kau lie­ßen schon eine gewis­se Neu­ori­en­tie­rung erken­nen – weg vom Kom­mu­nis­mus, hin zu heu­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen. Der Wes­ten ver­sucht ja der­zeit, Ruß­land von der gemein­sa­men Nach­kriegs­er­zäh­lung aus­zu­schlie­ßen. Das geht so weit, daß das Ziel einer Erobe­rung und Zer­stü­cke­lung Ruß­lands wie­der salon­fä­hig wird und daß Neo­na­zi-Grup­pie­run­gen mit die­sem Ziel gedul­det wer­den. Das leh­ne ich ent­schie­den ab. Was mir wich­tig erscheint: Wir dür­fen nicht erwar­ten, daß sich alle Natio­nen Euro­pas auf eine ein­zi­ge Deu­tung ver­stän­di­gen. Wir müs­sen Unter­schie­de in der Deu­tung ertra­gen und unse­re Sicht­wei­se selbst­be­wußt ver­tre­ten. Dazu kann das kon­ser­va­ti­ve Vor­feld beitragen.

SEZESSION: Dann las­sen Sie uns zuletzt die Posi­ti­on die­ses rech­ten, kon­ser­va­ti­ven Vor­felds fest­le­gen: An einem sol­chen Tag, der für Mil­lio­nen Deut­sche nicht das Ende des Leids bedeu­te­te, son­dern die Fort­set­zung von Ver­trei­bung, Will­kür, Ver­ge­wal­ti­gung, Gefan­gen­schaft, Elend und mas­sen­haf­tem Ster­ben, geht man zu kei­ner Sie­ges­fei­er­lich­keit, weder in West noch Ost. Es gibt für die Pfle­ge guter Bezie­hun­gen näm­lich Jahr für Jahr hun­der­te geschichts­po­li­tisch nicht besetz­te Tage.

Der Auf­bau guter Bezie­hun­gen zu Ruß­land ist not­wen­dig und sinn­voll und das Feld der Oppo­si­ti­on, die sich an der Spal­tungs­po­li­tik der Regie­rung nicht betei­ligt und Unab­hän­gig­keit von den USA signa­li­siert. Aber am 9. Mai kann in den Räum­lich­kei­ten der rus­si­schen Bot­schaft die­ser Auf­bau nicht statt­fin­den. Das ist unse­re Position.

CHRUPALLA: Für Ver­stän­di­gung ist jeder Tag der rich­ti­ge. Als Poli­ti­ker muß ich mit den Gege­ben­hei­ten arbei­ten. Das Vor­feld kann Visio­nen erar­bei­ten, die in die Zukunft wei­sen. Wir leben in einer Zeit gro­ßer Umbrü­che. His­to­ri­sche Schuld soll­te unser Han­deln nicht län­ger bestim­men. Irgend­wann wird der rus­si­sche Bot­schaf­ter zu unse­rer Gedenk­fei­er kom­men. Das ist Teil mei­ner Arbeit für die bei­der­sei­ti­ge Aussöhnung.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (1)

Götz Kubitschek

12. Mai 2023 08:05

lassen wir unkommentiert stehen für diesmal. pardon allen, die bereits schrieben.

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