100 Jahre Henry Kissinger

»Die Außenpolitik ist an der Politik das Geistlose«, ätzte der ostdeutsche Dramatiker Peter Hacks.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Der leben­de Gegen­be­weis, der ehe­ma­li­ge US-Außen­mi­nis­ter und glo­bal gefrag­te Exper­te für Welt­po­li­tik Hen­ry Kis­sin­ger, wird heu­te 100 Jah­re alt.

Als Heinz Alfred Kis­sin­ger am 27. Mai 1923 im frän­ki­schen Fürth gebo­ren, wuchs er in einer »behü­te­ten bür­ger­li­chen Welt auf, mit Kla­vier­un­ter­richt, Thea­ter­be­su­chen« und einer gro­ßen Fami­lie, die »loy­al zur jun­gen Repu­blik« stand, wie Kis­sin­gers Bio­graph Bernd Grei­ner in sei­nem Werk Hen­ry Kis­sin­ger. Wäch­ter des Impe­ri­ums zusammenfaßt.

Doch im Som­mer 1938 ende­te die mit­tel­frän­ki­sche Idyl­le; unter den Zwangs­ver­hält­nis­sen der NS-Herr­schaft litt die Fami­lie, so daß sie nach New York aus­wan­dern muß­te. Dort wur­de aus Heinz Alfred fort­an Henry.

Er schrieb auch im Aus­land Best­no­ten, bau­te sich ein per­sön­li­ches Netz­werk auf, wur­de Anfang 1943 US-Bür­ger und sogleich von der Army für ein Jahr frei­ge­stellt, um in Penn­syl­va­nia stu­die­ren zu kön­nen. Aller­dings ver­ließ er sei­ne Kur­se, um ab 1944 im Coun­ter Intel­li­gence Corps, der Spio­na­ge­ab­wehr der US-Armee, zu die­nen. So kam er 1945 ins besieg­te Deutsch­land und orga­ni­sier­te in Hes­sen nach Kriegs­en­de die loka­le Reor­ga­ni­sa­ti­on öffent­li­chen Lebens.

Heim­ge­kehrt 1947, begann er sogleich ein Stu­di­um in Har­vard, wo ins­be­son­de­re der aka­de­mi­sche Nach­wuchs fit gemacht wur­de für die neue Kon­fron­ta­ti­on im Rah­men des ein­set­zen­den Kal­ten Krie­ges. Kis­sin­ger, US-patrio­tisch, kon­ser­va­tiv und anti­kom­mu­nis­tisch ein­ge­stellt, wur­de rasch auf­ge­saugt vom Typus des »Defen­se Intellec­tu­als«, der sich gegen die Sowjet­uni­on posi­tio­nier­te und sei­ne Tätig­keit begeis­tert in den Dienst des Wes­tens stellte.

Bernd Grei­ner schreibt, daß damals der »Bedarf an intel­lek­tu­el­len Wäch­tern des Impe­ri­ums« groß war, und so konn­te der hoch­in­tel­li­gen­te, arbeit­sa­me und zuneh­mend gut ver­netz­te Kis­sin­ger reüs­sie­ren. Fort­an wid­me­te er sein Leben dem Kampf gegen die »rote Gefahr«.

1951 reich­te er sei­ne Bache­lor­ar­beit ein (»The Mea­ning of Histo­ry«), wobei er sich auf den 150 Sei­ten an Arnold Toyn­bee, Oswald Speng­ler und Imma­nu­el Kant glei­cher­ma­ßen ori­en­tier­te. Hin­zu kam Kis­sin­gers Plä­doy­er für risi­ko­be­rei­te Eli­ten, die wil­lens­stark und durch­set­zungs­fä­hig Geschich­te machen wür­den. Es gehe nicht dar­um, mit Fak­ten umzu­ge­hen, son­dern selbst Fak­ten zu schaf­fen – zeit­le­bens blieb dies Kis­sin­gers Motto.

Ein wei­te­res ent­wi­ckel­te er als Dok­to­rand (1952 Mas­ter, 1954 Pro­mo­ti­on): Glaub­wür­dig­keit, so zeig­te sich Kis­sin­ger in sei­nen frü­hen Tex­ten sicher, errei­che eine poli­ti­sche Hege­mo­ni­al­macht nur dann, wenn sie mili­tä­ri­sche Ent­schlos­sen­heit glaub­haft ver­kör­pe­re. Zudem benö­ti­ge sie ideo­lo­gi­sche Abwehr­kräf­te für etwa­ige Ideen­kämp­fe mit der glo­ba­len Konkurrenz.

Kis­sin­ger wur­de zuneh­mend zum gefrag­ten Har­vard-Netz­wer­ker mit inter­na­tio­na­ler Strahl­kraft: Anti­kom­mu­nis­ti­sche Leis­tungs­trä­ger aller Her­ren Län­der ström­ten zu Kis­sin­gers Tref­fen in den USA und bil­de­ten bald ein welt­wei­tes Netz­werk ähn­lich aus­ge­rich­te­ter Akteure.

Für Sezes­si­on-Leser inter­es­sant dürf­te eine Neben­tä­tig­keit Kis­sin­gers in den 1950er Jah­ren sein: Er gab sechs Jah­re die Zeit­schrift Con­fluence her­aus, in der neben US-Den­kern auch Han­nah Are­ndt, Ernst Jün­ger und ein gewis­ser Ernst von Salo­mon zu Wort kamen.

Haupt­au­gen­merk Kis­sin­gers Forschungs‑, Publi­ka­ti­ons- und Vor­trags­tä­tig­keit war in die­sen Jah­ren jedoch die Fra­ge nach begrenz­ten Atom­schlä­gen gegen Mos­kau. 1957 publi­zier­te er das Buch Kern­waf­fen und Aus­wär­ti­ge Poli­tik, in dem er klar für  »begrenz­te Atom­krie­ge« plä­dier­te, um die mög­li­che Expan­si­on kom­mu­nis­ti­scher Groß­mäch­te zu stop­pen. Damit kam Kis­sin­ger fort­an in jeder öffent­li­chen Debat­te vor; er eck­te an, sorg­te für Ärger und für Begeisterung.

Nicht der Atom­krieg, so Kis­sin­gers Cre­do, son­dern die Angst vor ihm schwä­che dau­er­haft den Wes­ten. 1959 teil­te er dem Spie­gel hin­sicht­lich einer poten­ti­el­len neu­er­li­chen Ber­lin-Blo­cka­de durch die Sowjets mit:

Ich wäre dafür, den Rus­sen ein Ulti­ma­tum zu stel­len und, wenn nötig, einen tota­len Krieg zu führen.

Kis­sin­ger setz­te die­sen Pro­vo­ka­ti­ons­kurs fort. Zwi­schen 1957 und 1968 ver­öf­fent­lich­te er fünf Bücher, Dut­zen­de Auf­sät­ze und hielt zahl­lo­se Vor­trä­ge. Das The­ma war stets ähnlich.

So kam er ins direk­te Umfeld Richard Nixons und arbei­te­te ihm zuneh­mend als Bera­ter und Impuls­ge­ber zu. Das zahl­te sich aus: Als Nixon im Novem­ber 1968 US-Prä­si­dent wur­de, ernann­te die­ser Kis­sin­ger zum Bera­ter für Natio­na­le Sicher­heit. Kis­sin­ger wech­sel­te von der Sei­ten­li­nie ins gelieb­te Zen­trum der Macht.

Dort ver­brei­te­te er unent­wegt sein Man­tra: außer­ge­wöhn­li­che Zei­ten, außer­ge­wöhn­li­che Mit­tel, außer­ge­wöhn­li­che Vor­rech­te (für den Prä­si­den­ten und sein Gefol­ge). Nixon dank­te es und ergänz­te Kis­sin­gers Logik:

Nun, wenn der Prä­si­dent etwas tut, dann kann es nicht ille­gal sein. Wenn ein Prä­si­dent ent­schei­det, dass eine beson­de­re Maß­nah­me zum Schutz der natio­na­len Sicher­heit not­wen­dig ist, dann ist die­se Maß­nah­me recht­mä­ßig, selbst wenn sie durch ein Bun­des­ge­setz ver­bo­ten ist.

Kis­sin­gers Geist, Nixons Umset­zung – der lan­ge Anlauf zu Geor­ge W. Bush Jr. begann also Ende der 1960er Jahre.

Ende der 1960er Jah­re war Kis­sin­ger betei­ligt an der Bom­bar­die­rung Kam­bo­dschas: Über 2,7 Mil­lio­nen Ton­nen Bom­ben aller Art wur­den abge­wor­fen, rund 500.000 zivi­le Opfer waren zu bekla­gen. Das lag ins­be­son­de­re auch in Kis­sin­gers Verantwortung.

Welt­weit noch bekann­ter wur­de Kis­sin­ger dann Anfang der 1970er Jah­re, als er das rote Peking gegen das rote Mos­kau aus­spie­len woll­te und dafür Nixons Zustim­mung fand.

Kis­sin­ger zu Nixon im Oval Office im Febru­ar 1972:

Im Moment brau­chen wir die Chi­ne­sen als Kor­rek­tiv gegen die Rus­sen, wir brau­chen sie, um die Rus­sen zu disziplinieren.

Auf Kis­sin­ger, den glo­bal rezi­pier­ten Atom­krieg­pu­bli­zis­ten, folg­te nun Kis­sin­ger, der glo­ba­le Strippenzieher.

Davon unab­hän­gig voll­zog sich jedoch 1972 und 1973 der Water­ga­te-Ein­bruch. Es ging um Finan­zen bzw. Wahl­kampf­fonds und das, was man heu­te Nega­ti­ve Cam­paig­ning nennt, also die mas­si­ve Beschmut­zung poli­ti­scher Geg­ner mit aller­lei Unrat.

Kis­sin­ger fiel nicht. Er wur­de im Sep­tem­ber 1973 sogar der neue Außen­mi­nis­ter und erhielt einen Monat den Frie­dens­no­bel­preis für sei­ne Bemü­hun­gen um Viet­nam. Im Anschluß fokus­sier­te er sich bis Mai 1974 auf den Frie­den im Nahen Osten; unent­wegt pen­del­te er zwi­schen Kai­ro, Damas­kus und Tel Aviv. Vor allem aber ging es ihm auch hier um die Iso­la­ti­on der UdSSR.

1977 ende­te die Kar­rie­re auf dem staats­po­li­ti­schen Par­kett: Jim­my Car­ter wur­de US-Prä­si­dent, Kis­sin­ger über­nahm für vier Jah­re die Lei­tung der Denk­fa­brik Coun­cil on For­eign Rela­ti­ons. Aus die­ser Zeit stammt sein bis heu­te beden­kens­wer­tes Bonmot:

Glo­ba­li­sie­rung ist nur ein ande­res Wort für US-Herrschaft.

Im Anschluß tat Kis­sin­ger das, was er neben Rei­sen und Vor­tra­gen am liebs­ten tat und noch heu­te tut: aus­führ­lich bis aus­ufernd schrei­ben. Sei­ne drei Bän­de vol­ler Erin­ne­run­gen an die außen­po­li­ti­sche Tätig­keit fül­len 4000 Sei­ten, und da geht es ledig­lich um einen Zeit­raum von acht Jahren.

Bei Ronald Rea­gan konn­te er der­weil trotz aller Schmei­che­lei­en in den 1980er Jah­ren nicht ando­cken. So ent­schied sich Kis­sin­ger für die Grün­dung einer Denk­fa­brik und Bera­tungs­ein­rich­tung (»Kis­sin­ger Asso­cia­tes«), die vor allem von Groß­ban­ken und Groß­kon­zer­nen gebucht wur­de, um Exper­ti­se zu bestimm­ten Län­dern und Kon­flikt­po­ten­tia­len zu eru­ie­ren. Erst jetzt wur­de aus dem welt­män­ni­schen Staats­mann auch ein rei­cher welt­män­ni­scher Staats­mann, wenn­gleich eher auf pri­va­ter Mission.

Sein Bio­graph Bernd Grei­ner faßt das Leben Kis­sin­gers seit den 1980er Jah­ren (bis heu­te!) so zusammen:

Als Spin-Dok­tor in eige­ner Sache fährt er die größ­ten Gewin­ne ein. Genau­er gesagt, als Netz­wer­ker und Ver­pa­ckungs­künst­ler, der über­all zuhau­se ist, weil er unter­schied­li­che Inter­es­sen mit gro­ßer Fle­xi­bi­li­tät bedie­nen kann.

Die inhalt­li­che geo­po­li­ti­sche Posi­tio­nie­rung hat sich hin­ge­gen in den letz­ten acht Jahr­zehn­ten nicht geändert.

Erneut Grei­ner, so gründ­lich wie schonungslos:

Ers­ter Akt: Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten defi­nie­ren, was unter einem Gleich­ge­wicht der Macht zu ver­ste­hen ist. Zwei­ter Akt: Sie nut­zen ihre Macht, um ande­re vom all­ge­mei­nen Nut­zen ihrer Son­der­in­ter­es­sen zu über­zeu­gen. Drit­ter Akt: Sie sind die Macht, die Wider­stän­di­ge zähmt, mili­tä­ri­sche Zwangs­mit­tel gegen jene ein­ge­schlos­sen, die eigent­lich kei­ne mili­tä­ri­sche Bedro­hung sind, aber mit ihrem abwei­chen­den Ver­hal­ten Schu­le machen können.

So dach­te Kis­sin­ger, so denkt Kis­sin­ger. Soll­te man sei­ne Wer­ke den­noch lesen? Ja. Denn Peter Hacks’ Dik­tum, wonach Außen­po­li­tik geist­los sei, wird von Kis­sin­ger Büchern ful­mi­nant widerlegt.

Her­vor­zu­he­ben sind min­des­tens zwei Bände:

Chi­na. Zwi­schen Tra­di­ti­on und Her­aus­for­de­rung hat zwar bereits 12 Jah­re auf dem Buckel. Die 600 dich­ten Sei­ten hel­fen aber noch heu­te, Land und Leu­te, Kul­tur und Volk, Staat und Par­tei der Volks­re­pu­blik bes­ser zu verstehen.

Staats­kunst. Sechs Lek­tio­nen für das 21. Jahr­hun­dert kratzt eben­falls an der Kis­sin­ger-typi­schen 600-Sei­ten-Gren­ze. Wer die (bis­her) 80 poli­tisch-publi­zis­ti­schen Jah­re Hen­ry Kis­sin­gers ver­ste­hen will, muß die­ses Buch lesen. Kis­sin­ger ver­ar­bei­tet in die­sem Werk sei­ne Lebens­ge­schich­te, sei­ne Posi­tio­nen und Begrif­fe, nicht zuletzt: sei­ne Vor­bil­der und Leit­wöl­fe, da »Füh­rung unver­zicht­bar« ist, und die »Lea­der« zwin­gend »auch als Erzie­her wir­ken« müs­sen. Kis­sin­gers Denk­welt wird anhand die­ser Aus­füh­run­gen deut­lich wie in kei­nem ande­ren Buch.

Die sechs por­trä­tier­ten Inspi­ra­to­ren Kis­sin­gers sind übri­gens Kon­rad Ade­nau­er, Charles de Gaul­le, Richard Nixon, Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yen und Mar­ga­ret Thatcher.

Jedes Por­trät ist – trotz mas­si­vem inhalt­li­chen Dis­sens – ein­zeln betrach­tet emi­nent lesens­wert und wis­sens­ver­mit­telnd. Wer dabei als Sezes­si­on-Leser noch Rest­sym­pa­thien für den ers­ten Kanz­ler der BRD, Ade­nau­er, auf­wei­sen soll­te, dürf­te nach der Kis­sin­ger-Lek­tü­re end­gül­tig davon befreit sein. Kis­sin­ger läßt kei­nen Zwei­fel an Ade­nau­ers eigent­li­chen Zie­len: West­bin­dung um jeden Preis, Befrei­ung vom Osten.

Der Unter­schied zwi­schen Autor und Leser ist evi­dent: Kis­sin­ger deu­tet die­se lei­den­schaft­li­che Sub­or­di­na­ti­on unter die west­li­che Hege­mo­nie posi­tiv, und zwar als Schritt in die ewi­ge Frei­heit des Atlan­tis­mus. Der Sezes­si­on-Leser, sofern er sich patrio­tisch und sou­ve­rä­nis­tisch posi­tio­niert, dürf­te das ein wenig anders bewerten.

So oder so: Hen­ry Kis­sin­ger wird heu­te respek­ta­ble 100 Jah­re alt. Sein umfang­rei­ches Werk ist epo­chal, auch wenn man sei­ne ideo­lo­gi­schen Para­me­ter nicht als die sei­nen begreift und man die krie­ge­ri­schen Inter­ven­tio­nen, in die er bewußt und feder­füh­rend ver­wi­ckelt war, berück­sich­ti­gen sollte.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Verein für Staatspolitik e.V.
DE86 5185 0079 0027 1669 62
HELADEF1FRI

Kommentare (22)

Laurenz

27. Mai 2023 09:02

Helmut Schmidt (*1918/+2015) & Henry Kissinger nannten sich Freunde, traten gemeinsam auch so auf. Diese Freundschaft demonstriert, wie entmoralisiert Geo-Politik ist & dieser entmoralisierte Zustand auch den persönlichen Bereich der Akteure infiltriert, bestimmt. Und das trotz allem Gequatsches Schmidts, der sich auch selbst am liebsten reden hörte. Immerhin inszenierte, orgasnisierte & verantwortete Freund Henry den 09/11 1973, an dem der Regime-Wechsel von Allende auf Pinochet in Chile vollzogen wurde. Die Politik Allendes war, das übliche für Linke, komplett behämmert, aber, Allende war gewählt. Daß Allende SEL Chile verstaatlichte, gab wohl den Anlaß für die Amis, Allende & weitere gut 3.000 chilenische Genossen Schmidts zu beseitigen. Die Person Kissingers führt auch alle politischen Definitionen oder vielmehr Bewertungen des Faschismus, Marxismus/Bolschewismus, wie der Demokratie ad absurdum. Kissinger ist das personifizierte Argument, was man jeder moralischen Bewertung entgegenhalten kann.

Maiordomus

27. Mai 2023 09:10

Ein hervorragender Artikel ohne Ressentiment, echt analytisch, bei Betonung des Antikommunismus, der übrigens bei Kissinger schon vor 1945 ansetzte, was respektiert werden sollte; auf jeden Fall ist er mit Adorno u. Co., überhaupt mit den Frankfurtern nicht zu verwechseln und genau gesehen war er ein Carl-Schmittianer, siehe was er formulierte über "Der Präsident schützt das Recht", so habe ich es auf jeden Fall gelesen. Ohne mit ihm einverstanden zu sein, sieht man, dass er im Sinne von Thomas Hobbes, Machiavelli, Carl Schmitt und im Grunde sogar Deng Hsiao Ping und auf ihre Weise Thatcher etwas von Politik verstanden hat, im freilich, wertneutral gesprochen, opportunistischen Sinne. Er ging nicht von Wertsetzungen aus, sondern von Machtkonstellationen. Um von Kissinger ernst genommen zu werden, müsste z.B. Putin noch mächtiger sein als er es derzeit ist. Die Bundesregierung wird eher nicht ernst genommen, auch wenn er es nicht direkt zu sagen braucht. Er ist "nicht schuld" an der Us-Politik, er beschreibt sie, und er versteht das Europa von 1815, keine schlechte Basis.  

Maiordomus

27. Mai 2023 09:23

PS.  Einzige Kritik. Mit George W. Bush sollte Kissinger nicht verwechselt werden. In diesem Punkt ist sogar Joschka Fischer recht zu geben, der bestätigte, im persönlichen Gespräch sei Bush "eher schlimmer als ohnehin erwartet" gewesen, hätte Fischer vermutlich von Trump nicht so formuliert, dem bei aller nichtkissingerschen blossen Instinktpolitik, absolut unintellektuell, aber nicht gerade dumm, eine gewisse kaum lernbare politische Begabung nie abing, wiewohl Trump für die amerikanische Rechte zumal heute mehr denn je eine Verlegenheit darstellt. Bei der besagten amerikanischen Rechten sind Schnittmengen ebenso auszumachen, wie aus europäischer und deutscher Sicht, echte Interessengegensätze. Wer unfähig ist, diese zu sehen, hätte in der Politik nichts verloren. Man sollte im Zusammenhang mit US-Politik nie "wir" sagen, Adenauer, übrigens katholischer Antisemit alter Schule, nie NS, tat es rein opportunistisch; aber er kannte die Interessengegensätze noch und misstraute z.B. Kennedy und generell der Politik der "Eierköpfe", zu denen damals HK auch gehörte. W.S. Schlamm war weit ideologischer als HK. 

Maiordomus

27. Mai 2023 09:43

PS2: Mit "Die Bundesregierung wird eher nicht ernst genommen" war zwar primär die deutsche gemeint, aber doch wohl auch die Administration Biden. Es ist mir, jenseits von vordergründiger Lobhudelei, unmöglich, dem Politiker Heinz Alfred Kissinger bzw. Henry Kissinger nicht meinen Respekt als einen der politisch intelligentesten Denker der Geschichte entgegenzubringen. Gilt übrigens auch in Sachen Chile, dessen Regierung noch vor dem Putsch vom Parlament für illegal erklärt wurde. Deng Hsiao Ping über Allende: Selber schuld! Seine Fehler waren eine linksextremistische Innen- und eine prosowjetische Aussenpolitik!
Es gab Schlimmeres bei den Amerikanern als die Beseitigung jenes Regimes. Übrigens wurde in Vietnam die US-loyale Regierung nach Hetze durch die Mainstream-Presse der Ostküste Ngo Dinh Diem vergleichsweise viel gemeiner fallen gelassen. Ein Bekannter von mir sagte am 22. Nov. 1963: "Diem hat sich gerächt!" War nicht meine Sicht, aber man konnte es so sehen!

Umlautkombinat

27. Mai 2023 09:44

> Lee Kuan Yen
 
Interessant, uebrigens auch erklaertes zentrales Vorbild fuer WEF-Schwab. Mit erstmal Wertlegung auf "uebrigens". Der Mann war aussergewoehnlich in der Formung seines Stadtstaates im Umfeld massiver Schwergewichte, die ihn auf den ersten Blick scheinbar zerdruecken haetten koennen wie eine Fliege. 
 
Ich weiss nicht, ob ich es hier schon einmal empfohlen hatte: The Land of Charm und Cruelty .

RMH

27. Mai 2023 10:13

"Kissinger läßt keinen Zweifel an Adenauers eigentlichen Zielen: Westbindung um jeden Preis, Befreiung vom Osten."
Wenn man das so schreibt, geht man Kissinger unreflektiert auf den Leim. Kissinger geht es nicht um historisches Bemühen, ihm geht es um Deutungshoheit im Sinne seiner Ziele. Dazu muss man noch nicht einmal mit Unwahrheiten oder Lügen operieren. Man erzählt dann seine Erinnerungen entlang der Linie der eigenen Agenda.  Adenauer war Antikommunist und Antinationalsozialist. Ein (wenn evtl. auch "ehemaliger") Nationalsozialist war im kalten Krieg für die US-Amerikaner leichter und akzeptabler, als jemand, der keiner war und damit nicht erpressbar war. Jedenfalls war der Handschlag mit de Gaulle und die Vision eines Europas der Vaterländer genau das, was man jenseits des Atlantiks nicht wollte und damit für Kissinger Anlass genug, jemanden wie Adenauer einfach konsequent als "einer der unseren" in die Ecke zu stellen bzw. zu schreiben. Versuche Macrons (der mit seinem Fremdeln mit der NATO in der Tradition de Gaulles steht), nach dem Brexit und unter dem Zeichen der durch den Ukraine-Krieg aufbrechenden, globalen Konfrontationslinien Frankreich und Deutschland vor allem sicherheitspolitisch wieder näher zu bringen, führen bei den echten Atlantikern (Adenauer war gerade KEINER. Er war Rheinländer, Katholik, dann Deutscher und dann gewieft und geschult an der "Erfüllungspolitik".) wie Baerbock dann wenig überraschend zu einem bewußten kalte Schulter zeigen. Baerbock ist sicher ein "Mädchen" nach dem Geschmack Kissingers.

Le Chasseur

27. Mai 2023 10:51

"Ende der 1960er Jahre war Kissinger beteiligt an der Bombardierung Kambodschas: Über 2,7 Millionen Tonnen wurden abgeworfen, rund 500.000 zivile Opfer waren zu beklagen. Das lag insbesondere auch in Kissingers Verantwortung."
Ganz so knapp wollen wir Kissingers Kriegsverbrechen doch nicht abhandeln:
"Greg Grandin, Autor des Buchs "Kissinger’s Shadow", schätzt, dass Kissinger – der auch dazu beitrug, den Vietnamkrieg zu verlängern und Völkermorde in Kambodscha, Osttimor und Bangladesch zu ermöglichen, Bürgerkriege im südlichen Afrika anheizte und Putsche und Todesschwadronen in ganz Lateinamerika unterstützte – an seinen Händen das Blut von insgesamt mindestens drei Millionen Menschen kleben hat."
Happy birthday, Völkermörder Kissinger
Siehe auch HIER
 

Le Chasseur

27. Mai 2023 10:52

Kürzlich fand in Lissabon übrigens die alljährliche Bilderberg-Konferenz statt*, an der Kissinger mit wenigen Ausnahmen seit 1957 teilnahm:
https://bilderbergmeetings.co.uk/uncategorized/k-100/
https://www.theguardian.com/world/2023/may/20/bilderberg-meeting-group-lisbon-kissinger
*) zu den deutschen Teilnehmern gehörten dieses Jahr u.a. Norbert Röttgen, Anton Hofreiter u. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt.

Jan

27. Mai 2023 10:54

"Globalisierung ist nur ein anderes Wort für US-Herrschaft".
I
Exakt. Endlich sagt es mal einer kurz und deutlich. Vor allem jemand, der es wissen muss. Sobald man politische Macht vom nationalen in den internationalen bzw. globalen Raum verschiebt, warten dort die Amerikaner, weil sie eben alle diese internationalen Organisationen (UNO, Weltbank etc.) gegründet haben und diese auf ihre Interessen ausgerichtet sind. Auch das WEF, wo man sich von der deutschen Abstammung des Gründers nicht täuschen lassen sollte. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum unsere Spitzenpolitiker ständig gegen "Nationalismus" wettern und Multilateralismus sowie die Notwendigkeit der Abgabe von Macht betonen (Merkel). Sie sind allesamt Lakaien der US-Herrschaft, sonst wäre sie nicht zu Ämtern und Macht gekommen. Die einen mehr, die anderen etwas weniger. Nichts bringt das Wesen der politischen Kaste der Bundesrepublik besser auf den Punkt als jener denkwürdige Satz Günter Maschkes: "In Deutschland bekommt nur derjenige Macht, der dieses Land ohnmächtig hält". 

Jan

27. Mai 2023 11:30

"...da »Führung unverzichtbar« ist, und die »Leader« zwingend »auch als Erzieher wirken« müssen. Kissingers Denkwelt wird anhand dieser Ausführungen deutlich wie in keinem anderen Buch".
II
Ein deutlicher Hinweis, dass es sich auch bei den USA nur um die Fassade einer Demokratie handelt, allerdings ohne Zuspitzung auf eine vergängliche Führungsfigur oder einen kleinen Zirkel weniger Personen. Ohnehin streng nach dem Muster eines Zweiparteintstaates konzipiert, ist es längst egal, welche Partei und welcher Präsident regiert, die Politik der USA folgt Regeln und Leitlinien, die unabhängig von einzelnen Personen im Weißen Haus sind. In den letzten 100 Jahren haben sich hinter dem Präsidenten immer einflußreichere Kreise gebildet, die partei- und generationenübergreifend denken und handeln und den jeweiligen Präsidenten als Sprechpuppe nutzen. Die USA sind ein echtes Imperium und unabhängig von Einzelpersonen. Daher kann man sich auch einen schlichten Geist wie Bush II oder einen prä-dementen Geist wie Biden leisten. Weil diese Leute nicht die Inhalte der Politik bestimmen, sondern diese nur in der Öffentlichkeit verkaufen müssen. Auf ihre Lenkbarkeit kommt es an. Kurz gesagt: Diejenigen, die wirklich die Richtlinien der Politik bestimmen, können nicht gewählt werden. Schießt einer zu oft quer, wie Trump, wird er schnell rausgekegelt.  

paterfamilias

27. Mai 2023 13:03

Kissinger ist der prototypische Bilderberger, wie eben erst wieder in Lissabon. Und es ist die Ironie seines Lebens, dass er, der die Berechenbarkeit der Nationen besser versteht als die meisten, zur Abschaffung dieser Nationen und zu ihrer Ersetzung durch das unberechenbare, nicht zur Rechenschaft ziehbare Globalkapital maßgeblich beigetragen hat. Nur eine Nation wird er nicht abschaffen: die USA. Sie ist ohnehin so konstruiert, dass sie im Grunde bloß als Weltzentrale des Kapitals fungiert und ihre Streitkräfte eher als globale Privatarmee dieses Kapitals unterhält. Vielleicht waren die USA auch deshalb seine vom Schicksal bestimmte Heimat.   

Kurativ

27. Mai 2023 14:20

Wenn es den USA und deren Eliten nur um den "Kommunismus" gegangen wäre, dann hätte nach dem Fall der Mauer und der UDSSR Ruhe sein müssen.
War es aber nicht
Kommunismus war nur ein medialer Aufhänger für die staunenden Mitstreiter, um die Herrschaft über andere Völker und Nationen zu gewinnen oder zu verstärken.
Weitere Aufhänger:

Islamismus
CO2
"Die Gelbe Gefahr"
Antisemitismus
Verschwörungstheoretiker
"Eindeutige Beweise"
u.s.w.

Transportiert durch transatlantische Politiker und deren Medien

Niekisch

27. Mai 2023 18:06

"Als Nixon im November 1968 US-Präsident wurde, ernannte dieser Kissinger zum Berater für Nationale Sicherheit."
Da im Artikel die Herkunft Kissingers nicht vollständig beschrieben wird, soll die mitgebrachte Mannschaft benannt werden: Richard L. Sneider, Daniel Davidson, Spurgeon Keeny, Mort Halperin, Helmut Sonnenfeldt, Harold H. Saunders, Roger Morris, C. Fred Bergsten, Laurence Lynn, Robert G. Houdex, Richard N. Cooper, Viron P. Vaky, Robert E. Osgood, Donald Lesh, Arnold Nachmanoff, Lawrence Eagleburger, Alexander M. Haig, Daniel Irving Davidson, Leonhard Garment, allesamt Zionisten. Das pseudokonservative Aushängeschild Spiro T. Agnew läßt seine Reden von Cynthia Rosenwald schreiben. All derer wirkliches Ziel: "The real purpose of Zionism is to establish totalitarian global Control via a World Supergovernement" ( The Washington Observer, 15.12. 1969 unter dem Titel: "Biggest Story" ) In diesem Sinne organisierte ( Kissinger, niekisch) in Hessen nach Kriegsende die lokale Reorganisation öffentlichen Lebens.
War das öffentliche Leben zuvor in Hessen nicht organisiert?
 

Mitleser2

27. Mai 2023 20:28

Ich vermute, die Anmerkungen von Maiordomus werden hier vielen nicht gefallen. Ich teile sie trotzdem. Interessant wäre, warum Reagen ihn nicht integriert hat. War Reagan vielleicht doch nicht das personifizierte Böse? Und ich vermisse im Text Anmerkungen zu seiner Haltung bzgl. Ukraine, die nun nicht unbedingt zum Tenor des Artikels passen.

Nemo Obligatur

27. Mai 2023 21:32

Eine faire Laudatio und eben keine Lobhudelei.
Noch zur Kurzrezension der "Staatskunst":
"Jedes Porträt ist – trotz massivem inhaltlichen Dissens – einzeln betrachtet eminent lesenswert und wissensvermittelnd."
Ich würde dem zustimmen, mit der Ausnahme des Nixon-Kapitels. Da dürfte Kissinger allzu sehr befangen gewesen sein. Nun gut, der Rest des Buches entschädigt mehr als genug. Ein Jahrhundertbuch, unbedingte Leseempfehlung. Dazu würde ich dieses Interview in der NZZ ergänzen: Robert Kaplan über den Irak-Krieg
Dass man, zumal in der Außenpolitik, manchmal nur die Wahl zwischen lauter Übeln hat - diese Lektion musste man Kissinger sicher nicht lehren, vielleicht stammt sie sogar von ihm. Man vergleiche das mal mit der tagträumerischen "wertegeleiteten Außenpolitik" unserer Tage.

Wuwwerboezer

28. Mai 2023 09:31

Ausnahmsweise ohne Anmerkungen drei Beiträge von FKT bzw. aus dem Dunstkreis von FKT über Kissinger, (1.), (2.) und (3.).
Die Bilderberger-Investigatoren wie allen voran Freeman TV haben sich immer daran festgebissen, daß Kissinger zu den Bilderbergertreffen erschien, als wäre er ein Bilderberger. Er kam aber nicht als pars inter pares dorthin - sondern als der Fuchs in den Hühnerstall, als der Teufel beim Inspektionsgang durch seine Hölle, um das Höllenpersonal auf Trab zu bringen!
- W.

Maiordomus

28. Mai 2023 10:19

Wer hier gegen Adenauer als "Kanzler der Alliierten", zwar ein Zwischenruf Schumachers, der als im Einzelfall berechtigter  Warnruf zu interpretieren war, schlecht macht, hat nicht nur dessen Erinnerungen nicht gelesen, vor allem keine Ahnung, was die Alliierten nach Vorschlägen von zumal ressentimentgeladenen Exilanten wirklich mit Deutschland vorhatten und womit sich Adenauer nun mal als Kanzler der Kriegsverlierer nun mal eher taktisch  zu arrangieren hatte und was er netto für das damalige Deutschland herausgeholt hat, ohne sich irgendwelche Illusionen zu machen. Dass er tatsächlich ein Westler war, Preussen nicht richtig traute, kann man ähnlich hinnehmen wie beim Denken von F. J. Strauss. Unter den damaligen Umständen haben diese Politiker aber im besten Sinne das Mögliche an deutschen Interessen nicht nur vertreten, sondern vor allem "herausgeholt"m nicht zufällig eher de Gaulle vertrauend als den Amerikanern, siehe A. Mohler.  Die Stalin-Note kurz vor dessen Tod, auf die ein Reinhold Schneider noch hoffte, war unter damaligen Bedingungen mit damals schwer kalkulierbaren politischen Risiken verbunden. Im Ganzen sind die damaligen Zentrumspolitiker, Bruening noch inbegriffen, durchaus als deutsche Patrioten einzuschätzen, freilich etwas kulturkampfgeschädigt und nicht gleich Bismarckianer. 

Maiordomus

28. Mai 2023 11:17

Habe eine analytische Ergänzung zu Adenauer möglicherweise auf der anderen, der Schlageter-Seite platziert. Im Gegensatz zu einigen anderen hier verfolge ich die deutsche Politik schon täglich seit 1961, liess mich als Jugendlicher vom Appell Adenauers und anderer, an Weihnachten 1961 mit einer Kerze an die Leute jenseits der Mauer zu erinnern, beeinflussen. Ausserdem fiel mir auf, dass Adenauer 1964/65 oder spätestens 1966 in der Welt am Sonntag vor bedingungsloser Unterstützung des Vietnam-Krieges warnte, also nicht zu vergleichen mit der heutigen Ukraine-Politik der Bundesregierung und von Bild. Ausserdem sagte er zu Parteifreunden, die seiner Kennedy-Skepsis entgegenhielten, der Kennedy sei doch katholisch: "Der Frings (Kardinal) ist ooch katholisch"!, ein gesundes Stück Misstrauen gegen Klerikalismus. Noch interessant, dass Adeneauer und Strauss in Sachen Frankreich von Armin Mohler  als Hoffnungsträger eingeschätzt wurden. Adenauer war in der Tat auch kein bedingungsloser Antikommunist, sondern eben ein interessengeleiteter Opportunist, er sagte ausdrücklich, dass die Unterstützung Israels ein Zugeständnis an die US-Ostküste sei, würde das Merz auch so formulieren? Das innere Ohr erhielt von Adenauer immer wieder mal differenzierende Rückmeldungen. 

RMH

28. Mai 2023 13:04

Kann den Beiträgen von @Maiordomus nur zustimmen. Man ist aus heutiger Sicht zu leicht geneigt, Stäbe über Politiker der alten BRD zu brechen - aber auch der DDR. In beiden Teilen gab es Politiker, die ganz "opportunistisch" versuchten, unter den Gegebenheiten der Besatzung das Maximale für ihre Einwohner herauszu holen. Sich biegen, um etwas zu bekommen, für den steten Tropfen sorgen, der den Stein hölt. Heute hingegen wird sich nicht gebogen, um etwas heraus zu holen, es wird sich nur noch gebückt.
Die aus heutiger Sicht so interessant erscheinende Stalin-Note zur Wiedervereinigung war aus damaliger Sicht schlicht inakzeptabel, da sie den Verzicht auf die Ostgebiete beinhaltete (dafür hat noch Molotow gesorgt). Das war damals noch keinem in Deutschland vermittelbar, anno 1990 hingegen schon. Und so sind es vor allem die Politiker nach der Wiedervereinigung, bei denen man weniger milde walten lassen kann, denn sie haben dem wiedervereinigten Deutschland Stück für Stück seine neue Souveränität genommen. Sie haben vom Ende des offiziellen Besaztzungsregimes 1990 an aktiv und willig an einer Transition in neue Formate mitgewirkt. 

Laurenz

28. Mai 2023 16:39

@Maiordomus bezügl. Adenauer
Unter den damaligen Umständen haben diese Politiker aber im besten Sinne das Mögliche an deutschen Interessen nicht nur vertreten, sondern vor allem "herausgeholt"
Das kann man so nicht stehenlassen, das ist absurd. 1. Hätte der Parlamentarische Rat, trotz der Vorgaben der US-Amerikaner, besser arbeiten können. 2. Haben Adenauer & Co. bezüglich der Deutschen Einheit komplett versagt & unsägliches Nachkriegsleid über uns ausgeschüttet. Am Beispiel Österreichs, Jugoslawiens & Finnlands können Sie ermessen, daß Neutralität möglich, politisch erreichbar war. Stalin hatte es angeboten, aber Adenauer wollte es nicht, Punkt. Er hat unsere Brüder & Schwestern in der SBZ schlicht verraten, nicht mehr & nicht weniger. Hätte Adenauer Ehre im Leib gehabt, wäre nur die Langsdorff'sche Option geblieben.

Sandstein

28. Mai 2023 19:14

Was hier überhaupt nicht thematisiert wird: wie ein gebürtiger Deutscher sich und seine (wie auch immer zu bewertenden) Fähigkeiten vollends in den Dienst einer anderen, im Prinzip feindlich gesinnten Nation stellt. Man kann es nicht anders sagen: die Integrationsmacht der USA muss jedem Beobachter Respekt abgewinnen.
Was das für den Charakter eines Kissingers bedeutet, soll sich jeder selbst beantworten. Mir ist dieser Typ zuwider, auch wenn man seine Lebensleistung am Ende nicht beschmutzen kann und sollte. Ich sag's mal trotzdem so wie ich es empfinde: der Typ fährt direkt in die Hölle.

Nemo Obligatur

28. Mai 2023 20:57

@ Sandstein 28. Mai 2023 19:14
Ich würde es genau umgekehrt sehen: Der Fall Kissinger zeigt exemplarisch, um welche brillanten Köpfe das Nazi-Regime Deutschland gebracht hat. Man stelle sich einen Außenminister Kissinger so um das Jahr 1965 und in einem Deutschland in den Grenzen von 1937 und ohne Zweiten Weltkrieg vor. Und dann schauen wir mal, wer heute in Deutschland das AA leitet. 
Ob Kissinger geradewegs in die Hölle fährt, mag der liebe Gott entscheiden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in den USA Macht ausübt, ohne moralisch zweifelhafte Entscheidungen zu treffen. Nicht einmal Jimmy Carter dürfte das geschafft haben. Es ist einfach nicht seines Amtes gewesen. 

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.