Wir werden nun seit einiger Zeit zunehmend und flächendeckend mit Häßlichem konfrontiert. Die Werbung ist immer ein gutes Meßinstrument, den Puls einer Zeit, einer Gesellschaft zu nehmen.
Da springen schwer adipöse Damen in engen Leggings tanzend herum, sie werden uns in Reizwäsche präsentiert.
Hinzu furchtbar entstellte Gestalten mit Tattoos, Piercings, schrecklichen Make Ups – von denen man nicht sagen kann, ob sie Männlein oder Weiblein sind – fahren jetzt die Autos, die bisher der graumelierte Mann gefahren hat und dergleichen mehr … jeder kennt das.
Es soll uns sagen: auch häßlich ist schön, alles ist schön. Die Subbotschaft lautet aber: das Schöne ist häßlich, eure ganze alte Wertewelt gehört zerstört!
Wenn wir von der Ästhetik des Häßlichen sprechen, dann müssen wir Karl Rosenkranz (1805–1879) erwähnen. Er war der erste, der in seinem gleichnamigen Werk den Einbruch des Häßlichen in die Idealwelt bemerkte. Als Hegelschüler und ‑adept konnte er die Dialektik der beiden konträren Begriffe nicht mehr übersehen.
Sein Meister – Hegel – hatte selbst die Spur gelegt, als er in seiner großen „Ästhetik“ die Bedeutung des subjektiven Geschmacks am drastischen Beispiel erläuterte:
Denn unter den Menschen z. B. ist es der Fall, daß, wenn auch nicht jeder Ehemann seine Frau, doch wenigstens jeder Bräutigam seine Braut – und zwar etwa sogar ausschließlich — schön findet, und daß der subjektive Geschmack für diese Schönheit keine feste Regel hat, kann man ein Glück für beide Teile nennen. Blicken wir vollends weiter über die einzelnen Individuen und ihren zufälligen Geschmack auf den Geschmack der Nationen, so ist auch dieser von der höchsten Verschiedenheit und Entgegensetzung. Wie oft hört man sagen, daß eine europäische Schönheit einem Chinesen oder gar einem Hottentotten mißfallen würde, insofern dem Chinesen ein ganz anderer Begriff von Schönheit innewohne als dem Neger und diesem wieder ein anderer als dem Europäer usf. Ja, betrachten wir die Kunstwerke jener außereuropäischen Völker, ihre Götterbilder z. B., die als verehrungswürdig und erhaben aus ihrer Phantasie entsprungen sind, so können sie uns als die scheußlichsten Götzenbilder vorkommen und ihre Musik als die abscheulichste in die Ohren klingen, während sie ihrerseits unsere Skulpturen, Malereien, Musiken für unbedeutend oder häßlich halten werden.
Was man begreifen muß: Diese Subjektivität ist objektiv! Man kann das Schönheitsempfinden nicht steuern, zumindest nicht kurzfristig, ideologisch, sondern wenn überhaupt, dann nur durch kulturelle Prägung, und die basiert auf einem jahrhundertelangen Prozeß. Das heißt – wenn man die menschliche Schönheit als Beispiel nimmt –: Menschen sehen das Schöne besonders unter ihresgleichen. Damit sind sie aufgewachsen, schon das erste wahrgenommene Lächeln der eignen Mutter legt das fest. Innerhalb dieses Bereiches gibt es selbstredend ebenfalls die ganze Spannbreite.
Auf die Kunst bezogen gilt dies gleichfalls: Die Schönheit beninischer Büsten oder japanischer Kalligraphien ist uns nicht unmittelbar zugängig, weil uns die Codes fehlen; die Schönheit einer Haydn-Symphonie, eines Raffael-Gemäldes oder auch einer gelungenen Rockoper hingegen schon.
Man kann sich das ästhetische Empfinden des Fremden erarbeiten, aber es wird nur wenigen und nur in langen Prozessen gelingen. In der apriorischen Bewunderung beninischer Büsten und Masken etwa liegt selbst schon Rassismus, denn wir sehen sie als Leistung einer Kultur, die „das also auch schon konnte“.
Trotz aller Subjektivität und Objektivität der Subjektivität – gibt es aber auch das Objektive des Objektiven, das Objektive an sich. Die Kriterien findet man in der Natur, in der Gesundheit, in der Funktionalität, in der Vollständigkeit. Adiposität etwa kann an sich nicht schön sein – aller Propaganda zum Trotz –, denn sie ist dysfunktional, sie behindert das freie Leben, sie macht krank und würde in der Natur mit dem baldigen Untergang bestraft werden.
Selbst die Venus von Willendorf – sollte sie ein Schönheitsideal dargestellt haben –, die uns heute ästhetisch wenig anspricht mit ihren ausladenden weiblichen Attributen, unterlag dieser Regel: Sie verkörperte in Zeiten ewiger Kargheit die fruchtbare, die gebärfähige Frau, die umso besser in dieser Funktion agieren konnte, je üppiger sie ernährt war. In Zeiten der dauernden Knappheit kann Dicksein ein Schönheitsziel werden.
Das Häßliche ist mit Rosenkranz vom Schönen abhängig, das Schöne ist primär, insofern es eine Form der Freiheit darstellt. Rosenkranz nun war der zunehmende Einbruch des Häßlichen in den ästhetischen Bereich aufgefallen.
Er war ein früher Seismograph der künstlerischen Ent-Artung, Ent-Grenzung, die sich im Laufe der Säkularisierung, der Entdeckung des Menschen in Humanismus und Renaissance, der Aufklärung, der Industrialisierung, der zunehmenden gesellschaftlichen Bewußtwerdung, der Akzeleration und ähnlichen Prozessen durchzusetzen begann.
Ihm war auch der Bezug zur gesellschaftlichen Dekadenz bewußt:
Daß das Häßliche solle ein Wohlgefallen erzeugen können, scheint ebenso widersinnig, als daß das Kranke, oder Böse ein solches hervorrufe.
Möglich sei es dennoch auf gesunde und auf kranke Weise:
Auf krankhafte Weise, wenn ein Zeitalter physisch und moralisch verderbt ist, für die Erfassung des wahrhaften, aber einfachen Schönen der Kraft entbehrt und noch in der Kunst das Pikante der frivolen Korruption genießen will. Ein solches Zeitalter liebt die gemischten Empfindungen, die einen Widerspruch zum Inhalt haben. Um die abgestumpften Nerven aufzukitzeln, wird das Unerhörteste, Disparateste und Widrigste zusammengebracht. Die Zerrissenheit der Geister weidet sich an dem Häßlichen, weil es für sie gleichsam das Ideal ihrer negativen Zustände wird.
Wer – wie Friedrich Engels etwa – bewußt und mit offenen Augen durch Industriestädte wie Elberfeld oder später Manchester ging, dem konnte die Übermacht des Häßlichen nicht unbemerkt bleiben. Schon der Teenager hatte in seinen Briefen aus dem Wuppertal (1839), noch anonym, die Häßlichkeit seiner Heimatstadt vor dem Hintergrund schöner Natur beschrieben, den „Kohlendampf und Staub“, die Syphilis und „Brustkrankheiten“, das gefärbte und tote Wasser der Wupper, und einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem vorherrschenden Pietismus hergestellt. Diesen Impuls hatte er in seiner großen Studie Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845) umfassend ausgelebt.
Das Häßliche war also da, seine Übermacht nicht mehr zu übersehen.
Es war nur konsequent, daß sich die Kunst seiner annahm. Das Problem beginnt dann, wenn das Häßliche zum Schönen erklärt und verkehrt wird.
Daß es das Häßliche an sich gibt, kann jeder in der Frage der Naturschönheit an sich selbst erleben, selbst dann, wenn er der neuen Ideologie anhängt. Egal, welche Partei wir wählen oder auf welchem Kontinent wir geboren wurden, finden wir alle eine Naturidylle schön und erhaben, ein stilles Bergtal, eine klare Quelle, die Weiten des Meeres, ja selbst der Arktis oder der Wüste … wohingegen niemand behaupten wird, eine Müllhalde, eine zerbombte Ruine oder Krach, Dreck und Hektik der Großstadt seien schön zu nennen. Wer in sich geht und dies zugibt, der kann nicht umhin, die Betrachtung auch auf das Künstlerische oder das Menschliche auszudehnen.
Rilke beschrieb in seinem ikonischen Gedicht Archaïscher Torso Apollos mustergültig die zwingende Macht der Schönheit und hatte aus der Betrachtung der antiken Vollkommenheit einen ethischen Schluß gezogen:
denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Schönheit und Vollkommenheit haben einen Auf- und Anrufcharakter! Sie rufen uns dazu auf, ihnen nachzueifern, unser Leben zu ändern, täglich, ununterbrochen, und das kann nur heißen, an unseren Häßlichkeiten übend zu arbeiten, uns im erweiterten Sinne vollkommener, gesünder, funktionaler, mit einem Wort: schöner zu machen, soweit das eben geht. Daß die Hast dazu, daß die Instrumentalisierungen und Verirrungen dieser Tugenden ins Gegenteil des Häßlichen umschlagen können, versteht sich unter Dialektikern von selbst.
Peter Sloterdijk widmete den Zeilen Rilkes ein 700-seitiges Buch. In ihm finden wir folgende Sätze:
Daher bietet sich der Athletenkörper, der Schönheit und Disziplin zu einer in sich ruhenden Sprungbereitschaft vereinigt, als eine der verständlichsten und überzeugendsten Erscheinungsformen von Autorität an.
Schönheit ist Autorität, sie strahlt etwas Herrisches aus. Wenn Sloterdijk sie mit Disziplin und „ruhender Sprungbereitschaft“ charakterisiert, dann verweist er auf Gesundheit, Funktionalität und Übungsbereitschaft.
Vor diesem Hintergrund wird uns das Verlogene der Ästhetisierung des Häßlichen, wie uns etwa in oben erwähnten Werbefilmen entgegenspringt, deutlich. Das Unförmige dieser Menschen ist in der Regel Resultat einer eigenen Schwäche, Undiszipliniertheit.
Es gehört nicht verherrlicht, sondern kritisiert. Nicht die Zurschaustellung und damit die Rechtfertigung dieses Scheiterns sollte Lebensziel sein, sondern die Verbesserung, das In-Form-Bringen. Schön ist das Ideal; Ideal ist es deswegen, weil es nicht erreicht werden kann. Dennoch ist und bleibt es das Erstrebenswerte.
Das Scheitern am sich-Vervollkommnen, der „Sorge um sich“, der „Ästhetik der Existenz“ (Foucault) in den öffentlichen Raum zu stellen, birgt die Gefahr, Generationen heranzuziehen, denen jeglicher innerer Kern abhandengekommen ist. Es genügt ein Straßengespräch, um zu begreifen, wie weit dieser selbstzerstörerische Prozeß bereit fortgeschritten ist.
quer
Beim Beschreiben der unförmigen menschlichen Fleischklumpen in der Werbung fehlt noch der unvermeidbare Neger (m/w). Auch das sollen wir vor dem Hintergrund unserer Kultur als "schön" empfinden. Es gibt nur einen Schutz: Wegsehen, weghören und das Gegenteil dessen tun, was Werbung möchte/bezweckt.