Lukas Mihr zeigt, warum der SPIEGEL zehn Jahre lang daneben lag.

Er ist wieder da: Beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga war der syrische Herrscher Baschar al-Assad unter den geladenen Gästen.

2011 war das Land aus­ge­schlos­sen wor­den, weil Dik­ta­tor Assad mit mas­si­ver Här­te gegen die Demons­tran­ten im eige­nen Land vor­ge­gan­gen war. Die diplo­ma­ti­sche Iso­la­ti­on Syri­ens nähert sich damit ihrem Ende.

Obwohl der Bür­ger­krieg in Syri­en noch immer nicht been­det ist, steht Assad nun als Sie­ger da. Wei­te Tei­le des Lan­des konn­te er wie­der unter sei­ner Kon­trol­le brin­gen, Kampf­hand­lun­gen fin­den nur noch regio­nal statt. Laut Anga­ben der syri­schen Beob­ach­tungs­stel­le für Men­schen­rech­te star­ben auf dem Höhe­punkt des Krie­ges 2014 über 110.000 Men­schen, im Jahr 2022 war die­ser Wert auf knapp 4.000 Tote gesunken.

Für man­chen mag die­ser Tri­umph Assads eine Über­ra­schung sein. In der Früh­pha­se des Krie­ges war der Dik­ta­tor von den Medi­en oft tot­ge­sagt wor­den. Die Rebel­len erober­ten damals wei­te Tei­le des Lan­des, die Oppo­si­ti­ons­grup­pen konn­ten auf den Rück­halt der NATO-Staa­ten set­zen und selbst aus der Eli­te lie­fen ehe­ma­li­ge Getreue des Herr­scher­clans zum Geg­ner über.

Das Bild vom „schwan­ken­den Assad-Regime“ wur­de in Deutsch­land vor allem vom Spie­gel von 2011 etwa bis Mit­te 2013 pro­pa­giert. Gewiß stand es dem Nach­rich­ten­ma­ga­zin zu, Par­tei zu ergrei­fen. Wenn jedoch ein Medi­um Par­tei ergreift, soll­te es die­se Par­tei­nah­me trans­pa­rent machen. Die Tren­nung zwi­schen Mei­nung und Bericht­erstat­tung soll­te für den Leser zu jedem Zeit­punkt klar sein.

Gewiß gab es auch etli­che jour­na­lis­tisch sau­be­re Arti­kel, die neu­tral gehal­ten wur­den. Offen­bar muß­ten die­se „Feh­ler“ jedoch gleich dar­auf kor­ri­giert wer­den, indem ein lei­ten­der Redak­teur mit der ent­spre­chen­den Über­schrift „nach­bes­ser­te“, sodaß auch eher unspek­ta­ku­lä­re Vor­gän­ge mit omi­nö­ser Bedeu­tung auf­ge­la­den wer­den konnten.

Der vor­herr­schen­de Trend war ein­deu­tig: In etwa hun­dert Bei­trä­gen wur­de expli­zit oder impli­zit das nahen­de Ende Assads ver­kün­det, bzw. wur­den die Erfolgs­aus­sich­ten des Regimes durch sug­ges­ti­ve For­mu­lie­run­gen (Framing) in ein schlech­te­res Licht gerückt. Die Men­ge an Arti­keln die­ser Art spricht gegen blo­ße Irr­tü­mer und Fehl­pro­gno­sen, die auch guten Jour­na­lis­ten unter­lau­fen, son­dern eher für eine geziel­te Mani­pu­la­ti­on. Wer in so hoher Takt­zahl sein Man­tra unters Volk brin­gen muß, übt sich eher in Fremd- und Auto­sug­ges­ti­on anstel­le von seriö­ser Bericht­erstat­tung. Die Par­al­le­len zu Catos Beschwö­rung „ceter­um cen­seo…“ lie­gen nahe.

Grün­de, sich gegen Assad zu posi­tio­nie­ren, gab es frei­lich genug. Assad ließ sei­ne Armee auf fried­li­che Demons­tran­ten schie­ßen, setz­te Gift­gas ein und unter­stütz­te die Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen Hamas und His­bol­lah. Wer aller­dings den Sturz eines Dik­ta­tors for­dert, soll­te auch ein Alter­na­tiv­pro­gramm anbie­ten können.

Denn die Vor­stel­lung, daß ein soge­nann­ter Regime chan­ge auto­ma­tisch eine Demo­kra­tie nach west­li­chem Vor­bild nach sich zie­he, ist bloß ein Wunsch­traum, wie unter ande­rem die Geschich­te der Inva­si­on des Irak zeigt. Nach dem Sturz Sad­dam Hus­s­eins war im Nach­bar­land Syri­ens ein Macht­va­ku­um ent­stan­den, das Ter­ro­ris­ten für ihre Zwe­cke nut­zen konn­ten. Im ira­ki­schen Bür­ger­krieg star­ben etwa 300.000 Men­schen. Das allein hät­te ein Warn­zei­chen sein kön­nen – schließ­lich wei­sen bei­de Län­der eine ähn­li­che eth­ni­sche und kon­fes­sio­nel­le Spal­tung auf.

Manch­mal waren sich die Redak­teu­re ihrer Sache zu sicher. So lesen wir im Arti­kel „Der Fall des Hau­ses Assad“  (18/2011):

Je mehr Blut in Homs, Daraa und Lata­kia fließt, des­to näher rückt aller­dings das Ende des Hau­ses Assad – und wenn das Regime nicht dras­tisch umsteu­ert, wird die­ser Count­down wohl nicht mehr in Jah­ren oder Mona­ten gemessen.“

Und Chris­toph Reu­ter schrieb unter dem Titel „Apo­ka­lyp­se und Auf­lö­sung“ (25/2012):

Der Ter­ror des Regimes führt zur Auf­lö­sung sei­ner Macht. Alle sind sich sicher, dass es zu Ende geht, aber kei­ner weiß, wie.

Über die Kämp­fe in der Haupt­stadt Damas­kus hieß es:

Assads Getreue tun so, als könn­ten sie noch gewinnen.

Die­se Pro­gno­se erneu­er­te er in Heft 30/2012:

Mit aller Macht ver­sucht Assad, sei­ne Geg­ner in den zen­tra­len Städ­ten des Lan­des zu besie­gen. Doch er kann nur noch zer­stö­ren, gewin­nen kann er nicht mehr.  Die letz­te Pha­se hat begon­nen. Das Regime wird unter­ge­hen. Aber es ist nicht klar, ob es noch Tage oder Wochen dau­ern wird.

Unter dem Titel „Assads Ende rückt näher“ (51/2012) hieß es:

Zum ers­ten Mal hat Russ­land damit Zwei­fel an einer mög­li­chen poli­ti­schen Lösung des Kon­flikts öffent­lich gemacht – ein deut­li­ches Signal dafür, dass Assad sich ver­mut­lich nicht mehr lan­ge an der Macht hal­ten kann.

Ein Arti­kel griff Gerüch­te über eine Flucht der Fami­lie Assad (30. 1. 2012) auf und sah das Ende des Clans nahen:

Dass das Gere­de um eine Flucht der Dik­ta­to­ren­fa­mi­lie trotz die­ser Auf­trit­te immer lau­ter wird, bedeu­tet auch, dass immer mehr Men­schen in Syri­en vom bis­her Unsag­ba­ren zu reden begin­nen: von einem Leben ohne die Assads.

Mel­dun­gen über Ange­hö­ri­ge der syri­schen Ober­schicht (11. 2. 2012) und spä­ter Rus­sen (21. 3. 2013), die das Land ver­lie­ßen, wur­den als nahen­des Ende der Dik­ta­tur angesehen:

In Syri­en schwin­det offen­bar der Glau­be dar­an, dass sich das Assad-Regime noch lan­ge hal­ten kann.

Die Wirt­schafts­kri­se (8. 5. 2012), die Syri­en infol­ge der Kriegs­ver­wüs­tun­gen und inter­na­tio­na­len Sank­tio­nen erdul­den musste,

könn­te das Regime schnel­ler zu Fall brin­gen als die Streit­macht der Rebellen.

Über den Man­gel im Land hieß es: „Assad fleht Russ­land um Geld und Treib­stoff an.“

Durch die Unter­stüt­zung der USA (16. 5. 2012) neh­me die „Schlag­kraft der syri­schen Auf­stän­di­schen offen­bar zu“. Dadurch „könn­te das Kräf­te­ver­hält­nis bald kip­pen.“ Mitt­ler­wei­le fin­de der „Krieg vor Assads Haus­tür“ statt, was den Dik­ta­tor „ner­vös“ mache. Wie der Angriff auf einen Regie­rungs­sen­der (27. 6. 2012) unter­strei­che, wür­den „die Macht­ha­ber um Prä­si­dent Assad offen­bar verwundbar.“

Im Arti­kel „Assad im Bun­ker“ (27. 10. 2012) sprach man über den „rea­li­täts­frem­den Dik­ta­tor“, der sich in der Haupt­stadt Damas­kus ver­schanzt habe und „immer noch an einen Sieg über die Rebel­len glaubt.“ Immer­hin muss­te man zuge­ste­hen, daß „Assad der mäch­tigs­te unter ver­schie­de­nen War­lords bleibt“, auch wenn er nicht in der Lage sei, wie­der das gesam­te Land unter sei­ne Kon­trol­le zu bringen.

Etwas rea­lis­ti­scher schätz­te man die Lage unter dem Titel „Assads lan­ger Atem“ (17. 12. 2012) ein. Daß der Fall des Herr­schers doch noch nicht ein­ge­tre­ten war, hieß aber nur, daß man vor­he­ri­ge Pro­gno­sen ein­fach eini­ge Jah­re in die Zukunft verlängerte:

Das Regime steht noch lan­ge nicht vor dem Kol­laps. Exper­ten rech­nen damit, dass bis zu sei­nem Sturz Jah­re ver­ge­hen könnten.

Aus­führ­lich ließ der Spie­gel Akteu­re der Welt­po­li­tik zu Wort kom­men, die fest mit einem Sturz des Herr­scher­hau­ses rech­ne­ten. So hieß es, die „Tür­kei pro­phe­zeit Ende des Assad-Regimes“ (29. 8. 2011). Die War­nun­gen der Staats­füh­rung stimm­ten die Redak­ti­on optimistisch:

Die Zeit des syri­schen Dik­ta­tors Assad ist womög­lich abge­lau­fen. Nach Ägyp­ten, Tune­si­en und dem­nächst wohl Liby­en ist Syri­en das nächs­te ara­bi­sche Land, das sei­nen auto­kra­ti­schen Herr­scher ver­lie­ren könnte.

Auch „Syri­ens Nach­barn fürch­ten Assads Sturz“ (10. 2. 2012):

Wenn das Regime in Damas­kus fällt, gerät das gesam­te regio­na­le Macht­ge­fü­ge durcheinander.

US-Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Leon Panet­ta mein­te: „Assads Regime neigt sich dem Ende zu“ (30. 07. 2012) und Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re mahn­te, in der „End­pha­se des Regimes“  (23. 2. 2013) sol­le Syri­en nicht auf „dum­me Gedan­ken“ kommen.

Der ehe­ma­li­ge deut­sche Außen­mi­nis­ter Josch­ka Fischer fürch­te­te ein „Blut­ver­gie­ßen“ (2. 8. 2012): „Ein Sturz des Staats­chefs wer­de nicht den ersehn­ten Frie­den brin­gen.“ Amts­nach­fol­ger Gui­do Wes­ter­wel­le sah einen „Zer­falls­pro­zess“ (9. 3. 2012). Der Chef des Bun­des­nach­rich­ten­diens­tes, Ger­hard Schind­ler (11. 8. 2012) war sich sicher:

Es gibt vie­le Anhalts­punk­te dafür, dass die End­pha­se des Regimes begon­nen hat.

Nato-Gene­ral­se­kre­tär Anders Fogh Ras­mus­sen (13. 12. 2012) pflich­te­te ihm bei:

Ich glau­be, das Regime in Damas­kus nähert sich dem Kollaps.

Im glei­chen Arti­kel kam auch die syri­sche Oppo­si­ti­on zu Wort, die sie­ges­si­cher ver­kün­de­te, nicht mehr auf eine west­li­che Inter­ven­ti­on ange­wie­sen zu sein.

Daß der Spie­gel wich­ti­ge Akteu­re der Welt­po­li­tik zu Wort kom­men lässt, ist nicht nur legi­tim, son­dern sei­ne Pflicht. Ande­rer­seits soll­te ein Medi­um zu einer kor­rek­ten Ein­ord­nung der­ar­ti­ger Wort­mel­dun­gen in der Lage sein. Waren die­se Pro­gno­sen objek­ti­ve Ana­ly­sen, oder wur­den sie von Inter­es­sen geleitet?

Unter dem Titel „Assads letz­te Ver­bün­de­te“ (6. 8. 2011) wur­de beschrie­ben, wie Nord­ko­rea, Iran und die His­bol­lah Syri­en unter­stüt­zen. Eigent­lich wäre die­ser Arti­kel ein Bei­spiel für seriö­sen Jour­na­lis­mus, da er erhel­len­de Ein­bli­cke in das Macht­ge­fü­ge des Nahen Ostens ermög­licht. Wenn da nicht die Über­schrift wäre: Denn wo es „letz­te Ver­bün­de­te“ gibt, müs­sen logi­scher­wei­se vie­le frü­he­re Ver­bün­de­te abge­sprun­gen sein.

Und eben­so hät­te man auch Ruß­land und Chi­na, Paki­stan oder auch Kuba und Vene­zue­la auf­zäh­len kön­nen. Am Ende war der Kreis der Ver­bün­de­ten dann doch nicht so klein – schließ­lich soll­te es Assad in der Fol­ge schaf­fen, zwölf Jah­re Bür­ger­krieg erfolg­reich auszusitzen.

Vier Mona­ten spä­ter folg­te die gro­ße Ankün­di­gung „Syri­en ver­liert sei­ne letz­ten gro­ßen Ver­bün­de­ten”  (16. 12. 2011). Die Wahr­heit ent­pupp­te sich bei genaue­rer Betrach­tung als weit weni­ger spek­ta­ku­lär. Tat­säch­lich hat­ten Ruß­land und Chi­na im UN-Sicher­heits­rat Syri­en kri­ti­siert. US-Außen­mi­nis­te­rin Hil­la­ry Clin­ton monier­te, daß das Posi­ti­ons­pa­pier zu mode­rat aus­ge­fal­len sei und sie sich eine schär­fe­re Ver­ur­tei­lung gewünscht hät­te. Ruß­land stütz­te Assads Regime jedoch weiterhin.

Und als es hieß, daß „auch Chi­na Assad zum Ende der Gewalt drängt“ (4. 3. 2012), war dem Arti­kel zu ent­neh­men, daß Peking den­noch Sank­tio­nen oder gar eine Mili­tär­ope­ra­ti­on ableh­ne. Auch die Pro­gno­sen über das „Ende einer Alli­anz“ (13. 6. 2012), näm­lich das Abrü­cken Irans von Syri­en bestä­tig­ten sich nicht – nicht ein­mal nach einem Gift­gas­an­griff (2. 10. 2012).

Bei der Unter­stüt­zung der EU für die syri­sche Oppo­si­ti­on han­de­le es sich um einen „Rit­ter­schlag“ (25. 11. 2011) und „mög­li­cher­wei­se kriegs­ent­schei­den­den Etap­pen­sieg“. Bei sol­chen Jubel­mel­dun­gen fehlt jeder Ver­weis auf den Kon­flikt inner­halb der noto­risch zer­strit­te­nen Regime­geg­ner – ganz als hät­te es den nie gegeben.

Über Regime­geg­ner, die sich in Deutsch­land zusam­men­fan­den, hieß es: „Syri­ens Wie­der­auf­bau wird in Ber­lin geplant.“ (5. 6. 2012) Und natür­lich wuss­te man, „Wie Syri­en nach Assad aus­se­hen soll“ (28. 8. 2012): Rechts­staat­lich­keit und eine neue Ver­fas­sung müss­ten her. Die „Plan­spie­le für die Zeit nach Assad“ (12. 12. 2012) beinhalteten,

schon jetzt die schwie­ri­ge Zeit nach einem Fall des syri­schen Macht­ha­bers Baschar al-Assad vor­zu­be­rei­ten und ein Cha­os inklu­si­ve eines blu­ti­gen Macht­kampfs nach dem Ende des Des­po­ten zu verhindern.

Zwar wol­le nie­mand pro­gnos­ti­zie­ren, „wann das Assad-Regime wirk­lich am Ende ist“, doch offen­bar ging es nur dar­um, wann und nicht ob der Dik­ta­tor stürzt.

2012 star­ben meh­re­re hoch­ran­gi­ge Funk­tio­nä­re des Regimes bei einem Anschlag auf den inners­ten Füh­rungs­zir­kel, dar­un­ter der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter, der Geheim­dienst­chef und der Schwa­ger Assads. Der Bru­der und ein Cou­sin des Dik­ta­tors wur­den schwer ver­wun­det. Nach dem „Angriff auf Assads engs­te Ver­trau­te“ (18. 7. 2012) hieß es, das Regime sei „erschüt­tert“ und „tau­melt“:

Die Macht des Des­po­ten schwindet.

Daß par­al­lel zum Anschlag eine Groß­of­fen­si­ve der Rebel­len star­te­te, sah man als Indiz, daß die Oppo­si­ti­on „voll im Zeit­plan lie­ge“ (20. 7. 2012).

In der Früh­pha­se des Bür­ger­krie­ges hat­ten etli­che Offi­zie­re der syri­schen Armee den Rücken gekehrt und sich der Oppo­si­ti­on ange­schlos­sen. Der Spie­gel deu­te dies so: „Die Rei­hen um Syri­ens Macht­ha­ber Assad lich­ten sich wei­ter“ (9. 3. 2012) und war sich sicher, daß  „Die Schlag­kraft von Syri­ens Dik­ta­tor Assad schwin­det.“ (14. 3. 2012) Man zeig­te sich opti­mis­tisch, „dass Assad kaum noch auf loya­le Kämp­fer ver­trau­en kann”. (16. 3. 2012) Nach all den Abgän­gen sei Assad ein „ein­sa­mer Dik­ta­tor“ (28. 12. 2012), des­sen „Macht­re­gime bröckelt“.

Nach die­sem Sche­ma wur­de auch die Nach­richt, daß der Bri­ga­de­ge­ne­ral, ein Jugend­freund Assads, Man­af Tlass, sich ins Aus­land abge­setzt habe, kom­men­tiert. Freu­dig hieß es:

Der Vor­fall legt nahe, dass das syri­sche Regime inzwi­schen selbst in der Haupt­stadt über kei­ne flä­chen­de­cken­de Kon­trol­le mehr ver­fügt und sei­ne Macht­ero­si­on wei­ter fort­ge­schrit­ten ist als bis­her angenommen.

Als kurz dar­auf auch Pre­mier­mi­nis­ter Riad Had­schib ins Aus­land floh, wur­de dies als Indiz gewer­tet, daß „Assads Regie­rung zer­fällt“ (6. 8. 2012), Habdschibs Flucht sei sowohl ein „sym­bo­li­scher Schlag“, als auch eine „Pein­lich­keit“. Der Staats­ap­pa­rat schrump­fe auf einen „har­ten Kern zusammen“.

Ab Mit­te 2013 zeig­te sich der Spie­gel zuneh­mend weni­ger sie­ges­si­cher. Damals hat­te der Bun­des­nach­rich­ten­dienst sei­ne frü­he­re Ein­schät­zung revi­diert und rech­ne­te fort­an mit einem Ver­bleib Assads an der Macht. Auch die USA stell­ten sich dar­auf ein, daß Assad zumin­dest gro­ße Tei­le des Lan­des unter Kon­trol­le behal­ten wür­de. Und selbst die Wirt­schafts­kri­se sei schwä­cher als gedacht: „Das Ende der Kämp­fe rückt durch den öko­no­mi­schen Nie­der­gang dage­gen kaum näher.“

Ab 2013 nah­men die syri­schen Che­mie­waf­fen einen immer grö­ße­ren Anteil in der Bericht­erstat­tung ein. Als Assad dann tat­säch­lich Gift­gas ein­setz­te, droh­te ein US-Mili­tär­schlag, der ver­hin­dert wer­den konn­te, indem das Regime sein Arse­nal auf­gab. Indi­rekt akzep­tier­ten die USA damit die Herr­schaft des Dik­ta­tors, denn um die rei­bungs­lo­se Über­ga­be der Che­mie­waf­fen zu gewähr­leis­ten, muss­te er im Amt verbleiben.

2014 geriet der Auf­stieg des Isla­mi­schen Staa­tes in den Fokus, 2015 berich­te­te man dann über die rus­si­sche Inter­ven­ti­on und ab dem Herbst über die Flücht­lings­kri­se, die Deutsch­land erfass­te. Danach waren die Vor­gän­ge in Syri­en selbst deut­lich weni­ger interessant.

Heu­te mag es in der Rück­schau so erschei­nen, daß Assad stets fes­ter im Sat­tel saß, als behaup­tet wur­de, aber war dies für die Zeit­ge­nos­sen eben­so offensichtlich?

Für einen Sturz des Herr­schers hät­te gespro­chen, daß die Auf­stän­di­schen meh­re­re Groß­städ­te unter ihre Kon­trol­le brin­gen konn­ten und die Dik­ta­tur sich vor allem auf die Min­der­heit der Ala­wi­ten stütz­te. Ein Sieg der sun­ni­ti­schen Bevöl­ke­rungs­mehr­heit wäre also rein demo­gra­phisch denk­bar gewe­sen. Auch die Viel­zahl der Deser­teu­re im Gene­rals­rang schien ein gewich­ti­ges Argu­ment zu sein.

Ande­rer­seits hat­te der Spie­gel die­se Zahl nie­mals kor­rekt ein­ge­or­dent. Sie lag Anfang 2013 bei etwa 50. Ohne aber zu wis­sen, wie hoch die Zahl der Gene­rä­le war, bleibt die­se Anga­be ohne Aus­sa­ge­kraft. Dabei ist jedem Exper­ten klar, daß der Offi­ziers­rang mas­sen­haft ver­lie­hen wur­de, um Loya­li­tä­ten inner­halb des Regimes zu stärken.

Dann aller­dings wären 50 deser­tier­te Gene­rä­le eben nicht der gro­ße Ader­laß, als der sie vom Spie­gel stets prä­sen­tiert wur­den. Und tat­säch­lich: Ins­ge­samt hat­te das syri­sche Offi­ziers­korps etwa 1.300 Gene­rä­le, und fast alle Deser­teu­re waren Bri­ga­de­ge­ne­rä­le, stan­den also auf der unters­ten von vier Rangstufen.

Auch lässt sich fest­stel­len, daß Assad zu jedem Zeit­punkt des Bür­ger­kriegs die voll­stän­di­ge Luft­ho­heit über Syri­en hatte.

Man mag nun ein­wen­den, daß vor es allem die rus­si­schen Mili­tär­schlä­ge ab 2015 waren, die Assads Herr­schaft sicher­ten. Aber auch 2011 hät­te der Spie­gel die­se Inter­ven­ti­on zumin­dest als Mög­lich­keit in Betracht zie­hen müs­sen. Sicher, ohne rus­si­sche Unter­stüt­zung wäre es Assad kaum gelun­gen, nahe­zu das gesam­te Land zurück­er­obern, aber für eine „Ret­tung in letz­ter Minu­te“ kamen die Luft­schlä­ge vier Jah­re zu spät.

Und wenn Assad wirk­lich bereits ver­lo­ren hat­te – war­um soll­te Mos­kau ihn dann wei­ter­hin unter­stüt­zen? Umge­kehrt war abzu­se­hen, daß die USA nach dem kurz zuvor erfolg­ten Abzug aus dem Irak kein Inter­es­se an einer wei­te­ren kost­spie­li­gen Inva­si­on haben würden.

Offen­bar wur­den Nach­rich­ten, die die Stär­ke des Regimes bes­ser illus­triert hät­ten, vor­ab vom Spie­gel aus­sor­tiert. War­um das deut­sche Nach­rich­ten­ma­ga­zin Assads letz­tes Stünd­lein so vehe­ment her­bei­schrei­ben woll­te, bleibt fraglich.

Manch­mal kön­nen Medi­en in der Tat Sie­ger pro­du­zie­ren. Wenn die Leser nur oft genug ver­si­chert bekom­men, daß die SPD die nächs­te Bun­des­tags­wahl gewin­nen wird, kann sie tat­säch­lich die CDU schla­gen: „Fake it till you make it!“ Doch ein Bür­ger­krieg, noch dazu in einem fer­nen Land, läßt sich von sol­chen Mani­pu­la­tio­nen kaum beein­flus­sen. Erst recht nicht, wenn die Leser gar nicht im Kriegs­ge­biet leben und selbst nicht kämp­fen­de Par­tei sind.

Neben dem par­tei­ischen Wunsch­den­ken indi­vi­du­el­ler Jour­na­lis­ten gab es ver­mut­lich noch einen ande­ren Grund für die ein­sei­ti­ge Bericht­erstat­tung: Solan­ge die west­li­chen Regie­run­gen Assads Ende kom­men sahen, publi­zier­te auch der Spie­gel ent­spre­chen­de Arti­kel, die eben­so schnell wie­der ver­schwan­den, nach­dem die Geheim­diens­te 2013 ihre Ein­schät­zung revi­diert hat­ten. Der Spie­gel, der sich einst als Wider­part der Mäch­ti­gen ver­stand, hat ein­mal mehr als ihr Sprach­rohr fungiert.

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Kommentare (15)

Adler und Drache

22. Juni 2023 12:24

Sehr anschaulicher und lehrreicher Überblick - vielen Dank! 

Rheinlaender

22. Juni 2023 12:25

Der Autor macht es sich m.E. zu einfach, auch wenn es sicherlich Belege für seine Grundthese gibt. Bis mindestens 2015 verlief der syrische Bürgerkrieg für die Regierung aber tatsächlich ungünstig, so dass die zitierten Meldungen, die vorwiegend aus der Zeit davor stammen, die Situation rückblickend nicht grundsätzlich falsch beurteilt haben. Eine russische Intervention auf Seiten der Regierung war 2011/2012 kein plausibles Szenario.
Man findet in deutschen Medien zum Thema Syrien in der vom Autor betrachteten Zeit aber durchaus Auffälliges, z.B. diesen Artikel. Die Autorin, von der man aufgrund ihres beruflichen Hintergrunds vermuten darf, dass sie es besser wusste, bezeichnete hier wenige Monate, bevor der IS größere Landesteile in Syrien unter seine Kontrolle brachte, Warnungen vor jihadistischen Akteuren unter den Gegnern Assads sowie Verfolgung u.a. der christlichen Minderheit als "Schauergeschichten" und "Propaganda". Da das auch 2013 so nicht stimmte, kann man hier durchaus die Frage nach einer möglichen Absicht der Autorin zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in Deutschland im Sinne politischer Interessen (etwa der damaligen Politik der USA) stellen.

Der Starost

22. Juni 2023 13:07

Was zu dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien in Erinnerung zu rufen ist, sind die brutalen Folgen der militärischen „regime change“-Interventionen des Westens in den Staaten des Maghreb. Zwar blieb die westliche Einmischung in Syrien letztlich erfolglos. Aber durch die Bürgerkriege wurden (wie geplant?) gewaltige Flüchtlingsströme ausgelöst, die sich zunächst in die Nachbarstaaten wie etwa die Türkei ergossen. Der UN-Flüchtlingskommissar senkte alsbald die Unterstützung der Flüchtlinge in den türkischen Lagern unter deren Existenzminimum, und wir wurden Zeugen einer konzertierten Aktion: Die unter anderem von den Soros Stiftungen „Open Society Foundations“ und „Mercator Stiftung“ finanzierte Europäische Stabilitäts Initiative (ESI) lenkte die Flüchtlinge unter dem Vorsitz von Gerald Knaus im Zusammenwirken mit willfährigen Politikern des Westens auf die offenen Grenzen Europas. Die weitere Entwicklung kennen wir; die von dem Soros-Adepten gelenkte Merkel ließ 2015 unsere Grenzen geöffnet, und seither müssen wir dem „Großen Austausch“ machtlos zuschauen. Mittlerweile hängt auch „Der Spiegel“ am lebensverlängernden Tropf George Soros`, sodass wir uns über die aktuelle Berichterstattung zu der Migrationspolitik der Ampel-Regierung nicht wundern sollten.

A. Kovacs

22. Juni 2023 13:16

Ich habe im Frühjahr 2015 auf YouTube Videos des auswärtigen Amts gesehen, die in Syrien zirkulierten und in denen Syrer auf die paradiesischen Zustände in Deutschland hingewiesen wurden mit einer Anleitung zum Ausfüllen von Asylanträgen.
Leider habe ich keines der Videos gespeichert. Nach der Merkelschen Grenzöffnung waren die vom Netz.
Hat jemand sonst diese Videos gesehen? Die 2015er Karawane war m. E. eindeutig "gemacht". 

Franz Bettinger

22. Juni 2023 13:25

Dass er Giftgas eingesetzt habe, ist als Propaganda-Lüge widerlegt. Es waren False flag Attacken. Selbst bei den False Flags war wohl kein oder selten Giftgas im Spiel. Das erkannte man neben den chem. Gastyp -Analysen (Chlorgas, Sarin) an den nicht passenden, kolportierten Symptom- und Therapie-Bildern, ganz abgesehen von der cui bono Frage --> https://www.dw.com/de/assads-giftgas/a-38326578 

Mitleser2

22. Juni 2023 13:28

@Rheinländer: "Die Zeit", sagt eigentlich fast alles. Suchen Sie dort die Artikel, die Bente Scheller dort seitdem geschrieben hat. Da hat sich nichts geändert. Maximaler Anti-Assad Bias. Und nur weil jemand "Politikwissenschaftler" ist, heißt das noch lange nicht, dass er es besser weiß. Aus der Ecke kommen die Schlimmsten, wenn sie linkslastig sind.

Franz Bettinger

22. Juni 2023 14:05

@Kovacs: Sie haben recht. Mindestens ein solches Flüchtlings-Werbe-Video ist mir in Erinnerung. Die 2015-er Karawane war bestellt und wurde abgeholt. Dass die Flucht nach Alemania keine sui generis war, war von Anfang an erkennbar.  

Kriemhild

22. Juni 2023 15:23

Wissen wir denn nicht alle, dass die nach 1945 lizensierten Medien keine deutschen Zeitungen oder Fernsehsender sind, sondern Sprachrohre und Agenturen der angelsächsischen Siegermächte? In den USA und Großbritannien werden die Knöpfe gedruckt, und die deutschen Vasallenmedien spucken entsprechende Berichterstattung aus, bis in Übersee neue Befehle ausgegeben werden.   

heinrichbrueck

22. Juni 2023 15:56

Das Selbstreflexionsvermögen der Kreuzchenmacher ist suboptimal. Sprachrohre haben eine gute Show zu bieten, was die Leute in ihren Blickwinkel bekommen sollen. Was nicht gezeigt wird, existiert in der Wahrnehmung nicht. Wirken sich die Handlungen negativ aus, werden die Zielsetzungen der Machthaber, für die berechenbaren Analphabeten, in ihren Selbstreflexionsunvermögen eine falsche Erklärung einbauen können. Das Schamgefühl der Spiegelschreiberlinge ist nicht ansprechbar, die Machthaber kennen ihre eingestellten Prostituierten. 

Jan

22. Juni 2023 18:57

@Kovacs
"Die 2015er Karawane war m. E. eindeutig "gemacht"."
Absolut. Ich erinnere mich an Karawanen, die Merkel-Bilder hochhielten, frisch und unzerknickt aus dem A3-Farbdrucker. Wer hat sie den Flüchtlingen in die Hand gedrückt? Eine echte und umfassende Aufarbeitung der Ereignisse steht noch aus. 
Ob Flüchtlingsströme, Corona oder Klima/CO2: Es ist alles künstlich angeheizt, aufgeblasen und dramatisiert worden. Ein Konglomerat aus Zivilgesellschaft (Milliardärsstiftungen/NGOs), Politikern und Medien inszeniert eigene Realitäten und schafft unverrückbare Fakten. Durch multimediale Dauerpropaganda werden alle eingelullt, durch Ausgrenzen und Abkanzeln alle eingeschüchtert und zermürbt.

Mitleser2

22. Juni 2023 20:50

@Jan: Ich bin noch optimistisch, dass diese "unverrückbaren Fakten" villeicht doch keinen Bestand haben. Immer mehr Leute wachen auf. Das muss die AfD benutzen. 
Sie haben zwar hinter der sog. "Zivilgesellschaft" die richtigen Begriffe gesetzt, aber es ist ganz wichtig, diesen Begriff immer richtig einzuordnen.  Es ist nichts anderes als der verlängerte Arm von Rotgrün durch NGOs und Antifa. "Zivilgesellschaft" ist ein Unwort.

RMH

22. Juni 2023 21:52

Überraschung: Zeitungen sind Tendenzbetriebe!
Der Verleger darf bestimmen, welche Tendenz sein Laden hat - seine angestellten Redakteure haben das umzusetzen.
Kann die Empörung mancher nicht nachvollziehen, dass sind doch alte Hüte. Müssen wir uns immer gegenseitig Basics vorbeten, quasi zur Selbstvergewisserung?

RWDS

23. Juni 2023 08:35

Die Medien haben mit Putin ja einen würdigen Nachfolger gefunden. Der ist auch immer bald am Ende.

Kurativ

23. Juni 2023 23:01

Nur nebenbei bemerkt: Die USA haben immer noch Militärbasen in Syrien. Sie stehlen syrisches Öl und führen Operationen im Iran durch (Anschläge auf Zivilisten mittels Islamisten, Aufstände mittels Kurden). Und den Kurden hat man vielleicht auch versprochen, dass sie ihr Kurdistan bekommen, wenn sie fleißig mitmachen. Im Kurdistan soll es dann natürlich auch eine Militärbasis mit den entsprechenden Abhörvorrichtungen und CIA-Mitarbeitern geben, wie man sie schon im Kosovo kennt. Diese Militärbasen kontrollieren dann weiträumig das Land, ohne einen Soldat auftreten zu lassen. Das alles ist übrigens zwar völkerrechtswidrig, aber sicher kompatibel mit Bearbocks wertebasierten Weltordnung.

Franz Bettinger

24. Juni 2023 05:19

@Volksdeutscher: Ihre Kommentare schätze ich fast immer. Aber warum war der BREXIT für Großbritannien folgenschwer? Ist nicht das Gegenteil dessen eingetreten, was die Lügenpresse in Endlosschleife posaunt hat: "Das Chaos ist programmiert. 3000 Regeln & Gesetze müssen neu verhandelt werden." Ich habe damals auf SiN schon gesagt: "Es wird nur eine Regel geben; die lautet: Alle Regeln zwischen EU und UK gelten weiter, bis auf die, die neu verhandelt werden.“ Genau so ist es gekommen & sehr erstaunlich: als würde man unter Vernünftigen leben. 

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