SEZESSION: Vor einigen Tagen verkündete die Söldner-Gruppe „Wagner“ die vollständige Einnahme der Stadt Bachmut, um die seit August 2022 erbittert gekämpft wurde. Die ukrainische Seite meldet dagegen, daß noch einige Vororte in ihrer Hand seien. Was soll man glauben?
FEIST: Es gibt für die Russen keinen Grund, die Eroberung wahrheitswidrig zu behaupten, weil sich das Gegenteil verhältnismäßig leicht anhand von Satellitenaufnahmen zeigen ließe. Ich gehe davon aus, daß Bachmut erobert wurde. Allerdings ist es den Russen nicht gelungen, die dort versammelten ukrainischen Streitkräfte zu zerschlagen, was die Bedeutung dieses Sieges deutlich schmälert.
SEZESSION: Mit Blick in die Karte stellt sich Frage, warum sich die Russen auf diesen verlustreichen Häuserkampf eingelassen und die Stadt stattdessen nicht eingekesselt haben?
FEIST: Der Versuch, die Stadt einzuschließen, wurde unternommen. Aber offensichtlich waren die regulären russischen Streitkräfte nicht in der Lage, den Ring zu schließen, was zeitweise zu brenzlichen Situationen für die Gruppe „Wagner“ führte. Aber wir sollten die strategische Bedeutung dieses Ortes tatsächlich nicht überschätzen. Es kam in der jüngeren Militärgeschichte nicht selten vor, daß um einen eher symbolischen Ort heftig gekämpft wurde. Die bekanntesten Beispiele sind Verdun, Stalingrad und Điện Biên Phủ. Die operativen Ziele, die hier erreicht werden sollten, wären an anderer Stelle leichter möglich gewesen.
SEZESSION: Es gibt Stimmen auf beiden Seiten, die behaupten, es habe sich jeweils für den anderen um eine Falle gehandelt?
FEIST: Die großen Verluste, die beide Seiten dort zu verzeichnen haben, verleiten natürlich zu dieser Einschätzung. Allerdings haben wir keinen Einblick in die wirkliche Lage vor Ort, die von der Kriegspropaganda beider Seiten überlagert wird.
Was wir aber sehen, ist eine tatsächliche Schwächung der ukrainischen Offensivkräfte. Dafür spricht jedenfalls das bisherige Ausbleiben einer Frühjahrsoffensive, die diesen Namen verdient. Dafür kann es nur zwei Gründe geben. Erstens: Die Abnutzungsschlacht um Bachmut hat Wirkung gezeigt. Zweitens: Die Ukraine wartet mit der Offensive bis weitere westliche Waffen eintreffen. Die beiden Gründe schließen einander nicht aus.
SEZESSION: Die Verlustzahlen, die zu lesen sind, klingen surreal. Die Ukraine soll 300.000 Soldaten verloren haben, was angesichts einer vermuteten Ausgangsstärke der ukrainischen Streitkräfte von 250.000 Mann völlig übertrieben klingt.
FEIST: Diese Zahl geht auf Informationen zurück, die Robert Kennedy aus amerikanischen Sicherheitskreisen hat. Sie würde tatsächlich bedeuten, daß die ukrainische Armee einmal komplett ausgelöscht wurde. Für diese Zahlen gilt das gleiche, wie für alle Informationen aus diesem Krieg. Sie sind der Kriegspropanda, in diesem Fall der isolationistischen Seite Amerikas, zumindest verdächtig.
Aber unabhängig davon sehen wir ja, daß die Ukrainer auf offener Straße Männer im wehrfähigen Alter einsammeln. Die Verluste müssen in jedem Fall sehr hoch sein, so hoch, daß sie bei dem begrenzten Aushebungspotential der Ukraine auf Dauer untragbar sind.
SEZESSION: Dafür schlägt sich die Ukraine bislang erstaunlich gut, die Russen mußten nach Anfangserfolgen zahlreiche Gebiete wieder aufgeben und kommen seitdem kaum voran.
FEIST: Bei der Beurteilung der operativen Leistung der Russen, die zweifellos schlecht ist, darf man einige Vorteile der Ukraine nicht aus den Augen verlieren. Beide Armeen entstammen der gleichen sowjetischen Schule, sind sich also ähnlich. Die Geschichte zeigt, daß bei annäherndem Gleichstand die Moral zum ausschlaggebenden Faktor wird. Da ist die Ausgangslage für die Ukrainer, die ihr Land verteidigen, deutlich besser.
Die Russen haben dagegen keinen klaren Kampfauftrag, sondern sind offiziell zu einer Art Polizeieinsatz geschickt worden, der sich zu einem Bruderkrieg ausgewachsen hat. Hier liegt auch der Grund dafür, warum Putin den Kampf bislang nicht mit voller Härte führt, sondern bemüht ist, die ukrainische Bevölkerung zu schonen. Er muß sicherstellen, daß nicht der Eindruck entsteht, er würde gegen das ukrainische Volk und nicht vorwiegend gegen die dortige Führung kämpfen.
SEZESSION: Aber auch die russischen Verluste sollen enorm sein, es kursieren Zahlen zwischen 100.000 und 200.000 Toten. Hinzu kommen die Verluste an Material, Rußland soll fast 2000 Kampfpanzer und über 2300 Schützenpanzer verloren haben.
FEIST: Die hohen Verlustzahlen bei den Panzern sind auf einen entscheidenden Unterschied zum Zweiten Weltkrieg zurückzuführen: die enormen Fortschritte bei den panzerbrechenden Waffen. Jede Truppengattung verfügt mittlerweile darüber und macht den Panzer zu einer äußerst gefährdeten Waffe. Hinzu kommen die Drohnen als völlig neue Waffengattung auf dem Gefechtsfeld.
Aber: Bislang haben die Russen vor allem alte und ältere Modelle eingesetzt, die bei uns schon längst verschrottet worden wären. Zudem läuft die russische Panzerproduktion auf Hochtouren, was sich durch die westlichen Lieferungen nicht ausgleichen lassen wird.
SEZESSION: Wenn man Schrott einsetzt, kann einem das Leben der Besatzungen nicht viel bedeuten. Das dürfte sich innenpolitisch doch irgendwann zu einem Problem für Putin auswachsen. Ein Problem, das bei der Söldnertruppe Wagner, die ihre Verluste allein in Bachmut mit 20.000 Gefallenen angibt, nicht existiert?
FEIST: Diesen Zusammenhang hat Lenin schon vor dem Ersten Weltkrieg erkannt: Durch die Massenheere stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Volk und Heer völlig neu. Die Amerikaner haben im Vietnamkrieg erlebt, was es bedeutet, wenn die Heimatfront zusammenbricht. Sie haben nicht zuletzt deshalb im Irak und in Afghanistan auf Söldner gesetzt. Ihr Einsatz entlastet die Heimatfront, da sie sich freiwillig zum Kampf entschieden haben.
Hinzu kommt, auch das zeigt die Geschichte, daß Freiwilligenformationen in der Regel bereit sind, ein höheres Risiko einzugehen. Das bedeutet höhere Verluste, aber auch eine größere Kampfkraft. Dieses Phänomen konnte man auch bei der Waffen-SS beobachten.
SEZESSION: Dagegen überrascht, wie problemlos es offensichtlich paramilitärischen Einheiten von Exilrussen gelungen ist, von ukrainischem Territorium aus in Rußland zu operieren.
FEIST: Ich würde die Bedeutung dieser angeblichen Freischärler-Operation nicht zu hoch veranschlagen. Es handelt sich dabei meines Erachtens um eine gezielte Provokation, die zur Eskalation des Konflikts beitragen soll. Gleichzeitig will der Westen mit dieser Fingerübung zeigen, daß eine russische Opposition existiert, was in den behaupteten Ausmaßen ganz sicher nicht der Fall ist.
Die Freischärler sprachen von 100.000 Anhängern allein in der Region Belgorod. Das ist Unsinn. Aber die russische Seite ist ganz offensichtlich mit einem solchen Vorstoß überfordert, weshalb es Stimmen gibt, die fordern, die Strukturen des Zweiten Weltkriegs wieder einzuführen und sich auf einen totalen Krieg einzustellen.
SEZESSION: Rußland hat aber gerade wieder einen Vorschlag unterbreitet, wie der Krieg zu beenden wäre. Er sieht die Aufteilung der Ukraine zwischen Rußland und der EU vor.
FEIST: Die Russen haben im letzten Herbst ihr Kriegsziel geändert. Ging es bis dahin um die Neutralisierung der Ukraine, ist man seither darauf aus, die russischsprachigen Gebiete zu befreien und die restliche Ukraine in eine vertraglich fixierte Neutralität zu überführen. Der aktuelle Vorschlag ist eine radikale Variante davon, da er die vollständige Zerschlagung der Ukraine vorsieht.
Unabhängig davon gibt es bezüglich des Kriegsendes zwei widerstreitende Theorien. Die eine sieht einen endlosen Abnutzungskrieg voraus, die andere erwartet eine Entscheidungsschlacht noch in diesem Jahr, der dann ein Sieg- oder Verständigungsfrieden folgt. Letztere halte ich für wahrscheinlicher.
SEZESSION: Es heißt aber immer wieder, daß der Schlüssel zum Frieden in Washington liege.
FEIST: Das ist offensichtlich, wenn man sich vor Augen führt, daß die offiziellen Einordnungen des Krieges an der Wahrheit vorbeigehen. Die Wahrheit ist immer eine ganze, Teilaspekte können nie die Wahrheit sein. Dieser Krieg ist gleichzeitig: 1. ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Rußlands, 2. ein gerechter Verteidigungskrieg der Ukraine, 3. ein Präventivkrieg Rußlands gegen die Nato, 4. ein US-amerikanischer Stellvertreterkrieg, 5. der Versuch eines polnischen Revanchekriegs und 6. ein nationaler Befreiungskrieg des Donbass.
Im Hinblick auf die USA ist der vierte Punkt entscheidend. Sinkt dort die Bereitschaft, sich in diesem Krieg zu engagieren, kann es schnell zu einem Frieden kommen. Daß der US-Präsident Charles Brown zum neuen Generalstabschef und Nachfolger von Mark Milley ernennen will, ist ein sicheres Indiz dafür, daß es in dieser Frage tiefe Risse innerhalb des amerikanischen Militärs gibt. Man fürchtet dort die eigene Selbstentwaffnung, wenn man die Ukraine weiterhin unterstützt. Dann würden die USA für den entscheidenden Konflikt der Zukunft, den mit China, nur unzureichend gerüstet sein.
Mitleser2
Ich möchte nur mal illustrieren, was dieser Krieg der deutschen Bevölkerung aufgrund der Sanktionen kostet: Gesamte Heizkosten (Gas) eines 8-Parteien-Hauses, in dem ich eine Eigentumswohnung habe: 2020 10.000 €, 2021 15.700 €, 2022 24.800 €.
So vertritt die deutsche Regierung die Interessen ihrer Bürger.