Die „Krautzone“ will ein jugendliches, frisches, witziges und buntes rechtes Magazin sein, das vor allem junge Leser anlockt. Sie hat sich mittlerweile zu einer festen Größe im konservativen Blätterwald gemausert.
Müllers Argument ist typisch und scheinbar überzeugend, denken wir darüber nach:
Wir leben nun mal in einer Zeit, in der alles schnell gehen muß, die Aufmerksamkeitsspanne kürzer wird, sowie in einer Art Infantilisierung: Unbedarftheit und Kindlichkeit zünden. Die Grünen begeistern mit ihren verträumten Idealen plötzlich auch ältere Leute, die eigentlich eher faktenorientiert sind.
Unser Lager ist dagegen sehr ernst geworden, was man ihm auch kaum verübeln kann, haben sich die letzten Jahrzehnte doch nicht zu unseren Gunsten entwickelt. Doch es hilft nichts, junge Leute muß man abholen, wo sie sind. Und das sollten wir Konservativen und Freiheitlichen endlich lernen. …
Man muß sich klarmachen: Wer heute jung ist, hat ein normales Deutschland, so wie Sie es wohl noch erlebt haben, gar nicht mehr kennengelernt. Stattdessen sind die Jungen hineingeboren in diesen völlig verrückten Status quo: Schulklassen bestehen zur Hälfte aus Migranten, Mitschüler planen, ihr Geschlecht umoperieren zu lassen, und dauernd wird gepredigt, der Weltuntergang sei nah. Was junge Leute da brauchen, ist kein Klagen über einen Verfall, den sie selbst ja gar nicht als solchen wahrnehmen, weil sie es gar nicht anders kennen, sondern ein Bild von einem Deutschland, das auch anders sein kann, und von Werten, die nicht Moden unterliegen, sondern die überzeitlich, ewig gültig sind.
Wir haben es mit dem Argument der notwendigen Niveau-Senkung zu tun, die davon ausgeht, daß komplexe bilderlose Texte und gehobenes Vokabular an den Bedürfnissen und vor allem an den Fähigkeiten vieler Leser vorbeigehen. Wer Menschen mit geringer Aufmerksamkeitsspanne erreichen wolle, der müsse selbst schneller sein.
Im Grunde meint die Figur, daß man den zu beklagenden Prozeß der Beschleunigung selbst beschleunigen müsse, um überhaupt noch Zugriff auf ihn zu haben. Dementsprechend kritisiert Müller auch die Junge Freiheit, die er als zu altmodisch empfindet, und die Junge Freiheit investiert nun selbst mit großem Trara viel Geld, um ihren Internetauftritt aufzupeppen. Man will die Nase in den Wind halten. Es ist ohnehin bereits aufgefallen, daß die Texte immer kürzer werden.
Nimmt man dann noch Zeitschriften wie die Sezession oder Tumult in den Blick, dann merkt man, wie weit weg diese vom Schuß sind. Kein Wunder, daß sie nicht viel mehr als 4000 Abonnenten gewinnen können, während der Cicero mit seinem gehobenen „Stern“-Niveau das Zehn- oder Zwanzigfache an Reichweite hat.
Das drückt sich auch optisch aus: Tumult immerhin grellbunt und durch ein paar Kunstabdrucke aufgelockert, ansonsten aber Bleiwüste; wer nicht studiert ist, besser: wer kein Studierender, Lernender ist, liest das nicht. Sezession seit der Gründung vor 20 Jahren optisch unverändert schlicht und klar in rauem Papier, mit schwarz-weiß-Photographien versehen, mittlerweile wie aus der Zeit gefallen wirkend, bieder für manche und die Texte erst: „Versteht kein Mensch!“
Es ist ein Dilemma. Seine Lösung liegt aber nicht, wie Müller meint, im allgemeinen Nachhecheln der Trends und des Zeitgeistes, sondern in der Diversifizierung, in der Vielfalt. Zugeständnisse sind dabei unvermeidlich und zu bejahen. Reden wir vom Niveau, so müßten Sezession und Tumult jede Verkaufsliste anführen, Tatsache ist aber, daß im jetzigen Deutschland nur wenige der Höhe der dort gefolgten Diskussionen folgen können.
Kriterium kann hier nicht die Quantität, es muß die Qualität sein. Die Frage ist nicht, wie viele diese Periodika lesen, sondern wer. Es ist nicht Aufgabe dieser Zeitschriften, noch mehr Erregungsmaterial zu bieten, sie müssen stattdessen aufklären und analysieren, und zwar tief im Mark der Gesellschaft und nicht an der Oberfläche. Ihre Aufgabe ist die Konzentration und alles, was dabei stört, hat zu unterbleiben. Damit decken sie ein schmales aber eminent wichtiges Segment ab.
Metapolitik funktioniert viel schlechter über die Masse als über die Elite: Gelänge es, in deren Köpfe zu kommen, dort Überzeugungsarbeit zu leisten, das bessere Argument zu liefern, von den relevanten Leuten gelesen zu werden, dann besteht die Möglichkeit, daß dieses Wissen über Medien, Schulen, Universitäten ins System einträufelt – das ist es, was der Begriff der „kulturellen Hegemonie“ meint. Am relativen Erfolg dieser Strategie darf man ihre Richtigkeit nicht ausschließlich messen, eingedenk der Tatsache, daß man gegen den Strom schwimmt.
Hinzu kommt, daß just das „Altbackene“, das Unveränderte, das Konservative im besten Sinne des Wortes, ihr Markenzeichen und ihre Attraktion ist. Daß es Leute und Medien gibt, die sagen: „Wir sind, wer wir sind“, „Wer wir sind, das lassen wir uns von keiner Mode, auch nicht dem Markt diktieren“, daß man selbstbewußt Setzungen vornimmt und nicht nach Beifall und Erfolg schielt, ist konstitutiver Teil der Anziehungskraft dieser Medien und sie würden sofort an Wert verlieren, folgten sie Müllers Rat.
Das Widerständige ist ein eigener Wert noch vor allem Inhaltlichen. Es schließt selbständig getroffene Anpassungen, Reformen, noch nicht mal Revolutionen aus – alles steht unter dem Vorbehalt.
Und noch ein Problem: Dieses Abholen-wo-man-steht hat gute Gründe für, aber auch gegen sich. Es ist letztlich ein Bücken desjenigen, der Halt bieten könnte und sollte – und es verhindert das Strecken desjenigen, der Halt sucht. Diese Bewegung ist an sich grundfalsch. Sie hat aber als pädagogisches Mittel ihre Berechtigung, allerdings nur dann, wenn das pädagogische Ziel dennoch die Streckung und Aufrichtung ist. Dafür gibt es spezialisierte Pädagogen.
Der Mensch – jetzt sind wir in der Anthropologie – ist ein Anstrengungs‑, ein Übungswesen – sollte es zumindest sein – und ist es selbst dann, wenn er nicht aktiv übt: dann übt er eben die Trägheit, Dumpfheit, Schlaffheit ein. Alles ist Übung, Übung ist alles.
Das breite Publikum kann für ein Qualitätsblatt nicht der Maßstab sein: Gerade, weil man überall jeder Mode, jedem Trend, jedem neuen Geschmack hinterherläuft, entsteht die entkernte, erschlaffte, identitätslose Gesellschaft. Der Preis dafür, daran nicht teilzunehmen, kann die Marginalisierung sein – damit muß man leben können.
Müllers Denkfehler liegt nun darin, diese Aufgabe – um beim pädagogischen Bilde zu bleiben – vom Pädagogikprofessor zu fordern statt vom Hilfslehrer. Beide Rollen sind wichtig, beide haben ihre Berechtigung, doch wäre es ein enormer Energieverlust, wenn man sie vertauschte. Wir brächten uns um die geistigen Früchte des Gebildeten, der zudem vermutlich schlecht im Hinunterbeugen und Aufrichten anderer ist und bekämen laue geistige Kost vom zu Unrecht Beförderten.
Nein, die Lösung lautet mit Marx: Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Diese Dialektik muß man verstehen, nach ihr muß jeder seine Berufung suchen. Es ist die natürliche Aufgabe der Jungen, sich den Altersgenossen zu nähern und zu ihnen in ihren Codes und mit ihren technischen Mitteln zu sprechen. Das Ziel muß sein, diese aufzurichten und sie sukzessive zu befähigen, auch die Alten und Weisen zu verstehen, selbst Teil dieser höheren Sphäre zu werden.
Deshalb ist die Aufgabe, die die Krautzone leistet, wertvoll und nützlich und lobenswert auch aus höherer Warte, falsch wäre es aber, von den anderen das gleiche zu verlangen. Bücken ist wichtig; Strecken ist wichtiger.
Es käme darauf an, die Ergänzungen zu suchen und nicht immer wieder auf den Differenzen herumzuhacken. Begreifen wir das Anderssein der Gleichgesinnten als Bereicherung und nicht als Defizit. Statt mit dem Finger auf die alternative Herangehensweise zu zeigen, wäre es hilfreich, andere Zugänge zu loben und zu preisen. Umgekehrt sollte jeder bei den eigenen Stärken, sind sie einmal entdeckt, bleiben.
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Sezession (nicht für jedermann) kann man, sollte man hier abonnieren.
FraAimerich
Darf man es wagen darauf hinzuweisen, daß es metapolitisch beim Bücken wie beim Strecken jeweils entscheidend darauf ankommen sollte, wonach?