Wir sollten dabei von folgender Grundannahme ausgehen:
+ Deutschland hat das erste Viertel auf dem Weg einer Transformation in eine andere Gesellschaft zurückgelegt. Die Vordenker und Vertreter dieses Wegs sprechen offen von dieser Transformation: Sie wollen eine andere Gesellschaft, und sie wollen den Weg, der dorthin führt, mit Verboten und mehr als dringlichen Unterlassungsaufforderungen absichern.
Es handelt sich um die Formierung der Gesellschaft, um das Wohlverhalten des Einzelnen zum „Wohle eines Ganzen“.
Dieses „Ganze“, für dessen Wohl die Transformation stattfindet, ist nicht das Volk, ist nicht unser Volk, sind überhaupt die Völker nicht. Es ist die diffuse Weltgemeinschaft, also eine Ausweichgröße – nicht konkret, nicht faßbar, entgrenzt.
Dieses “Wohl des Ganzen” ist endzeitlich, also religiös und panisch aufgeladen. Auf diese Weise ist die Erzählung von der letzten Chance auf einen Ausweg imstande, den Idealismus junger Leute zu bündeln und sie als “letzte Generation” an die Front zu schicken – dorthin, wo das Gefecht vermeintlich ausgetragen wird.
Aber vermutlich ist dieses Gefecht ein Ablenkungsgefecht.
Wer diese Transformation mit welchen Hebeln und auf welchen Feldern umsetzt und ob unsere Regierung mehr ist als ein Marionettentheater – das ist heute nicht mein Thema. Mir geht es um die Ebenen, auf denen wir handeln, also etwas richtig oder falsch machen können.
+ Beginnen wir mit der AfD. Eine der Reaktionen auf den angerissenen Transformationsprozeß sind die steigenden Umfragewerte für diese einzige ernsthafte Oppositionspartei in Deutschland. Sie ist zum Sammelbecken der Ablehnung fundamentaler Veränderung geworden.
Dieser Vorgang vereinfacht den Konflikt zur Parole: Ich lasse mir nichts verbieten, ich lasse mir nichts nehmen! Diese Vereinfachung könnte sich für unseren Anspruch ausgesprochen ungut auswirken. Drei Gedanken:
1. Wer vor allem “dagegen” ist und damit gut fährt, hat letztlich nur anzubieten, daß sich nichts ändern solle. Von dorther rühren die Probleme, die im Slogan “Deutschland. Aber normal” stecken. Denn es war und ist zu guten Teilen dieses “Normal”, das uns dorthin verführte, wo wir jetzt stehen.
2. Wenn wir unter diesem “Normal” jenen Individualismus als Konsument, Verbraucher, Vernutzer und Anspruchsberechtigten verstehen, an den uns die vergangenen anderthalb Generationen gewöhnten, dann ist das kein abendfüllendes Programm und nichts, was den Kampf um Gestaltungsmacht lohnte. Es ist sogar ein Gegenbild zu dem, was uns vorschweben sollte.
3. Wir dürfen den Anspruch nicht aufgeben, ebenfalls einen Umbau im Sinn zu haben, jedenfalls kein bloßes “Gehe zurück nach der Badstraße”, die kennt, wer Monopoly spielte und die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts liegt. Jedenfalls: Unser Umbau hat einen völlig anderen Zielpunkt im Blick als denjenigen, den das grüne Milieu fokussiert, zu dem wir pauschal von Söder bis Baerbock alles zählen dürfen.
+ Die Umfragewerte, die der AfD im Bund das Doppelte von derzeit und in einigen Bundesländern wohl über 30 Prozent vorhersagen, sollten uns auch aus zwei anderen Gründen mit Sorge erfüllen: Zum einen stehen wir vor dem Problem eines von sich selbst begeisterten Parlamentspatriotismus, den die Umfragewerte blind machen.
Vor dem Hintergrund des zivilgesellschaftlich, medial, universitär und administrativ fest verankerten weltanschaulichen Kerns der woken Republik liefe sich der parlamentarische Gestaltungselan einer starken AfD im Handumdrehen tot.
Damit zusammen hängt ein zweites, riesiges Problem: Zumindest wir wissen nicht, woher die Leute kommen sollen, die aus diesem Aufschwung und aus dem hoffnungsvollen Vertrauensvorschuß der Wähler mit Kraft und Kenntnis eine politische Chance machen könnten.
Wir hoffen, daß die AfD es weiß, wir hoffen, daß aus der Bekenntnislust, die nun doch um sich zu greifen beginnt, Beteiligungsmut auf allen Ebenen entsteht.
Die dritte Sorge hängt mit dieser Personalnot zusammen und beschäftigt uns als Vertreter eines Geländes, das auch als “Vorfeld” der Partei bezeichnet wird: Wir werden ausgesaugt, wir können finanziell nicht konkurrieren und verlieren Leute, und das ist umso problematischer, als die AfD ein Milieu vertritt, das nicht viel liest.
+ Solche oppositionsinternen Probleme und Sorgen ändern nichts daran, daß der politische Gegner ziemlich ratlos zu sein scheint.
Daraus erwächst eine veritable Gefahr: Wer die Hebel der Macht in der Hand hat, um zu transformieren und diesen Prozeß zynisch als letzte Chance, als Chance am Ende aller Tage auflädt und ausruft, wird vor nicht viel zurückschrecken, um diese Macht zu verteidigen.
Profaner ausgedrückt: Der grüne, woke Kapitalismus, die grüne Ausbeutung des Planeten, die weltinnenpolitischen Netzwerke haben ihre Sturmtruppen, ihre Männer fürs Schmutzige längst gefunden und plaziert.
Als ich mich neulich mit Björn Höcke besprach, waren wir uns einig darin, daß der Gegner seine Schläge führen werde, so oder so. Die üblichen Denunziationsmethoden scheinen ein Gutteil ihrer Wirkung eingebüßt zu haben: Auch die Nachricht über eine Hausdurchsuchung bei Höcke verfängt nicht mehr recht, aber sie ist dreckiger als fast alles, was zuvor ausgepackt wurde:
Durchsucht wurde bereits im November vergangenen Jahres, durchsucht wurde ausschließlich das Jugendzimmer eines Fünfzehnjährigen, der angestellt hatte, was mit ein paar Tagen Strafarbeit am heimischen Hackklotz und einem erzieherischen Gespräch zu bereinigen ist. (Wir sprachen damals darüber, wir alle haben Söhne, wir alle waren fünfzehn und keine Sesselfurzer, und wir wollen auch keine heranziehen.)
Nun, ein gutes halbes Jahr später, wird die Geschichte gegen jeden Anstand und widerrechtlich hervorgezerrt. Sie muß durchgestochen worden sein von einer staatlichen Behörde – anders ist der Vorgang nicht zu erklären. Wir gehen davon aus, daß diese Rücksichtslosigkeit in der Berichterstattung erst der Anfang von Schweinereien ist, die wir uns nicht ausmalen können.
Wir gehen davon aus, daß hunderte Mitarbeiter in den Parteizentralen und in staatlichen Behörden damit beschäftigt sind, gemeinsam mit PR-Agenturen und Strategen Kampagnen zu entwickeln und durchzuspielen, die gegen den Durchbruch der AfD gestartet werden dürften, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Wir gehen außerdem davon aus, daß auf juristischer und verwaltungstechnischer Ebene die widerrechtliche Ausbremsung der Opposition und des oppositionellen Vorfelds bereits durchdacht ist und als Drohung nicht nur im Raume steht.
Dabei wäre ein Verbotsverfahren schon der äußerste Schritt. Näher liegt es, die Parteienfinanzierung an die Einstufung durch den Verfassungsschutz zu koppeln und die Werbefreiheit mit demselben Argument einzuschränken. (Für uns ist es beispielsweise mittlerweile nicht mehr möglich, an Buchmessen teilzunehmen. Die Einstufung durch den Verfassungsschutz ist das formale Kriterium, auf das Leipzig und Frankfurt warteten.)
Wir stellen uns in unseren schlimmsten Alpträumen vor, daß einzelne Personen aus dem Rennen genommen werden, daß ihnen etwas zustößt, daß jemand sie angreift. Diesem jemand, könnten hinterher, wie Lina E., “edle Motive” zugesprochen werden, und er würde auf offene, gewalttätige und ungehemmte Solidarität rechnen dürfen.
+ Und nun? Das ist eine Kinderfrage. Es gibt keine Alternative zum Weitermachen, zum Aufbau, zum Kampf um eine gute Zukunft. Wir haben eine erfahrungsgesättigte Zuversicht, das ist wohl das beste in dieser schwierigen politischen Lage:
Wir dürfen davon ausgehen, daß zwar nicht alle, aber doch viele Mandatsträger etwas von der Verantwortung ahnen, die auf sie zukommt, wenn die Gestaltungsmacht in greifbare Nähe rückt.
Wir dürfen also davon ausgehen, daß diese Leute an ihren Hausaufgaben sitzen und daß sie sich mit Mitarbeitern zu umgeben versuchen, denen die Durchdringung von Verwaltungsvorgängen und administrativen Hebelgesetzen zuzutrauen ist.
Wir dürfen zweitens davon ausgehen, daß es dort, wo jemand aus unseren Reihen macht, was er kann, gut wird. Erfahrung und Können sprechen dafür. Buch, Film, Veranstaltung, Zeitschrift, Aktion, Vortrag, Gespräch, Grafik, Kunst – auf allen Feldern gibt es gelungene Arbeiten und Umsetzungen, dazu Verflechtungen, Ausdifferenzierungen und echte Kreativität.
Wir dürfen außerdem davon ausgehen, daß alle, die sich zeigen, ob politisch oder in einem der vielen widerständigen Milieus, mittlerweile auf tragfähige Strukturen vertrauen können – auf viele Mitglieder, Unterstützer und Leser, auf Freundeskreise, Unternehmerverbände und auf das, was man wohl emotionale Rückversicherung nennt:
Zuspruch, Begeisterung, Warmherzigkeit – und die Auffindbarkeit von Räumen freier Rede und von Refugien.
Wir sind also verhalten optimistisch und werden tun, was getan werden muß und was getan werden kann. Das sind wir unserem Vaterland schuldig.
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RMH
"Wir gehen davon aus, daß diese Rücksichtslosigkeit in der Berichterstattung erst der Anfang von Schweinereien ist,"
Ich sehe das Durchstoßen der Durchsuchung im Hause Höcke im Zusammenhang mit der just anstehenden, chancenreichen Stichwahl um den Landratsposten in Sonneberg. Der AfD Kanditat wird als "Höcke-Mann" bezeichnet und kurz vor der Wahl auch selber durch den Dreck der Verdachts-Denunziation gezogen (was wird hier eigentlich aufgebauscht?).
https://www.tagesspiegel.de/politik/kurz-vor-der-stichwahl-polizei-ermittelt-offenbar-gegen-afd-landratskandidaten-in-sonneberg-10018165.html
Alles Zeichen dafür, dass in gewissen Gebieten die Luft dünner wird. Ich gehe davon aus, dass auch das Thema Verbotsverfahren wieder hochkommen wird.
PS: Wenn Mitarbeiter bei der AfD gebraucht werden, dann bitte eine gute, einheitliche Stellenbörse aufmachen, bislang ist dass offenbar alles recht verteilt und kaum zentral oder gebündelt und bis hinein zum einzelnen Abgeordneten macht offenbar jeder sein Ding selber.